Gaslicht 6: Es begann am Todessee
Von Sidney Gardner
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Der See war grau wie Spinnweben. Mit einem leeren, in sich gekehrten Blick stand Helen am Ufer, während der leichte Wind, der über die Hügel strich, ihr durch das Haar wehte.
Sie fröstelte.
Eine leichte Gänsehaut überzog ihre Unterarme.
Ihre Lippen flüsterten einen Namen.
»Jarmila…«
Immer wieder zog es sie an diesen trostlosen Ort. Die Vegetation schien sich von den umliegenden Hügeln aus irgendeinem Grund zurückgezogen zu haben. Es war kaum Gras auf dem steinigen Boden zu sehen. Die knorrigen Bäume wirkten morsch und tot. Wie Ruinen einstigen Lebens. Der Geruch von Moder und Fäulnis stieg aus dem trüben See empor, an dessen Rändern sich eine grauweiße Salzschicht abgelagert hatte.
Ein Ort des Todes!
Ein Ort, von dem sich das Leben zurückgezogen und einer Aura des Verfalls Platz gemacht hatte.
Ein leichtes Donnergrollen ließ Helen zusammenzucken. Aus den Augenwinkeln heraus glaubte sie, eine Gestalt zu sehen.
Eine Bewegung…
Sie wirbelte herum und erstarrte.
Eine junge Frau mit goldblondem schulterlangem Haar stand auf dem nahen Hügel. Und obwohl der Wind jetzt kräftiger wurde, bewegte sich ihr Haar nicht einen einzigen Millimeter. Die junge Frau kam näher. Helen blickte ihr entgegen, während ihr die Furcht wie eine kalte glitschige Hand den Rücken hinaufkroch.
»Jarmila…«, flüsterte sie.
Jarmila war schön. So schön wie damals, an jenem Tag, als das Unglück geschehen war.
Es ist schon so lange her und doch kommt es mir vor, als wäre es erst gestern gewesen.
Auf Jarmilas Gesicht stand ein teuflisches Lächeln, das einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. Ihre Augen leuchteten vor Haß. Ihre Bewegungen waren katzenhaft und geschmeidig
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Buchvorschau
Gaslicht 6 - Sidney Gardner
Gaslicht
– 6 –
Es begann am Todessee
Jarmilas unheimliche Macht schien grenzenlos
Sidney Gardner
Der See war grau wie Spinnweben. Mit einem leeren, in sich gekehrten Blick stand Helen am Ufer, während der leichte Wind, der über die Hügel strich, ihr durch das Haar wehte.
Sie fröstelte.
Eine leichte Gänsehaut überzog ihre Unterarme.
Ihre Lippen flüsterten einen Namen.
»Jarmila…«
Immer wieder zog es sie an diesen trostlosen Ort. Die Vegetation schien sich von den umliegenden Hügeln aus irgendeinem Grund zurückgezogen zu haben. Es war kaum Gras auf dem steinigen Boden zu sehen. Die knorrigen Bäume wirkten morsch und tot. Wie Ruinen einstigen Lebens. Der Geruch von Moder und Fäulnis stieg aus dem trüben See empor, an dessen Rändern sich eine grauweiße Salzschicht abgelagert hatte.
Ein Ort des Todes!
Ein Ort, von dem sich das Leben zurückgezogen und einer Aura des Verfalls Platz gemacht hatte.
Ein leichtes Donnergrollen ließ Helen zusammenzucken. Aus den Augenwinkeln heraus glaubte sie, eine Gestalt zu sehen.
Eine Bewegung…
Sie wirbelte herum und erstarrte.
Eine junge Frau mit goldblondem schulterlangem Haar stand auf dem nahen Hügel. Und obwohl der Wind jetzt kräftiger wurde, bewegte sich ihr Haar nicht einen einzigen Millimeter. Die junge Frau kam näher. Helen blickte ihr entgegen, während ihr die Furcht wie eine kalte glitschige Hand den Rücken hinaufkroch.
»Jarmila…«, flüsterte sie.
Jarmila war schön. So schön wie damals, an jenem Tag, als das Unglück geschehen war.
Es ist schon so lange her und doch kommt es mir vor, als wäre es erst gestern gewesen.
Auf Jarmilas Gesicht stand ein teuflisches Lächeln, das einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. Ihre Augen leuchteten vor Haß. Ihre Bewegungen waren katzenhaft und geschmeidig und hatten beinahe etwas Tierhaftes an sich. Ihr Lächeln wurde breiter. Zwei Reihen makellos weißer Zähne entblößte sie. Ein Zischen ging über die vollen, aber etwas blassen Lippen. Ihre Züge waren feingeschnitten und von fast überirdischer Schönheit. Aber in diesem Moment schienen sie auf groteske Weise durch den Haß entstellt zu sein.
Helen atmete tief durch.
Wie angewurzelt stand sie da, unfähig, auch nur einen einzigen Schritt zu machen.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Das Donnergrollen wurde stärker.
Helen blickte kurz hinauf in den grauen Himmel.
Der Wind riß jetzt heftig an Helens Kleidern und Haaren. Ein wütender Sturm schien wie aus dem Nichts heraus ausgebrochen zu sein. Die wenigen, verkümmert wirkenden Sträucher und Bäume wurden heftig hin- und hergebogen.
Lediglich Jarmila schien von diesem Sturm völlig unberührt zu sein. Ihr Kleid hing schlaff an ihr herab. Das einzige, was den Stoff ein wenig bewegte, waren die anmutigen, katzenhaften Schritte, mit denen sie sich Helen näherte.
»Was willst du, Jarmila?« rief Helen.
Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht, das der Wind ihr in die Augen geweht hatte.
Sie schauderte, als sie in die Augen ihres Gegenübers sah.
Jarmilas Augen veränderten sich.
Zunächst waren sie leuchtend blau gewesen, aber nun begann sich Schwärze auszubreiten. Innerhalb eines einzigen Augenblicks waren ihre Augen nichts als dunkle Flecken, die aus purer Finsternis zu bestehen schienen.
Wieder grollte indessen der Donner, während es in Jarmilas Augen grell aufleuchtete. Blitze zuckten dort. Ein knallender Donner ließ Helen zusammenzucken und bis ins Mark erschrecken.
Sie machte einen Schritt zurück.
Das Grauen schüttelte sie.
Sie öffnete halb den Mund, wollte schreien, aber kein Laut kam über Helens Lippen.
Der Wind wurde dermaßen stark, daß Helen sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Eine plötzliche Böe riß sie nach hinten. Sie taumelte zu Boden.
Helen wirbelte am Boden herum und blickte Jarmila entgegen.
»Nein«, flüsterte sie.
Jarmila lachte leise.
Und in der nächsten Sekunde blitzte es grell vom Himmel herab. Ein Strahl, so weiß wie Platin, zischte nur Zentimeter von Helen entfernt in den Boden hinein, ein weiterer dicht daneben. Der Donner war ohrenbetäubend und glich nicht mehr einem langen dumpfen Grollen, sondern einem Kanonenschlag, der unmittelbar auf den Blitz folgte. Ein halbes Dutzend solcher Einschläge folgte kurz hintereinander. Sie alle brannten sich dicht neben der am Boden kauernden Helen in den Boden, versengten die letzten Grashalme und zerschmolzen das Erdreich zu etwas Formlosen.
Ein schwarzer Ring wurde um Helen herum sichtbar.
Reglos kauerte sie am Boden.
Sie hatte erwartet, daß die unvorstellbar großen Energien dieser Entladung sie verbrennen würden.
Selbst in einer Entfernung von mehreren Metern konnte ein Blitzeinschlag noch zu schweren Verletzungen oder dem Tod führen.
Aber Helen war unversehrt.
Jarmila lachte schauderhaft.
Sie hob die Arme, öffnete die Hände…
Und dann fuhren die gewaltigen Energien, die gerade in den Boden eingedrungen waren, wieder aus dem Erdreich heraus. Grelle Strahlen schossen aus der schwarzen Linie hervor, die einen Kreis um Helen gebildet hatte.
Diese Strahlen trafen auf Jarmilas Fingerkuppen, und es machte den Eindruck, als würde die blonde Frau mit den abgrundtief dunklen Augen, mit ihren Händen all das an Energie aufnehmen, was noch Sekundenbruchteile zuvor in den Boden gefahren war.
Helen zitterte.
Sie kontrolliert alles! ging es ihr fröstelnd durch den Kopf. Gewaltige Kräfte, die niemand sonst zu beherrschen wußte…
Helen öffnete die Lippen, sah ihr Gegenüber mit einem Blick an, der eine Mischung aus Haß und blanker Verzweiflung zeigte.
Das Grauen schüttelte sie.
»Jarmila! Warum tötest du mich nicht?« rief sie. »Warum vollendest du es nicht?«
Jarmilas Blick ruhte auf ihr.
Die dunklen Augen verwandelten sich zurück.
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, Helen«, murmelte sie. »Nein.« Ihr Lachen wirkte wie irre. Jarmila drehte sich herum. Mit langsamen Schritten lief sie zurück zu dem Hügel, auf dem Helen sie zuerst gesehen hatte.
»Jarmila!« rief Helen.
Sie schrie es beinahe.
Das dumpfe Grollen des Donners war die Antwort.
Helen erhob sich.
Im selben Moment sah sie, wie Jarmila den Hügel erreichte. Ihre Gestalt wurde transparent und wirkte im nächsten Augenblick wie eine schwache, unscharfe Projektion.
Aus dem Nichts heraus schoß ein greller blauweißer Blitz dicht vor Helens Fußspitzen.
Jarmilas Gestalt verblaßte zur Gänze.
Regen setzte ein, und innerhalb von wenigen Augenblicken klebte Helen das Haar am Kopf.
Reglos stand sie da und blickte zu jener Stelle, an der Jarmila verschwunden war.
Es wird nie aufhören! dachte sie voller Verzweiflung. Nie…
*
Es war bereits Abend, als wir die Lichter Londons in der Dämmerung sahen. Wie ein Spiegelbild des Sternenmeeres.
Tom saß am Steuer des Volvo, und ich kämpfte mit meiner Müdigkeit. Ein wunderbares Wochenende in Cornwall lag hinter uns. Morgen früh erwartete uns beide wieder unser Job als Reporter der LONDON EXPRESS NEWS. Ein paar Tage hatten wir in der Nähe von Land’s End ausgespannt, die unvergleichliche Landschaft und das Meer genossen.
Und unsere Liebe.
Tom Hamilton war Mitte Dreißig, hochgewachsen und dunkelhaarig. Und der Blick seiner graugrünen Augen hatte immer etwas Geheimnisvolles an sich. Ich verband diese Augenfarbe immer mit der Weite des Meeres, mit dem Glitzern der Sonnenstrahlen auf der Wasseroberfläche und dem Geruch von Seetang und Salz.
Tom war Reporter einer großen Nachrichtenagentur gewesen, bevor er bei den NEWS angeheuert hatte. Lange Jahre hatte er als Korrespondent in Übersee verbracht – vor allem in Asien.
Für ihn war eine Stelle bei den LONDON EXPRESS NEWS – einer Boulevardzeitung! – eigentlich ein beruflicher Abstieg. Ich hatte mich lange gefragt, wie es dazu hatte kommen können. Besonders redselig war Tom nicht, was seine Vergangenheit anging. Aber inzwischen wußte ich, daß das Ende seiner Korrespondenten-Karriere mit einem mehrmonatigen Aufenthalt im Dschungel Südostasiens zusammenhing. In dem geheimnisvollen Tempel von Pa Tam Ran – irgendwo im Dreiländereck Thailand-Kambodscha-Laos