Wer bist du, Mariella?: Der kleine Fürst 269 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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Über dieses E-Book
"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
»Mit Ihrem Besuch habe ich nicht gerechnet, meine Liebe«, sagte Leonie von Avensberg. »Umso mehr freue ich mich darüber.« Nach einer kurzen Pause setzte sie mit spitzbübischem Lächeln hinzu: »Ich hoffe, Sie sind nicht nur gekommen, um sich für meine Spende zu bedanken?« Baronin Sofia von Kant, eine Frau mit blonden Locken und einem hübschen runden Gesicht, etwa halb so alt wie Leonie, lachte. »Oh nein, vor allem bin ich wegen Ihres exzellenten Sherrys hier, den Sie von einem geheimen Lieferanten beziehen, dessen Namen ich auch gern wüsste.« Leonie stimmte in das Lachen ein. »Nichts zu machen, den verrate ich Ihnen nicht.« Die Sherryflasche stand vor ihnen auf dem eleganten kleinen Tisch. Sofia hatte ein Glas akzeptiert, denn sie musste nicht selbst fahren. Das tat sie sonst oft, aber die Witterungsverhältnisse waren so unfreundlich, dass Per Wiedemann, der Chauffeur im Sternberger Schloss, darauf bestanden hatte, dass sie seine Dienste in Anspruch nahm. Leonie war dreiundachtzig Jahre alt und sah zart und zerbrechlich aus. Die weißen Haare lagen in sanften Wellen um ihren Kopf, das Gesicht war im Alter spitz und faltig geworden, aber die blauen Augen blickten noch immer wach und neugierig in die Welt. Sie trug ein hellblaues, elegantes Kostüm, dazu eine weiße Seidenbluse, und sie saß so mühelos aufrecht in ihrem Sessel, dass man ihr die frühere Ballerina immer noch ansah. Sie hatte Sofia einmal erzählt, dass sie für ihr Leben gern Tanz studiert hätte, aber ihre Eltern hatten das für eine Frau ihres Standes unpassend gefunden. Zierlich war sie immer gewesen, aber doch nicht so wie zurzeit. Sofia hatte Mühe gehabt, sich nicht anmerken zu lassen, wie erschrocken sie bei Leonies Anblick gewesen war. Die alte Dame war gerade erst dabei, sich von einer hartnäckigen Grippe wieder zu erholen. Immerhin, hatte sie erzählt, sei sie schon einmal draußen gewesen und habe ihren ersten Spaziergang nach der langen Krankheit sehr genossen. Die beiden Frauen hatten sich kennengelernt, weil Sofia für mehrere ehrenamtliche Organisationen in Sternberg tätig war, von denen Leonie einige seit ihrem Umzug in die kleine Stadt durch überaus großzügige Spenden förderte.
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Wer bist du, Mariella? - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 269 –
Wer bist du, Mariella?
Sie stößt auf ein altes Familienrätsel
Viola Maybach
»Mit Ihrem Besuch habe ich nicht gerechnet, meine Liebe«, sagte Leonie von Avensberg. »Umso mehr freue ich mich darüber.« Nach einer kurzen Pause setzte sie mit spitzbübischem Lächeln hinzu: »Ich hoffe, Sie sind nicht nur gekommen, um sich für meine Spende zu bedanken?«
Baronin Sofia von Kant, eine Frau mit blonden Locken und einem hübschen runden Gesicht, etwa halb so alt wie Leonie, lachte. »Oh nein, vor allem bin ich wegen Ihres exzellenten Sherrys hier, den Sie von einem geheimen Lieferanten beziehen, dessen Namen ich auch gern wüsste.«
Leonie stimmte in das Lachen ein. »Nichts zu machen, den verrate ich Ihnen nicht.«
Die Sherryflasche stand vor ihnen auf dem eleganten kleinen Tisch. Sofia hatte ein Glas akzeptiert, denn sie musste nicht selbst fahren. Das tat sie sonst oft, aber die Witterungsverhältnisse waren so unfreundlich, dass Per Wiedemann, der Chauffeur im Sternberger Schloss, darauf bestanden hatte, dass sie seine Dienste in Anspruch nahm.
Leonie war dreiundachtzig Jahre alt und sah zart und zerbrechlich aus. Die weißen Haare lagen in sanften Wellen um ihren Kopf, das Gesicht war im Alter spitz und faltig geworden, aber die blauen Augen blickten noch immer wach und neugierig in die Welt. Sie trug ein hellblaues, elegantes Kostüm, dazu eine weiße Seidenbluse, und sie saß so mühelos aufrecht in ihrem Sessel, dass man ihr die frühere Ballerina immer noch ansah. Sie hatte Sofia einmal erzählt, dass sie für ihr Leben gern Tanz studiert hätte, aber ihre Eltern hatten das für eine Frau ihres Standes unpassend gefunden.
Zierlich war sie immer gewesen, aber doch nicht so wie zurzeit. Sofia hatte Mühe gehabt, sich nicht anmerken zu lassen, wie erschrocken sie bei Leonies Anblick gewesen war. Die alte Dame war gerade erst dabei, sich von einer hartnäckigen Grippe wieder zu erholen. Immerhin, hatte sie erzählt, sei sie schon einmal draußen gewesen und habe ihren ersten Spaziergang nach der langen Krankheit sehr genossen.
Die beiden Frauen hatten sich kennengelernt, weil Sofia für mehrere ehrenamtliche Organisationen in Sternberg tätig war, von denen Leonie einige seit ihrem Umzug in die kleine Stadt durch überaus großzügige Spenden förderte. Sofia unterhielt sich gern mit ihr. Leonie war eine kluge, gebildete Frau, die freilich von sich persönlich wenig preisgab. Aber offenbar war sie in jüngeren Jahren viel gereist, davon konnte sie lebhaft und interessant erzählen. Und sie war noch immer vielseitig interessiert. Man konnte mit ihr über Bücher, Filme, Theater und Oper sprechen, ihre Meinungen waren immer wohldurchdacht.
»Und wie läuft es bei Ihnen im Schloss?«, erkundigte sich Leonie. »Ich hoffe, Sie sind alle gesund und munter.«
»Wir können nicht klagen«, antwortete Sofia, sie konnte jedoch nicht verhindern, dass sich ein Schatten über ihr Gesicht legte.
Leonie begriff sofort, woran sie dachte. Sie beugte sich vor und legte ihre Hand auf Sofias Arm. »Ein solches Unglück wirkt natürlich lange nach«, sagte sie behutsam. Auch auf ihrem Gesicht lag jetzt ein Schatten, den Sofia jedoch nicht bemerkte.
Sie nickte. Wie immer, wenn die Sprache darauf kam, musste sie gegen aufsteigende Tränen ankämpfen. Im Jahr zuvor waren Fürstin Elisabeth und Fürst Leopold von Sternberg bei einem Hubschrauberabsturz gemeinsam mit dem Piloten ums Leben gekommen. Elisabeth war Sofias Schwester und engste Vertraute gewesen. Sie trug schwer an dem Verlust, noch immer verging kein Tag, an dem sie nicht heimlich ein paar Tränen vergoss.
Elisabeth und Leopold hatten Sofia und ihrem Mann Friedrich ihren Sohn hinterlassen: Prinz Christian von Sternberg, besser bekannt als ›der kleine Fürst‹. So wurde er genannt, seit sein Vater den zweijährigen Christian mit auf seine erste Reise genommen hatte. Schnell hatte man das ungleiche Paar getauft: ›der große und der kleine Fürst‹. Christian, obwohl längst groß gewachsen, war der Name geblieben, und er sah ihn als Verpflichtung an, seinen Eltern, die für ihre Großherzigkeit geliebt worden waren, nachzueifern.
Jetzt war er Sofias und Friedrichs drittes Kind, neben ihren beiden eigenen Kindern Konrad und Anna. Die drei waren ›die Sternberger Teenager‹. Konrad mit seinen siebzehn Jahren war der Älteste, dann folgte Christian mit einem Jahr Abstand. Anna war die Jüngste, sie war jetzt vierzehn. Sie waren schon vor dem tödlichen Unfall wie Geschwister aufgewachsen, danach war das Band zwischen ihnen noch enger geworden.
Christian ging mit dem Verlust seiner Eltern auf ganz eigene Weise um: Er besuchte sie jeden Tag auf dem Familienfriedhof und ›sprach‹ mit ihnen. Das half ihm, sich seine Lebensfreude zu bewahren, so wie es ihm auch half, dass er nach wie vor in einem vertrauten Familienverbund lebte.
Er hatte es, dachte Sofia nicht zum ersten Mal, besser als sie geschafft, seine Trauer zu verarbeiten.
»Lisa fehlt mir so«, sagte sie leise zu Leonie. »Ich habe jedes noch so kleine Geheimnis mit ihr teilen können. Wir hatten immer so viel Spaß miteinander! Aber auch wenn wir Kummer hatten, konnten wir darüber reden. Ich werde nie mehr eine Freundin wie sie finden. Oft musste ich gar nichts sagen, weil sie wusste, was ich dachte – und umgekehrt war es genau so. Können Sie sich vorstellen, dass ich es noch immer nur mit größter Überwindung fertig bringe, ihr Grab aufzusuchen? Wenn ich ihren Namen sehe, wie er da in Marmor gemeißelt steht, habe ich jedes Mal das Gefühl, dass mir jemand den Boden unter den Füßen wegzieht. Ich trauere natürlich auch um meinen Schwager, aber wenn ich an Lisa denke, ist der Schmerz unerträglich.«
Leonie zog ihre Hand zurück. Sie nickte nur.
Jetzt erst bemerkte Sofia ihr verschlossenes Gesicht. »Es tut mir leid«, sagte sie stockend. »Sie haben ja Ihren Mann verloren, also wissen Sie, was ich fühle. Wir alle müssen wohl irgendwann geliebte Menschen beweinen.«
Wieder nickte Leonie. Sie sah aus, als wäre sie in Gedanken weit weg.
»Ich bin zu lange geblieben, Frau von Avensberg«, sagte Sofia reumütig. »Mein Besuch hat Sie angestrengt, entschuldigen Sie bitte.«
Die alte Dame richtete ihren Blick auf Sofia, der abwesende Ausdruck verschwand, sie war wieder voll da. »Aber nein«, sagte sie. »Es ist nur manchmal so, dass meine Gedanken in die Vergangenheit schweifen, so dass ich die Gegenwart vergesse. Bestimmte Themen verleiten mich besonders dazu.«
Sofia wollte nicht neugierig erscheinen und stellte deshalb keine Fragen. So lebhaft die alte Dame auch von ihren Reisen in ferne Länder erzählen konnte, so zurückhaltend war sie mit Informationen aus ihrem Privatleben. Man wusste über sie nicht viel mehr, als dass sie ihren Mann schon vor fast fünfundzwanzig Jahren verloren hatte und dass aus der Ehe keine Kinder hervorgegangen waren. Die Avensbergs hatten zwar im Sternberger Land gelebt, aber nicht in Sternberg selbst. Leonie war erst in die kleine Stadt gezogen, als sie schon mehrere Jahre Witwe gewesen war.
»Ich sollte trotzdem gehen«, sagte Sofia. »Es war wie immer schön, sich mit Ihnen zu unterhalten, Frau