85. Geliebt und glücklich
Von Barbara Cartland
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Buchvorschau
85. Geliebt und glücklich - Barbara Cartland
1 ~ 1803
»Sind Sie auch ganz sicher, daß es so geht, Miss Gilda?«
»Aber natürlich, Mrs. Hewlett. Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen, und ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Hochzeit!«
»Den hab ich bestimmt, Miss. Ist wirklich ’n Glück für unsere Emily, wenn man bedenkt, wie lang sie jetzt schon Mauerblümchen war. Und dann kommt dieser Farmer und ist obendrein auch noch n’ netter Kerl.«
Gilda lächelte verständnisvoll. Sie wußte, Mrs. Hewlett hatte befürchtet, sie würde für ihre Nichte sorgen müssen. Jetzt war sie dankbar, sowohl um ihrer selbst als auch um Emilys willen, daß der »nette Farmer« bereit war, sie zu heiraten.
Mrs. Hewlett gehörte zu den Leuten, die sich stets um das Wohl ihrer Mitmenschen sorgten, und Gilda dachte oft, daß diese Frau der einzige Mensch war, der sich wirklich dafür interessierte, was aus ihr wurde, nachdem sie seit dem Tod ihres Vaters ganz allein war.
»Lassen Sie den Abwasch steh’n, bis ich Montag wiederkomm’«, erklärte Mrs. Hewlett jetzt. »Ruh’n Sie sich lieber aus.«
Das war etwas, was Gilda schon seit langem tat, und das bißchen Geschirr, das sie für ihre spärlichen Mahlzeiten benötigte, war nicht der Rede wert, selbst wenn sie es für Mrs. Hewlett stehen ließ.
Aber es wäre sinnlos gewesen zu widersprechen. Mrs. Hewlett würde sich nur Sorgen um sie machen, während sie fort war, um im Nachbardorf an Emilys Hochzeit teilzunehmen.
Nachdem sich Mrs. Hewlett trotz des warmen Tages in ihren dicken Mantel gequält hatte, nahm sie den Korb, den sie immer bei sich trug, gleichgültig, ob etwas darin war oder nicht, warf einen letzten Blick in die Küche und schob den Riegel an der Tür zurück.
»Also, passen Sie gut auf sich auf, Miss«, meinte sie, »und ich komm dann Montag nachmittag wieder, wenn die Kutsche pünktlich is’, was aber meistens nicht der Fall is.«
Als endlich die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen war, seufzte Gilda leise und verließ ebenfalls die Küche. Sie durchquerte den Korridor und gelangte so zur Vorderseite des Hauses.
Es war nur ein kurzer Weg, denn das kleine Manor, in dem sie seit ihrer Geburt immer gelebt hatte, war früher einmal gerade groß genug für sie, ihren Vater, ihre Mutter und ihre Schwester gewesen.
Jetzt erschien es ihr für eine einzelne Person viel zu groß, und sie überlegte, wie schon so oft seit dem Tod ihres Vaters, ob sie nicht das Haus verkaufen und in ein kleineres ziehen sollte.
Es wäre sicher das Vernünftigste. Aber sie konnte es einfach nicht übers Herz bringen, sich von den Möbeln zu trennen - so schäbig sie auch waren - die sie ihr Leben lang gekannt hatte, die ein Teil ihrer selbst zu sein schienen und das einzige waren, was ihr noch geblieben war.
Der Schreibtisch ihres Vaters, der Arbeitstisch ihrer Mutter mit den Einlegearbeiten, der Bücherschrank im Chippendale-Stil, all diese Dinge waren für Gilda wie gute Freunde, und sie hatte das Gefühl, sich ohne sie noch einsamer zu fühlen, als sie es ohnehin schon war.
Andererseits mußte sie den Tatsachen ins Auge sehen. Sie hatte so wenig Geld, daß es kaum für ihren Lebensunterhalt reichte, es sei denn, sie versuchte, ihr winziges Einkommen auf irgendeine Art aufzubessern.
Die Pension ihres Vaters war mit seinem Tode erloschen.
Er hatte bei den Grenadieren gedient, und zu seinen Lebzeiten hatte seine Pension als ehemaliger Generalmajor ihnen ein verhältnismäßig komfortables Leben ermöglicht, oder hätte es zumindest getan, wenn ihr Vater auf seine alten Tage nicht darauf verfallen wäre, sein Geld in Aktien anzulegen.
Gilda konnte die Erregung verstehen, und die Spannung, die damit verbunden war. Doch der General mochte vielleicht ein sehr erfahrener Soldat gewesen sein, aber über Finanzen wußte er gar nichts.
So kam es, daß die Gesellschaften, denen er sein Geld anvertraute, entweder Bankrott machten oder so winzige Dividenden auszahlten, daß sie kaum das Papier wert waren, auf dem sie ausgestellt wurden.
Alles, was Gilda jetzt noch besaß, war ein kleines Sparguthaben, das ihre Mutter mit in die Ehe gebracht hatte. Die Zinsen daraus waren den Kindern aus dieser Ehe hinterlassen worden. Gilda hatte sich schon oft gefragt, was geschehen wäre, wenn ihre Schwester ihren Anteil für sich beansprucht hätte.
Nachdem Heloise es vorgezogen hatte, in London bei ihrer reichen Patentante zu leben, zeigte sie kaum noch Interesse an ihren armen Verwandten, und Gilda hatte manchmal das Gefühl, sie schämte sich ihrer.
Jetzt setzte sich Gilda an den Schreibtisch ihres Vaters und öffnete ein Notizbuch, in dem sie stets all ihre Ausgaben eintrug.
Obwohl sie versuchte, an Essen, Kleidung und sämtlichen persönlichen Ausgaben zu sparen, war der Betrag bereits zu einer beängstigend hohen Summe angewachsen.
Eine Sparmaßnahme, die sie bereits in Erwägung gezogen hatte, war die Entlassung von Mrs. Hewlett. Aber als sie das der Haushälterin angedeutet hatte, war Mrs. Hewlett entsetzt gewesen, ja, fast schon beleidigt, und hatte sich sogar erboten, umsonst zu arbeiten.
»Ich komm’ jetzt fast zehn Jahre hierher«, hatte sie gesagt, »und wenn Sie glauben, Sie kämen jetzt ohne mich aus, Miss Gilda, dann irren Sie sich gewaltig. Außerdem würde sich Ihre arme Mutter im Grab umdreh’n, jawoll!«
Mrs. Hewlett hatte so empfindlich reagiert, daß Gilda ihren Plan schnell wieder verwarf. Außerdem mußte sie sich eingestehen, daß sie ohne Mrs. Hewlett und ihrer ständig guten Laune wirklich sehr einsam gewesen wäre.
Sie hätte dann tatsächlich niemanden mehr, um sich zu unterhalten, außer den Vikar, der zunehmend schwerhöriger wurde, und den alten Gärtner Gibbs.
Dieser arbeitete zwar schon lange nicht mehr, kam aber immer noch, weil es ihm Spaß machte, an dem Ort herumzupuzzeln, an dem er so viele Jahre tätig gewesen war. Auch konnte er es nicht ertragen, seine Arbeit unter Unkraut und Dornengestrüpp ersticken zu sehen.
Gilda rechnete zum wiederholten Male die Gesamtsumme ihrer Ausgaben nach, doch es gab keinen Zweifel, der Betrag stimmte.
»Was kann ich nur tun?« überlegte sie verzweifelt.
Sie dachte nach, ob sie irgendein Talent vorzuweisen hatte, das ihr vielleicht etwas Geld einbringen könnte.
Gilda war, verglichen mit vielen anderen jungen Frauen ihres Alters, sehr gebildet. Ihre Mutter - sie stammte aus einer Familie, die seit vielen Generationen angesehene Stellungen im Lande innehatten - hatte dafür gesorgt.
Die Tatsache jedoch, daß ihr Großvater und all dessen Vorfahren Polizisten, Richter und sogar Vertreter der Krone gewesen waren, trug nicht dazu bei, ihr eigenes Wissen und Können unter Beweis zu stellen.
Auch ihr Vater war ein intelligenter Mann gewesen.
Seine Zeitgenossen, die ihn oft besuchten, erzählten Gilda, kein General wäre geschickter gewesen, wenn es darum ging, das Beste aus einer Truppe herauszuholen, und niemand erkannte die Taktik in einer Schlacht so schnell wie er.
»Man konnte sich immer auf ihren Vater verlassen, wenn es darum ging, dem Feind größtmögliche Verluste mit einem Minimum an eigenen Verlusten beizubringen«, hatte einer seiner Mitoffiziere einmal zu Gilda gesagt.
Sie hatte begriffen, daß das ein hohes Lob war, aber es löste ihr eigenes Problem jetzt nicht.
»Ich muß irgendetwas tun. . . ich muß!!«
Sie stand auf und trat ans Fenster.
Das Manor stand abseits der kleinen Landstraße, fast eine Meile vom Dorf entfernt. Eine kurze Auffahrt führte zu einem Tor, das dringend repariert werden mußte. Der Kiesweg vor dem Haus war von Unkraut überwuchert.
Gilda jedoch sah nur die Narzissen unter den alten Bäumen, den weißen und violetten Flieder, der gerade zu blühen begann, und die ersten Knospen an den Mandelbäumchen, die in der nächsten Woche in voller Blüte stehen würden.
»Wenn ich doch nur malen könnte«, dachte sie. »Dann würde ich ein Bild malen, das jeder kaufen wollte.«
Doch selbst dann würde sie sich weder die Leinwand noch die Farben leisten können. Der einzige Mensch, der also das Wunder des Frühlings hier genießen konnte, war sie selbst.
Die Sonne schien sie zu rufen. Gilda fand, die Buchführung könnte warten, denn es war jetzt weit sinnvoller, das gute Wetter zu nutzen und in den Garten zu gehen.
Es gab dort eine Menge für sie zu tun, nicht nur bei den Blumen und Sträuchern, sondern auch im Küchengarten. Sie mußte unbedingt das Unkraut jäten und neues Gemüse pflanzen, sonst würde sie im Laufe des Jahres nichts ernten können.
Außerdem wollte sie sich den weißen Flieder genauer ansehen, den ihre Mutter immer so geliebt hatte. Wenn sie einen Strauß davon auf eine Kommode in die Halle stellte, würde bald das ganze Haus danach duften.
Auf ihren Lippen lag ein Lächeln, als sie sich vom Fenster abwenden wollte. Doch dann fiel ihr Blick auf die Auffahrt, und sie blieb reglos stehen.
Zu ihrem Erstaunen sah sie ein Gespann edler Pferde durch das Tor traben.
Der Kutscher, der sie lenkte, trug einen hohen Hut, und - unglaublich - neben ihm saß doch tatsächlich noch ein Lakai!
Niemand aus der Grafschaft, der so bedeutend war, daß er einen Lakaien auf der Kutsche mitfahren ließ, würde sie besuchen. Als die Pferde näher kamen, war sich Gilda klar, daß es sich um ein Versehen handeln mußte. Wer immer da kam, hatte sich im Haus geirrt.
Bald konnte sie erkennen, daß die Pferde eine sehr elegante Reisekutsche zogen, auf deren Tür ein Wappen prangte.
»Das muß ein Irrtum sein«, murmelte Gilda vor sich hin. »Ich muß es ihnen sagen.«
Als die Kutsche vor der Haustür hielt, eilte sie aus dem Wohnzimmer, und strich sich dabei rasch übers Haar, während sie sich ihres alten Baumwollkleides bewußt wurde. Es war schon so häufig gewaschen, daß es zu kurz und zu eng geworden war. Außerdem war die Farbe verblichen.
Aber das zählte jetzt nicht, denn der Besuch galt ja ohnehin nicht ihr. Und als der Türklopfer laut betätigt wurde, öffnete sie eilig, mehr neugierig als verlegen.
Ein Lakai in einer prachtvollen Livree, an der Silberknöpfe mit Wappen prangten, stand draußen.
Er nahm sich jedoch nicht die Zeit zu fragen, wessen Haus das war, sondern drehte sich um, um den Wagenschlag zu öffnen.
Gilda stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus. Aus der Kutsche stieg eine Vision in blauem Seidentaft mit lieblichem Gesicht, das von einer Kappe umrahmt wurde, die eine Straußenfeder in derselben Farbe zierte.
»Louise!« rief Gilda aus, verbesserte sich dann aber hastig: »Heloise!«
Nachdem sie nach London gezogen war, hatte ihre Schwester ihren Namen geändert. Sie hielt Heloise für außergewöhnlicher und aristokratischer und hatte ihrem Vater geschrieben, daß sie in Zukunft als Heloise angesprochen werden wollte.
»Ich freue mich, dich zu sehen!« begrüßte Gilda sie. »Wieso hast du mir nicht Bescheid gegeben, daß du kommen würdest?«
Heloise beugte sich vor, damit Gilda sie auf die Wange küssen konnte.
»Ich wußte es selbst bis zum letzten Augenblick nicht.« sie wandte sich an den Diener. »Bringen Sie meine Truhe hinauf, James«, befahl sie in autoritärem Ton, »und kommen Sie am frühen Montagvormittag hierher zurück. Sie dürfen nicht zu spät kommen. Ist das klar?«
»Ich habe verstanden, Miss.«
Er schickte sich an, die Seile zu lösen, mit denen die Truhe hinten auf der Kutsche festgezurrt war.
Ehe Gilda ihm noch sagen konnte, in welches Zimmer er sie tragen sollte, erklärte Heloise: »Da Mamas Zimmer das Beste ist, wünsche ich dort zu schlafen. Sag Bescheid, daß ihm jemand den Weg zeigt.«
»Ja, natürlich. Aber Mrs. Hewlett ist heute nicht da.«
»Dann mußt du es ihm selbst zeigen«, bestimmte Heloise. »Und sorg dafür, daß er die Riemen löst und den Deckel öffnet, ehe er geht.«
»Das tue ich«, willigte Gilda ein.
Heloise ging ins Wohnzimmer, und Gilda wartete in der Halle, bis James die Truhe ihrer Schwester hereinschleppte.
Dann ging sie vor ihm die Treppe hinauf und öffnete die Tür des Zimmers, das ihre Mutter immer benutzt hatte und das seit dem Tod ihres Vaters verschlossen geblieben war.
Hastig zog Gilda die Vorhänge zurück und öffnete die Fenster.
Das Zimmer war sauber, da Mrs. Hewlett regelmäßig jeden Raum im Haus putzte, ob er nun benutzt wurde oder nicht.
Das Bett war mit einem groben Leintuch abgedeckt, das Gilda jetzt zurückschlug, während der Diener die Truhe neben der Tür auf den Boden stellte.
»Geht das hier in Ordnung, Miss?« fragte er.
»Ja, danke«, antwortete Gilda.
Wenn es Heloise so nicht gefiel, würde sie die Truhe eben an einen anderen Platz schieben.
Sie bemerkte, wie sich der Diener mit einem leicht verächtlichen Gesichtsausdruck im Zimmer umsah, als hätte er gleich erkannt, wie schäbig und abgenutzt alles war, und würde es mit dem Haus vergleichen, in dem er angestellt war.
Doch dann grinste er Gilda ganz unerwartet an und meinte: »Schön, aufm Land zu sein, Miss. Ich bin selbst auf ’ner Farm aufgewachsen, und ich vermiß das oft.«
»Das glaube ich gerne. London muß im Sommer sehr heiß und staubig sein.«
»Das kann man wohl sagen. Und im Winter isses dann neblig. Tag auch, Miss.«
Er grinste ihr noch einmal zu, ehe sie ihn die Treppe hinunterlaufen hörte. Da sie glaubte, Heloise bräuchte sie, folgte sie ihm eilig.
Als sie in der Halle ankam, fuhr die Kutsche bereits wieder ab. Mit einem etwas besorgten Ausdruck in den blauen Augen lief sie ins Wohnzimmer hinüber.
»Ich freue