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Verborgene Lügen
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eBook366 Seiten5 Stunden

Verborgene Lügen

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Über dieses E-Book

Die Mittvierzigerin Kate kämpft täglich um das Fortbestehen ihres kleinen Hotels an der Südküste Irlands, das ihre Existenzgrundlage und die ihres griesgrämigen Vaters bildet. Als der attraktive Chirurg Angus in ihr Leben tritt, hat sie endlich das Gefühl, es ginge wieder bergauf. Doch dann geschehen merkwürdige Dinge, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Verkauf des alten Gutshauses zu stehen scheinen, zu dem früher ihr Hotel gehörte.
Als wäre das nicht genug, steht plötzlich Angus älterer Bruder vor der Tür und stellt ihre Welt noch mehr auf den Kopf. Behauptet er doch das völlige Gegenteil von dem, was sie bisher von Angus gehört hat!
Nie kann sich Kate sicher sein, wem sie vertrauen kann. Welcher der Brüder meint es ehrlich und wer versucht, ihr Leben zu zerstören?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum28. Juli 2016
ISBN9783837013153
Verborgene Lügen
Autor

Ricarda Konrad

Ricarda Konrad ist das Pseudonym einer 1966 in Niedersachsen geborenen Autorin. Bereits als Schülerin schrieb sie Kurzbücher, aber mit Ausbildung, Familie und Beruf gab sie das Schreiben zunächst für lange Zeit auf. Durch eine berufliche Veränderung hatte sie 2014 die Möglichkeit, ihre Idee für den ersten Roman »In den Schatten der Vergangenheit« umzusetzen und zu schreiben. Sie lebt mit ihrem Mann südlich von Hannover.

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    Buchvorschau

    Verborgene Lügen - Ricarda Konrad

    Kapitel 1

    Eine verdammte, ganz gewöhnliche Bananenschale brachte sie zu Fall. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb Caitlin ihren rechten Fußknöchel und schaute sich hilfesuchend um. Doch wie nicht anders zu erwarten, war die regennasse Straße menschenleer. Nachts um halb zwei pflegten die Menschen hier zu schlafen, um in aller Frühe ihr Tagewerk zu beginnen. Alle, bis auf Caitlin.

    Sie schimpfte vor sich hin und verfluchte mehrfach die Idee, noch ein paar Schritte zu gehen. In einer schlaflosen Nacht bewegte sie sich lieber draußen, als sich im Bett umher zu wälzen oder in die Flimmerkiste zu starren. Das hatte sie nun davon.

    Mühsam rappelte sie sich hoch, trat vorsichtig auf und stellte fest, sie würde nach Hause laufen können. Der Knöchel schmerzte nicht so heftig, wie sie befürchtet hatte und in ihr keimte die Hoffnung, es wäre nichts weiter passiert. Langsam machte sie sich auf, das letzte Stück des Weges zu ihrem Haus zurückzulegen. Dabei betrachtete sie die dunklen Fassaden der Häuser ihres Heimatorts Calglen mit den gepflegten Vorgärten. Hier aufgewachsen, lebte sie mit nunmehr sechsundvierzig Jahren noch im selben Ort, wenn auch nicht mehr im Elternhaus. Dieses verkauften ihre Eltern vor zehn Jahren, als Caitlin und Padraig unbedingt die Pension ins Leben rufen wollten.

    Padraig. Er war immer noch der Grund für ihre schlaflosen Nächte, wenn die Gespenster der Vergangenheit nach ihr griffen. Die Gedanken an ihn verscheuchend, humpelte sie die schmalen Gassen Calglens entlang, bis sie etwas außerhalb des Ortskerns vor ihrem Grundstück stand. Calglen hatte nicht viele Einwohner und nur wenige Straßen, dafür umso mehr Touristen. Das Dörfchen lag direkt am Meer, mit einem kleinen Fischerhafen ausgestattet, von dem aus die Männer täglich hinausfuhren. Caitlin war damit aufgewachsen, dennoch verstand sie die Faszination der Besucher, die Fischer bei ihrer Arbeit an Land und auf den vertäuten Booten zu beobachten. Ihr erging es nicht anders, sie ging gern hinunter und hielt das eine oder andere Schwätzchen.

    Ihr Ziel befand sich an der rückwärtigen Wand ihres Cottages und für alles andere hatte sie kein Auge. Weder für den kräftigen, grünen Rasen oder die bunten Blumen, noch für die Obstbäume, die Massen an Früchten trugen. An den Stämmen hingen Schilder für die Gäste: »Selbstbedienung ausdrücklich erwünscht!«. Vollmond, alles war deutlich zu sehen, und sie rutschte auf einer Bananenschale aus, wie in einem schlechten Sketch!

    Sie trat durch die Gartentür zur Küche und verriegelte sofort. Dieser Bereich konnte von den Gästen weder eingesehen, noch betreten werden. Padraig hatte bei seiner Planung darauf geachtet, dass die Familie einen ganz privaten Abschnitt im Haus hatte, wo sie ungestört sein konnte.

    Caitlin ließ sich, immer noch wütend, auf einen Stuhl in dem gemütlichen Raum fallen. Das Mondlicht spendete ausreichend Helligkeit, aber sie hätte sich natürlich auch blind zurecht gefunden. Ungeduldig fuhr sie mit der Hand durch die dichten, braunen Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen. Tagsüber band sie ihr Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammen, wenn sie mit Gästen zu tun hatte. In der Freizeit trug sie es lieber offen.

    Sie hoffte, mit zusammengebundenem Haar kompetenter auf die Gäste zu wirken. Oft wurde sie aufgrund ihres Körperbaus unterschätzt und niemand ahnte, welche Willenskraft und Energie in ihr steckten. Noch nicht einmal einssechzig groß und zierlich, trauten ihr viele Gäste nicht zu, die Pension akkurat zu führen. Bis zur Abreise wurden sie immer eines Besseren belehrt. Die grünen Augen mit den langen Wimpern geschlossen, versuchte sie, den pochenden Schmerz zu ignorieren. Ein wenig ausruhen, dann würde sie die Treppe nach oben erklimmen, wo sich die anderen privaten Räume befanden.

    Außer ihr lebte noch ihr Vater im Haus, dessen Stimme sie aus ihren Gedanken holte. Am oberen Treppenabsatz stehend, brüllte er in die Küche hinunter, als wenn sie allein wären und nicht fünfzehn Gästezimmer besaßen. Durch seine eigene Schwerhörigkeit sprach er schon in einem normalen Gespräch laut.

    »Kate, was machst du da unten? Wo warst du denn, zum Kuckuck?«

    Schwerfällig erhob sie sich, huschte so schnell wie möglich zu der schmalen Holztreppe und zischte nach oben: »Hör auf, so zu schreien. Wir haben Gäste, die schlafen. Ich komme gleich hoch.«

    Zunächst zufrieden mit dieser Aussicht, trollte sich Darragh Quinn und schlurfte in sein Wohnzimmer zurück. Er bewohnte zwei Räume im oberen Stockwerk, in einem davon schlief er und der andere diente als ›Salon‹, wie er ihn gern bezeichnete. Nur die Küche der Familie befand sich im unteren Teil des Hauses, mit einer Verbindungstür zum Tresen, welcher die Rezeption darstellte. Gäste betraten die Pension durch die vordere Tür, direkt gegenüber der Anmeldung. Links führte eine separate Treppe ins Obergeschoss, wo die Gästezimmer lagen. Es gab einen Durchgang zum privaten Bereich der Familie, nur von dort aus zu öffnen.

    Der untere Teil des Hauses wurde durch einen Speiseraum ausgefüllt, auf der rechten Seite lag ein Aufenthaltsraum mit gemütlichen Sitzgruppen, einem Kamin, einem großzügigen Bücherregal sowie einem Billardtisch. Da das Wetter an der irischen Westküste sehr schnell wechselte und manchmal unwirtlich sein konnte, hatte Padraig auf diesen Freizeitangeboten bestanden.

    »Nichts findet ein Gast behaglicher, als bei Sturm- und Regenwetter am Kamin zu lesen, zu spielen oder sich zu unterhalten«, betonte er immer wieder. Insgeheim gab ihm Caitlin Recht, die Augen vor den zusätzlichen Kosten verschließend. So war es bei ihnen: Padraig setzte sich mit seinen Ansichten durch, weil er es verstand, Kate von der Notwendigkeit seiner Ambitionen zu überzeugen. Rückblickend musste sie eingestehen, damit immer gut gefahren zu sein. Kaum jemals hatte sie eine Entscheidung Padraigs bereuen müssen, nachdem sie ihr zugestimmt hatte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn musizierend vor dem Kamin, umringt von Gästen, die im Takt dazu klatschten. Er hatte es verstanden, den Menschen das Gefühl von Wärme und Heimat zu vermitteln.

    Kennengelernt hatten sie sich während eines Urlaubs, den er in Calglen verbrachte. Der Pub im Dorf vermietete einige wenige Zimmer, die besonders in den Sommermonaten ausgebucht waren. Padraig – blauäugig im wahrsten Sinne des Wortes – kam angereist, ohne zuvor die Frage seiner Unterkunft geklärt zu haben. Hilflos stand er deshalb mit seiner Sporttasche auf der Wiese neben dem Pub und überlegte, ob er weiterziehen oder versuchen sollte, privat unterzukommen. So sah ihn Kate auf dem Nachhauseweg vom Hafen, blieb stehen und beobachtete seine schlanke Gestalt. Der Wind blies durch die kurzen, dunklen Haare, während er sein gebräuntes Gesicht in die Sonne hielt. Sein Radar erfasste sie jedoch schnell, er öffnete die Augen und blickte Kate direkt an. Das Himmelblau seiner Augen zog sie sofort in ihren Bann, dann die leicht schief stehenden Schneidezähne, als er sie anlächelte. Um Caitlin Quinn war es augenblicklich geschehen und nicht viel später gestand er ihr, dass es ihm genauso ergangen war.

    Padraig fand Unterschlupf im Gästezimmer ihrer Eltern. Oft hatten sie in den Jahren danach darüber gelacht, Darragh und Millie Quinn so ausgetrickst zu haben. Obwohl sie sicher waren, alles getan zu haben, um nächtliche Besuche zwischen dem Gast und der eigenen Tochter zu verhindern, konnten sie es nicht. Ein Jahr später heirateten Kate und Padraig und klärten das Ehepaar Quinn bei dieser Gelegenheit über ihre Aktivitäten Seinerzeit auf. Millie nahm es mit Humor, doch Darragh verzieh seinem Schwiegersohn nie völlig.

    Von Beginn an träumte Padraig von einer Pension in Calglen. Mit seiner Arbeit als Koch verdiente er gut und hatte genügend zu tun. Dennoch traute er sich zu, nebenbei ein Haus zu einer Pension umzubauen, sollte sich eine Gelegenheit ergeben.

    »Kate, die paar Zimmer im Pub sind doch ständig voll. Überleg mal, wie viele Touristen in den Nachbarorten bleiben, weil sie hier keine Unterkunft finden. Und dabei haben wir die herrlichste Landschaft überhaupt, inklusive Hafen.«

    »Was interessiert es dich, wo die Leute übernachten?« fragte sie und schaute von den Kartoffeln auf, die sie schälte.

    »Im Prinzip kann es mir egal sein, aber wenn wir ein Bed and Breakfast eröffnen, könnten wir beide zuhause arbeiten. Ich als Koch und du könntest deine Ambitionen als Gastgeberin ausleben.«

    Langsam steckte er sie mit seinen Plänen an.

    »Aber hier gibt es doch gar nichts, was man als Bed and Breakfast nutzen könnte«, gab sie zu Bedenken. »Dazu bräuchten wir ein passendes Haus, du kannst doch keins aus dem Boden stampfen.«

    »Das Cottage am Ortsende steht zum Verkauf. Du weißt doch, das mit dem großen Gutshaus im Hintergrund. Gehört das eigentlich zusammen?«

    Sie legte das Messer beiseite, stützte das Kinn auf die Hand und dachte nach. Viel zu klein, entschied sie.

    »Ich weiß, welches du meinst. Das gehörte früher mal zum Gutshaus, aber jetzt nicht mehr. Es ist zu klein, Paddy. Damit geht das nicht, oder willst du die Gäste direkt neben unserem Schlafzimmer haben? Sozusagen mit Familienanschluss? Das kannst du vergessen. Schon mein Vater würde mit seiner Art alle vergraulen.«

    Padraig wanderte in der Küche auf und ab, seiner Ansicht nach war das alles kein Problem.

    »Es hat viele Zimmer, die nicht besonders groß sind, jedoch als Gästezimmer mit kleinem Bad auf jeden Fall reichen. Wir könnten das Cottage komplett als Pension nehmen und für uns selbst hinten anbauen, Parterre und Obergeschoss. So sind wir für uns und dein Vater kann nicht auf die Gäste losgehen.«

    »Wie willst du das denn bezahlen? Natürlich kriegen wir einen Kredit, allerdings würde der gerade zum Kauf reichen, nicht für einen Anbau. Ganz von weiteren Investitionen abgesehen, um einen Gästebetrieb eröffnen zu können.«

    Das Problem Darragh Quinn mochte sie erst gar nicht weiter erörtern. Zeitweise störte ihren Vater die Fliege an der Wand und anstatt sie zu entfernen, regte er sich lieber darüber auf. Nicht auszudenken, wie der cholerische Mann auf wildfremde Leute im Haus reagieren würde. Mal ganz von der Unmöglichkeit abgesehen, ihn aus seinem Haus in ein fremdes umzuquartieren.

    Sie warf Paddy einen Seitenblick zu und stutzte bei dem Schalk, den sie in seinen Augen sah. Meistens heckte er dann etwas aus oder es gab für sie gleich eine Überraschung. In diesem Fall traf die zweite Variante zu.

    »Einen Kredit könnten wir vollständig für den Anbau und die Ausstattung der Zimmer nehmen. Zum Kauf haben wir das Geld.«

    Kate runzelte die Stirn. Wie kam er denn auf die Idee?

    »Ich weiß nicht, wie viel das Cottage kosten soll, Paddy. Aber ich bin mir sicher, das Geld auf unserem Sparbuch wird nicht ausreichen.«

    »Nein, das nicht«, murmelte er grinsend.

    Sie stemmte die Hände in die Hüften und baute sich mit ihren ganzen einsachtundfünfzig vor dem Mann auf, der sie um anderthalb Köpfe überragte.

    »Padraig Butler! Jetzt sag mir endlich, wie du auf die irrsinnige Idee kommst, wir hätten das Geld für einen Kauf. Und hör auf, mich so anzugrinsen!«

    Diese Aufforderung brachte ihn zum Lachen. Er schlang die Arme um ihre schmale Taille und zog sie an sich.

    »Ich habe vor ein paar Jahren, noch während meiner Sturm- und Drangzeit, öfter mal gewettet. Pferdewetten. Ein Mal hatte ich den richtigen Riecher und einen hübschen Batzen Geld gewonnen. Das liegt immer noch auf einem Sparkonto und wartet nur darauf, einer sinnvollen Bestimmung zugeführt zu werden.«

    Kates Augen weiteten sich, das war die Höhe!

    »Und wann hattest di vor, mir davon zu erzählen?«

    »Wenn es für uns relevant wird, und das ist jetzt.« Er fuhr sich verlegen durch das kurze, dunkle Haar. »Komm schon, Kate. Ich habe es schlicht vergessen, so lange es keinen Grund gab, an das Geld überhaupt zu denken.«

    Sie kuschelte sich weiter in seine Arme, legte den Kopf an seine Schulter. Dumpf klang es zu ihm hinauf: »Ist schon okay, ist ja sowieso deins.«

    Eine Weile standen sie eng umschlungen in der Küche, deren Schränke in der Dämmerung eigenartige Schatten warfen. In stiller Übereinkunft beschlossen sie, die Gelegenheit wahrzunehmen.

    Unterstützung bekamen sie vom ersten Moment an von Kates Mutter Millie, die sich immer über Menschen freute, mit denen sie sich unterhalten konnte. Die Kommunikation mit Darragh bestand eher aus wütenden Tiraden ihres Mannes, die sie im Laufe der Jahre gelernt hatte zu ignorieren. Dafür nahm sie jede Gelegenheit wahr, mit Nachbarn oder auch Fremden in Kontakt zu kommen.

    Darragh wurde einfach überstimmt und knabberte lange daran herum, seinen Kopf nicht durchgesetzt zu bekommen. Schließlich aber gab er klein bei und fand sich mit den Plänen seiner Familie ab. Sogar dem Verkauf des Hauses stimmte er zu, um möglichst viel aus der eigenen Tasche finanzieren zu können. Er gab es nie offen zu, aber das Glück von Frau und Tochter stand für ihn an erster Stelle. Dafür steckte er gern zurück, wenn es sein musste.

    Padraig mobilisierte Freunde aus seiner Heimat und selbstverständlich aus Calglen, um in jeder freien Minute seinen Traum umzusetzen. Manchmal sorgte sich Kate, dass er sich übernehmen könnte, aber Padraig wurde von einer Energie angetrieben, die ihr fast unheimlich erschien. Wo sie konnte, packte sie mit an, wobei ihre Möglichkeiten beschränkt blieben. Sein Traum, mit seiner Küche nicht nur Pensionsgäste zu bewirten, sondern Menschen von weit her zum Essen anzulocken, trieb ihn an.

    Stattdessen konzentrierte sich Kate mit Millie auf die Inneneinrichtung. Die Zimmer sollten gemütlich und günstig eingerichtet sein, aber nicht billig wirken. Sie stöberten stundenlang im Internet, um nach und nach alles anzuschaffen, was sie für nötig erachteten. Padraig ließ ihnen dabei freie Hand, er war mehr der Mann fürs Grobe. Etwas später als geplant, aber einigermaßen im zeitlichen Rahmen, eröffneten sie schließlich ihr Bed and Breakfast. Padraig bestand darauf, es ›Landhotel‹ zu nennen.

    »Sowie der Laden richtig läuft und die Zahlen passen, kündige ich und stelle mich bei uns in die Küche. Dann können wir auch ein warmes Abendessen anbieten, ein Rundum-Paket.«, stellte er in Aussicht.

    Geschickt platzierte er Werbung in Zeitungen, erstellte eine Internetseite, verhandelte mit Reisebüros. Daraus resultierte der baldige Einzug Padraigs in die heimische Küche, wo er sich kulinarisch austoben konnte. Den Fisch, der sich unter anderem in vielen Variationen auf der Speisekarte fand, bezog er direkt aus dem Hafen.

    Alles hätte wunderbar sein können, wenn das Schicksal nicht anderer Meinung gewesen wäre.

    Kate stieg langsam die Treppen hinauf, um pflichtschuldig bei ihrem Vater vorzusprechen. Die Tür zu seinem Salon war nur angelehnt, eine Stehlampe spendete diffuses Licht, unter dem er in einem großen Ohrensessel saß. Der Tür abgewendet, zeigte er ihr die kalte Schulter. Seiner Meinung nach stellte es einen Affront dar, wenn Kate das Haus verließ, ohne ihn darüber zu informieren.

    »Ich konnte nicht schlafen und war mir nur ein wenig die Beine vertreten«, rechtfertigte sie sich ohne Einleitung.

    Über der Lehne des Sessels konnte sie sein schlohweißes Haar sehen, das in allen Richtungen vom Kopf abstand. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die buschigen Augenbrauen, das faltige Gesicht mit den eingefallenen Wangen. Obwohl er erst vierundsiebzig war, verfiel er immer mehr. Kate führte das auf sein Bestreben zurück, überall mindestens ein Haar in der Suppe zu finden. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, warum er unzufrieden mit seinem Leben zu sein schien. Millie war ihm eine tolle Frau gewesen, über seine Tochter konnte er sich nicht beschweren. Trotz seiner Launen und ruppigen Art hatte sie ihn noch nie im Stich gelassen, obwohl sie es manchmal zu gern getan hätte.

    »Dad, du solltest wieder ins Bett gehen«, riet sie ihm sanft. »Ich lege mich jetzt auch hin.«

    Wortlos stand er auf und schlurfte in das angrenzende Schlafzimmer.

    »Gute Nacht, schlaf gut!« rief sie ihm hinterher, aber erwartungsgemäß kam keine Antwort.

    Seufzend verließ sie das Zimmer, um zwei Türen weiter ihr eigenes zu betreten. Dort zog sie sich aus, betrachtete noch einmal prüfend ihren Knöchel und ließ sich dann ins Bett fallen. Müde schloss sie die Augen, bemüht, gegen die Bilder in ihrem Inneren anzukämpfen. Noch immer hatte sie sich nicht daran gewöhnt, Padraigs regelmäßige Atemzüge nicht mehr neben sich zu hören. Dabei war es jetzt fast zwei Jahre her, aber Kate schien es, sie wäre erst seit einigen Wochen allein. Warum nahm der Schmerz kein Ende? Lag es an ihr? Befand sie sich nicht in der Lage, das Geschehene zu verarbeiten oder war es einfach normal, wenn man einen Mann so sehr geliebt hatte wie sie ihren Paddy?

    In einem war sie sich sicher: Niemals gäbe es wieder einen Mann, der in ihrem Leben denselben Stellenwert einnehmen könnte. Mit diesem Gedanken schlief sie endlich ein.

    Kapitel 2

    Morgens haute Kate mit Schwung auf den Wecker, der sie aus tiefstem Schlaf riss. Nach der kurzen Nacht fühlte sie sich hundemüde und ausgelaugt, dennoch musste sie aufstehen. Zwei Zimmer waren derzeit vermietet und die Gäste erwarteten ihr Frühstück. Bevor sie sich in die Küche stellte, trank sie für gewöhnlich in aller Ruhe einen riesigen Becher Kaffee, um auf die Beine zu kommen und den heranbrechenden Tag zu genießen.

    So hielt sie es auch heute. Mäßig motiviert von der Aussicht auf das dampfende Aroma quälte sie sich aus dem Bett, erschrocken über die Blaufärbung ihres Knöchels. Nur mit Schmerzen konnte sie auftreten, musste sich abstützen, um das Gewicht etwas zu verlagern. Humpelnd erledigte sie ihre Morgentoilette und tappte dann nach unten in ihre eigene Küche. Mit etwas Glück hätte sie ihre Ruhe, weil ihr Vater noch schlief oder zumindest in seinen Räumen blieb. Am liebsten war es ihr immer, wenn er erst zur Frühstückszeit unten erschien, damit sie alle zusammen versorgen konnte. Tauchte er jedoch vorzeitig auf, musste sie schon vor ihrem Koffeinschub seine schlechte Laune ertragen und außerdem doppelt Frühstück herrichten. Darragh sah überhaupt nicht ein, warten zu müssen, bis sie alles für die Gäste vorbereitete.

    Müde rieb sie sich über die Augen, als sie in kleinen Schlucken trank. Sollte ihre Information richtig sein, würden beide Gastfamilien den heutigen Tag über Land verbringen und erst am Abend zurückkehren. Das verschaffte ihr etwas Zeit, den Rasen zu mähen und sich vielleicht am Nachmittag eine Stunde hinzulegen. Immer vorausgesetzt, Darragh ließ sie in Ruhe und ihr Fuß würde mitspielen.

    Im Stehen trank sie den letzten Schluck, stellte die Tasse ins Spülbecken und hüpfte einbeinig hinüber in die Pensionsküche. Dort holte sie Würstchen, Schinkenspeck, Bohnen, Eier und Milch für das Porridge aus dem Kühlschrank. Sie hatte längst eine Routine entwickelt, wie sie das aufwändige und reichhaltige irische Frühstück am effektivsten zubereiten konnte und widmete sich voll und ganz dieser Aufgabe. Cornflakes und Müsli bildeten hierfür den leichtesten Teil, da sie solche Zutaten nicht selbst herstellen musste. Wasser für Tee und Kaffee setzte sie ebenfalls auf.

    Mit geröteten Wangen erschrak sie, als Darragh von der Tür her ihren Namen rief.

    »Oh, guten Morgen, Dad. Möchtest du schon eine Tasse Tee? Das Frühstück ist auch gleich fertig.«

    »Ich will heute Rühreier, keine gekochten.«

    Ohne ein weiteres Wort ging er, um in der privaten Küche Platz zu nehmen. Kate nahm das als Zustimmung zum Tee und eilte ihm, so gut es ging, mit der Tasse in der Hand hinterher. Wehmütig dachte sie an ihre Mutter, die es genossen hätte, sich während des Essens zu den Gästen zu gesellen und zu plaudern. Für Darragh eine unmögliche Handlung. Lieber verkroch er sich, schaufelte griesgrämig sein Essen in sich hinein, um anschließend ruhelos über das Grundstück oder ins Dorf zu wandern. Seine Nachbarn akzeptierte er als Gesprächspartner, mit einigen wenigen verband ihn sogar eine Art Freundschaft.

    Argwöhnisch schaute er ihr entgegen, als sie durch die Tür hinkte.

    »Was ist passiert?« brummte er, mäßig interessiert.

    »Ich bin letzte Nacht ausgerutscht und nun ist mein Knöchel verstaucht, wie es aussieht. Wird sicher bald wieder besser.«

    Sie stellte die Tasse ab und setzte sich ihm gegenüber.

    »Mach dir eine Salbe drauf«, murmelte er in seine Tasse hinein. Kate wusste, für dieses Ausmaß väterlicher Besorgnis musste sie dankbar sein. Ganz bestimmt liebte Darragh seine Tochter, nur hatte er eine etwas merkwürdige Art, dies zu zeigen. Schon seit ihrer Kindheit kannte sie es nicht anders und hatte sich daran gewöhnt, konnte seine Reaktionen sehr gut einschätzen. Mehr als dieser Rat war bei ihm einfach nicht drin und bedeutete so viel wie: ›Es tut mir leid, dass du Schmerzen hast. Unternimm so schnell wie möglich etwas dagegen.‹

    Sie lächelte ihn an und versprach: »Sowie ich das Frühstück fertig und aufgebaut habe, sehe ich mal im Medizinschrank nach. Da haben wir sicher Salbe und eine elastische Binde, die ich benutzen kann.«

    Ein kurzer Blick, mehr gestand er ihr nicht mehr zu. Also erhob sie sich wieder und hüpfte in die Pensionsküche zurück. Zum Glück war diese nicht riesig, da Padraig mehr Wert auf Effizienz als auf Bewegungsfreiheit gelegt hatte. Möglichst viel mit minimalem Bewegungsaufwand erledigen, lautete seine Devise. So blieben die Wege kurz, um alles zusammenzustellen, und für den Transport ins Esszimmer benutzte Kate seit Jahren einen Servierwagen, der ihr heute doppelt gute Dienste leistete. Sie konnte sehr viel in einem Rutsch damit befördern und sich gleichzeitig darauf abstützen, um nicht vollständig auftreten zu müssen.

    Zufrieden betrachtete sie dann ihr Werk, bevor sie vor den großen Medizinschrank hinter der Rezeption trat. Hier gab es einiges auf Vorrat, was ein Gast vielleicht benötigen könnte: Verbandszeug, Pflaster, diverse Salben gegen Verstauchungen, Insektenstiche, Brandwunden und leichte Medikamente beispielsweise gegen Kopfschmerzen und Sodbrennen. Häufiger, als sie anfangs angenommen hatte, wurde etwas daraus gebraucht und sie sah es als Service ihres Hauses an, dem Gast im Bedarfsfall helfen zu können. Selbstverständlich bediente sie sich auch selbst, wenn nötig.

    Zielsicher griff sie nach Salbe und Binde, setzte sich auf den Hocker hinter dem Tresen und zog ihren Schuh aus. Nach dem Abstreifen der Socke wurde das ganze Ausmaß sichtbar, denn ihr Knöchel hatte sich noch weiter verfärbt, das Blau breitete sich weiter aus. Na wunderbar, dachte sie resigniert. Hoffentlich wird das nicht noch schlimmer, sonst muss ich Abbie anrufen, damit sie den Laden hier schmeißt.

    Vorsichtig verteilte sie großzügig die Salbe, wickelte eine elastische Binde darum und versuchte anschließend, aufzutreten. Es klappte nur unwesentlich besser, aber immerhin würde sie sich so durch den Tag schlagen können. Nur gut, dass momentan lediglich zwei Zimmer belegt waren, die würde sie saubermachen können, aber mehr war nicht drin.

    Nach dem Frühstück verabschiedete sie die beiden Ehepaare zu ihren Tagesausflügen und machte sich an die Arbeit, ohne erst noch auszuruhen.

    »Was hast du denn gemacht?« Abbies Gesicht schien ein einziges Fragezeichen zu sein, als sie Kate in die Küche humpeln sah.

    »Bananenschale, letzte Nacht«, grummelte Kate und warf der Köchin, die aber auch als Mädchen für alles und letzte Frau in Not fungierte, einen schiefen Blick zu. Ohne Abbie hätte sie Paddys ›Landhotel‹ schließen müssen. Die Zweiundfünfzigjährige war der rettende Anker, egal, in welcher Situation sich Kate befand.

    »Wo?« fragte Abbie erstaunt. »Jetzt sag nicht, einer deiner Gäste hat seinen Abfall hier einfach irgendwo hingeworfen.«

    »Nein«, wehrte Kate lachend ab. »Ich konnte nicht schlafen und war noch unterwegs. Sie lag auf dem Gehweg.«

    Abbie schnaufte missbilligend und wendete ihren molligen Körper wieder dem Schrank zu, um die passenden Töpfe auszusuchen. Die Frauen kannten sich ihr Leben lang und lagen altersmäßig nicht sehr weit auseinander, doch Abbies kurzgeschnittenes Haar war bereits vollständig ergraut. Das läge in der Familie, pflegte sie immer zu sagen und lehnte es rigoros ab, an der Farbe etwas zu ändern.

    Sie hatte die Küche völlig übernommen, seit Padraig nicht mehr da war. Nur das Frühstück überließ sie Kate, da Abbie sich tagsüber um Heim und Familie kümmern wollte. Dazu zählten ihr Mann, zwei Söhne, eine Tochter und fünf Enkel. Nicht zu vergessen drei Katzen, zwei Hunde und ein Zwergkaninchen.

    Oft schon hatte Kate sie gefragt, woher all die Energie kam, mit der sie das bewältigte. Aber Abbies Rezept klang ganz einfach: »Wer rastet, der rostet. Ich habe immer eine Aufgabe, Dinge um die ich mich kümmern muss. Dabei habe ich keine Zeit, krank zu werden oder einfach nur weniger zu machen. Und das ist gut so, so bleibe ich nämlich in Schwung!«

    Abbie drehte sich noch einmal um und taxierte Kate abschätzend von oben bis unten.

    »Soll ich die Zimmer mal schnell saubermachen, wenn die Gäste essen?«

    »Nein, das habe ich schon gemacht. Du brauchst dich nur um das Abendessen zu kümmern, wie sonst auch. Übrigens kommt heute Abend noch ein neuer Gast, ein Mann. Allein. Und in den nächsten zwei Wochen füllt sich alles wieder, dann sind wir für längere Zeit ausgebucht.«

    »Das ist auch gut so«, nickte Abbie beifällig. »Du weißt, mit dem Kochen von kleineren Portionen für wenig Gäste habe ich so meine Probleme.«

    Das stimmte, denn grundsätzlich hatten sie zu viel, weil Abbie Angst hatte, es könnte sonst nicht reichen. Nur zu gern gab Kate ihr abends genügend mit, dass die Familie am nächsten Tag eine komplette Mahlzeit zur Verfügung hatte.

    »Demnächst kannst du dich wieder austoben«, grinste Kate und stibitzte sich eine Karotte, die Abbie inzwischen geschält hatte. Dabei fing sie sich einen Klaps auf die Finger ein.

    »Sag mal», sinnierte Abbie weiter. »Kann es sein, dass wir weniger Teller haben als noch vor einiger Zeit? Irgendwie kommen mir die Stapel kleiner vor. Wie viel waren es denn mal?«

    »Sechzig«, antwortete Kate wie aus der Pistole geschossen. »Wir haben damals von allem so viel angeschafft und es immer mal wieder aufgestockt, wenn es weniger wurde. Lass uns mal zählen.«

    Sie öffnete den Geschirrschrank und tippte mit dem Zeigefinger die Teller durch.

    »… achtundvierzig, neunundvierzig, fünfzig und der, den du da hast. Sind einundfünfzig, fehlen tatsächlich schon wieder einige.«

    Plötzlich klirrte es hinter ihr laut, erschrocken fuhr sie herum. Abbie schaute erst betreten zu Boden, dann zu Kate. Die sagte nur: »Ich korrigiere: Wir haben noch genau fünfzig Teller.«

    Abbie schlug die Hände vor das rotwangige Gesicht und flüsterte kaum hörbar: »Tut mir leid, Kate.«

    »Ach was«, beruhigte Kate sie. »Wo gehobelt wird, fallen Späne. Und das Geschirr, das dir im Laufe der vielen Jahre kaputtgegangen ist, seit du uns hilfst, kann man wirklich an einer Hand abzählen. Ich habe schon mehr zerdeppert, das kannst du mir glauben.«

    Sie legte ihre Hand auf die Schulter der Frau und drückte sie leicht.

    »Was

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