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Tod am See: Hardy Sylvesters erster Fall
Tod am See: Hardy Sylvesters erster Fall
Tod am See: Hardy Sylvesters erster Fall
eBook373 Seiten5 Stunden

Tod am See: Hardy Sylvesters erster Fall

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Über dieses E-Book

In seinem Kriminalroman "Tod am See" schickt Max van Berque seinen Ermittler Hardy Sylvester zum allerersten Mal los, um dem Verbrechen auf die Spur zu kommen. Der Journalist Sylvester freut sich auf seinen Urlaub. Nach monatelanger Arbeit für eine Reportage hat er ihn verdient. Da klingelt sein Handy.

Der Anrufer, ein Bekannter aus Studientagen. So richtig gemocht, hat er ihn schon damals nicht. Jetzt bittet er ihn um Hilfe. Er und seine Familie werden erpresst. Hardy lässt sich überreden. Er macht sich auf den Weg nach Waren an der Müritz.

Zurück lässt er seine Nachbarin Clara. Sie lebt auf dem Hausboot nebenan. Noch weiß er nicht, ob er seine Gefühle zulassen darf. Oder, ob er sie damit in die Flucht schlägt und sie sich einen neuen Liegeplatz sucht.

Auf der Reise nach Waren trifft er auf Leo, mit dem ihn mehr, als nur eine staubige Pinkelpause im brandenburgischen Maisfeld verbindet.

Auf Hardy Sylvester wartet alles andere als Urlaub. Er stößt auf erschreckende Verbrechen, die bis weit in die Vergangenheit reichen. Und es bleibt nicht bei einer Erpressung.

"Tod am See" ist Hardy Sylvesters erster Fall.

Krimikomödie, Reisekrimi, Thriller? Die Frage nach dem Genre dieses Kriminalromans ist nicht ganz leicht zu beantworten. Der Ermittler kann sich nicht sicher fühlen, denn er steht selbst unter Beobachtung. Max Berque zeichnet Charaktere, die mitunter an Karikaturen erinnern, komisch sind und sich selbst mit ihrer Art das Leben schwer machen. Am Ende überrascht die Story mit Finten und falschem Spiel.
Der Krimi empfiehlt sich nicht nur als Reiselektüre durch Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder Waren an der Müritz. Es ist ein Kriminalroman, der an Originalschauplätzen spielt. Die Geschichte gibt es als Buch und als Hörbuch.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum26. März 2021
ISBN9783753179940
Tod am See: Hardy Sylvesters erster Fall

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    Buchvorschau

    Tod am See - Max van Berque

    1 Ein Wort vorab

    Die Orte in diesem Buch gibt es, mache hat der Autor geringfügig der Handlung angepasst. Sonst war es der Zahn der Zeit oder der Geschäftssinn der Menschen, der sie verändert hat.

    Die Menschen in diesem Buch sind frei erfunden. Alle. Gleiches gilt für Namen und Handlung. Seien Sie also vorsichtig in Ihrem Urteil über Reitlehrer, Bürgermeister oder Journalistinnen. Sie müssen nicht zwingend schlechter oder besser sein, nur weil sie Ihnen nach der Lektüre irgendwie bekannt vorkommen. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist zufällig.

    2 Zu dritt

    Die Stufen knarzten unter den hohen Absätzen ihrer dunkelblauen Pumps. Gemeinsam verließen Sie das ehrwürdige Gebäude des Notars. Die schwere polierte Holztür fiel polternd ins Schloss. Sie schüttelte den Kopf. »Du bist verrückt.« Er lächelte, wie er es immer tat, wenn sie ihn als verrückt bezeichnete.

    Adam und Jelena gingen Arm in Arm. Sie fielen auf, zwischen den Flip-Flop tragenden Touristen. Die in Gruppen durch die Altstadt Palmas flanierten. Sie in einem dunkelblauen Kostüm, deren Ausschnitt die blaue Spitze ihres BHs ahnen ließ. Er in seinem anthrazitfarbenen Anzug. Auf die Krawatte hatte er verzichtet. Sie gaben ein wunderschönes Paar ab und niemand hätte vermutet, dass er ihr alles, was sie heute auf dem Leib trug, vor wenigen Tagen erst gekauft hatte. Schon das war eine Überraschung, die ihm gelungen war. Dann hatte sie die Tickets nach Palma in ihrem neuen Trenchcoat entdeckt und jetzt hatte er ihr gezeigt, wie ernst er es mit ihr meinte. »Was machen wir jetzt?«, in ihrer Stimme lag ein anzüglicher Ton.

    »Wir kaufen Perlwein.«, er lachte verschmitzt. Adam spielte mit seiner ostdeutschen Vergangenheit. Perlwein sagte längst niemand mehr. Und das süße Getränk, das damals damit gemeint war, daran dachte er nicht im Traum. Trocken, spanisch und kalt sollte der Cava sein. Er steuerte zielsicher das nächste Restaurant im Schatten der Kathedrale an.

    »Im Supermarkt kostet der die Hälfte.«, gab Jelena zu bedenken.

    »Wir brauchen ihn aber eiskalt und jetzt.«

    Sie nickte gewichtig. Ihr Blick wechselte in einen gequälten Ausdruck. »Diese Strümpfe jucken.«

    »Ja ich gebe es zu, für Strapse und das passende Strumpfwerk ist es ein wenig warm geworden. «

    Sie legte ihren Kopf schräg. »Du musst sie ja nicht tragen.«

    »Das gehört alles zu meinem Plan.« Damit zog er sie in das Restaurant. Mit einer Flasche spanischem Sekt kletterten sie kurze Zeit später in einen uralten eckigen Panda. Der klang bei jedem Startversuch, als wäre es sein letzter.

    »Es ist wunderschön hier.« Jelena trommelte auf das Lenkrad des alten Fiat. Adams Blick schweifte über die Postkartenlandschaft. Vorbei an uralten Bäumen. Die Ausläufer der Inselhauptstadt hatten sie hinter sich gelassen. Jetzt verließen sie auch die ausgebaute Landstraße. Der staubige Weg führte durch riesige Artischockenfelder. Deren distelartige Delikatesse noch ein paar Wochen brauchte, bis zur Ernte. Vorbei an einer alten Mühle, deren Flügel irgendwer längst abgeschraubt hatte.

    Der Garten des alten Landhauses quittierte die Arbeit der letzten Wochen mit einem Duft nach frischen Kräutern. Das Haus versteckte sich hinter der Farbexplosion einer rot leuchtenden Bougainvillea, die bis über die Dachrinne auf die verwitterten Dachziegel reichte.

    Jelena Schloss die Augen. Es kam ihr vor, wie ein Traum. Jahrelang hatte sie sein Haus geputzt. Bis zu diesem Tag, an dem es wie aus Kübeln schüttete, und er sie nach Hause fuhr. Bis zu diesem Tag hatte sie ihn nicht wahrgenommen. Ein freundliches Grüßen wenn sie sich begegneten. Mehr gab es nicht.

    Sie hätte sich niemals erlaubt, ihn anzusprechen. Er hatte es getan. Und er erzählte von seinem Leben. Weil er nicht ging, sie ihn nicht rausschmeißen wollte, begann sie zu kochen. Für ihre Freunde. Damals in der dunklen Kellerwohnung mit alten Möbeln. Irgendwann stand er neben ihr, wusste nicht, wie man Gemüse putzt oder Kartoffeln schält. Er war nicht einmal gegangen, als ihre Freunde eintrafen. Von da an, war er gar nicht mehr gegangen. Nicht so richtig.

    Sie gingen Schwimmen. Nicht im teuren Spa wo er vorher schwamm, sondern im See. Sie trafen sich zum Essen, aber nicht in den angesagten Restaurants, sondern zuhause. Er kaufte ein, sie kochten gemeinsam. Es war, als lebte sie ihr Leben weiter und der Platz neben ihr, war endlich besetzt. Von ihm. Sie hatte keinen Partner gesucht, weil sie nicht wusste, wie leicht Glück sein konnte.

    »Lass uns nach einem Weg suchen dieses Glück zu teilen.« Das gefiel ihr so an ihm. Er dachte nie nur an sich. Er wollte, dass es den Menschen um ihn herum gut ging. Und dieses um ihn herum fasste er sehr weit.

    »Ja. Aber jetzt gerade geht das nicht.« Sie setzte sich auf seinen Schoß und küsste ihn. Er öffnete den Reißverschluss. Lautlos glitt ihr Kostüm von den Schultern. Es legte den Blick auf ihre blasse Haut und die dunkelblaue Spitze frei. Immer stärker hob sich ihr Brustkorb. Die geleerten Sektgläser ließen sie auf der Terrasse zurück. Sie zog ihn aus dem Stuhl ins Schlafzimmer.

    Die Sonne malte immer längere schwarze Schatten der Olivenbäume auf den Boden der roten Erde. Jelena und Adam prosteten sich zu. Sie saßen auf der Terrasse. Die Tapas waren die erste Speise, die seit dem Frühstück zu sich nahmen. Dazu gab es einen Wein aus der Gegend, den ein Freund zu ihrer Ankunft gleich im Ballon dagelassen hatte.

    »Das Paradies hat Risse.« Er sah sie überrascht an. »Nicht unseres. Aber das hier um uns herum. Jeden Sommer kommt wieder dieselbe Katastrophe auf diese wunderschöne Insel zu. Käme nicht laufend riesige Tankschiffe vom Festland, gäbe es keinen grünen Strauch mehr auf der Insel. Geschweige den einen Wasserhahn aus dem auch nur ein Tropfen käme.«

    »Der Wassermangel. Ich weiß. Und das alles nur aus Gier. Jeden Sommer kommen die Touristen duschen die Insel leer und was dann noch nicht weg ist, landet in den Pools der Last-Minute-Hotels.«

    »Dabei sind die billigen Hotels nur noch ein Problem.«, warf er ein. »Ein weiteres sind die Ferienanlagen mit Wohnungen und Häusern. Der Tourismus soll hochwertiger werden. Das hat zur Folge, dass sie hier immer mehr gebaut haben. Bauland verteuert sich, die Mieten steigen. Immer mehr Menschen können diese Preise nicht mehr bezahlen.«

    Jelena nickte nachdenklich.

    »Und weil die Ferienhäuser den größten Teil des Jahres leerstehen, haben sich die ersten Menschen das zurückgenommen, was sie nicht bezahlen können, was aber nicht genutzt wird. Blöd ist nur, wenn die Besitzer kommen.«

    »Verstehe ich nicht.«

    »Immer mehr Menschen auf der Insel besetzten Häuser. Das passiert bevorzugt in Wohnanlagen oder Villen, die lange Zeit Leerstehen.«

    »Oha, dass das gibt Ärger.«

    »Aber ohne Folgen. Nach spanischem Recht können die Hausbesetzer nicht aus den Häusern vertrieben werden. Das geht nur, wenn es innerhalb der ersten 48 Stunden angezeigt wird.«

    »Leider sind diese armen Menschen oft äußerst aggressiv. Sie nehmen sich alles, was sich zu Geld machen lässt und verkaufen es. Die Besitzer selbst, können nur zusehen, wie ihre Stereoanlagen, Küchengeräte und Flachbildschirme weggeschleppt und verkauft werden.«

    »Wenn du dir die Miete nicht mehr leisten kannst, droht dir die Obdachlosigkeit im Paradies. Das ist bitter.«

    »Zum Glück ist hier nichts zu holen.« Adam sah sich um. »Nur das Nötigste und alles ganz einfach.«

    Jelena schüttelte ihren Kopf. »Da wo ich her komme, ist nichts zu holen. Hier hast du schöne Möbel, eine tolle Küche, Fenster, eine Heizung, sogar einen Holzofen. Außerdem steht hier ein Fernseher. Du vergisst, wie gut es dir geht.«

    »Wie gut es dir geht.«, korrigierte er sie lächelnd.

    »Ich habe es nicht vergessen.« Sie griff nach seiner Hand. »Wann sagst du es ihr?«

    »Wenn wir eine Wohnung haben.«

    Sie horchte auf. Damit war er weiter, als er es bisher immer behauptet hatte. »Sie kann die Villa behalten. Ich glaube, sie bedeutet ihr mehr als mir.«

    Jelenas Augen folgten ihm. Das gefiel ihr auch an ihm. Er wollte keinen Krieg. Alle sollten zufrieden sein. Und wenn alle so handelten wie er, wären auch alle zufrieden, davon war sie überzeugt.

    »Es wird sie nicht schockieren. Sie ahnt es längst.«

    »Glaubst du?«

    3 Die Karte

    Sie hatten ihm eine Million überwiesen. Auf dem Esstisch vor ihm lag der Kontoauszug. Zweimal im Jahr stand diese Summe dort. Als das Geld zum allerersten Mal dort landete, folgten zwei duzend Visitenkarten mit Empfehlungen von Anlageberatern und Consultants.

    Steuervermeidung war ihr Stichwort. Jeder Einzelne wollte, ihm professionell helfen, seine Steuern nicht an den Staat zu zahlen. Nebenbei strichen sie dafür einen ordentlichen Teil des übriggebliebenen Geldes ein.

    Die Krawatte hatte er gelockert, das Jackett über die Stuhllehne gehängt. Heute musste er erst spät ins Unternehmen. Solche Tage waren selten. Er genoss sie. Er nutzte die Zeit für die Zeitungslektüre und studierte die Wohnungsanzeigen bei einer Tasse Tee. Er saß am Esstisch, des großzügig geschnittenen Esszimmers, das von der Küche nur durch einen Tresen getrennt war und offen in das Wohnzimmer überging.

    Er suchte nach einem Klebezettel, es war kein Tee mehr da. Er musste welchen kaufen. Einen Moment überlegte er, ob er Jelena bitten sollte, dies zu erledigen. Sonst regelte seine Frau solche Dinge, aber sie war für ein paar Tage verreist.

    Von den Visitenkarten hatte er nicht eine der Nummern gewählt. Er hatte sogar Termine abgesagt, um diesen Menschen nicht zu begegnen. Deshalb überwies er Jahr für Jahr über die Hälfte dieses Geldes, an das Finanzamt. Den größeren Teil des Geldes, was ihm noch blieb, spendete er. Er tat das nicht öffentlichkeitswirksam vor Kameras, sondern still. Er ließ diese Zahlungen nicht quittieren, konnte sie also auch nicht beim Finanzamt absetzen. Zum Unverständnis der Kollegen, die davon Wind bekamen. Er hatte sich oft gefragt, wie sie davon erfahren hatten. Bis ihm eine Idee kam.

    Vor ihm auf dem Tisch lag eine Visitenkarte. Noch eine. Wolfgang Labhaus hatte sie da gelassen. Mit dieser Visitenkarte war es anders. Er hatte die Nummer gewählt und eine Verabredung getroffen. Heute. Die Ereignisse und was er erfahren hatte, konnte er noch nicht einsortieren. Er griff nach seinem Handy. Er musst mit Jelena sprechen. Sie hatte auf alles einen unverstellten Blick. Er fragte sich, ob sie nicht sowieso heute käme?

    Sie hielt das Infomaterial dieses Beraters Labhaus in den Händen und stellte fest, das Ihr Freund Adam recht hatte. Es klang gruselig. In den dem Prospekt gab er sich nachhaltig. Deshalb war er wohl auch nicht auf Hochglanzpapier, sondern betont umweltfreundlich auf mattem, grau schimmernden Papier gedruckt. Es klang ein bisschen nach: Wir lösen jeden Fall. Das war es aber nicht. Immerhin war der Mensch Finanzexperte und versprach bei diversen Großprojekten Erfolg. Sie verstand nicht wirklich, was er sagen wollte. Aber sie ahnte, dass er gefährlich war.

    Vielleicht wäre Adam noch am Leben, wenn sie ihr Handy eingeschaltet hätte? So hatte sie seinen Anruf verpasst. Auf der Mailbox hatte er irgendwas von gruselig gesprochen und, dass er unbedingt mit ihr reden müsste. Das alles hatte sie erst einen ganzen Tag später gehört. Im Trubel mit der Polizei war es schlicht untergegangen.

    Vor dem Fenster folgte sein Blick einer Biene. Er zweifelte einen Moment an seinen Sinnen. Im Hals spürte er ein Kribbeln. Er stutzte. Sollte ihn eine Biene gestochen haben? Das unangenehme Gefühl nahm zu. Das Atmen fiel ihm schwerer. Er schmunzelte. Zur Hypochondrie neigte er schon immer. Jetzt reichte der Anblick eines Insekts und sein Gehirn löste Alarm aus. Er wandte sich seiner Lektüre zu.

    Das Zeitungspapier raschelte unter seiner krampfenden Hand. Schweiß trat auf seine Stirn. Er verstand nicht gleich. Seine Atemnot begleitete ein fieses Kribbeln und Jucken im Rachen das sich pulsierend in seinem Körper auszubreiten schien. Irritiert sah er zu der Biene hinüber. Sie war verschwunden. Er suchte nach Einstichen an seinen Unterarmen und den Händen.

    Er wusste immer noch nicht, was mit ihm geschah. Sah auf den Tee. Daneben stand nur eine Schale Nüsse auf dem Tisch. Er schüttelte seinen Kopf.

    Das wäre ihm nicht passiert. Plötzlich spürte er diese Angst in ihm aufsteigen. Die Angst, verwundbar zu sein, begleitete ihn seit Jahren. Das man mit Eiern und Tomaten nach ihm schmiss, brachte sein Job mit sich. Schon diese Angriffe hatte bei ihm ein Gefühl der Ohnmacht und, was er als noch schlimmer empfand, der Ungerechtigkeit hinterlassen.

    Dieses Gefühl hatte den tiefen Wunsch in ihm genähert, rauszukommen aus seiner Rolle als Manager. Die Zwänge abzulegen und Menschen einfach so zu begegnen wie sie waren. Er selbst war stets um Fairness und um Harmonie bemüht. Ja er hatte auch diese durchsetzungsstarke Seite, aber der Biss war ihm mit den Jahren abhandengekommen. Nie hatte er diesen Wunsch nach Frieden stärker gespürt als jetzt.

    Wer konnte so einen Zorn auf ihn haben, dass er ihn bedrohte? Oder gab es jemanden, der ihn und seine unsichtbare Schwäche kannte, und ihm schaden wollte? Seine Stimmung schlug um. Er schrie. Noch wusste er nicht, dass sein Schrei ein Fehler war. Die Gefahr sah er noch nicht.

    Er war es gewohnt Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu tragen und das Unternehmen, zu repräsentieren. Er achtete er auf ein gepflegtes Äußeres. Seine silbernen Schläfen verrieten seine fünfzig Jahre. Der maßgeschneiderte Anzug, seinen gediegenen Geschmack. Auf Reisen und bei öffentlichen Auftritten verlangte die Versicherung Personenschutz.

    Jetzt verfiel er in Hektik. Sprang er auf. Sein Verstand verriet ihm, während die erste Welle dieses Kribbelns im Rachen nachließ, dass er nicht aufgepasst hatte. Und das eine zweite Welle folgen würde. Er hatte Angst. Er bewegte sich in seiner vertrauten Umgebung, hier passte er nie auf. Nicht mehr, als die Routine es von ihm verlangte. Er lebte ein Gefühl der Sicherheit, dass vielleicht jemand ausgenutzt hatte. Sein Stuhl schlug hinter ihm auf das Parkett aus den siebziger Jahren. Er starrte auf die Tasse vor ihm und auf die Teebeutel, die noch in der gläsernen Kanne hingen. Seine Augen aufgerissen, stürzte er aus dem Wohnzimmer. Er hatte keinen Blick für den englischen Rasen, der sich hinter den Panoramascheiben in sattem Grün bis zu den hochgewachsenen Buchen am Ende des Grundstücks erstreckte. Er lief vorbei an der verspiegelten Wand im Eingangsbereich, nahm zwei Stufen auf einmal. Fast oben, nahm er drei Stufen. Zuviel. Die Spitze seines polierten Schuhs blieb an der obersten Stufe hängen. Die zweite Welle traf ihn härter. Pfeifen und Röcheln verrieten, dass auch mit seiner Lunge etwas nicht stimmt. Er spürte, dass es eiliger war, als er angenommen hatte.

    Er strauchelte, schlug auf den Boden. Sein Blick war starr auf die Badezimmertür gerichtet. Dort befand sich sein Notfall-Stick. Er spielte die Griffe mit dem Adrenalinstick vor seinem inneren Auge durch. In wenigen Sekunden sollte er den handlichen Stift mit der rettenden Flüssigkeit in seinen Oberschenkel rammen. Seine Knie schmerzten vom Sturz. Die Stimme seiner Ärztin im Ohr: »Stoßen Sie den Stick in Ihren Oberschenkel. Wenn Sie ihn in den Finger rammen, platzt er.« Dabei hatte sie nicht gelächelt, wie sie es sonst bei Scherzen tat. Er schloss daraus, dass es kein Scherz war, und hatte Nachfragen unterlassen.

    Seine Lunge pfiff. Unmengen Luft musste er in beide Lungenflügel saugen, damit ein bisschen Sauerstoff seine Blutbahn erreichte. Er musste sich beeilen, das wusste er. Es war ein Wettlauf zwischen ihm und der Ohnmacht. Ein Rennen zwischen Leben und Tod. Blieb seine Lunge zu lange ohne Sauerstoff, stieg das Kohlendioxid in seiner Blutbahn. Bewusstlosigkeit wäre die Folge. Soviel wusste er. Dieses Rennen musste er gewinnen. Längst dachte er an nichts anderes mehr. Die Anstrengung, am Leben zu bleiben, verdrängte seine Wut. Die nächste Aufgabe war wichtiger, als die Frage, wer ihm das angetan hatte. Wer wollte ihn umbringen? Es musste ein Mordversuch sein. Jetzt interessierte es ihn nicht. Sein Wutschrei, hatte ihn zu viel Kraft gekostet. Schwankend stand er auf. Seine Hände suchten an der Wand nach Halt. Die teuren Drucke in den edlen Rahmen, von seiner Frau ausgesucht, von ihm bezahlt, schlugen auf den Boden. Ihr Glas zerbarst. Sein Brustkorb hob und senkte sich unter lautem Pfeifen. Mit zitternden Händen wühlte er in den Schubladen neben dem Badezimmerspiegel. Da lag der Stick. Eigentlich lag er da. Jetzt war der Notfall-Stick weg. Schweiß trat auf seine Stirn. Was er im Spiegel sah, war nur noch verschwommen. Sein Gesicht war rot angelaufen. Er stürzte raus auf den Flur. Rutsche die Treppe auf seinen glatten Ledersohlen mehr runter, als dass er sie lief. Das Telefon lag in der Küche. Sein Blick war starr, seine Pupillen lieferten nur noch undeutliche Bilder. Er wusste, dass dieses Signal echte Gefahr bedeutete. Er hatte die 112 gewählt. Versuchte zu sprechen. Da senkte sich ein tiefes Schwarz vor seine Augen. Den Aufschlag auf die Küchenfliesen spürte er nicht mehr. Genauso wenig bekam er mit, dass er die grüne Taste an seinem Telefon nicht gedrückt hatte.

    Seinen Schrei hatte niemand gehört. Ihn konnte niemand hören. Die Fenster und Türen der gepflegten Villa waren, entgegen der Gewohnheit, säuberlich verschlossen. Wer an diesem Tage in das Haus käme, steckte erst in einer Stunde seinen Schlüssel in das Schloss der Haustür.

    4 Alter Freund

    Tropfen rannen am beschlagenen Weißweinglas langsam und ungleichmäßig zu Boden. Hardy liebte solche warmen Frühsommerabende und er liebte diesen Wein. Für solche Momente hatte er lange nicht die Zeit und das Wetter gehabt. Heute passte beides. Hier auf seinem Hausboot verströmten sie den Duft von Urlaub und Freiheit. Sein Blick schweifte über die Spree. Ihr Wasser glitzerte in der Abendsonne. Der Trubel der Hauptstadt schien kilometerweit entfernt. Dabei lag sein Boot in einem Seitenarm des Stadtflusses mittendrin in der pulsierenden Hauptstadt. Noch war alles ruhig. Er ahnte nicht, dass er heute noch eine stressbringende Entscheidung treffen sollte.

    Hardy genoss den Blick auf das gekräuselte Wasser, das mit der leichten Brise des warmen Frühsommerwindes zu spielen schien. Er tippte, wer von seinen Gästen zuerst eintraf. Sein Boot lag versteckt. Der Weg war schwer zu finden. Für Hausboote gab es nur selten Hausnummern und zu diesem Liegeplatz gab es unterschiedliche Ansichten, über den besten Weg. Der eine führte direkt eine steile Böschung von der Straße hinunter. Damit war er weder für Ledersohlenträger noch für hochhackige Pumps geeignet. Der andere war länger. Ein unscheinbarer Pfad, jenseits der Straße. Er führte unter der Brücke hindurch, zu seinem und den anderen Booten. Staubig waren bei dem trockenen Sommerwetter beide. Auf diesen Tag hatte er wochenlang hingearbeitet. Es war der Sendetermin seiner Reportage.

    Cutter, Kameraleute und die Kollegen aus dem Büro hatten sich angesagt, das ganze Team samt Praktikanten. Der Holztisch auf dem Dach seines Hausbootes ächzte unter Fingerfood und Salaten. Grillen fiel aus. Er wollte sich heute keinen Tadel für verkohlte Würstchen einhandeln. Er genoss nach Wochen der Anspannung einen merkwürdig relaxten Zustand. Die Vorbereitung in der Küche war Erholung für ihn. Salate und Gemüsestreifen schnippeln, Pflaumen im Speckmantel braten, Schafskäses überbacken. Nach wochenlangem Döner- und Pizzakonsum genoss er die Zeit in seiner Küche.

    Nach Recherche, Dreh und Schnitt verfiel er regelmäßig in einen Zustand, in dem er von außen auf sich herab sah. Ein Blanc de Noir, feinherber Spätburgunder vom Weingut Schüler-Katz aus Kiedrich, tat sein übriges. Die Melodie von Pink Panther holte ihn ins Hier und jetzt. Das müssten seine ersten Gäste sein, die den Zugang zum Liegeplatz nicht fanden, dachte er. Er stutzte, als er den Anruf mit unterdrückter Nummer entgegennahm.

    »Frank hier, hallo Hardy«, hörte er eine leise matte Stimme. Hardy musterte das türkisfarbene Etikett des Weines. Er musste lachen. Um den Anrufer nicht zu verschrecken, drückte er seinen Daumen auf das Mikrofon. Wer um Himmelswillen war Frank und hörte sich an, als wollte er auf ein Bier vorbeikommen? Hatte er seine Nummer und die Feier aus Versehen bei in seinen Social Media Kanälen veröffentlicht? Mit starrem Blick auf das Etikett, kramte in den Windungen seines Gehirns.

    »Frank!«, rief er zu laut und zu gut gelaunt in sein Telefon. Seine Stimme gaukelte Vertrautheit vor. Er hoffte, dass sein Gegenüber mehr von sich preisgab. Seine Mobilnummer hatte 25 Jahre und zahlreiche Anbieterwechsel überlebt. Daher kam es vor, dass sich Menschen bei ihm meldeten, die er vor Jahren bei der Arbeit oder auf Reisen getroffen hatte.

    »Es tut mir leid, dass ich dich überfalle. Mir ist kein anderer eingefallen.« Schmeichelhaft dachte Hardy in einem Anflug von Selbstironie. Jetzt müsste er nur noch wissen, wofür. »Bin nach dem Studium in der Politik gelandet, lebe jetzt in Waren an der Müritz. Wir haben quasi an der Uni die Grundlage für meine Zukunft gelegt.«

    Soll vorkommen, dachte Hardy. Ihm schwante langsam, wer ihm da einen Abriss seines Lebens gab. Die Stimme hatte sich, trotz der Jahre, nur wenig verändert. Etwas, reifer klang sie. Er schmunzelte. Das war eine Beobachtung, die er nur bei anderen machte. Seine Vermutung, hob seine Laune nicht.

    »Party-Frank, na das ist aber eine Überraschung.«, platze es aus Hardy heraus. ›Verdammt‹, dachte er, einen Wimpernschlag später. Sei vorsichtig, du weißt nicht, was der Menschen am Telefon heute macht. Vielleicht ist er Rechtsanwalt und auf Beleidigungen am Telefon spezialisiert. Und betrachtet seinen ehemaligen Spitznamen heute als solche. Schöne Grundlagen waren das. Party-Frank konnte er beim besten Willen mit nichts anderem als Bier und Partys in Verbindung bringen.

    Er erinnerte sich sonst an fast nichts mehr von ihm. Zu Uni-Zeiten schmiss er eine Feier nach der nächsten. Da hatte es schon damals, nur Bier aus der Zapfanlage gegeben. Für Studenten war das der Mega-Luxus gewesen. Er sah schulterzuckend auf die schwarze Mörtelwanne hinter sich. Im Wasser kühlte er dort seit dem Morgen die Flaschen aus diversen Bierkisten.

    Der Jungpolitiker verkaufte seine Partys schon damals immer als große Politik. Er nannte das Netzwerken und war damit seiner Zeit voraus. Zumindest in der Wortwahl. Er verlor an der Uni, nie den eigenen Vorteil aus den Augen. Das war es, woran Hardy bei Frank dachte.

    »Ich bin verheiratet.« Tönte es etwas heiser aus dem Telefon. Das war sein dritter Satz nach etwa 15 Jahren der Gesprächsabstinenz, dachte Hardy. Muss wichtig sein.

    »Und ich habe ein Problem.«, Satz Nummer vier, dachte Hardy.

    »Ach«, konterte er trocken. »Probleme, mit deiner Frau? Frank, nimm es mir nicht übel, ich bin Journalist, kein Psychologe. Ich kann dir da nicht helfen. Wenn du meine Beziehungsbilanz kennst, legst du auf.« Dieser Wein macht mich fertig, ich hätte was essen sollen, dachte Hardy. Dieses Mal, ohne es auszusprechen.

    »Ich werde bedroht«, flüsterte die Stimme aus dem Telefon.

    »Ich brauche Hilfe. Man erpresst mich und meine Familie.«

    »Erpressung? Ist das in der Politik nicht der Normalfall?«, frotzelte Hardy.

    »Man hat mir eine Warnung geschickt.« Seine Stimme brach ab. Hardy steckte seinen Finger ins freie Ohr, um noch was zu verstehen.

    »Es geht um ein Millionenprojekt und jetzt geht es um das Leben meiner Tochter.« Er atmete schwer.

    »Sie haben mir die Fahrradklingel von meiner Kleinen ins Büro geschickt, per Kurier.«

    »Das klingt nicht gut«, murmelte Hardy. »Einfach nur die Klingel?«

    »Nein. Wir kennen ihren Schulweg. Stand auf einem Zettel.«

    »Okay, aber woher weißt du, um was es geht, ich meine, haben sie sonst was gesagt? Und wer sind die? Ich meine, hast du Feinde. Haben die Erpresser sich zu erkennen gegeben?« Hardy schüttelte den Kopf. Er mochte den Typen nicht sonderlich. Noch weniger mochte er, dass der soeben dabei war seine Urlaubsplanung über den Haufen zu schießen. Er durfte jetzt nichts Falsches sagen und sich auf nichts einlassen. Ungerechtigkeit konnte er nur schwer ertragen. Da musste es irgendwas in seiner Vergangenheit geben, weshalb es bei solchen Dingen kein Nein in seinem Wortschatz gab.

    Heute hatte er seinen, Discus aus dem Abstellraum geholt. Seinen geliebten Gleitschirm von Swing. Das Gerät war für ihn die Rakete ins Nirwana. Der schnellste Weg abzuschalten. Schon beim Auspacken war es, als hätte er das Piepen seines Höhenmessers in den Ohren. Paragliding war für ihn immer noch der beste Weg, runter zu kommen. Abstand zu den Dingen und zur Arbeit aufzubauen. Sein Plan war eine Reise in die Alpen. Ein paar Tage in der Luft abhängen. Dieses Vorhaben wollte er auf gar keinen Fall streichen.

    »Pass auf Frank. Erpressung ist kein Kavaliersdelikt. Ich bin da der Falsche. Ich kann dir nicht helfen. Du musst zur Polizei gehen. Ich meine, ich habe überhaupt nicht die Möglichkeiten, wie die Kollegen von der Behörde.«

    »Hardy bitte. Ich kann nicht zur Polizei gehen.«, unterbrach ihn Frank. »Ich bin Politiker. Ich lebe in einer Kleinstadt. Hier kennt jeder jeden. Die Sache darf nicht an die Öffentlichkeit kommen. Dann bin ich tot oder jemand aus meiner Familie.«

    »Frank. Genau da steckt unser zweites Problem. Ich bin Journalist. Ich lebe von der Öffentlichkeit.« Sein Gegenüber schien ihn, gar nicht gehört zu haben. Diese Eigenschaft hatte Hardy schon im Studium beeindruckt.

    »Ich brauche jemanden der intelligent und diskret arbeitet und den hier keiner kennt.«

    So ein Arsch, dachte Hardy, jetzt versucht der es auf die nette Tour. Franks Stimme klang immer noch gepresst.

    »Es geht um eine Abstimmung im Stadtrat, dahinter stecken Millionen aus der öffentlichen Hand und jetzt ...« Seine Stimme brach wieder ab. Holte er Luft oder schluchzte er? Hardy hörte ein Knacken aus dem Telefon.

    »Ich habe Angst um mein Leben und das meiner Kinder.«

    In Hardys Leitung klopfte der nächste Anrufer. Wahrscheinlich waren das die erwarteten Gäste, die nach dem Weg fragten. Er musste diesen Typen loswerden.

    »Pass auf Frank,« Hardy sah auf seine Uhr, »wir treffen uns morgen Abend um acht bei dir«. Er hörte ein Rumpeln unten im Hausboot.

    »Gut«, sagte Hardy abwesend und dachte Scheiße. Die freien Tage hatte er sich anders vorgestellt.

    Den Wunsch, Party-Frank in Waren an der Müritz zu besuchen, verspürte er nicht. Konnte man da überhaupt fliegen? Berge kannte er in der Gegend keine. Windenschlepp müsste gehen. Er verwarf die Idee. Dann eben, Urlaub an der Seenplatte. Ohne Alpen und ohne Gleitschirm.

    Hardys Blick wanderte über das hölzerne Deck seines Schiffes. Der übervolle Tisch ächzte. War ein bisschen viel, dachte er. Ihm wirbelten die Bilder der zurückliegenden Produktionswochen durch den Kopf. Hintergrundgespräche mit den Protagonisten, Drehtage bis in die Nacht mit seinem Kamerateam. Tagelanges Sichten des Materials. Verdammt, dachte Hardy, ich hatte mich auf ein paar freie Tage gefreut. Schlaf nachholen, Fliegen, Bücher lesen und an seinen Fahrrädern schrauben. Er beschloss, noch einen Schluck zu trinken und sich über die Details morgen den Kopf zu zerbrechen.

    Seine Stirn in Falten, sein Blick wanderte ziellos über das Wasser. Er hatte gelernt, auf seinen Bauch zu hören. Irgendetwas störte ihn an dem Gespräch. Davon abgesehen, dass er Frank schon früher nicht mochte. Und dass er in die entgegengesetzte Richtung zum Fliegen wollte, gab es noch etwas. Sein Bauch spürte es schon. Jetzt musste nur noch sein Kopf dahinter kommen.

    5 Sein Film

    Sie kam aus der Dusche. Auf ihrer Haut spürte sie noch die letzten Tropfen. Am Schrank hing ihr Kleid. Sie zweifelte nicht, ob es zum Anlass passte. Zu selten boten sich ihr Gelegenheiten, zu denen

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