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Sie kämpften gegen Brüder: Schicksale im Amerikanischen Bürgerkrieg 1861 - 1865
Sie kämpften gegen Brüder: Schicksale im Amerikanischen Bürgerkrieg 1861 - 1865
Sie kämpften gegen Brüder: Schicksale im Amerikanischen Bürgerkrieg 1861 - 1865
eBook272 Seiten3 Stunden

Sie kämpften gegen Brüder: Schicksale im Amerikanischen Bürgerkrieg 1861 - 1865

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Über dieses E-Book

Die Auswirkungen eines Krieges auf die Zivilbevölkerung, das Leid, aber auch die Kraft des Lebenswillens, der Liebe, Freundschaft und Solidarität sind Gegenstand dieser Familiengeschichten vor dem Hintergrund des amerikanischen Bürgerkrieges. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Potomac Armee des Nordens und der Virginia Armee des Südens werden faktengenau geschildert. Kernthemen sind die Sklaverei im Süden und die Ausbeutung der Industriiearbeiter des Nordens.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. März 2023
ISBN9783347899582
Sie kämpften gegen Brüder: Schicksale im Amerikanischen Bürgerkrieg 1861 - 1865
Autor

Annie S. Henning

Ihr Interesse für die Südstaaten von Nordamerika weckte Mark Twain. Wie viele Kinder, las auch sie die spannenden Bücher über »Tom Sawyer und Huckleberry Finn«. Die Handlung spielte in Missouri, das zu Zeiten des Amerikanischen Bürgerkrieges ein Grenzstaat war. Sie war fasziniert vom Mississippi und seinen Schaufelraddampfern. Für sie gab es viele Jahre nur einen Gedanken: Sie müsste dort hin, um das Land mit eigenen Augen zu sehen! Als sie zwanzig Jahre alt war, reiste ihre Familie nach New York und durch die meisten Südstaaten. Und sie durfte mit! Bei New Orleans überquerten sie den Mississippi. Sie war begeistert. Die Landschaft, die Reste der Kultur der Südstaaten und die historischen Persönlichkeiten ließen sie nicht mehr los. Doch schon bei der Lektüre von Mark Twain hatten sie die Ungerechtigkeiten der Sklaverei, Gewaltbereitschaft und Kriegsbegeisterung bewegt.

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    Buchvorschau

    Sie kämpften gegen Brüder - Annie S. Henning

    Vorwort

    In der Geschichte des Amerikanischen Bürgerkrieges fällt die Doppelmoral des Nordens zum Thema Sklaverei auf. Mich störte die Behauptung, nur im Süden habe es ein menschenverachtendes System gegeben. Der Norden hatte zwar zu diesem Zeitpunkt keine Sklaven mehr, aber dafür begann die Industrialisierung, in der die Arbeiter kaum besser behandelt wurden als Sklaven. In den Fabriken arbeiteten meist Einwanderer unter unmenschlichen Bedingungen, und ihr Verdienst lag unter dem Wert ihrer Arbeit. Sechzehn Stunden Arbeit täglich war keine Seltenheit. Und wer nicht mehr konnte, wurde ersetzt. Das Ziel war höchster Gewinn bei minimalen Ausgaben. Oft wird dagegen argumentiert, dass diese Arbeiter ja freie Menschen waren und jederzeit gehen konnten. Nur wohin? Von einem Elend ins nächste? Es war fast überall gleich.

    Diese Doppelmoral zeigte sich im Lippenbekenntnis, Sklaverei wäre eine Schande, aber gleichzeitig denken: Was kümmern mich die Schwarzen? Nachdem Lincoln die Sklaven 1863 befreit hatte, wurden die aus dem Süden Zuwandernden keineswegs begeistert im Norden aufgenommen. Und die meisten Soldaten der Nordstaaten kämpften für die Union, aber nicht für Menschenrechte. Rassismus war im Norden stark verbreitet. Das alles wurde dann vielen befreiten Sklaven zum Verhängnis: Sie dachten, sie könnten in den Norden, weil es dort keine Sklaverei gab. Der logische, aber falsche Schluss vieler war dabei, dass Nordstaatler generell gut zu ihnen sein würden. Was sie im Norden erwartete, waren jedoch meist Demütigungen, Rassismus und unwürdige Behandlung. Die meisten Südstaatler lebten ihren Rassismus ganz ungeniert aus. In ihren Augen waren Schwarze minderwertig, deren Daseinsberechtigung nur war, Sklave zu sein. Es kümmerte sie nicht, dass sie als Rassisten abgestempelt wurden. Eine Doppelmoral gab es im Süden nicht. Man darf die Sklaverei aber nicht schönreden. Sie war ein Verbrechen und unverzeihlich.

    Mir war es äußerst wichtig, die Fakten möglichst genau wiederzugeben, sowohl im militärischen, als auch im zivilen Bereich. Ich wollte zeichnen, wie die Menschen im Krieg lebten, mit den Ängsten, dass geliebte Personen fallen könnten, mit Verlusten, aber auch mit schönen Stunden und mit der ersten Liebe. Dafür habe ich Romanfiguren und ihre familiären Schicksale erfunden, auch durch eigene Erlebnisse inspiriert. Um Ihnen als Leser den Überblick zu erleichtern, finden Sie dazu im Anhang ein Personenregister.

    Ich wollte auch die menschliche Seite der Kommandeure aufzeigen. In Geschichtsbüchern liest man nur die historischen Fakten. In ihren Biographien fehlt das Menschliche: Wer waren sie und warum handelten sie so, wie sie gehandelt haben? Zum Beispiel standen sich James Longstreet aus dem Süden und Ulysses S. Grant aus dem Norden monatelang auf dem Schlachtfeld gegenüber, obwohl sie eng befreundet waren. Mich bewegten auch zwei häufige Phänomene: Desertieren und Überlaufen.

    Die Dialoge des Romans stehen im historischen Kontext und sind daher aus heutiger Sicht manchmal »politically incorrect«. Diese Anschauungen geben jedoch nicht meine Meinung wieder, sondern nur die der handelnden Personen.

    Last but not least hoffe ich, dass es mir gelungen ist, eines besonders hervorzuheben: den Wahnsinn des Krieges. Viele junge Männer ziehen begeistert in den Krieg und denken an Abenteuer und Ruhm. Genau das Gegenteil ist der Fall: Das Abenteuer entpuppt sich schnell als Elend, Angst, Hunger und Verlust. Und das Töten anderer Menschen hat nichts mit Ruhm zu tun. Daher habe ich nichts auf dem Schlachtfeld beschönigt, sondern alle Grausamkeiten niedergeschrieben.

    War is hell!

    Kapitel 1

    Elisha Schmidts fuhr am 21. April 1861 mit der Kutsche zum Haus seiner Eltern in Richmond in Virginia. Vor ihm lag ein sehr schwieriges Gespräch mit seiner Mutter Charlotte. Denn vor wenigen Tagen hatten die Südstaaten ein Fort der Union, das Fort Sumter, angegriffen. Elisha war felsenfest überzeugt davon, dass dies zum Krieg zwischen den Nord- und den Südstaaten führen würde. Er und seine Schwester Marye waren in Boston, Massachusetts, geboren worden, wo die Familie einst gelebt hatte. Als seine Mutter Charlotte das Haus ihrer Eltern in Richmond geerbt hatte, zog die Familie dorthin in das zum Süden gehörenden Virginia. Elisha hatte sich aber in Virginia nie richtig wohlgefühlt. Da er in Boston aufgewachsen war, fühlte er sich mehr dem Staate Massachusetts verbunden. Jetzt stand er vor einem großen Dilemma. Virginia war am 17.4.1861 aus der Union ausgetreten, wie schon einige Südstaaten zuvor: South Carolina hatte als erster Staat am 20.12.1860 mit dem Austritt aus der Union begonnen. Das bedeutete eine klare Trennung von den Vereinigten Staaten. Jetzt gab es die Rest-Union im Norden und die Sezession im Süden. Massachusetts gehörte eindeutig zur Union.

    Was sollte Elisha machen? Nicht nur, dass er in Boston geboren wurde und deshalb Massachusetts als seine wahre Heimat ansah. Nein, auch sein bester Jugendfreund David Baker aus der Nachbarschaft in Boston würde sicher für die Union kämpfen. Elisha und David könnten niemals die Hand gegeneinander erheben! Er sah es aus allen diesen Gründen als seine Pflicht an, für die Union zu kämpfen. Das war klar. Da gab es nichts zu rütteln. Doch wie sollte er das seiner Mutter erzählen? Bis jetzt hatte er sich in der Familie nicht dazu geäußert. Seine Familie machte auch keine Anstalten, darüber zu reden. Für sie gab es die Union und die Sezession. Zwei Gruppen mit unterschiedlichen politischen Auffassungen. Mehr nicht. Doch Elisha wusste, dass da noch mehr war. Das roch nach Krieg. Seit Abraham Lincoln, der aus dem Norden stammte, im November 1860 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden war, ahnte Elisha, dass es Krieg geben würde. Erst recht, nachdem South Carolina aus der Union ausgetreten war. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm klar, dass jeglicher Wunsch, sich der Union anzuschließen, von seiner Mutter abgelehnt werden würde. Es würde sie sicher sehr verletzten, wenn er ihr sagen würde, dass er für die Union kämpfen wolle. Doch was blieb ihm anderes übrig? Sie verletzen oder sich selbst belügen und für die Sezession kämpfen? Dieses Opfer schien ihm zu groß.

    Abraham Lincoln, jetzt Präsident der Nordstaaten, hatte bereits 75.000 Freiwillige zu den Fahnen gerufen. Daher war es für Elisha offensichtlich, es war bereits Krieg. Zwei Tage nach dem Angriff der Sezession auf Fort Sumter war alles vorbei gewesen und der Süden hatte gesiegt. Warum hatten diese verdammten Südstaatler mit dem Krieg angefangen? Zum Teufel mit ihnen. Elisha hatte genug zugesehen. Jetzt war Schluss. Er wollte noch in den nächsten Tagen nach Boston reisen und sich einem Heer anschließen. Ganz gleich welchem, Hauptsache weg vom Süden, der an allem Schuld hatte.

    Der Kutscher hielt vor dem Haus der Familie Schmidts. Elisha stieg aus der Kutsche und ging ins Haus. Ihm blieben gerade zehn Minuten sich umzuziehen, bevor das Abendessen begann. Elisha eilte in sein Zimmer, zog sich um und betrat gerade noch rechtzeitig den Speisesaal. Seine Eltern August und Charlotte, und seine Geschwister Louis, Emma und Linda saßen um einen großen Tisch. Auch seine Schwester Marye und ihr Mann James waren mit ihren drei kleinen Söhnen heute Abend zu Gast. Charlotte, die alles selbst gekocht hatte, servierte allen. Die Schmidts freuten sich über das gemütliche gemeinsame Essen. Es gab als Vorspeise eine herrliche Tomatensuppe. Die liebte Elisha besonders, erinnerte sie ihn doch an seine Kindheit in Boston.

    Die Familie sprach über die Fortschritte des kleinen Phil. Er war der jüngste Sohn von Marye. Phil war zwei Jahre alt geworden und sprach schon einige Wörter richtig aus.

    »Er hat gerade das Wort ‚Nein‘ als Lieblingswort entdeckt«, sagte Marye stolz. »Bei jeder Gelegenheit sagt er nein. Soll er zum Essen kommen, sagt er nein, soll er mir beim Abwasch in der Küche helfen, sagt er nein…«

    »Nein«, jauchzte Phil fröhlich, und alle Erwachsenen lachten.

    »Du solltest ihm aber auch wichtige Worte lehren, wie zum Beispiel ‚bitte‘ oder ‚danke‘«, ermahnte Großvater August streng.

    »Nein«, rief Phil wieder. August lächelte.

    Die Stimmung war lustig und fröhlich. Jetzt kam der Hauptgang: Rinderbraten mit frischem Gemüse. Das Rezept stammte von Charlottes Mutter. Das wussten alle. Es schmeckte herrlich.

    Plötzlich kam Louis auf das seit Tagen brandaktuelle politische Thema zu sprechen:

    »Habt ihr das im Richmond Times-Dispatch gelesen? Abraham Lincoln hatte General Robert E. Lee das Kommando über die gesamte Unionsarmee angeboten. Ihr wisst ja, General Robert E. Lee stammt aus einer der nobelsten und auch ältesten Familie Virginias. Er diente uns ja schon im Mexikokrieg 1846-1848. Na, egal. General Robert E. Lee hat gestern dieses Kommando abgelehnt mit der Begründung, er könne sein Schwert nicht gegen seinen Heimatstaat erheben. Warum sollte er auch? Virginia ist unsere Heimat und auch ich bin nicht gewillt, im Heer der Union zu dienen.«

    »Louis, du bist ja, wie unsere Schwestern Emma und Linda, schon hier in Richmond geboren, Marye und ich aber noch in Boston. Was ist denn unsere wahre Heimat?«, fragte Elisha.

    »Virginia natürlich. Von hier stammt ja unsere Mutter, und mein Mann und meine Kinder sind auch hier geboren«, meinte Marye.

    »Für mich ist meine Heimat Massachusetts, in der ich geboren und aufgewachsen bin«, sagte Elisha laut.

    »Aber jetzt lebst du in Virginia. Massachusetts ist deine und unsere alte Heimat, Virginia ist jetzt unser aller neue Heimat. Du kannst doch nicht gegen unsere gemeinsame neue Heimat kämpfen wollen«, erwiderte Marye ihrem Bruder eindringlich.

    »Wer redet denn von kämpfen?«, fragte August. »Warum tut ihr denn alle gerade so, als gäbe es schon einen richtigen Krieg.«

    »Wir sind bereits im Krieg, Vater, seitdem South Carolina das Fort Sumter angegriffen hatte, in dem Unionstruppen stationiert war. Also wer nun hat den Krieg angefangen?«, schrie Elisha.

    »Elisha, ich verbitte mir so einen Ton bei Tisch. Und ich verbiete es, weiterhin über dieses Thema zu reden«, rief Charlotte und schaute Elisha böse an. Elisha hatte diesen bösen Blick seiner Mutter schon immer gefürchtet. An diesem Abend traf er Elisha noch schwerer, mitten in sein Herz.

    »Warum sollten wir nicht mehr davon reden? Das ist doch für unsere Familie ganz wichtig«, beharrte nun Louis.

    »Wenn es zum Krieg kommt und wenn Virginia kämpfen muss, dann werdet ihr alle für Virginia kämpfen. Ihr tut es für meine Vorfahren, für meine Familie und auch für mich. Ist das klar?« sagte Charlotte bestimmend. Elisha schwieg. Er wusste, dass weiterer Widerstand zwecklos war. Vielleicht würde es sich ja für ihn doch noch ergeben, für die Union kämpfen zu können. Vielleicht wird sich ja auch alles von selbst erledigen. Vielleicht wird der Krieg nur kurz dauern und die Soldaten der Vereinigten Staaten aus Massachusetts und aus Virginia würden gar nicht gegen einander kämpfen müssen.

    Das Dessert, ein köstlicher Erdbeerkuchen, wurde ohne weitere Konflikte verspeist. Die Erwachsenen wendeten sich nun wieder dem fröhlichen kleinen Phil zu, der plötzlich zur Freude des Großvaters »bitte« sagte.

    Kapitel 2

    Elishas Hoffnung, dass der Krieg nur kurz dauern würde erfüllte sich nicht. General Robert E. Lee wurde am 21.4.1861 das Kommando über die Truppen Virginias angeboten, was er auch ein paar Tage später übernahm. Elisha entschloss sich, zu kämpfen. Das gehörte zu den Pflichten des Mannes, seine Ehre und sein Land zu verteidigen. Das hatte August ihnen immer gesagt. Jetzt war es so weit. Elisha versuchte erst gar nicht, mit seiner Mutter darüber zu reden, ob er nun für den Norden kämpfen dürfte. Sie hätte es nie verstanden. Sollten doch alle denken, dass Virginia ihre neue Heimat wäre, für ihn galt das nicht.

    Elisha versuchte, mit seinem Vater noch einmal zu reden und bat ihn deswegen um einen Ausritt in die Umgebung von Richmond. August war verwundert, denn schließlich war er noch nie mit einem seiner Kinder ausgeritten. Die Kinder ritten immer nur gemeinsam oder alleine aus. Wie auch immer, August sagte Elisha zu. Während sie durch Richmond trabten sprachen sie kein Wort. Zu stark waren ihre Eindrücke auf den Straßen der Stadt. Erst kamen ihnen ein paar uniformierte junge Soldaten entgegen, kaum einer älter als Elisha. Sie hielten das Gewehr auf die Schulter gestützt. Bei manchen schien es, als wäre das Gewehr viel zu schwer für sie. Sie strahlten aber und freuten sich schon auf ihr zukünftiges Abenteuer: Krieg. Hätten sie es nur besser gewusst! Einige der jungen Damen, die ihnen entgegenkamen, winkten und kicherten. Die Jungs fühlten sich dadurch noch größer und lächelten zurück. Kinder liefen umher, kleine Buben hielten eine Holzpistole in der Hand, zielten aufeinander und drückten ab. Die Nachbarin der Schmidts, Mrs. Cloud, stand in ihrem Garten und beobachtete die kleinen Buben traurig. Sie hatte ihren Mann schon im Jahre 1847 in einer Schlacht des Mexikokriegs verloren. Das war jetzt schon vierzehn Jahre her, doch es schmerzte sie immer noch. Sie war erst fünfundvierzig Jahre alt. Ihr Mann und sie waren nur kurz verheiratet gewesen. Dennoch bekamen sie gemeinsam zwei Söhne und zwei Töchter. Ihr Sohn Ronald war jetzt siebzehn Jahre alt. Sie betete nun täglich für ihn, dass er nicht in den Krieg ziehen müsse. Sie hätte es nicht ertragen können, noch einmal einen geliebten Menschen zu verlieren. Als sie Richmond verlassen hatten, fühlte sich Elisha sicherer. Er hatte das gute Gefühl, dass seine Mutter ihn jetzt nicht mehr hören konnte. In Richmond hatte er überall gemeint, seine Mutter käme gleich um die nächste Ecke.

    »Vater, du fragst dich sicher, warum ich mit dir heute ausreiten wollte. Wir Kinder sind zuvor nie mit dir ausgeritten, sondern immer nur zusammen oder allein. Doch dieses Mal wollte ich mit dir allen sein und in aller Ruhe über alles reden«, begann Elisha die Unterhaltung.

    »Ja, gut. Was ist denn los?«, fragte August.

    »Vater, ich möchte nach Boston gehen und mich dort einer Unionsarmee anschließen.«

    »Mein Sohn, ich dachte, wir hätten das alles schon beim Abendessen geklärt?«

    »Nein, das haben wir nicht. Mutter will, dass ich für Virginia kämpfe. Aber Virginia ist gar nicht meine Heimat, Massachusetts ist doch meine richtige Heimat. Warum sollte ich denn für das mir fremde Virginia kämpfen?«

    »Na, weil deine Mutter aus Virginia kommt. Meine Familie und ich, wir hatten ja keine Verwandten in Amerika. Aber deine Mutter hat Verwandte hier in Richmond. Ich selbst wurde in Bayern in Deutschland geboren, aber Bayern ist ja nur meine ursprüngliche Heimat«.

    »Ja, doch Du musstet ja nie gegen deine deutschen Freunde kämpfen! Aber mein bester Freund in Boston ist David Baker! Was sollte ich tun, wenn David mir auf dem Schlachtfeld gegenübersteht? Ich könnte niemals abdrücken!«

    »„Und was wäre, wenn Du als Yankee Deinem Bruder Louis auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen würdest? Könntest Du dann etwa eher abdrücken?«

    »Nein, natürlich nicht«, erwiderte Elisha verzweifelt. Er war am Ende.

    »Mein lieber Sohn, ich verstehe Deine Zerrissenheit. Doch als meine Familie und ich nach Massachusetts in Amerika gingen, ließen wir unsere alte Heimat Bayern hinter uns. Wir blickten daher nie zurück, sondern immer nur nach vorne. Wenn du nur nach hinten blickst, dann verpasst du, was heute passiert. Nur was vor dir liegt, ist entscheidend, nicht das, was hinter dir liegt. Massachusetts kann deine Heimat bleiben, doch sie liegt nun hinter uns. Virginia liegt vor uns, vor dir. Das ist, was zählt.«

    »Vater, das ist wohl eine richtige Lebensweisheit! Aber für mich gilt das nicht. Ich fühle mich Virginia nicht verbunden. Wie kann ich für einen Staat kämpfen, wenn ich mich ihm nicht verbunden fühle? Kann ich gegen denjenigen Staat kämpfen, dem ich mich so verbunden fühle?«

    »Noch ist nicht gesagt, dass es zu einem richtigen Krieg kommt. Die Mehrheit spricht von einem neunzig Tage Krieg. In dieser Zeitspanne wirst du schon nicht kämpfen müssen.«

    »Ja, Vater, könnte sein. Und wenn doch?«

    »Ich habe euch Kindern stets gesagt: folgt eurem Herzen. Doch das kann ich diesmal nicht, da ich deine Mutter nicht verletzen will. Ich flehe dich an, wenn es zum Krieg kommt, kämpfe für Virginia! Tue es für deine Mutter und für ihre Familie. Krieg bedeutet Leid, viel Leid. Wenn Du für die Nordstaaten kämpfen würdest, dann könntest Du nie mehr nach Virginia zurück! Willst du deiner Mutter dieses schreckliche Leid denn wirklich zufügen?«

    »Nein, Vater, nein! Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Ja, ja, du hast ja recht. Ich werde also für Virginia kämpfen. Doch ich tue es nur für meine Mutter, für unsere Familie, aber nicht für mich und nicht von Herzen.«

    »Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich weiß dieses große Opfer sehr zu schätzen! Aber eines Tages wirst du bestimmt begreifen, dass du dich heute richtig entschieden hast.«

    Ein paar Tage später, am 1. Mai 1861, verließen Elisha und Louis ihr Elternhaus. Ihre Mutter weinte still, während die zwei sich von der Familie verabschiedeten.

    »Passt auf euch auf und kämpft mit Stolz und in Ehren für Virginia. Kommt mir gesund zurück, wenn der Krieg vorbei ist«, sagte Charlotte und küsste sie auf die Stirne. Das hatte sie bei den Kindern immer gemacht, als sie noch sehr klein waren. Sie hatte Elisha zuletzt so geküsst, als er elf Jahre alt gewesen war. Er hatte nie verstanden, warum sie plötzlich damit aufgehört hatte, und darum fragte er sich, warum sie es gerade jetzt wieder getan hatte. Dann ritten die beiden davon.

    Elisha wurde als Infanterist unter das Kommando von General Joseph Eggleston Johnson gestellt, Louis, ein brillanter Reiter, jedoch der Kavallerie unter dem Kommando von Colonel J.E.B. Stuart zugeteilt.

    Kapitel 3

    Nachdem General Robert E. Lee aus der Unionsarmee ausgeschieden war, herrschte auch in der Familie Calvert Kriegsstimmung. Tom, der Älteste, diente schon länger in der US-Kavallerie. Schon in West Point war er wegen seiner herausragenden Reitkünste aufgefallen. Jetzt wurde er zum 1. Kavallerie Regiment beordert, genauso wie sein jüngerer Bruder Robert, auch ein ausgezeichneter Reiter, der sofort als Rekrut aufgenommen wurde. Robert hatte extra sein Studium der Rechtswissenschaften in Harvard unterbrochen, um nach einem kurzen Aufenthalt bei seiner Familie mit seinen Brüdern in den Krieg zu ziehen. Auch Oliver, der Mittlere der Brüder, hatte sich entschlossen, den beiden in die Armee zu folgen, da nach seinem eben beendeten Studium der Politikwissenschaften in Harvard seine Bewerbung als Sekretär des Bürgermeisters erfolglos geblieben war.

    Als Tom erfahren hatte, dass sein Kommandeur J.E.B Stuart sein würde, war er überglücklich gewesen. Denn J.E.B Stuart war sein Klassenkamerad und auch bester Freund in West Point gewesen. Er war angenehm überrascht, dass sein bester Freund nun sein zukünftiger Befehlshaber sein würde. Beides sollte er für immer bleiben! Und auf seinen kleinen Bruder Robert konnte er zusätzlich auch noch aufpassen, obwohl dem das sicher nicht gefiel. Als die Brüder ihre Stellungsbefehle erhielten, waren sie alle mächtig stolz, »endlich den Blue Bellies eins über die Rübe ziehen zu können«, um es mit den Worten von Robert auszudrücken. Bevor sie in den Krieg zogen, veranstalteten ihre Eltern ein Dinner mit vielen Familienmitgliedern. Auch die Brüder von Jane Calvert waren anwesend: Jonathan Hill mit seinem Sohn Joseph sowie Andrew Hill mit seiner Tochter Jessica. Sie bewunderte die Uniformen der drei Calvert--Brüder, ihrer Cousins. Besonders Toms Offiziersabzeichen hatten es ihr angetan. Robert bemerkte das. Er

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