Bilder stehen zwischen uns und der Realität. Es kommt also auf uns an, was wir als Realität wahrnehmen, die stellvertretend durch diese Bilder über uns kommt. Vielleicht sollten wir ihnen tatsächlich nicht glauben? Glauben wir ihnen, müssen wir zugeben, dass sich die Welt unwiderruflich verändert hat. Es ist nun eine Welt, in der es geschehen konnte, was diese Bilder zeigen. Auch wir die Betrachtenden, unterstehen dem Zwang der Veränderung“, dieser Text von Tanja Maljartschuk erschien am 29. April im österreichischen Standard. Es ist der Tag, bevor der ukrainischen Schriftstellerin im festlichen Ambiente des Ahlbecker Hofs der Usedomer Literaturpreis 2022 überreicht wird. Texte wie diesen über die brutalen Kriegsbilder, die ihr täglich die Zerstörung ihrer Heimat vor Augen führen, schreibt Maljartschuk seit Kriegsbeginn für deutschsprachige Medien. Sie kommentiert, diskutiert und liest auf Solidaritätsveranstaltungen, gibt Interviews im Radio und Fernsehen. Unermüdlich und bis zur völligen Erschöpfung ist sie eine Botschafterin und Netzwerkerin zwischen den Kulturen – zwischen ihrer Heimat und ihrer Wahlheimat, in deren Sprache sie ebenso zu Hause ist.
Am Vorabend der Preisverleihung sitzt Tanja Maljartschuk in den Kaisersälen im Publikum der Lesung von Olga Tokarczuk, der diesjährigen Juryvorsitzenden. Es ist die Premierenlesung der deutschen Neuübersetzung von „Anna In – Aus den Katakomben der Welt“, ein Roman, den Tokarczuk 2006 geschrieben hat, und den sie im Angesicht der aktuellen Weltlage mit Manfred Osten diskutiert. Denn Tokarczuks Nacherzählung des sumerischen Urmythos „Inanna“ aus dem alle folgenden Erzählungen der Menschheit entstanden sind, ist zeitlos aktuell. Als Manfred Osten eine Stelle