Wer bist Du, Christina?: Der kleine Fürst 155 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
»Noch einmal fünf Millionen Euro für die Geisel, dann ist sie frei«, sagte die unnatürlich klingende Stimme, die von den Abhörspezialisten der Polizei aufgenommen worden war. »Sie wird in den nächsten Tagen selbst anrufen und alles Weitere durchgeben.«
Es klickte, die Stimme verstummte. Der Beamte schaltete die Aufnahme aus, sie war keine zehn Sekunden lang gewesen. Es wurde sehr still in dem kleinen Salon von Schloss Sternberg. Der schlimmste Albtraum der Schlossbewohner war Wirklichkeit geworden: Eberhard Hagedorn, der allseits hochgeschätzte langjährige Butler auf Sternberg, war einige Wochen zuvor entführt worden, hätte aber nach Zahlung von fünf Millionen Euro freigelassen werden sollen. Die Entführer hatten es geschafft, das Geld an sich zu bringen, doch Eberhard Hagedorn befand sich noch immer in ihrer Gewalt. Sie hatten ihren Teil der Abmachung nicht eingehalten, nun forderten sie die bereits gezahlte Summe noch einmal.
Natürlich hatten sie verlangt, dass keine Polizei eingeschaltet würde, doch Baron Friedrich von Kant, das Oberhaupt der Familie, hatte nicht eine Sekunde erwogen, diese Forderung zu erfüllen. Nach außen hin freilich spielte die Familie mit: Offiziell wurde Eberhard Hagedorn lediglich vermisst, das Wort ›Entführung‹ nahm niemand in den Mund. Es war lediglich eine Vermisstenanzeige veröffentlicht worden, mit der Bitte um Hinweise aus der Bevölkerung.
Baron Friedrich, ein großer, schlanker Mann mit dichten braunen Haaren und gut geschnittenen Gesichtszügen, warf seiner Frau, Baronin Sofia, einen besorgten Blick zu. Sie war lange krank gewesen und begann erst jetzt, sich zu erholen. Natürlich war Aufregung Gift für sie, doch wie sollte er sie von ihr fernhalten? Die
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Buchvorschau
Wer bist Du, Christina? - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 155–
Wer bist Du, Christina?
Eine schöne Frau löst Angst und Hoffnung aus
Viola Maybach
»Noch einmal fünf Millionen Euro für die Geisel, dann ist sie frei«, sagte die unnatürlich klingende Stimme, die von den Abhörspezialisten der Polizei aufgenommen worden war. »Sie wird in den nächsten Tagen selbst anrufen und alles Weitere durchgeben.«
Es klickte, die Stimme verstummte. Der Beamte schaltete die Aufnahme aus, sie war keine zehn Sekunden lang gewesen. Es wurde sehr still in dem kleinen Salon von Schloss Sternberg. Der schlimmste Albtraum der Schlossbewohner war Wirklichkeit geworden: Eberhard Hagedorn, der allseits hochgeschätzte langjährige Butler auf Sternberg, war einige Wochen zuvor entführt worden, hätte aber nach Zahlung von fünf Millionen Euro freigelassen werden sollen. Die Entführer hatten es geschafft, das Geld an sich zu bringen, doch Eberhard Hagedorn befand sich noch immer in ihrer Gewalt. Sie hatten ihren Teil der Abmachung nicht eingehalten, nun forderten sie die bereits gezahlte Summe noch einmal.
Natürlich hatten sie verlangt, dass keine Polizei eingeschaltet würde, doch Baron Friedrich von Kant, das Oberhaupt der Familie, hatte nicht eine Sekunde erwogen, diese Forderung zu erfüllen. Nach außen hin freilich spielte die Familie mit: Offiziell wurde Eberhard Hagedorn lediglich vermisst, das Wort ›Entführung‹ nahm niemand in den Mund. Es war lediglich eine Vermisstenanzeige veröffentlicht worden, mit der Bitte um Hinweise aus der Bevölkerung.
Baron Friedrich, ein großer, schlanker Mann mit dichten braunen Haaren und gut geschnittenen Gesichtszügen, warf seiner Frau, Baronin Sofia, einen besorgten Blick zu. Sie war lange krank gewesen und begann erst jetzt, sich zu erholen. Natürlich war Aufregung Gift für sie, doch wie sollte er sie von ihr fernhalten? Die Entführung Eberhard Hagedorns belastete sie alle.
Sein Blick wanderte weiter zu seiner Tochter Anna, die dreizehn Jahre alt war und das hübsche Gesicht und die blonden Locken ihrer Mutter geerbt hatte. Friedrichs Blick wurde weich. Anna war ein wunderbares Mädchen, klug, neugierig, schlagfertig. Neben ihr saß Konrad, ihr drei Jahre älterer Bruder. Konrad war auch blond, aber sonst sah er aus wie sein Vater. Er hatte seinen Eltern mehr Kummer gemacht als Anna, hatte sich die falschen Freunde ausgesucht, viel getrunken, sogar Drogen hatte er einmal genommen. Und dauernd war er mit Anna in Streit geraten. Aber diese Zeiten waren mit einem Schlag Vergangenheit gewesen.
Die Gedanken des Barons stockten, sein Blick wanderte weiter zu Christian von Sternberg. Der Junge war fünfzehn Jahre alt und bereits Vollwaise, denn er hatte im vergangenen Jahr seine Eltern bei einem tragischen Hubschrauberabsturz verloren, Fürstin Elisabeth und Fürst Leopold von Sternberg. Das war die Wende gewesen, wurde ihm jetzt bewusst. Seit jenem Unglückstag hatte Konrad das Interesse daran verloren, in der Familie den Rebellen zu geben. Im Gegenteil: Er hatte sich eng an Anna und Christian, die sich schon immer gut verstanden hatten, angeschlossen. Die drei waren seit der Tragödie ein Herz und eine Seele.
Christian war Sofias Neffe: Seine Mutter und Sofia waren Schwestern gewesen. Nicht nur Schwestern, dachte der Baron, sie waren auch sehr, sehr enge Freundinnen.
Die Kants waren auf Bitten von Elisabeth und Leopold schon vor Jahren nach Sternberg gezogen, damit Christian, von dem sie damals bereits wussten, dass er ein Einzelkind bleiben würde, in der Gesellschaft anderer Kinder aufwachsen konnte. Sie hatten ihre Entscheidung nie bereut: Die Kinder waren unbeschwert zusammen groß geworden, die Erwachsenen hatten ihr Zusammensein ebenfalls genossen.
Unwillkürlich lächelte der Baron, als er an diese glücklichen Zeiten dachte. Ja, es waren wundervolle Jahre gewesen, jäh beendet durch das Hubschrauberunglück. Seitdem war Christian stiller und ernster geworden, viel reifer als andere Fünfzehnjährige. Er war groß und sehr schmal, die dunklen Haare trug er ziemlich lang. Sah man ihm in die Augen, erkannte man sofort, dass er trotz seiner Jugend bereits wusste, was Leid war. Dennoch hielt er sich tapfer, er verzweifelte nicht am Leben und hatte seinen ganz eigenen Weg gefunden, den Verlust seiner Eltern zu bewältigen. Er war nach dem Unfall vom Ostflügel des Schlosses zu den Kants in den Westflügel gezogen und nun, gewissermaßen, ihr drittes Kind.
Vielleicht, sinnierte Friedrich weiter, hätten sie es geschafft, wieder ein einigermaßen normales Leben zu führen, wenn nicht ein weiteres Unglück die Familie getroffen hätte. Kein Unfall dieses Mal, aber doch etwas, das sich als ebenso zerstörerisch erwiesen hatte: Die sogenannte ›Sternberger Affäre‹. Eine Frau namens Corinna Roeder hatte behauptet, der im vergangenen Jahr verstorbene Fürst sei der Vater ihres mittlerweile siebzehnjährigen Sohnes Sebastian. Kurz schloss Friedrich die Augen. Nein, daran wollte er jetzt nicht denken. Es war eine Lüge gewesen, die Sache war mehr oder weniger ausgestanden. Aber ihn schauderte allein bei der Erinnerung an die Monate, in denen die Presse jeden Tag mit einer neuen Schlagzeile zur ›Affäre‹ aufgemacht hatte. ›War Fürst Leopold ein Lügner und Betrüger?‹ war noch eine der freundlicheren gewesen.
»Papa?« Es war Annas Stimme, die ihn aus seinen Gedanken riss.
»Entschuldige, Anna. Was hast du gesagt?«
»Ich will wissen, was wir jetzt tun? Für Herrn Hagedorn, meine ich.«
Ja, dachte der Baron müde, Herr Hagedorn … Um ihn ging es jetzt ja schließlich. Die Entführung des Butlers war dann das dritte Unglück gewesen. Oder eigentlich schon das vierte, denn vorher hatte Sofia ihren Zusammenbruch erlitten, weil ihr die nervliche Belastung einfach zu viel geworden war.
Es war Christian, der jetzt zur allgemeinen Verwunderung das Wort ergriff. Normalerweise hörte er erst einmal zu, es war fast immer Anna, die vorpreschte, weil sie ungeduldig war und ihr Temperament häufig nicht zügeln konnte.
»Wir müssen das Geld bezahlen«, sagte der Junge mit klarer Stimme. In der Bevölkerung hieß Christian nur ›der kleine Fürst‹ – diesen Namen hatte er als Zweijähriger bekommen, als Leopold, ganz stolzer Vater, seinen winzigen Sohn bereits mit auf seine Reisen genommen hatte. ›Der große und der kleine Fürst‹, waren sie damals genannt worden, und dabei war es geblieben. Jetzt freilich gab es nur noch den kleinen Fürsten.
»Finde ich auch«, sagte Anna schnell, während sich Konrad mit einem Nicken begnügte.
»Aber es gibt keinerlei Garantie«, wandte die Baronin ein, »dass sie Herrn Hagedorn nach der zweiten Zahlung freilassen. Ich finde, wir sollten warten, bis der Kriminalrat hier ist und uns seine Meinung dazu anhören.«
Die beiden Polizeibeamten, die ihnen die Aufnahme vorgespielt hatten, waren in der Zwischenzeit hinausgegangen, um ihre internen Beratungen nicht zu stören. Sie hatten sich bereits vor Wochen in diesem abgelegenen Salon einquartiert, als klar geworden war, dass man Eberhard Hagedorn entführt hatte. Doch bisher war jeder Versuch, die Entführer zu orten, gescheitert, zumal sie andere Wege der Kontaktaufnahme gefunden hatten, zum Beispiel durch einen Brief, den Eberhard Hagedorn auf ihr Geheiß hatte schreiben müssen.
Kriminalrat Volkmar Overbeck leitete die Ermittlungen im ›Fall Hagedorn‹. Mit den Sternbergern hatte er schon oft zu tun gehabt, sie vertrauten ihm. Diese Entführung jedoch stürzte ihn in eine tiefe Krise: Das Lösegeld, so hatten es die Entführer bei der ersten