Mami 1818 – Familienroman: Johannes, das Pflegekind
Von Annette Mansdorf
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"Guten Morgen, Marion. Ich habe Brötchen geholt, willst du?"
"Dann komm doch gleich rein und frühstücke mit mir."
Kristin tat gar nicht erst so, als habe sie nicht genau diese Einladung bezweckt. Sie betrat den Flur der Nachbarwohnung und folgte Marion in die Küche.
"Na, wie war es gestern abend? Hast du den tollen Mann wiedergetroffen?"
"Ja, allerdings."
Kristin verzog das Gesicht. Es war nicht ganz so gelaufen, wie sie erwartet hatte.
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Mami 1818 – Familienroman - Annette Mansdorf
Mami –1818–
Johannes, das Pflegekind
Roman von Annette Mansdorf
»Guten Morgen, Marion. Ich habe Brötchen geholt, willst du?«
»Dann komm doch gleich rein und frühstücke mit mir.«
Kristin tat gar nicht erst so, als habe sie nicht genau diese Einladung bezweckt. Sie betrat den Flur der Nachbarwohnung und folgte Marion in die Küche.
»Na, wie war es gestern abend? Hast du den tollen Mann wiedergetroffen?«
»Ja, allerdings.«
Kristin verzog das Gesicht. Es war nicht ganz so gelaufen, wie sie erwartet hatte.
»Hat er nicht angebissen?«
»Nein, er war mit einer anderen da. Die hat ihn gehütet wie ihren Augapfel. Keine Chance. Abgesehen davon, wenn die sein Typ ist, habe ich sowieso keine guten Karten.«
»Wieso? Wie sah sie denn aus?«
Kristin hielt ihre Hände gut zwanzig Zentimeter vor ihren Busen.
»So sah sie aus. Dolly Buster ist nichts dagegen.«
»O Gott. Dann gehört er wohl zu den Männern, die besser sehen als denken können. Vergiß ihn.«
»Schon geschehen. Soll ich den Tisch decken?«
»Mach ruhig. Ich muß Johannes aus dem Bett fischen. Wenn er jetzt so lange schläft, bekomme ich ihn mittags nicht ins Bett.«
Marion ging hinaus. Kristin öffnete den Kühlschrank und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Wenn ihr Kühlschrank je so gut bestückt wäre… Irgendwie vergaß sie immer einzukaufen. Das war allerdings nicht weiter schlimm, denn sie mußte ja auch niemanden versorgen. Das Single-Leben hatte seine Vor- und Nachteile.
Marion und sie waren erst seit einem guten Vierteljahr Nachbarinnen. Kristin hatte hier eine kleine Buchhandlung übernehmen können, aber die Fahrt von dem kleineren Ort außerhalb von Hamburg hierher war einfach zu weit, um sie jeden Tag anzutreten. Mit viel Glück hatte sie die hübsche Neubauwohnung neben Marion bekommen und sich fast sofort mit ihrer Nachbarin angefreundet. Sie waren im gleichen Alter, nämlich sechsundzwanzig, aber damit hörten auch schon alle Ähnlichkeiten auf.
Während Marion dunkle lange Haare hatte und zu ihrem Kummer ein bißchen mollig war, fand sich Kristin fast zu zierlich bei ihrer Größe. Ihre Haare gefielen ihr allerdings gut, sie waren rotblond und von Natur aus lockig. Sie hatte viel Temperament und fuhr sich manchmal mit den Fingern durch das Haar, wenn sie etwas erklärte oder ungeduldig war. Bei dieser Frisur sah es trotzdem gut aus. In der Buchhandlung konnte sie schließlich nicht herumlaufen, als sei ihr Fön explodiert.
Der Tisch war fertig gedeckt, der Kaffee lief durch und in der Pfanne brutzelten Eier und Speck, als Marion mit dem zweijährigen Johannes auf dem Arm wieder zurückkam.
Kaum hatte er Kristin gesehen, streckte er die Arme aus. »Titin!«
»Guten Morgen, mein Schatz. Na, hast du du gut geschlafen?«
»Auch das.« Er deutete auf die Eier in der Pfanne. Das würde wieder eine Diskussion geben. Marion achtete streng darauf, daß Johannes nur das bekam, was für ihn richtig und gesund war. Meistens war es nicht so, was Johannes wollte.
»Nein, Johannes, das ist nichts für dich. Du bekommst dein Müsli. Hmm, das schmeckt lecker.«
Johannes sah das ganz anders. Kaum saß er in seinem Hochstühlchen und hielt den Löffel in der Hand, forderte er noch energischer Eier mit Schinken.
»Da, haben!«
Sein dicker Finger bohrte sich in den Bauch seiner Mutter, die zwischen ihm und dem begehrten Objekt stand, so daß er es nur riechen, aber nicht sehen konnte. Sie schüttelte den Kopf und stellte die Schüssel mit dem fein geschroteten Müsli vor ihn hin. Kaum war die Milch dazugefüllt, haute Johannes mit dem Löffel hinein, daß es spritzte.
»Johannes! Du gehst gleich wieder ins Bett, wenn du so ungezogen bist.«
»Und wenn wir ihm ein kleines bißchen geben? Nur, daß er den Geschmack hat? Vielleicht ist er dann zufrieden«, schlug Kristin zögernd vor.
Sie wußte, daß solche Ratschläge von Müttern nur sehr ungern gesehen wurden. Ihre Schwester Sabina hatte drei Kinder und fuhr Kristin jedesmal über den Mund, wenn sie einen Vorschlag zur Güte machte.
»Was ist das für eine Erziehung, wenn man ständig nachgibt, weil man den Konflikt nicht aushält?« fragte Marion streng.
»Na, ich würde sagen, es ist ein bißchen entspannender für beide. Ich wette, Johannes muß noch nicht auf Cholesterinwerte achten…«
Sie hoffte, daß Marion lächeln würde, aber statt dessen verzog ihre Freundin das Gesicht und sah einen Moment ziemlich ärgerlich aus.
Kristin nahm sich vor, ihr nicht mehr hineinzureden. Von einem entspannenden Frühstück könnte jetzt zwar keine Rede sein, da Johannes nun brüllte und seine Müslischale an den äußersten Rand des kleines Tischchens vor sich schob, während seine Mutter sich mit verbissenem Gesicht bemühte, ihr Ei und den Schinken schmackhaft zu finden und sein Schreien auszublenden, aber was hatte sie erwartet? Es war letzten Sonntag dasselbe gewesen.
Vielleicht mußte Marion einfach mehr raus. Sie konnte nicht mehr ausgehen, seit es Johannes gab, weil sie zu den sogenannten alleinerziehenden Müttern gehörte und auch niemanden hatte, der Johannes am Freitag oder Sonnabend mal zu sich nahm, damit sie ins Kino, essen gehen oder einfach einmal allein sein konnte. Kristin hatte es ihr bereits mehrere Male angeboten, aber sie hatte den Eindruck, daß Marion ihr Johannes nicht anvertrauen wollte. Wahrscheinlich befürchtete Marion, daß er dann jede Menge Eier, Schinken und Schokolade zu essen bekäme. Schokolade war nämlich ein absolutes Tabu.
An eine Unterhaltung war nütürlich nicht zu denken, solange Johannes schrie. Kristin bewunderte Marions Geduld. Sie hätte ihm bereits ihren Teller hingestellt, nur damit er endlich still war. Am besten, sie schaffte sich vorsichtigshalber keine Kinder an. Für die Arterhaltung hatte ihre Schwester mit den drei Kindern ja eigentlich auch schon gesorgt, soweit es ihre Familie betraf. Außerdem liebte Kristin ihren Beruf über alles. Wenn sie von den Büchern umgeben mit Kunden sprach, gab es nichts, was ihr fehlte. Saß sie dann abends zu Hause, fiel ihr allerdings schon das eine oder andere ein. Sie hatte eine kurze, feste Partnerschaft hinter sich. Zwei Jahre war sie auf Zehenspitzen gegangen, um das mimosenhafte Wesen ihres Freundes nicht zu belasten, indem sie unüberlegte Worte von sich gab. Dann war sie schließlich so mit den Nerven fertig gewesen, daß eine Kleinigkeit genügt hatte, um ihn zum Ex-Freund werden zu lassen. Den Abend würde sie nie vergessen. Jens hatte sich hinter seinen Computer verschanzt wie jeden Abend, während sie den Abwasch machte. Als das Telefon klingelte, war es einer seiner Computerfreunde gewesen. Eine geschlagene Stunde hatte er am Telefon gesessen, vor sich den Bildschirm, und pausenlos gequatscht und gelacht. Eigentlich hatten sie zusammen einen Film sehen wollen, aber Kristin wußte, wenn sie ihn daran erinnern würde, wäre er sofort wieder auf hundertachtzig und hätte behauptet, sie gönne ihm seine Freunde nicht. Also hatte sie allein geschaut und allein gekocht – vor Wut.
Er hatte das Gespräch schließlich beendet und war fünf Minuten später in der Tür erschienen.
»Ich gehe noch mal zu Björn. Er hat da ein kleines Problem mit dem Computer.«
Plötzlich hatte Kristin ihre Situation glasklar gesehen. Jens lebte sein Leben, wie es ihm