Mami 1753 – Familienroman: Lisas Unfall
Von Annette Mansdorf
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"Guten Morgen, Frau Rolfsen. Wie geht es Ihrer Tochter heute?" Gaby quälte sich ein Lächeln ab. Die Bäckersfrau meinte es gut, aber die ständigen Fragen nach Lisa brachten sie stets in den Zwang, sich die schlimme Lage ihrer Tochter ständig in Erinnerung rufen zu müssen. "Noch nicht viel besser." "Das wird bestimmt wieder, Frau Rolfsen. Kinder haben doch eine viel größere Fähigkeit, wieder gesund zu werden als wir. Nehmen Sie ihr doch ein Stück Kuchen mit, und sagen Sie ihr, daß es von mir ist." Es hätte keinen Sinn, darauf hinzuweisen, daß Lisa den Kuchen nicht würde essen können. Sie lag noch immer im Koma. Aber das schien Frau Meister nicht zu begreifen. Gaby erschien es einfacher, nicht zu widersprechen und sich den Kuchen einpacken zu lassen. Sie könnte ihn einem anderen Kind schenken. Zwei Wochen war es jetzt her, daß Lisa den schrecklichen Unfall gehabt hatte. Sie war bei Grün über die Straße gegangen, das war bewiesen, und von einem abbiegenden Auto erfaßt worden. Bisher hatte Gaby noch nicht die Kraft gehabt, dem Unglücksfahrer gegenüberzutreten, obwohl er über einen Anwalt schon mehrere Male versucht hatte, sie zu erreichen. Was sollte sie ihm sagen? Ihm verzeihen? Sie wußte ja, daß er Lisa nicht absichtlich überfahren hatte. Wer täte einem fünfjährigen Kind so etwas an? Nein, irgendwann würde sie ihm gegenüberstehen müssen, doch jetzt war der Zeitpunkt noch nicht gekommen. Alles war auch so schwer genug. Jeden Tag saß sie viele Stunden neben ihrer Tochter auf der Wachstation und streichelte das blasse Gesicht.
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Mami 1753 – Familienroman - Annette Mansdorf
Mami -1753-
Lisas Unfall
Roman von Annette Mansdorf
»Guten Morgen, Frau Rolfsen. Wie geht es Ihrer Tochter heute?«
Gaby quälte sich ein Lächeln ab. Die Bäckersfrau meinte es gut, aber die ständigen Fragen nach Lisa brachten sie stets in den Zwang, sich die schlimme Lage ihrer Tochter ständig in Erinnerung rufen zu müssen.
»Noch nicht viel besser.«
»Das wird bestimmt wieder, Frau Rolfsen. Kinder haben doch eine viel größere Fähigkeit, wieder gesund zu werden als wir. Nehmen Sie ihr doch ein Stück Kuchen mit, und sagen Sie ihr, daß es von mir ist.«
Es hätte keinen Sinn, darauf hinzuweisen, daß Lisa den Kuchen nicht würde essen können. Sie lag noch immer im Koma. Aber das schien Frau Meister nicht zu begreifen. Gaby erschien es einfacher, nicht zu widersprechen und sich den Kuchen einpacken zu lassen. Sie könnte ihn einem anderen Kind schenken.
Zwei Wochen war es jetzt her, daß Lisa den schrecklichen Unfall gehabt hatte. Sie war bei Grün über die Straße gegangen, das war bewiesen, und von einem abbiegenden Auto erfaßt worden. Bisher hatte Gaby noch nicht die Kraft gehabt, dem Unglücksfahrer gegenüberzutreten, obwohl er über einen Anwalt schon mehrere Male versucht hatte, sie zu erreichen.
Was sollte sie ihm sagen? Ihm verzeihen? Sie wußte ja, daß er Lisa nicht absichtlich überfahren hatte. Wer täte einem fünfjährigen Kind so etwas an?
Nein, irgendwann würde sie ihm gegenüberstehen müssen, doch jetzt war der Zeitpunkt noch nicht gekommen. Alles war auch so schwer genug. Jeden Tag saß sie viele Stunden neben ihrer Tochter auf der Wachstation und streichelte das blasse Gesicht. Lisa sah aus, als schliefe sie friedlich, doch die Maschinen, die sie am Leben erhielten, waren nicht zu übersehen.
Man hatte Gaby im Krankenhaus klargemacht, wie wichtig die tägliche Ansprache für ihre Tochter war. Auch wenn sie scheinbar nicht reagierte, nähme sie doch Reize auf. Und daß sie eines Tages vielleicht wieder aufwachen und gesund werden würde, stand auch nicht außerhalb aller Möglichkeiten. Aber sie würde Geduld haben müssen…
Gaby hatte sofort unbezahlten Urlaub nehmen wollen. Ihr Chef war sehr großzügig gewesen. Erst einmal konnte sie ihren kompletten Jahresurlaub bekommen, später würde man dann weitersehen, hatte er ihr gesagt. Das waren immerhin fünf Wochen, in denen sie keine finanzielle Einbuße haben würde. Das spielte jetzt zwar keine Rolle für Gaby, aber letztendlich mußten sie und ihre Tochter ja von ihrem Verdienst leben. Das Geld, das Lisas Vater, Gabys geschiedener Mann, für seine Tochter überwies, war nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Immer, wenn sie an Markus dachte, packte Gaby die Wut. Er wußte noch gar nichts von dem Unfall seiner Tochter. Mit seiner neuen Freundin gondelte er irgendwo durch die Weltgeschichte, ohne eine Adresse hinterlassen zu haben. Erst in einer Woche würde er wieder zurück sein. Dabei wäre es für Lisa so wichtig, auch ihn an ihrem Bett zu haben. Sie könnten sich ablösen…
Es nützte nichts, sich damit jetzt das Herz noch schwerer zu machen. Gaby bemühte sich, wieder ruhig zu werden und setzte ihre Einkäufe fort. Sie wollte heute erst um elf ins Krankenhaus fahren. Die Schwester wußte Bescheid.
Als Gaby nach Hause kam, leuchtete das Lämpchen des Anrufbeantworters. Mit zitternden Fingern schaltete sie die Wiedergabe ein. Sie hatte immer Angst, daß man ihr aus dem Krankenhaus eine schlimme Nachricht mitteilen könnte, dabei war Lisa nach Aussage der Ärzte gar nicht mehr in Lebensgefahr.
Die Angst saß Gaby tief in den Knochen. Es würde wohl lange dauern, bis sie sie wieder verlor. In den ersten Tagen nach dem Unfall hatte sie überhaupt nicht schlafen können.
»Hallo, Gaby, hier Thea. Ich bin zurück aus der großen weiten Welt und würde dich gern sehen. Hast du Zeit und Lust? Dann ruf mich doch bitte an.«
Gaby kamen die Tränen, als sie die fröhliche Stimme ihrer Freundin Thea Marquard hörte. Auch sie wußte noch nichts. Thea war Pilotin und flog eine Linienmaschine auf Langstreckenflügen. Auch Gaby arbeitete im Flughafen, und zwar als Chefsekretärin.
Thea hatte einen Flug nach Amerika mit einem Urlaub in Florida verbunden und war jetzt also wieder zurück.
Sollte sie gleich anrufen? Nein, lieber wollte sie erst ihre Einkäufe verstauen und sich ein wenig frischmachen, um nach dem Gespräch gleich ins Krankenhaus fahren zu können. Gaby wußte jetzt schon, daß Thea ihren Besuch auch anbieten würde. Vielleicht half es Lisa, wenn ihre geliebte Tante Thea mit ihr sprach.
Eine Viertelstunde später wählte Gaby die Nummer. Sie hoffte, daß sie nicht wieder in Tränen ausbrechen würde. Das machte es auch nicht besser. Sie hatte schon soviel geweint, ein Wunder, daß sie überhaupt noch Tränen hatte.
»Thea Marquard.«
»Hier spricht Gaby, Thea.«
»Gaby! Ich freue mich, daß du gleich zurückrufst. Wie geht es euch denn? Mein Urlaub war ein Traum, kann ich dir sagen. Wir müssen uns unbedingt sehen, damit ich dir davon erzählen kann. Ich habe natürlich auch einen aufregenden Mann…«
»Thea, Lisa liegt im Krankenhaus«, unterbrach Gaby ihre Freundin, weil sie die fröhliche Stimme einfach nicht mehr ertragen konnte.
»Wie? Was ist los? Lisa ist im Krankenhaus? Was hat sie denn?«
»Sie… hatte einen schrecklichen Unfall. Ein junger Mann hat sie angefahren. Sie liegt im… Koma.«
»Oh… mein Gott…«, stöhnte Thea entsetzt auf.
»Seit vierzehn Tagen schon. Die Ärzte meinen, sie könnte bald aufwachen. Sie hatte eine Gehirnblutung und ist operiert worden. Das Gehirn ist Gott sei Dank nicht geschädigt worden. Ich meine so, daß es nicht mehr rückgängig zu machen ist.«
»Ich… weiß gar nicht, was ich sagen soll, Gaby. Es tut mir ja so schrecklich leid.«
»Danke, ich weiß. Jedenfalls habe ich kaum Zeit, dich zu sehen, das verstehst du hoffentlich, oder? Ich bin jeden Tag stundenlang im Krankenhaus.«
»Ich werde auch kommen und dich mal ablösen. Sag mir, wo Lisa liegt.«
»In der Uni-Klinik, auf der Kinderstation. Ich fahre nachher hin.«
»Dann komme ich auch dorthin. Oh, Gaby, wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag es mir bitte. Was sagt denn Markus dazu?«
»Ach, der! Der weiß von nichts. Er ist mit seiner Freundin in Urlaub und hat keine Adresse hinterlassen. Sie sind noch eine Woche weg.«
»Na ja…, das kann er ja nicht ahnen, oder…«, sagte Thea vorsichtig.
»Nein, natürlich nicht. Ich weiß.«
»Also, ich bin jetzt erst einmal fünf Tage hier. Ich werde auch jeden Tag zu Lisa gehen, damit du mal Pause machen kannst. Einverstanden?«
»Darüber sprechen wir, wenn wir uns sehen. Ich fahre gleich los. Es tut mir leid, daß ich im Moment kein Ohr für deine Erlebnisse im Urlaub habe. Vielleicht erzählst du mir nachher davon.«
»Das ist doch klar, Gaby. Ich bin ganz sicher nicht böse. Bis gleich.«
Gaby legte den Hörer auf. Sie fühlte sich nicht mehr ganz so allein.
Bevor sie losgehen konnte, klingelte ihre Nachbarin noch an der Tür. Sie betreute Lisa normalerweise am Nachmittag, wenn Gaby noch arbeiten mußte. Ihre Tochter Marie-Luise war so alt wie Lisa. Die beiden waren die engsten Freundinnen. An dem Unglückstag war Marie-Luise krank gewesen und hatte nicht in den Kindergarten gehen können. Vielleicht wäre ihr sonst auch etwas passiert…
»Hallo, Gaby. Ich wollte nur fragen, ob es etwas Neues von Lisa gibt.«
»Nein,