Hoffnung für ein verlassenes Kind: Mami Classic 44 – Familienroman
Von Gisela Reutling
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Über dieses E-Book
»Danke, Herr Doktor«, sagte Gaby leise und reichte dem Arzt verabschiedend die Hand. »Ich wollte, Sie hätten Grund, mir zu danken«, gab Dr. Frey ernst zurück. Er begleitete sie bis zur Tür seines Sprechzimmers. »Auf Wiedersehen, Frau Morland«, sagte draußen mit freundlichem Lächeln seine Assistentin. Wie blind verließ Gaby die Praxis des Frauenarztes. Sie brauchte nicht mehr zu kommen. Ihre letzte Hoffnung war zunichte geworden. Auf der Straße brandete ihr der nachmittägliche Verkehr der Innenstadt entgegen. Was jetzt? Rüdiger würde heute erst später aus der Redaktion kommen. Allein in der großen stillen Wohnung auf ihn zu warten und sich nur zu fragen, warum gerade ich, dieser Gedanke ließ sie zurückschrecken. Ziellos schlenderte sie zwischen dahinhastenden Menschen die Straße entlang. Vorn am Goethe-Platz, wo ein Verkehrsknotenpunkt war, sah sie den Bus der Linie 5 stehen. Damit würde sie in einer knappen halben Stunde bei ihrer Mutter sein können. Gaby beschleunigte die Schritte, sie erreichte ihn gerade noch. Ja, sie wollte zur Mama.
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Mami Classic
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Hoffnung für ein verlassenes Kind - Gisela Reutling
Mami Classic
– 44 –
Hoffnung für ein verlassenes Kind
Gisela Reutling
»Danke, Herr Doktor«, sagte Gaby leise und reichte dem Arzt verabschiedend die Hand.
»Ich wollte, Sie hätten Grund, mir zu danken«, gab Dr. Frey ernst zurück. Er begleitete sie bis zur Tür seines Sprechzimmers.
»Auf Wiedersehen, Frau Morland«, sagte draußen mit freundlichem Lächeln seine Assistentin.
Wie blind verließ Gaby die Praxis des Frauenarztes. Sie brauchte nicht mehr zu kommen. Ihre letzte Hoffnung war zunichte geworden.
Auf der Straße brandete ihr der nachmittägliche Verkehr der Innenstadt entgegen. Was jetzt?
Rüdiger würde heute erst später aus der Redaktion kommen. Allein in der großen stillen Wohnung auf ihn zu warten und sich nur zu fragen, warum gerade ich, dieser Gedanke ließ sie zurückschrecken.
Ziellos schlenderte sie zwischen dahinhastenden Menschen die Straße entlang. Vorn am Goethe-Platz, wo ein Verkehrsknotenpunkt war, sah sie den Bus der Linie 5 stehen. Damit würde sie in einer knappen halben Stunde bei ihrer Mutter sein können.
Gaby beschleunigte die Schritte, sie erreichte ihn gerade noch. Ja, sie wollte zur Mama. Ihr konnte sie sich in den Arm werfen. Sie würde sie verstehen.
»Ja, Gaby«, sagte Sophie Haller überrascht, als sie ihrer Tochter die Tür öffnete. »Mit dir hatte ich heute nicht gerechnet. Wie nett! Komm herein.«
Die Tür zum Atelier stand offen. Gaby sah, daß ihre Mutter bei der Arbeit war. Sie malte auf Seide in zauberhaften Farben und Mustern. Ihre Tücher und hauchleichten Schals waren ein beliebtes Kaufobjekt in verschiedenen Boutiquen.
»Hoffentlich störe ich dich nicht, Mama.«
» Aber Kind, ich freue mich doch, wenn du kommst. Möchtest du eine Tasse Tee?« Ihr Blick wurde prüfend. »Du siehst blaß aus. Geht es dir nicht gut?«
»Ich möchte gar nichts. Nur ein bißchen bei dir sein.« Gabys Stimme schwankte. »Nein, es geht mir nicht gut, Mama. Ich weiß endgültig daß ich keine vollwertige Frau bin.«
»Was soll das denn heißen?« Sophie erschrak.
»Das heißt, daß ich nie ein Kind haben werde«, schluchzte Gaby auf. Mit Tränen in den Augen berichtete sie von dem Ergebnis dieser letzten Untersuchung. Dann lag sie wirklich an der Brust der Mutter, die sie bestürzt an sich drückte und zu beruhigen versuchte.
»Natürlich ist das sehr traurig, Gaby. Ich weiß, wie sehr ihr es euch gewünscht habt. Aber deshalb darfst du keine Minderwertigkeitskomplexe bekommen. Rüdiger…«
»Ja, eben, Rüdiger«, fiel Gaby ihr ins Wort. »Am besten sucht Rüdiger sich eine andere Frau.« Die Tränen flossen.
»Das wird er nie tun«, entgegnete Sophie überzeugt. »Dafür liebt er dich viel zu sehr. Steigere dich nicht in solche Gedanken hinein.«
Die Traurigkeit konnte sie ihrer Tochter nicht nehmen. Die fühlte sie ihr nur zu gut nach. Waren doch Gaby und Anja, ihre beiden Mädchen, nicht auch immer ihr ganzes Glück gewesen? Aber sie konnte ihr die Tränen trocknen und ihr helfen, die Fassung in etwa wiederzugewinnen.
»Wenn ich dich nicht hätte, Mama«, sagte Gaby, als sie ihr Gesicht gekühlt und mit leichtem Make-up und Lippenstift wieder etwas Farbe gegeben hatte.
»Du hast vor allem deinen Rüdiger, vergiß das nicht«, sagte Sophie liebevoll und klopfte ihr die Wange.
Gaby war noch nicht lange zu Hause, als es kurz an der Wohnungstür läutete. Eine Nachbarin? Ein Hausierer? Sie spähte durch den Spion, sah aber niemanden. Als sie die Tür öffnete, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen…
Da saß doch tatsächlich auf der Matte ein kleiner Hund! Er blinzelte durch sein halb über das Auge fallende Haar ebenso verdutzt zu ihr empor wie sie auf ihn hinab.
»Ja, wer bist denn du? Hast du dich verlaufen?«
»Nicht verlaufen, der gehört jetzt da hinein«, erklang Rüdigers lachende Stimme. Er hatte das Hündchen da abgesetzt und sich auf dem unteren Treppenabsatz verborgen. Jetzt kam er die Stufen herauf.
»Guten Abend, mein Schatz. Darf ich vorstellen: Das ist die junge Hundedame Cora, aus dem Stamm der Tibet-Terrier, wachsam und mutig, aber nicht angriffslustig, lebhaft, intelligent und anhänglich.« Mit heiterster Miene zählte er alle diese Vorzüge auf. »Na, was sagst du?«
»Der ist ja süß«, mußte Gaby zugeben, als sie ihren neuen Hausgenossen auf dem Arm hatte. Das feine Fell war schwarz und weiß gefleckt, drollig waren die geringelte Rute und die großen runden Pfoten.
»Nicht wahr?« sagte ihr Mann ganz stolz. »Und stubenrein ist sie auch. Einen Korb und weiteres Zubehör habe ich noch unten im Wagen. Bring’ ich nachher mit rauf, wenn ich ihn wegstelle. Jetzt krieg’ ich erst mal einen Kuß!« Er spitzte die Lippen und nahm ihn von seiner Frau in Empfang.
Aber Gaby senkte den Kopf wieder tief auf den kleinen Gesellen, der aufmerksam stillhielt. Warm, weich und lebendig war er. Etwas zum Liebhaben. Ein Hund!
»Du hast es wohl schon geahnt«, murmelte sie halberstickt.
»Was soll ich geahnt haben?«
»Du hast es doch nicht vergessen, daß ich heute bei Dr. Frey bestellt war…« Endlich hob sie den Kopf. Sie sahen sich in die Augen. Sie brauchte nichts weiter zu sagen. In ihrem Gesicht stand alles geschrieben.
»Selbst der kann sich irren, und wenn dieser Neue noch so einen guten Ruf hat«, behauptete Rüdiger nach einem kurzen, angespannten Schweigen.
»Ein Arzt kann sich irren, Rüdiger, aber nicht zwei oder drei. Dieser hat mir nur bestätigt, was die anderen schon sagten. Es ist nichts zu machen.«
Sie setzte Cora auf den Teppich. Beide sahen ihr geistesabwesend zu, wie sie, vorsichtig schnuppernd, auf ihren breiten Pfoten umhertappte.
Rüdiger traf es nicht unvorbereitet. Er hatte Gaby nur nicht den Strohhalm nehmen wollen, an den sie sich klammerte. Schon an der Richtigkeit der ersten Diagnose hatte er nur wenig gezweifelt. Sie waren seit fünf Jahren verheiratet, ein Kind war ihnen von Anfang an als die Erfüllung ihrer Liebe erschienen.
Inzwischen war er von dieser Einstellung insgeheim schon etwas abgerückt. Er war kein Mann, der sich mit gegebenen Tatsachen nicht abfinden konnte. Sein Denken war positiv, und sein Verstand sagte ihm, daß man im Leben nicht alles haben konnte. Er hatte eine Frau, die für ihn die liebste und schönste auf der Welt war. Er hatte einen guten Job, bei dem er mitten im Zeitgeschehen stand, wo kein Platz war für trübe Seelenverstimmungen.
»Also, mein Liebes«, sagte er und nahm sie in den Arm, »darüber werden wir auch hinwegkommen. Wir haben uns. Das ist allein ein großes Glück.« Er hob ihr Gesicht zu sich empor und küßte sie zärtlich auf den Mund. Dann ließ er sie los. »Ich bringe jetzt den Wagen in die Garage, und nachher essen wir, ja? Außer einem Hacksteak in der Kantine und ein paar Tassen Kaffee am Nachmittag hatte ich nämlich heute noch nichts.«
Gaby hörte die Tür ins Schloß fallen, sie stand mit hängenden Armen. Konnte er wirklich so zur Tagesordnung übergehen?
Es schien fast so. Sie mußte mit ihm überlegen, wo der Hundekorb hinkommen sollte, Wasser- und Freßnapf für Cora, das Halsband und die Leine kamen an einen Haken in der Diele.
Auch das Abendessen ließ Rüdiger sich schmecken. Er trank eine Flasche Bier dazu. Cora, die ihr Futter bekommen hatte und nun neben ihnen saß und aufmerksam ihre neue Familie beäugte, gab das Gesprächsthema vor. Rüdiger erzählte von den Hunden, mit denen er aufgewachsen war in seinem Elternhaus. Auch Gaby und Anja hatten als Kinder so einen kleinen Liebling gehabt, mit dem sie herumtollen und spielen konnten. Aber sie blieb einsilbig. Das lag schon weit zurück. Ihre Gedanken waren ganz woanders.
Erst später, als sie im Wohnzimmer saßen, Gaby auf der Couch und Rüdiger im Sessel, sprach sie es aus, was ihr unentwegt durch den Kopf ging.
»Kannst du das beiseiteschieben, Rüdiger, daß unser Herzenswunsch nicht in Erfüllung gehen wird?«
»Nicht beiseiteschieben, aber akzeptieren«, antwortete er sanft. »Wenn es uns nun einmal verwehrt ist, Eltern zu werden, dürfen wir doch deshalb nicht in Trauer und Melancholie versinken. Es soll unser Leben nicht verschatten, Liebste.«
Mit einem verlorenen Blick