Ich will nicht weg von hier: Mami Classic 19 – Familienroman
Von Veronika Weydt
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Leise schloß sich die Tür hinter der imposanten Gestalt von Erika Fritzmann, ihres Zeichens Leiterin des Kinderheims »Haus Waldeck«. Michael Wenzel ließ langsam Luft aus seinen aufgeblähten Wangen entweichen. Seine Freundin Tanja drehte dramatisch die Augen zur Zimmerdecke und setzte gerade an, um eine, wie sie meinte, passende Bemerkung über Frau Fritzmann loszuwerden, als sich die Küchentür erneut öffnete. »Und absolute Ruhe!« flüsterte Erika Fritzmann mit erhobenem Zeigefinger. Ohne eine Reaktion auf die Warnung abzuwarten, verschwand sie wieder. »Absolute Ruhe!« äffte Tanja sie nach, sobald die Gefahr vorüber war und auch die Haustür ins Schloß gefallen war. Der fünfjährige Michael kicherte. Er stand auf, lief zur Küchentür und legte die Hand auf die Klinke. »Dies ist ein besonders wichtiger Tag«, begann er mit verstellter Stimme. »Wichtig ist er für mich, weil ich große Hoffnungen in…« Er stoppte, um sich nicht zu verheddern. Mit den Zähnen zupfte er an seiner Oberlippe und überlegte. Tanja war zweifellos die bessere Schauspielerin. Und wenn es darum ging, die Heimleiterin zu imitieren, war sie eindeutig unschlagbar. Die ebenfalls Fünfjährige nahm Michaels Platz ein, nicht, ohne vorher den Freund unsanft zur Seite geschubst zu haben. Der Junge nahm grinsend Platz und legte den Kopf in die Hände. »Du bist jetzt die Tante Erika«
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Mami Classic
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Buchvorschau
Ich will nicht weg von hier - Veronika Weydt
Leseprobe:
Jerry wünscht sich einen großen Bruder
LeseprobeDr. Lutz Brachmann blickte den blassen stillen Jungen, der neben ihm im Wagen saß, besorgt an. »Wir sind in Sophienlust, Christoph«, sagte er behutsam. »Es wird dir hier gefallen. Alle werden dich liebhaben, und du wirst sie auch liebgewinnen.« »Ich werde nie mehr jemanden liebhaben«, erwiderte der Junge trotzig. »Mir werden ja doch alle weggenommen, die ich liebhabe.« Aller Schmerz um ein unbegreifliches Geschick lag in diesen Worten, so dass Lutz Brachmann tröstend über den dichten Haarschopf strich. Doch Christoph Wendland zuckte zurück. »Nun steigt aber endlich aus«, sagte da eine frische Jungenstimme. »Wir warten schon lange.« »Das ist Dominik, Christoph. Ich habe dir von ihm erzählt«, äußerte Dr. Brachmann eindringlich. »Er wird dein Freund sein.« »Ich will keinen Freund«
Mami Classic
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Ich will nicht weg von hier
Veronika Weydt
Leise schloß sich die Tür hinter der imposanten Gestalt von Erika Fritzmann, ihres Zeichens Leiterin des Kinderheims »Haus Waldeck«.
Michael Wenzel ließ langsam Luft aus seinen aufgeblähten Wangen entweichen. Seine Freundin Tanja drehte dramatisch die Augen zur Zimmerdecke und setzte gerade an, um eine, wie sie meinte, passende Bemerkung über Frau Fritzmann loszuwerden, als sich die Küchentür erneut öffnete.
»Und absolute Ruhe!« flüsterte Erika Fritzmann mit erhobenem Zeigefinger. Ohne eine Reaktion auf die Warnung abzuwarten, verschwand sie wieder.
»Absolute Ruhe!« äffte Tanja sie nach, sobald die Gefahr vorüber war und auch die Haustür ins Schloß gefallen war.
Der fünfjährige Michael kicherte. Er stand auf, lief zur Küchentür und legte die Hand auf die Klinke. »Dies ist ein besonders wichtiger Tag«, begann er mit verstellter Stimme. »Wichtig ist er für mich, weil ich große Hoffnungen in…« Er stoppte, um sich nicht zu verheddern. Mit den Zähnen zupfte er an seiner Oberlippe und überlegte.
Tanja war zweifellos die bessere Schauspielerin. Und wenn es darum ging, die Heimleiterin zu imitieren, war sie eindeutig unschlagbar. Die ebenfalls Fünfjährige nahm Michaels Platz ein, nicht, ohne vorher den Freund unsanft zur Seite geschubst zu haben.
Der Junge nahm grinsend Platz und legte den Kopf in die Hände. »Du bist jetzt die Tante Erika«, verlangte er überflüssigerweise und trat vergnügt gegen das Tischbein – immer wieder, mit jedem Fuß abwechselnd, so daß das Wasser in den Pinselbechern für die Wasserfarben gefährlich hin und her schwappte.
»Dies ist ein besonders wichtiger Tag«, wiederholte Tanja mit in die Höhe gerecktem Näschen Michaels Part. »Wichtig ist er für mich, weil ich mir die Suche nach einer neuen Erzieherin nicht leicht gemacht habe.«
Sie hielt inne und fuhr mit den Fingern durch die dichte blonde Mähne. In der Tat erinnerte diese Handbewegung an Erika Fritzmann. Wenn sie, was selten vorkam, nervös war, zupfte sie ständig an ihrer makellosen Frisur.
»Wichtig ist er für euch«, fuhr Tanja fort, »weil ihr eine gute Erzieherin verdient habt. Ihr seid die jüngsten in ›Haus Waldeck‹ und ihr seid die, die Liebe und Fürsorge so besonders dringend brauchen.«
Michael hielt sich beide Hände vor den Mund, um nicht laut loszuprusten.
Tanja hatte ein Stück Küchenkrepp von der Rolle gerissen und tupfte sich unsichtbare Tränen aus den Augenwinkeln. »Ich glaube, meine Suche war erfolgreich«, setzte sie ihre Rede fort. Doch dann war es auch um ihre Beherrschung geschehen. Sie flitzte auf die Küchenbank zu dem Jungen, und nun lachten sie gemeinsam so, wie Kinder nur eben lachen können – ungehemmt, glucksend und vor allem laut.
Ihr Gelächter war überall zu hören, und es dauerte keine Minute, ehe die anderen Bewohner des kleinen Häuschens durch Gebrüll kundtaten, daß auch sie gehört hatten und unsanft aus ihrem Mittagsschläfchen geweckt worden waren.
»Haus Waldeck« war keins der Kinderheime, wie sie in unserer Vorstellung existieren. Es war vielmehr ein Dorf, richtiger ein Mini-Dorf am Waldrand.
Eine breite Allee aus hundertjährigen Platanen führte auf das Haupthaus des ehemaligen Guts Waldeck. Das schmiedeeiserne Tor war heute nicht mehr dunkelgrün, sondern in einem leuchtenden Blau gestrichen.
Das gleiche Blau fand sich in Außentüren und Fensterläden des großen Hauses wieder. Die breite Veranda, die das Gutshaus umgab, war Tummelplatz für etwa sechzig Kinder, die in »Haus Waldeck« eine neue Heimat gefunden hatten.
Die Kinder wohnten in umgebauten Stallungen, Dienstbotenunterkünften, dem Forst- und Verwalterhäuschen und dem ehemaligen Heim des Gärtners.
Erika Fritzmann hatte vor genau zehn Jahren die Idee, ein Kinderheim als Dorfgemeinschaft zu gestalten. Was sie liebevoll geplant und realisiert hatte, war ihr gelungen. Die bis zu acht Kinder, die in einer Gemeinschaft zusammenwohnten, waren einander zugetan, wie es echte Geschwister in einer funktionierenden Familie sind – mit dem Unterschied, daß richtige Geschwister unterschiedlich alt sind. Jede Gruppe bewohnte ein eigenes »Haus« mit Garten. Gemeinschaftsräume, Musikzimmer, Turnhallen und mehr befanden sich im ehemaligen Gutshaus. Hier lebte auch Erika Fritzmann selbst, hatte dort die Büros für zwei Sekretärinnen untergebracht und empfing hier die Paare, die sich ein Kind wünschen, aber keines bekommen können.
Denn in »Haus Waldeck« lebten Kinder, deren Eltern tot oder nicht mehr für die Erziehung ihrer Kinder zuständig waren.
Viele größere Kinder wohnten schon seit Jahren in einem der Häuser. Sie gingen »außerhalb« zur Schule, nahmen an Jugendgruppen teil und trafen durchaus Verabredungen mit Kindern, die nicht in »Haus Waldeck« lebten. Sie würden mit ihrer Volljährigkeit ausziehen, sofern sie es wünschten, um ein eigenes Leben zu beginnen. Da ihnen immer der Kontakt nach außen gewährt war, gab es keine Schwierigkeiten.
Die kleinsten Kinder waren im alten Forsthaus und in einem Teil der ehemaligen Scheune untergebracht. Dies waren die Kinder, die für eine Adoption in Frage kamen. Sie waren noch so jung, daß sie sich später nicht mehr an ihren Aufenthalt im Kinderheim erinnern würden. In ihrer Vorstellung würden die Adoptiveltern immer die rechtmäßigen Eltern gewesen sein.
Jede Wohngemeinschaft hatte einen Namen. Das Forsthaus hieß nicht mehr Forsthaus, sondern nannte sich »Haus Haselmaus«. Die Babys und Kleinkinder waren folglich die »Haselmäuschen«.
In der ehemaligen Scheune lebten die »Eichhörnchen«. Das waren die beiden Zweijährigen, Reimund und Norbert, Zwillinge, die ihre sechzehnjährige Mutter gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben hatte, und die Babys Gerlinde und Ulrike. Gerlinde lebte ebenfalls seit ihrer Geburt im Haus der »Eichhörnchen«, während die neun Monate alte Ulrike erst vor ein paar Wochen dort eingezogen war. Außerdem lebten hier Michael und Tanja. Sie genossen so etwas wie eine Sonderstellung und nannten sich selbst stolz die »Obereichhörnchen«. Eigentlich gehörten sie gar nicht mehr in das Haus, das ausschließlich Babys und Kleinkinder aufnehmen sollte. Aber die beiden Unzertrennlichen hatten derart heftig