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Blaue Diamanten: Leo Schwartz ... und die Morde in München
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eBook343 Seiten4 Stunden

Blaue Diamanten: Leo Schwartz ... und die Morde in München

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Über dieses E-Book

Leo Schwartz und seine Mühldorfer Kollegen werden für die Sicherung der EU-Energieministerkonferenz in München um Amtshilfe gebeten. Bei der zeitgleich stattfindenden 1. Münchner Diamanten-Messe werden wertvolle Diamanten gestohlen. Dabei werden vier Wachmänner brutal getötet. Die Jagd nach den Mördern und Diamanten beginnt…
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Mai 2016
ISBN9783738070484
Blaue Diamanten: Leo Schwartz ... und die Morde in München
Autor

Irene Dorfner

Irene Dorfner - Die Autorin wurde 1964 in Reutlingen/Baden-Württemberg geboren und ist auch dort aufgewachsen. Die gelernte Großhandelskauffrau lebt seit 1990 mit ihrer Familie in Altötting/Bayern. 2013 hat sie ihren ersten Krimi veröffentlicht, kurz darauf erschien der nächste Fall. Seitdem widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben von Krimis/Thriller. Aus der Leo-Schwartz-Reihe sind bisher 30 Fälle erschienen - und ein Ende ist nicht in Sicht...

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    Buchvorschau

    Blaue Diamanten - Irene Dorfner

    Impressum

    Copyright © 2017 Irene Dorfner

    Copyright 2. überarbeitete Auflage 2021

    © Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

    All rights reserved.

    Lektorat: FTD-Script Altötting,

    EarL und Marlies Heidmann, Spalt

    VORWORT

    Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt."

    Arthur Schopenhauer

    Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen des 17. Falles mit Leo Schwartz & Co. in München!!

    Liebe Grüße aus Altötting

    Irene Dorfner

    ANMERKUNG:

    Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

    …und jetzt geht es auch schon los:

    1.

    „Bleib ruhig! Wenn du schreist, geschieht ein Unglück," sagte der Mann, der sich bei ihr untergehakt hatte und sie von der Bushaltestelle ruppig mit sich zog.

    Jenny Löffler geriet in Panik. Das eben geschah so schnell, dass sie nicht reagieren konnte. Trotz der Warnung versuchte sie zu schreien, aber die Worte blieben in ihrer Kehle stecken. Was wollte der Mann von ihr? Hilflos blickte sie sich um und suchte nach irgendjemandem, der ihr helfen und sie aus der Situation befreien würde. Wie jeden Abend stiegen mehrere Fahrgäste mit ihr aus dem Bus der Linie 12. Die meisten davon kannte sie seit Jahren, allerdings nur vom Sehen. Fiel denn keinem auf, dass ein Fremder sie belästigte? Niemand nahm Notiz von ihr und dem Mann, der sie unerbittlich mit sich zog. Die Gegend wurde einsamer, es waren nur noch wenige Menschen auf der Straße. Wo befanden sie sich? Sie hatte nicht auf den Weg geachtet und mahnte sich, sich zu konzentrieren. Langsam fing sie sich und sammelte all ihre Kräfte. Sie waren in der Silcherstraße, die dünn besiedelt war. Hier lebten nur Reiche, die nur selten auf der Straße zu sehen waren. Hier auf Hilfe zu hoffen, schien aussichtslos. Schrei endlich! Sie sammelte ihren Mut zusammen und holte tief Luft. Gerade als sie schreien wollte, drohte ihr der Mann erneut:

    „Ein Mucks und es trifft nicht nur dich, sondern auch deine Kinder. Es wäre sehr schade um Hannah und Oskar," fügte er süffisant hinzu.

    Die Namen ihrer Kinder aus dem Mund dieses Mannes versetzten ihr einen Schlag in den Magen. Er kannte ihre Kinder und wusste sogar ihre Namen! Die Drohung wirkte. Augenblicklich unterbrach Jenny ihr Vorhaben, so laut zu schreien, dass die ganze Nachbarschaft auf sie aufmerksam werden musste. Ihre Kinder! Was hatte der Mann mit ihnen gemacht? Sie hatte jetzt keine Angst mehr um sich selbst, sondern nur um ihre beiden Kleinen. Hannah und Oskar waren erst 8 und 10 Jahre alt. Bis 16.30 Uhr waren sie in der Schule und wurden dort beaufsichtigt. Natürlich hätte sie sie gerne bis 18.00 Uhr in der erweiterten Aufsichtsgruppe untergebracht, aber diese war rappelvoll und die Warteliste endlos lang. Jenny war jeden Abend um 17.50 Uhr zuhause und bis dahin waren ihre Kinder auf sich allein gestellt. Seit zwei Jahren lief das ohne Probleme, obwohl sie immer ein schlechtes Gewissen hatte. Die beiden mussten alleine nach Hause gehen und waren dann über eine Stunde auf sich allein gestellt. Anfangs hatte sie sich die schlimmsten Horrorszenarien vorgestellt, was während dieser Zeit alles passieren könnte. Sie musste ihre beiden allein lassen, was blieb ihr anderes übrig? Sie hatte keine andere Wahl, einen Babysitter konnte sie nicht bezahlen, finanziell konnte sie sich keine großen Sprünge leisten. Der Erzeuger der Kinder hatte sich vor über zwei Jahren aus dem Staub gemacht, um sich auf irgendeiner Insel im Pazifik zu verwirklichen. Dieses selbstgefällige Lächeln, mit dem Klaus ihr seine Pläne mitteilte, sah sie immer wieder vor Augen. Sie konnte nicht glauben, dass er auch noch von ihr erwartete, dass sie sich für ihn freut. Dieses egoistische Arschloch hatte sie einmal geliebt. Natürlich zahlte er keinen Unterhalt und sie war nach Klaus‘ Verschwinden auf die Hilfe des Staates angewiesen. Das war ihr nicht nur äußerst peinlich, sondern brachte sie in finanzielle Not. Es fehlte an allen Ecken und Enden. Nach fünf Monaten der Verzweiflung und schrecklichsten Existenz-ängsten bekam sie einen Job in einem Unternehmen in Holzkirchen, die Halbleiter für die Elektroindustrie herstellten. Die Arbeit war stumpfsinnig, wurde aber anständig bezahlt. Sie hatte studiert. Kurz vor ihrem Abschluss wurde sie schwanger und ließ sich von Klaus dazu überreden, das Studium zu schmeißen und sich um das Kind und den Haushalt zu kümmern. Er sprach immer von einem warmen, behüteten Nest. Und ja, genau das wollte sie für ihre kleine Familie. Was war sie doch damals für eine gutgläubige, dumme Gans gewesen. Das war jetzt alles nicht wichtig. Was war mit Hannah und Oskar?

    „Was wollen Sie von mir? Geld? Nehmen Sie alles, was ich habe." Sie hielt ihm ihre Handtasche hin, aber der Mann lächelte nur verächtlich.

    „Deine paar Kröten brauche ich nicht. In wenigen Minuten wirst du erfahren, was ich von dir will."

    Ein Perverser! Ein Vergewaltiger! Abermals stieg Panik in ihr hoch. Bisher hatte sie davon nur gelesen, und jetzt steckte sie selbst in einer solchen Situation. Warum gerade sie? Plötzlich zog der Mann sie hinter einen Baum. Jenny sah sich um. Sie kannte die Gegend sehr gut, sie war oft mit ihren Kindern hier gewesen, als sie noch sehr klein waren und ihre Welt noch in Ordnung war. Die kleine Grünoase lag am Rand des idyllischen Wolfratshausens. Hierher war sie vor elf Jahren mit Klaus von München gezogen und hatte mit ihm eine geräumige, bezahlbare Wohnung in einem Mehrfamilienhaus gemütlich eingerichtet. Obwohl sie in München geboren und aufgewachsen war und die Vorzüge einer Großstadt genoss, gefiel ihr Wolfratshausen sofort. Hier wollte sie den Rest ihres Lebens verbringen – zusammen mit Klaus. Sie wurde wieder schwanger und bekam Oskar, die Familie war komplett und sie war glücklich. Alles lief prima und sie lebten das Leben einer Bilderbuchfamilie, auf die viele neidisch waren. Die Kinder waren gesund, ihr Mann hatte einen gutbezahlten Job. Sie hatten sogar eine Maklerin mit der Suche nach einem kleinen Häuschen beauftragt, das sie sich kaufen wollten und von dem sie schon lange träumten. Alles hätte so schön sein können, wenn Klaus nicht von einem auf den anderen Tag durchgeknallt wäre und alles hingeschmissen hätte, um ein neues Leben zu beginnen und nochmal von vorn anzufangen. Wie oft dachte sie in den letzten zwei Jahren ähnlich? Wie oft war sie am Ende und wäre am liebsten davongelaufen? Aber das ging nicht, sie musste sich um ihre Kinder kümmern, die auf sie angewiesen waren. Sie musste stark sein, auch in der jetzigen Situation. Sie wurde ruhig. Ihr war klar, dass sie alles ertragen und über sich ergehen lassen würde, um lebend davonzukommen. Gab es doch noch die Möglichkeit, sich aus den Fängen des Mannes zu befreien? Vielleicht fand sie hier die ersehnte Hilfe? Sie sah sich um. Hier gab es nichts, außer einem Spielplatz und Grünflächen, die von den Einheimischen sehr gerne aufgesucht wurden. Aber um diese Zeit Ende Februar war es schon lange dunkel und es war nichts mehr los. Wo waren die vielen Hundebesitzer, wenn man sie brauchte?

    Jenny lehnte mit dem Rücken am Baum, der Mann stand direkt vor ihr. Sie konnte seinen Atem spüren und roch das Pfefferminzaroma seines Kaugummis.

    „Hör mir gut zu, sagte der Mann ruhig. Trotzdem wirkte jedes seiner Worte bedrohlich. „Du fährst täglich dieselbe Strecke mit dem Bus und daran wird sich auch in den nächsten Wochen nichts ändern. Du nimmst keinen Urlaub und bist auch nicht krank. Haben wir uns verstanden?

    Was faselt der Mann da? Es ging nicht um ihren Körper oder um Geld? Um was dann? Um ihren Arbeitsweg? Sie bekam das Gefühl, es mit einem Irren zu tun zu haben.

    „Du wirst für mich einen Kurierdienst übernehmen. Nichts Großartiges. Du bekommst in den nächsten Wochen an der Haltestelle bei deiner Arbeitsstelle in Holzkirchen etwas zugesteckt, das du dann an deiner Haltestelle in Wolfratshausen in den Papierkorb wirfst. Das ist alles, mehr verlange ich nicht."

    Jenny war irritiert und starrte den Mann an.

    „Was soll ich…?"

    „Du sollst zuhören! Du kümmerst dich nicht um den Inhalt des Umschlages und verhältst dich so wie immer. Zu niemandem ein Wort. Das alles dauert nur wenige Wochen und ist schnell vorbei. Wenn du keine Probleme machst, geschieht niemandem etwas. Zur Belohnung bekommst du sogar einen kleinen Obolus. Wenn ich zufrieden bin, kann ich sehr großzügig sein. Solltest du aber auf die Idee kommen, Hilfe zu holen oder gar zur Polizei zu gehen, kann ich für nichts garantieren."

    Der große, kräftige, etwa 45-jährige Mann mit bayrischem Dialekt grinste. Er sah der Frau an, dass sie verstanden hatte. Sie wurde für den Job nicht zufällig ausgewählt. Sie brauchten für ihren Plan B zuverlässige Personen, die die Ware transportierten. Jenny Löffler war ideal für den Job. Sie war klug, ging wegen ihres durchschnittlichen Aussehens in der Menge unter und hatte ständig Geldprobleme. Dazu kamen die beiden Kinder, um die sie sich als alleinerziehende Mutter zu kümmern hatte; die beiden gaben ein perfektes Druckmittel ab.

    „Was ist mit meinen Kindern?"

    „Keine Sorge, denen geht es gut. Aber nur, wenn du dich an die Abmachung hältst."

    „Wie erkenne ich Ihren Komplizen?"

    „Er wird auf dich zukommen. Und jetzt mach, dass du wegkommst. Hannah und Oskar warten."

    Sie sah dem Mann im Schein der Straßenlampe hinterher. Sie war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Ihre Knie zitterten und sie war kurz davor, sich zu übergeben. Die Worte des Mannes hallten wieder und wieder in ihrem Kopf. Sie bekam von jemandem an der Haltestelle in Holzkirchen etwas überreicht, das sie hier in Wolfratshausen an der Haltestelle in den Papierkorb werfen sollte. Es widerstrebte ihr Verbrechern zu helfen, aber der Schutz ihrer Kinder ging vor. Ihre Kinder! Sie musste so schnell wie möglich zu ihnen, sie machten sich bestimmt schon Sorgen. Sie riss sich zusammen, sammelte ihre letzten Kraftreserven und rannte und rannte. Nach zwanzig Minuten stand sie vor dem Mehrfamilienhaus und schloss mit zitternden Händen die Haustür auf. Sie lief außer Atem in die dritte Etage und öffnete die vertraute Wohnungstür. Während sie den Schlüssel im Schloss drehte, hörte sie aus der Wohnung keinen Mucks. Waren ihre Kinder gesund? Sie warf ihre Handtasche in den Flur und lief ins Wohnzimmer; beide Kinder lagen auf dem Sofa und sahen fern. Als sie ihre Mutter bemerkten, waren sie erschrocken.

    „Mami, warum weinst du?" fragte Hannah. Aber Jenny sagte kein Wort, sondern nahm ihre Kinder unter Schluchzen in ihre Arme und drückte sie fest an sich. Sie brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen. Auf dem Weg nach Hause waren ihr die schrecklichsten Gedanken durch den Kopf geschossen, aber ihre Kinder waren in Ordnung. Sie musste herausfinden, was passiert war und befragte beide so behutsam wie möglich. Aber weder ihrem Sohn, noch ihrer Tochter kam heute oder in den Tagen zuvor etwas ungewöhnlich vor. Hatte der Mann nur geblufft? Gedankenversunken machte sie sich ans Abendessen. Sollte sie sich den Anweisungen des Mannes fügen? War das nur ein dummer Scherz? Wie auch immer: Sollte sie in Holzkirchen tatsächlich von jemandem angesprochen werden, würde sie genau das tun, was man von ihr verlangte.

    Zwei Tage passierte nichts. Sie war unsicher und blickte sich fortwährend um. Der Mann hatte gesagt, sie solle sich normal benehmen, was ihr sehr schwerfiel. Nachdem sie die letzten drei Nächte kaum geschlafen hatte und hinter jedem Eck irgendjemanden vermutete, mahnte sie sich zur Vernunft. Sie beschloss, das Gespräch mit dem Unbekannten abzuhaken und als dummen Scherz abzutun, schließlich liefen genug Verrückte herum. Als sich auch bis Ende der Woche niemand an sie gewandt hatte, verdrängte sie den Vorfall aus ihren Gedanken.

    Am Dienstag der neuen Woche wurde sie nach der Arbeit angesprochen. Die Begegnung mit dem Unbekannten war nur ganz kurz. Jenny stand an der Bushaltestelle und wartete im Regen unter ihrem großen Schirm auf den Bus der Linie 12. Der Bus bog um die Ecke.

    „Nehmen Sie," sagte der hagere Mann und war schnell verschwunden. Jenny wollte dem Mann hinterher, stoppte aber dann und steckte den gepolsterten Umschlag rasch in ihre Regenjacke. Hatte einer der anderen Fahrgäste den kurzen Moment beobachtet? Ihr wurde schlecht und sie war abermals kurz davor, sich zu übergeben. Schlagartig waren die Worte des Fremden der letzten Worte wieder präsent. Die anderen Fahrgäste gingen an ihr vorbei und stiegen in den Bus ein. Einige von ihnen sahen sie fragend an, sagten aber nichts. Was sollte sie jetzt tun? Sie hatte etwas Verbotenes in ihrer Tasche und nun die Aufgabe, dieses an ihrer Haltestelle in Wolfratshausen in den Papierkorb zu werfen. Davon hing die Gesundheit ihrer Kinder ab und nur darauf sollte sie sich konzentrieren.

    „Was ist mit Ihnen?" fragte der Busfahrer freundlich und strahlte sie an. Erst jetzt erkannte sie Magnus Hofberger. Der Busfahrer hatte eindeutig ein Auge auf sie geworfen und lud sie in regelmäßigen Abständen immer wieder zum Essen ein. Oder machte er sich nur über sie lustig? Wie auch immer; sie hatte an Männern kein Interesse mehr und lehnte stets ab.

    Sie musste reagieren und endlich aus ihrer Lethargie herauskommen. Was hatte der Mann letzte Woche zu ihr gesagt? Sie sollte sich so normal wie möglich verhalten. Sie zog ihre Monatskarte aus der Tasche und hielt sie Magnus Hofberger hin, der aber nur Augen für sie hatte. Jenny zwang sich zu einem Lächeln und setzte sich auf einen der Plätze, die sie auch sonst einnahm: Weit hinten im Bus, wo sie ihre Ruhe hatte.

    Magnus Hofberger war irritiert und sah der Frau hinterher. Was war heute mit Jenny los? Sie benahm sich anders als sonst und war sehr blass. Ging es ihr nicht gut? Während der Fahrt sah er immer wieder in den Rückspiegel. Jenny saß regungslos auf ihrem Platz und starrte vor sich hin. Hatte er sich ihr Verhalten nur eingebildet? Nein, er kannte sie lange genug. Von Anfang an war er von ihrem natürlichen Wesen und ihren Augen fasziniert. Er hatte von einem geschwätzigen Fahrgast erfahren, dass sie alleinerziehende Mutter von zwei Kindern war und dass sie von ihrem Mann verlassen wurde. Er hatte Hochachtung vor der Frau, die für den Lebensunterhalt und die Erziehung der Kinder allein verantwortlich war. Er hatte sie mehrmals eingeladen, aber sie ging nicht darauf ein. Aber so schnell gab er nicht auf. Irgendwann würde sie seine Einladung annehmen, er konnte warten.

    Es gefiel ihm nicht, wie sie ihn vorhin angesehen hatte. Sie war nicht krank, ihre Augen waren voller Angst. Am liebsten hätte er sie darauf angesprochen, aber das stand ihm nicht zu.

    Jenny starrte auf einen Punkt vor sich, ohne davon Notiz zu nehmen. Langsam beruhigte sie sich. Was war das in ihrer Tasche? Was war in dem Umschlag? Sollte sie ihn öffnen? Oder zumindest abtasten?

    Dann stieg ein Kontrolleur ein. Gerade heute! Sie kannte den Mann nicht. Warum auch? Die Kontrolleure wechselten ständig und da sie nichts zu befürchten hatte, hatte sie sich noch nie Gedanken darüber gemacht. Aber heute. War der Mann echt oder vielleicht von der Polizei? Die verrücktesten Gedanken schossen ihr durch den Kopf und sie wurde panisch. Der Kontrolleur war nicht mehr weit von ihr entfernt. Was sollte sie tun? Sollte sie ihm den Umschlag aushändigen? Nein, dann wären ihre Kinder in Gefahr. Sie musste sich zwingen, sich so normal wie möglich zu geben. Sie atmete schwer und betete, dass das niemandem auffallen würde. Dann kam der Kontrolleur auf sie zu, er war nur noch zwei Schritte entfernt. Noch hatte sie die Chance, das alles hier zu beenden. Noch hatte sie die Möglichkeit, der Polizei alles zu erklären und sie wäre aus dem Schneider. Sobald sie den Umschlag wie angegeben in den Papierkorb warf, war sie Mittäterin. Was sollte sie tun? Der Kontrolleur war bei ihr und sie zögerte einen Moment. Der Mann zeigte seinen Ausweis und sie hielt ihm mit zitternden Händen die Monatskarte vor. Der Mann lächelte und nickte, dann ging er weiter. Die Chance war vertan. Jetzt war sie Mittäterin.

    Sie konnte es kaum erwarten, an ihrer Haltestelle in Wolfratshausen anzukommen. Sie ging sehr langsam und ließ die anderen Fahrgäste an ihr vorbeigehen. Jetzt! Unbemerkt warf sie den gepolsterten Umschlag in den Papierkorb. Sie war erleichtert, als sie ihn endlich wieder vom Hals hatte. Dann ging sie rasch nach Hause. War es das gewesen? Würde man sie jetzt endlich in Ruhe lassen?

    Jenny hatte nicht bemerkt, dass sie beobachtet wurde. Sie hatte auch nicht bemerkt, dass die Frau im Bus schräg vor ihr sie immer im Blick hatte.

    „Was denkst du? Können wir ihr trauen?" fragte der ältere der beiden. Lutz Bräu war 52 Jahre alt und trug einen dunklen Anzug. Er war nervös, ob sein Komplize die richtige Person für den Auftrag ausgesucht hatte und war zufrieden. Die unscheinbare Frau machte exakt das, was sie von ihr erwarteten.

    „Du hast sie doch selbst gesehen. Wie alle Mütter liebt sie ihre Blagen und würde alles tun, um sie zu schützen. Trotzdem werden wir noch einen weiteren Testlauf mit ihr machen." Daniel Thalhammer war 44 Jahre alt. Er war derjenige, der Jenny Löffler ausgewählt hatte. Thalhammer war gelernter Glasbläser und wuchs im Bayrischen Wald auf. Allerdings war die Enge und Spießigkeit des Landlebens nicht sein Ding, ihn zog es in die Großstadt nach München und er versuchte dort sein Glück. Er fand keine Arbeit, sein erlernter Beruf war in der Großstadt nicht gefragt. Er war seit vielen Jahren arbeitslos und hielt sich mit kleinen, krummen Geschäften über Wasser. Als Lutz Bräu auf ihn zukam und ihm von dem Plan erzählte, hielt er ihn für übergeschnappt. Die ganze Sache klang zu einfach! Dann hatte er Blut geleckt. Wenn der Coup gelang, war er ein gemachter Mann. Bräu war sehr intelligent und Thalhammer fühlte sich in dessen Gesellschaft immer klein und dumm.

    „Der Mann hat auch gut funktioniert, aber er gefällt mir nicht. Die Frau ist perfekt. Ich hoffe, wir brauchen die beiden nicht und die Sache läuft glatt ab."

    „Wie gesagt, werden wir noch einen Testlauf machen, sagte Thalhammer, der sich sofort angegriffen fühlte. Er hatte sich mit der Auswahl der beiden Personen große Mühe gegeben und war sich sicher, dass er gut gewählt hatte. Aber er hatte auch Manschetten vor Bräu, der sehr ungehalten werden konnte, wenn er sauer war. Hier durfte er nicht versagen. „Ich schlage vor, dass wir die Testläufe mit zusätzlichen Drohungen untermauern. Sicher ist sicher.

    „Wie du meinst. Wenn wir Probleme bekommen sollten, und danach sieht es leider aus, müssen die beiden funktionieren. Wie du das anstellst, ist mir egal. Ich verlasse mich auf dich."

    „Du kannst dich auf mich verlassen Boss."

    Thalhammer hoffte, dass sie auf die Hilfe der beiden nicht angewiesen sein würden. Wenn alles glatt lief, brauchten sie sie nicht. Von Anfang an bestand Bräu darauf, einen Plan B zu haben, falls Probleme auftauchten. Thalhammer selbst hielt das im ersten Moment für vollkommen überflüssig. Je länger er sich darüber Gedanken machte und je näher der Zeitpunkt kam, desto mehr war er Bräus Meinung. Die Anzeichen für Probleme mehrten sich, aber der Termin stand fest, daran war nicht zu rütteln.

    Thalhammer konnte es kaum erwarten, bis es endlich losging. Mit diesem genialen Coup hätte er für den Rest des Lebens ausgesorgt, da durfte einfach nichts schiefgehen.

    2.

    Tamino Steinmaier war die andere Person, die Thalhammer ausgewählt hatte. Der 47-jährige, hagere Mann mit dem schütteren Haar arbeitete als Tontechniker am Staatstheater München. Er war nur einer unter vielen und hatte wegen seiner schüchternen, fast unterwürfigen Art keine Chance, sich gegen andere durchzusetzen. Er war einer derjenigen, die von niemandem beachtet wurden. Er erschrak, als er letzte Woche an seiner Bushaltestelle in Schwindegg angesprochen wurde, als er wie immer eine Zigarette rauchte, bevor er nach Hause ging. Tamino lebte mit seiner 74-jährigen Mutter in seinem Elternhaus und sie mochte es nicht, wenn er im Haus oder vor ihr rauchte. Er hasste seine Mutter für ihre autoritäre, gehässige Art. Aber was sollte er tun? Sie war nun mal seine Mutter und außer ihr hatte er niemanden anderen. Er und der Fremde waren allein an der Bushaltestelle. Der Wind war eisig kalt, trotzdem genoss Tamino jeden einzelnen Zug seiner Zigarette.

    „Tamino Steinmaier?" sagte der Fremde und Tamino erschrak. Wer war der Mann? Und woher kannte er seinen Namen?

    „Ja?"

    „Du liebst deine Mutter und möchtest nicht, dass ihr etwas zustößt?"

    „Was zum Teufel…"

    „Halt den Mund und hör mir gut zu. Daniel Thalhammer war sehr viel größer und stärker als der kleine, schmächtige Tamino. Thalhammer baute sich vor ihm auf und Tamino pinkelte sich vor Angst fast in die Hose. „Du wirst für mich einen kleinen Kurierdienst übernehmen. Du bekommst an der Bushaltestelle bei deiner Arbeitsstelle in München einen Umschlag überreicht, den du dann beim Umsteigen in Holzkirchen einer Frau übergibst. Das ist die Frau, er übergab ihm ein Foto von Jenny Löffler. „Präg dir das Gesicht gut ein. Erledigst du deine Aufgabe zu meiner vollsten Zufriedenheit, ist alles in Ordnung und du hast dir ein ordentliches Taschengeld verdient, womit du im Kolibri mehrere Abende verbringen kannst. Machst du Probleme, gehst zur Polizei oder sprichst mit jemandem darüber, kann ich nicht für die Gesundheit deiner Mutter garantieren. Hast du mich verstanden?"

    Tamino hörte entsetzt zu und zitterte am ganzen Körper. Als der Fremde die letzte Drohung aussprach, verbrannte er sich die Finger an der Zigarette, ohne es zu bemerken.

    „Hast du mich verstanden?"

    „Ja."

    Der Fremde war verschwunden und Tamino stand allein an der Bushaltestelle. Er starrte auf das Gesicht auf dem Foto: Er hatte diese Frau noch nie gesehen. Er war im Begriff, sich eine weitere Zigarette anzuzünden, verzichtete aber darauf. Mutti! Sie war in Gefahr und das konnte er nicht zulassen, er fühlte sich für sie verantwortlich. Er rannte los und stürmte in das alte Haus im Ortskern von Schwindegg.

    „Wage es ja nicht, mit deinen Schuhen ins Haus zu kommen! hörte er die vertraute Stimme seiner Mutter und beruhigte sich sofort. Wenn sie so keifen konnte, war sie wohlauf. Er zog die Schuhe aus und ging ins Wohnzimmer. Seine Mutter saß wie so oft vor dem Fernseher, in dem eine ihrer vielen Daily Soaps lief. „Du stinkst! Hast du schon wieder geraucht? Wie oft habe ich dir gesagt, dass ich das nicht mag? Sie schimpfte weiter und machte ihm einen Vorwurf nach dem anderen, ohne ihn dabei anzusehen. Dann gab es eine Werbepause und sie hatte jetzt Zeit, sich ihm zuzuwenden. „Wie siehst du denn aus? Man muss sich ja für dich schämen!" Sie schimpfte weiter und weiter. Erst, als die Werbepause zu Ende war, wandte sie sich wieder dem Fernseher zu. Offensichtlich wurde es spannend. Sie vergaß ihre Schimpftirade und verstummte. Tamino hatte die ganze Zeit über nichts gesagt. Normalerweise regte er sich über seine Mutter und ihr Verhalten auf, aber heute nicht. Er lächelte, ging auf sie zu und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

    „Was soll das? zischte sie und wischte sich demonstrativ mit dem Ärmel ihrer Jacke über die Wange. „Dein Essen steht in der Küche. Und jetzt lass mich allein, sonst verpasse ich meine Sendung.

    Tamino ging in die Küche und nahm den Teller aus dem Backofen. Wie immer hatte seine Mutter gekocht und das Essen auf Temperatur gehalten. Seine Mutter kochte für ihr Leben gern, die beiden Gefriertruhen im Keller waren immer randvoll. Eigentlich hatte er nach der Begegnung an der Bushaltestelle keinen Appetit, aber seine Mutter würde es nicht dulden, dass er das Essen

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