Kleine Jungen - großes Chaos: Mami Classic 16 – Familienroman
Von Claudia Torwegge
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»Es ist mir sehr peinlich, Fräulein Franziska, aber es muß sein. Ich muß diese bedauerliche Unterredung mit Ihnen führen.« Jedesmal, wenn dieser verhängnisvolle Satz ausgesprochen wurde, und er wurde in ihrem jungen Leben in regelmäßigen Abständen immer wieder ausgesprochen, war es Franziska, als werfe man sie in kaltes Wasser. Sie war achtundzwanzig Jahre jung, braunhaarig und zierlich. Sie hatte fröhliche Bernsteinaugen, und wenn sie lachte, bildeten sich Grübchen in den Wangen. Sie war ein bezauberndes Wesen. Sie hatte immer blendende Stellungen, aus dem sie mit glänzenden Zeugnissen und besten Empfehlungen anläßlich irgendwelcher Begebenheiten mit schöner Regelmäßigkeit und ohne jedes eigene Verschulden wieder entlassen wurde. Während Franziska an diesem regnerischen Nachmittag in der pompösen Wohnhalle in einem ebenso pompösen Sessel der Villa Stratmann saß und Frau Lore sich nervös eine Zigarette anzündete, zogen vor Franziskas geistigem Auge blitzartig die gleichen Szenen, die sie immer wieder erlebte, vorüber. Es war wie in einem Film, der zu schnell ablief. Nur die markantesten Momente blieben im Gedächtnis haften. »Franziska… usw.« Und nun Frau Lore Stratmann, bei der es ihr nicht ganz so leid tat. Franziska nickte nur, und damit war für sie der Fall erledigt. Im Waisenhaus, in das sie mit acht Jahren gekommen war, hatte man sie dazu überreden wollen, Krankenpflegerin zu werden. Aber Franziska hatte einen ziemlichen harten Kopf, wenn es darum ging, wichtige und entscheidende Dinge durchzusetzen. Sie hatte vom Waisenhaus aus eine Haushaltsschule absolviert. Anfangs hatte sie in kleinen und mittleren Haushalten als Gehilfin gearbeitet und sich so nebenbei in Nähen und Kochen ausgebildet. Sie hatte auf eigene Kosten und von ihrem bescheiden verdienten Geld etliche Kurse absolviert. Und dann war die große Wende gekommen, die Stelle beim Handelsattaché. Eigentlich, dachte Franziska versonnen, wäre ich gern einmal bei Kindern gewesen.
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Buchvorschau
Kleine Jungen - großes Chaos - Claudia Torwegge
Leseprobe:
Die andere Frau
LeseprobeAls die Sonne sich im Osten über die karstige Spitze des Bacher schob, lag das schmale Seitental noch im dichten Nebel. Leise und weit entfernt drang das kratzige Lied eines Rotschwanzes durch den Dunst wie eine verlorene, vergessene Melodie. So erschien es Alexander von Jost jedenfalls in seiner weltabgeschiedenen Einsamkeit. Der ehemalige Diplomat seufzte. Wie war es nur dazu gekommen, wie hatte er sich in eine solch verflixte Lage bringen können? Noch immer erschien ihm seine Situation wie ein schlechter Traum. Er öffnete den Reißverschluss seiner Wetterjacke, denn mit der steigenden Sonne wurde es allmählich wärmer. Er hatte eine empfindlich kalte Oktobernacht hinter sich und fühlte sich völlig steifgefroren. Doch es empfahl sich nicht unbedingt, dies mittels einiger Freiübungen zu ändern. Sein verstauchter Fuß war nicht zu gebrauchen, stark angeschwollen und schmerzte bei der kleinsten Bewegung höllisch. Der schlanke, große Mann mit den klaren, rehbraunen Augen blickte sich aufmerksam um. Der Nebel löste sich allmählich auf, Konturen wurden sichtbar, das Vogelkonzert intensivierte sich. Die Lärchen am gegenüberliegenden Berghang leuchteten in tiefem Gold, dazwischen das intensive Grün der Bergkiefern. Graues Geröll, das sich im Bachbett am Fuß des Hanges fortsetzte, bildete dazu einen aparten Kontrast. Die Natur in den schmalen und oft abgelegenen Tälern rund um den Wörthersee hatte auch im Herbst ihren besonderen Reiz. Aus diesem Grund war er am Vortag zu einer längeren Wanderung gestartet, einem gut beschilderten Steig gefolgt und allmählich wieder mit sich selbst und der Welt in Einklang gekommen. Doch er hatte sich verschätzt, was die Entfernungen anging. Und er hatte nicht berücksichtigt, wie früh die Sonne im Oktober sank und die Dämmerung kam. An einer unübersichtlichen Stelle war er im abendlichen Zwielicht gestolpert und einen Hang hinabgestürzt. Nachdem Alexander den ersten Schrecken überwunden hatte, war ihm bewusst geworden, dass er seinen rechten Fuß nicht benutzen konnte.
Mami Classic
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Kleine Jungen - großes Chaos
Claudia Torwegge
»Es ist mir sehr peinlich, Fräulein Franziska, aber es muß sein. Ich muß diese bedauerliche Unterredung mit Ihnen führen.«
Jedesmal, wenn dieser verhängnisvolle Satz ausgesprochen wurde, und er wurde in ihrem jungen Leben in regelmäßigen Abständen immer wieder ausgesprochen, war es Franziska, als werfe man sie in kaltes Wasser.
Sie war achtundzwanzig Jahre jung, braunhaarig und zierlich. Sie hatte fröhliche Bernsteinaugen, und wenn sie lachte, bildeten sich Grübchen in den Wangen. Sie war ein bezauberndes Wesen. Sie hatte immer blendende Stellungen, aus dem sie mit glänzenden Zeugnissen und besten Empfehlungen anläßlich irgendwelcher Begebenheiten mit schöner Regelmäßigkeit und ohne jedes eigene Verschulden wieder entlassen wurde.
Während Franziska an diesem regnerischen Nachmittag in der pompösen Wohnhalle in einem ebenso pompösen Sessel der Villa Stratmann saß und Frau Lore sich nervös eine Zigarette anzündete, zogen vor Franziskas geistigem Auge blitzartig die gleichen Szenen, die sie immer wieder erlebte, vorüber. Es war wie in einem Film, der zu schnell ablief. Nur die markantesten Momente blieben im Gedächtnis haften.
»Franziska… usw.« Und nun Frau Lore Stratmann, bei der es ihr nicht ganz so leid tat. Franziska nickte nur, und damit war für sie der Fall erledigt.
Im Waisenhaus, in das sie mit acht Jahren gekommen war, hatte man sie dazu überreden wollen, Krankenpflegerin zu werden. Aber Franziska hatte einen ziemlichen harten Kopf, wenn es darum ging, wichtige und entscheidende Dinge durchzusetzen. Sie hatte vom Waisenhaus aus eine Haushaltsschule absolviert. Anfangs hatte sie in kleinen und mittleren Haushalten als Gehilfin gearbeitet und sich so nebenbei in Nähen und Kochen ausgebildet. Sie hatte auf eigene Kosten und von ihrem bescheiden verdienten Geld etliche Kurse absolviert. Und dann war die große Wende gekommen, die Stelle beim Handelsattaché.
Eigentlich, dachte Franziska versonnen, wäre ich gern einmal bei Kindern gewesen. Keiner ihrer bisherigen Arbeitgeber hatte Kinder gehabt. Nur das Attaché-Ehepaar. Aber dessen Söhne und eine Tochter waren schon erwachsen. Sie waren auf irgendeinem vornehmen College in England untergebracht. Franziska hatte sie nie zu Gesicht bekommen.
Gerade noch schlüpfte Franziska durch das Portal, bevor es für den Publikumsverkehr geschlossen wurde.
Das nette Fräulein von der Stellenvermittlung hieß Hell, und so sah sie auch aus. Hellblond, mit etwas Landluft aus der Tube nachgeholfen, stets freundlich und hilfsbereit. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie Franziska sah.
»Ja… nun sagen Sie nur, was ist denn schon wieder über Sie hereingebrochen, Fräulein Bertrich?«
Franziska reichte Fräulein Hell das Kündigungsschreiben ihrer letzten Arbeitgeberin und meinte:
»Haben Sie etwas Brauchbares, Fräulein Hell?«
Die Dame von der Stellenvermittlung lächelte zufrieden. »Sie schickt mir ja geradezu der Himmel, Fräulein Bertrich. Händeringend suche ich schnellstens nach einer geeigneten Kraft. Sie werden es nicht glauben, ich habe im Zusammenhang mit dieser Sache tatsächlich an Sie gedacht, aber Sie waren ja bei Stratmanns ganz gut aufgehoben. Sie wechseln nicht gerne, das weiß ich doch.«
»Nur in Notfällen«, seufzte Franziska.
Die Dame vom Arbeitsamt kramte in ihren Papieren und zog einen grünen Ordner hervor. Darin lag ein dickes Schreiben, das Fräulein Hell sorgfältig studierte, ehe sie Franziska Auskunft gab.
»Es handelt sich um eine hochdotierte Stelle, als selbständige Hauswirtschafterin bei einem alleinstehenden Herrn und drei mutterlosen Kindern auf Schloßgut Riedberg, dem Besitztum der erst kürzlich verstorbenen Besitzerin desselben.«
Kinder, dachte Franziska, ich wäre so gerne einmal bei Kindern. Schloßgut Riedberg, von dem hatte sie bisher noch nichts gehört, war ihr unbekannt. Sie fragte: »Ist der jetzige Besitzer Witwer?«
»Kann ich nicht sagen, ich weiß es nicht, darüber steht nichts in dem Schreiben. Zuvor hatte sich Herr von Berchem telefonisch bei mir erkundigt. Es scheint sehr dringend zu sein«, sagte Fräulein Hell nachdenklich.
»Sind noch mehr Angaben gemacht?« fragte Franziska interessiert.
»Nur, was den Arbeitsbereich der Hauswirtschafterin, das Gehalt und die üblichen Angebot betrifft wie bezahlte Ferien, Freizeit, Zimmer mit Bad und Fernsehen
usw.«
Franziska überlegte sehr gründlich. Es waren zwei Dinge, die sie zu ihrer Zusage bewogen: einmal die Kinder, zum anderen die grüne Farbe des Aktenordners.
»Es ist in Ordnung«, sagte sie dann, »ich nehme an. Wann kann ich anfangen?«
»Ich soll sofort telefonisch nach Schloß Riedberg Bescheid geben, wenn ich jemand Geeigneten gefunden habe. Wann Sie anfangen können? Am liebsten gestern.«
»Gut«, sagte Franziska, »also dann morgen.«
*
Das Schloßgut war von der Stadt aus mit dem Bus zu erreichen. Franziska überlegte kurz, dann tat sie etwas Verrücktes. Sie kaufte sich einen kleinen Gebrauchtwagen. Er war nicht sehr teuer, nicht besonders hübsch, aber sonst tadellos.
Sie gab ihm sofort einen Namen, sie taufte ihn Poldi und fand, daß er dadurch schon eine sehr persönliche Note besaß. Ihren Führerschein hatte sie seinerzeit bei Gräfin Sybille gemacht. Sie hatte die Gräfin oft in deren schwerer Limousine chauffiert. Den kleinen wendigen Poldi zu steuern, war dagegen ein Kinderspiel.
Die Landschaft, durch die sie fuhr, war wunderschön. Wald, Wiesen, Felder, blühende Sträucher am Wegesrand. Darüber ein blauer Himmel und Sonnenschein. Da war plötzlich ein verbeulter Wegweiser und ein primitiver Pfeil, und darauf stand geschrieben: Nach Schloßgut Riedberg.
Franziska fuhr dem Pfeil nach. Der Weg war holprig und reichlich mit Schlaglöchern versehen. Schließlich mündete er in einen ganz schmalen Pfad, den selbst der kleine Poldi nur mit äußerster Vorsicht entlangschlich. Franziska tröstete sich zunächst damit, daß sie die falsche Einfahrt erwischt hatte. Eine richtige Schloßauffahrt sah schließlich anders aus, das wußte sie nicht nur aus Büchern und Filmen, sondern auch tatsächlich durch Gräfin Sybille, da sie die Dame zu deren Freuden chauffiert hatte. Jedenfalls führte der Weg nicht hügelan, sondern eher in die Ebene. Das bekümmerte Franziska etwas. Es paßte nicht zu ihren Träumen. Ein Schloß mußte