Moritz, der Erbe von Tanneck: Mami Classic 13 – Familienroman
Von Eva-Maria Horn
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Es war ein sonniger, aber nicht warmer Septembertag, an dem der alte Doktor Wilfried Beckmann die Kreisklinik von Finsterwalde betrat, um der jungen Mutter Gitti Steiger und ihrem kleinen Sohn einen Besuch abzustatten. Er trug einen bunten Strauß bei sich und durchwanderte die langen Korridore recht gemächlich. Seitdem er nicht mehr praktizierte und nur noch wenige Freunde behandelte, kam er kaum noch aus seinem Heimatdorf Tanneck heraus und auch nicht mehr in diese große Klinik. Sie war im letzten Jahr frisch renoviert worden und bot einen erfreulichen Anblick. Das beruhigte ihn. Gitti und ihr Neugeborenes waren hier also gut aufgehoben. So schlecht, wie die Leute auf Schloß Tanneck es sich zuraunten, konnte es der jungen ledigen Mutter also nicht gehen. »Wie wird der Kleine denn heißen?« fragte er Minuten später die Wöchnerin ein wenig hilflos. Gitti Steiger drückte den Säugling zunächst an sich, als müsse sie ihn vor dem freundlichen älteren Herrn beschützen. Dann erst verrieten ihre scheu lächelnden Augen, wie gern sie sich an den alten Arzt erinnerte und wie sehr sie sich über seinen unerwarteten Besuch freute. »Moritz«, hauchte sie nach einer Weile. Schwester Ruth von der Entbindungsstation ordnete seine Blumen gerade in eine Vase. Sie sah sich um und lachte. »Moritz? Er soll wirklich Moritz heißen? Was ist das denn für ein Name! Dann heißt der Vater des Kleinen wohl Max, wie?« Gitti zuckte zusammen.
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Moritz, der Erbe von Tanneck - Eva-Maria Horn
Mami Classic
– 13 –
Moritz, der Erbe von Tanneck
Eva-Maria Horn
Es war ein sonniger, aber nicht warmer Septembertag, an dem der alte Doktor Wilfried Beckmann die Kreisklinik von Finsterwalde betrat, um der jungen Mutter Gitti Steiger und ihrem kleinen Sohn einen Besuch abzustatten. Er trug einen bunten Strauß bei sich und durchwanderte die langen Korridore recht gemächlich. Seitdem er nicht mehr praktizierte und nur noch wenige Freunde behandelte, kam er kaum noch aus seinem Heimatdorf Tanneck heraus und auch nicht mehr in diese große Klinik. Sie war im letzten Jahr frisch renoviert worden und bot einen erfreulichen Anblick. Das beruhigte ihn. Gitti und ihr Neugeborenes waren hier also gut aufgehoben. So schlecht, wie die Leute auf Schloß Tanneck es sich zuraunten, konnte es der jungen ledigen Mutter also nicht gehen.
»Wie wird der Kleine denn heißen?« fragte er Minuten später die Wöchnerin ein wenig hilflos. Gitti Steiger drückte den Säugling zunächst an sich, als müsse sie ihn vor dem freundlichen älteren Herrn beschützen. Dann erst verrieten ihre scheu lächelnden Augen, wie gern sie sich an den alten Arzt erinnerte und wie sehr sie sich über seinen unerwarteten Besuch freute.
»Moritz«, hauchte sie nach einer Weile. Schwester Ruth von der Entbindungsstation ordnete seine Blumen gerade in eine Vase. Sie sah sich um und lachte.
»Moritz? Er soll wirklich Moritz heißen? Was ist das denn für ein Name! Dann heißt der Vater des Kleinen wohl Max, wie?«
Gitti zuckte zusammen. Es war nicht das erste Mal, daß sie eine hämische Bemerkung ertragen mußte. Nur konnte sie sich einfach nicht daran gewöhnen.
»Moritz ist ein hübscher Name«, kam ihr Doktor Beckmann zu Hilfe. »Ihr Bruder hieß so, nicht wahr?« Sie nickte, und er fügte leise hinzu: »Ich erinnere mich noch gut an seinen tragischen Tod.«
»Das ist zehn Jahre her«, erwiderte sie flüsternd. »Und gleich danach wurde Mutter krank. Sie kamen damals täglich in unser Haus, Herr Doktor, und konnten ihr am Ende doch nicht helfen.« Sie schluckte. »Danke, daß Sie mich besuchen. Sonst kümmert sich ja niemand um mich.«
Wieder sah sie ihren winzigen Sohn voller Zärtlichkeit an, dann hob sie den Blick ihrer großen grünblauen Augen zu dem alten Arzt auf, wandte den Kopf aber flink nach rechts und links zu den beiden anderen Betten im Raum, in denen zwei Patientinnen lagen, die sie und den alten Herrn neugierig beobachteten.
»Ich schlage vor, wir setzen unser Gespräch auf dem Korridor fort.« Doktor Beckmann ahnte, was in ihr vorging.
»Ja, gern.« Behutsam und noch etwas unbeholfen legte sie das Baby in das kleine Bettchen neben ihrem. Dann ließ sie sich von ihm in den Morgenmantel helfen und schlüpfte in ihre Pantoffel.
»Sie sind wirklich der einzige Mensch, der mich besucht«, flüsterte sie. »Alle in Tanneck lassen mich nur noch Verachtung spüren, weil ich den Vater meines Kindes nicht nennen will. Aber ich muß doch schweigen. Sonst wird es für Moritz und mich alles noch schwerer.«
»Das kann ich mir denken. Bestimmt wissen Sie auch nicht, wie es weitergehen soll«, stellte er mit einem Seufzer fest und nahm ihren Arm. »Ist es nicht so? Deshalb bin ich gekommen.«
»Deshalb? Etwa, um mir zu helfen?« staunte Gitti. »Ich dachte, Sie besuchen mich aus purer Neugier. Jeder im Dorf und Umgebung will doch wissen, wer der Vater meines Kindes ist. Das kommt daher, weil ich einen so schlechten Ruf habe«, fügte sie trotzig hinzu. »Ist ja nicht mal so schlimm. Schrecklich ist nur die Schadenfreude, die aus jeder Bemerkung spricht. Ich war nie sehr beliebt im Dorf. Nun triumphieren alle. Sie gönnen mir aus vollem Herzen diese Last, die ich mir mit dem Kind aufgeladen habe.«
»Last? Ein Kind bedeutet doch Glück, Gitti.«
Sie blieb stehen und sah ihn lange an. An dem alten Arzt waren die letzten zehn Jahre auch nicht spurlos vorübergegangen, aber er strahlte immer noch die vertrauenerweckende Güte aus, wie sie sie aus ihrer Kindheit erinnerte.
»Wie wollen Sie mir denn helfen, Herr Doktor?« fragte sie kaum hörbar.
Er räusperte sich. »Nun ja, Gitti, es ist so. Also, Herr Berthold Hollbach schickt mich.«
Gittis sowieso schon blasses Gesicht wurde kreidebleich. Sie schluckte mehrmals, um dann seinem bohrenden Blick auszuweichen und sich mit einem erschrockenen Laut durch das Haar zu fahren.
»Wieso Hollbach? Kennen Sie den Alten denn?«
Er nickte. »Hollbach wurde doch auf Schloß Tanneck geboren. Wir kennen uns noch aus unserer frühen Jugendzeit. Als er Ende der Dreißiger Jahre in den Krieg zog, war ich noch ein kleiner Bub.« Gitti rechnete im stillen nach. »Letztes Jahr wurde er fünfundachtzig.«
Doktor Beckmann lächelte kaum merklich. Mit dieser Bemerkung verriet sie doch schon genug. Ob sie es nicht begriff?
»Hollbach geriet in Gefangenschaft«, erzählte er weiter. »Gegen Ende des unseligen Krieges mußten seine Eltern das Schloß verlassen. Sie flüchteten wie viele andere gen Westen.«
»Ja, das weiß ich auch. Das ist alles so lange her.«
»Dann wissen Sie auch, daß Herr Hollbach das Schloß nach der Vereinigung wieder in seinen Besitz brachte und sich dort jetzt ein Dutzend Handwerker aufhalten?«
Gitti nickte. »Herr Hollbach läßt es von Grund auf renovieren. Er ist schrecklich reich, nicht?«
Doktor Beckmann schmunzelte über diese fast kindliche Frage. Denn sie ermutigte ihn auch, sich endlich ein Herz zu fassen.
»Thomas Hollbach hat Ihnen davon erzählt, nicht wahr?«
»Thomas Hollbach?« Gitti stellte sich unwissend und wurde rot.
»Ja, Thomas Hollbach. Er kam doch vor knapp einem Jahr zum Geburtstag seines Großvaters. Nur konnte er nichts mit der Abgeschiedenheit und Ruhe auf Schloß Tanneck anfangen. Er hielt sich manchmal, wie ich inzwischen hörte, im Dorf auf. Und so lernte er Sie an der Kasse des Supermarkts kennen und verbrachte einige Abende mit Ihnen im Gasthof ›Zum Langen Kerl‹. War es nicht so, Gitti?«
»Unsinn!« Ihr Blick flackerte auf. »Diesen Thomas kenne ich doch gar nicht.«
Er führte sie ans Ende des Ganges, wo sie wirklich von keinem gestört werden konnten. Dort nahm er ihre Hände zwischen seine.
»Warum streiten Sie es ab, Gitti? Das ganze Dorf weiß doch, daß Thomas Hollbach viel Zeit mit Ihnen verbrachte, weil er sich bei seinem Großvater im Schloß langweilte.«
Sofort begriff er, daß er sich falsch ausgedrückt hatte. Seine Worte mußten sie verletzen.
»Das sind doch dumme Gerüchte!« fuhr sie auf. »Hier will mir jeder was anhängen. Die Leute mögen mich nicht, weil ich anders bin als die Frauen im Dorf. Ich seh’ eben besser aus. Na und? Außerdem hab’ ich Spaß am Leben!«
»Das ist nur gut, Gitti. Nur soll auch der kleine Moritz Spaß am Leben haben.«
»Dafür sorge ich schon.«
Da legte er die Hände auf ihre Schultern und sah sie lange und sorgenvoll an. »Thomas Hollbach war vor genau neun Monaten hier, im letzten Dezember, kurz bevor er von seinem Großvater nach Amerika geschickt wurde.«
»Und? Was hab’ ich damit zu tun?«
Er neigte seinen Kopf auf die Brust, so daß Gitti direkt auf die Glatze des alten, zierlich gewachsenen Arztes schauen konnte. Dabei hämmerte ihr Herz so heftig, daß sie fürchtete, er könnte es hören.
Ob es wirklich noch mehr Menschen im Dorf gab, die die Geburt ihres kleinen Moritz mit dem jungen Hollbach in Verbindung brachten?
Warum war gerade der alte Millionär Berthold Hollbach auf die Idee gekommen, Doktor Beckmann zu ihr ins Krankenhaus zu schicken?
»Ich habe Sie immer gern gehabt, Gitti, und mir nie etwas aus dem Getratsche über Sie gemacht. Darum war ich auch gern bereit, die Bitte von Berthold Hollbach zu erfüllen und Sie aufzusuchen«, erklärte er, ohne sie anzuschauen. »Machen Sie es mir nicht so schwer. Keiner will Ihnen Vorwürfe machen!«
»Das glaube ich nicht! Darum hört kein Mensch von mir, wer Moritz’ Vater ist. Sie und Herr Hollbach auch nicht. Wenn Sie nur gekommen sind, um mich auszuhorchen, dann sollten Sie lieber gleich wieder gehen!«
»Das will ich gewiß nicht. Denn wenn Sie den Namen von Moritz’ Vater nicht preisgeben wollen, ist das Ihre Privatsache, Gitti. Ich bin hier, weil Herr Hollbach eine zusätzliche Haushaltshilfe sucht. Er macht Ihnen ein Angebot.« Jetzt sah er sie wieder an. »Sie können sofort ein Zimmer im Schloß beziehen, wenn sie mit Moritz die Klinik verlassen müssen. Sechs Wochen Pause