Kinderglück kehrt nie zurück: Sophienlust Extra 62 – Familienroman
Von Gert Rothberg
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Über dieses E-Book
In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg.
Gaby glättete den Sand in dem Förmchen, drehte die Kuchenform um und presste sie auf die Holzbank, die rund um den Sandkasten lief. Doch der ›Kuchen‹ zerrann auf der Stelle wieder. Der Sand war trocken und klebte nicht zusammen. Gaby schüttelte entrüstet das Köpfchen. Ihre schulterlangen seidigen blonden Locken flogen dabei um ihr schmales Gesichtchen. Nun wischte sie die schmutzigen Finger an dem kornblumenblauen Röckchen ab, das die gleiche Farbe hatte wie ihre Augen. Auf diesem Röckchen blühten leuchtendrote Mohnblumen und weiße Margeriten, von einer geduldigen Hand gestickt. Die Margeriten nahmen durch den Sand eine leicht gräuliche Tönung an, auch die Mohnblumen blühten jetzt an manchen Stellen in erdbraunen Tönen. Das kleine Mädchen warf die Kuchenformen und die Schaufel in das Plastikeimerchen und stellte alles in einer Ecke des Sandkastens ab. In diesem Moment wurde ein Fenster in einem der gegenüberliegenden Hochhäuser geöffnet, und eine Frauenstimme rief: »Gaby, bist du noch da?« Das kleine Mädchen nickte ernsthaft, hob die Hand und winkte seiner Mutter zu. »Ja!«, rief es zurück. »Aber mir ist schrecklich langweilig, Mutti!« »Ich komm später zu dir runter, Gaby«, versprach die junge Frau. »Ich muss nur noch das Abendbrot richten. Dass du mir aber nicht auf die Straße läufst, hörst du?« »Ja, Mutti«, antwortete Gaby gehorsam.
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Buchvorschau
Kinderglück kehrt nie zurück - Gert Rothberg
Sophienlust Extra
– 62 –
Kinderglück kehrt nie zurück
Wie Gaby und Roland Geschwister wurden
Gert Rothberg
Gaby glättete den Sand in dem Förmchen, drehte die Kuchenform um und presste sie auf die Holzbank, die rund um den Sandkasten lief. Doch der ›Kuchen‹ zerrann auf der Stelle wieder. Der Sand war trocken und klebte nicht zusammen.
Gaby schüttelte entrüstet das Köpfchen. Ihre schulterlangen seidigen blonden Locken flogen dabei um ihr schmales Gesichtchen.
Nun wischte sie die schmutzigen Finger an dem kornblumenblauen Röckchen ab, das die gleiche Farbe hatte wie ihre Augen.
Auf diesem Röckchen blühten leuchtendrote Mohnblumen und weiße Margeriten, von einer geduldigen Hand gestickt.
Die Margeriten nahmen durch den Sand eine leicht gräuliche Tönung an, auch die Mohnblumen blühten jetzt an manchen Stellen in erdbraunen Tönen.
Das kleine Mädchen warf die Kuchenformen und die Schaufel in das Plastikeimerchen und stellte alles in einer Ecke des Sandkastens ab. In diesem Moment wurde ein Fenster in einem der gegenüberliegenden Hochhäuser geöffnet, und eine Frauenstimme rief: »Gaby, bist du noch da?«
Das kleine Mädchen nickte ernsthaft, hob die Hand und winkte seiner Mutter zu. »Ja!«, rief es zurück. »Aber mir ist schrecklich langweilig, Mutti!«
»Ich komm später zu dir runter, Gaby«, versprach die junge Frau. »Ich muss nur noch das Abendbrot richten. Dass du mir aber nicht auf die Straße läufst, hörst du?«
»Ja, Mutti«, antwortete Gaby gehorsam. Zugleich dachte sie, dass auf der Straße viel mehr los sei als hier auf dem Kinderspielplatz. Im Moment war ihr jedenfalls fürchterlich langweilig.
Gaby wartete, bis ihre Mutter das Küchenfenster wieder geschlossen hatte, dann schlenderte sie wie zufällig in Richtung Straße. Die Wagen brausten an ihr vorbei. Manchmal waren hohe Lastwagen darunter, die bis in den Himmel zu reichen schienen. Wenn es einmal zwischen den Autos eine Lücke gab, sah Gaby, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Hund vor einem Lebensmittelgeschäft angebunden war. Sie liebte Tiere sehr, vor allem Hunde, und hätte den einsamen Dackel auf der anderen Straßenseite gern einmal gestreichelt. Aber die Mutti hatte ihr verboten, den Spielplatz zu verlassen.
Eine Minute lang kämpfte Gaby mit sich. Dann kam sie zu dem Schluss, dass sie es riskieren könne. Sie war schließlich schon drei Jahre alt und wusste genau, wie man es machen musste, wenn man eine Straße überqueren wollte. Zuerst musste man nach links schauen, dann nach rechts. Und dann nichts wie über die Fahrbahn gerannt.
Wohlbehalten kam das kleine Mädchen auf der anderen Seite an. Nun hörte es, dass der Dackel leise vor sich hin winselte, und sah, dass er mit sehnsuchtsvollen Blicken zur Ladentür schaute.
Gaby kauerte sich neben dem Hund auf den Bürgersteig und streichelte vorsichtig das glänzende braune Fell des Dackels. »Du bist doch nicht mehr allein«, versuchte sie ihn zu trösten. »Jetzt bin ich doch bei dir.«
Der Dackel schien Kinder zu mögen. Er schwieg unvermittelt, musterte Gaby aus treuen braunen Augen und leckte ihr mitten übers Gesicht.
Die Kleine lachte laut auf. »Du bist aber ein ulkiger Kerl!«, rief sie. »Meine Mutti hat mich schon gewaschen. Und deine Zunge ist so rau.«
Gaby verstummte und überlegte angestrengt, ob sie es wagen könne, die Leine von dem Fahrradständer zu lösen und ein paar Schritte mit dem Dackel den Bürgersteig entlangzuspazieren. Schließlich entschied sie, dass sie das sicherlich tun dürfte. Sie konnte dabei ja ständig den Ladenausgang beobachten.
Mit geschickten Händen löste sie den Knoten und nahm die Leine in die Hand. In diesem Augenblick trat eine ältere Frau mit scharfen Gesichtszügen und straff nach hinten gekämmten Haaren aus dem Laden heraus auf die Straße. Mit einem Blick hatte sie die Situation erfasst! Sie sah das fremde Mädchen mit der Leine in der Hand, den Dackel, der entzückt an der Kleinen emporsprang und in hohen fiependen Tönen bellte.
Mit zwei Schritten war sie bei Gaby und riss ihr die Leine aus der Hand. »Was fällt dir ein?«, schrie sie dabei mit zornrotem Gesicht. »Noch so klein und stiehlt schon Hunde! Man sollte es einfach nicht für möglich halten.«
Gaby war zuerst sehr blass geworden. Nun brannten ihre Wangen wie im Fieber. »Das ist nicht wahr!«, verteidigte sie sich aufgebracht. »Ich hab den Hund nicht stehlen wollen. Ich hab nur …Ich wollte ein Stück mit ihm laufen. Er hat geweint, und ich war auch so allein.« Sie verstummte und fuhr sich mit der Hand über die Augen, in denen es verdächtig feucht glänzte.
Die fremde Frau warf ihr einen verachtungsvollen Blick zu und nahm ihren Hund auf den Arm. »Tz, die Jugend von heute«, entrüstete sie sich. »Man kann sich leicht vorstellen, wohin das führt. Spätestens in zehn Jahren landest du zum ersten Mal im Gefängnis.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und stapfte davon.
Gaby hatte keine Ahnung, was das war, ein Gefängnis. Sie verstand nur, dass man ihr nicht erlaubte, mit dem Dackel zu spielen. Dabei mochte sie Tiere doch so sehr. Und der Dackel hätte bestimmt auch gern mit ihr gespielt.
Mit tränenblinden Augen überquerte Gaby abermals die Straße. Diesmal vergaß sie völlig, nach beiden Seiten zu blicken. Aber sie hatte Glück. Ein Autofahrer hatte das Kind im blauen Röckchen rechtzeitig gesehen und das Bremspedal bis zum Boden durchgetreten. Wohlbehalten langte das kleine Mädchen auf der anderen Seite der Fahrbahn an.
Gaby ging zum Spielplatz, holte ihr Eimerchen aus dem Sandkasten und lief auf das hohe Haus zu, in dem sie mit ihren Eltern wohnte. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um den Klingelknopf zu erreichen. Doch ihre Mutter öffnete ihr sofort die Tür.
Marianne Römer erschrak, als sie das tränenüberströmte Gesicht ihrer kleinen Tochter gewahrte. »Was ist passiert, Gaby?«, rief sie alarmiert und beugte sich hinab zu dem Kind. »Hast du dir wehgetan?«
Gaby schüttelte den Kopf, dass die Haare flogen. »Nein, Mutti! Aber da war eine Frau, die hatte einen Dackel. Und mit dem wollte ich spielen. Aber sie hat mich nicht gelassen. Sie war böse und hat mit mir geschimpft. Sie hat gesagt, ich stehle den Dackel. Aber das stimmt gar nicht. Bloß spielen wollte ich mit ihm. Mutti, warum kann ich keinen Dackel haben? Oder ein Kätzchen? Ach, bitte, Mutti, kauf mir doch ein Tier!«
Das Gesicht der jungen Frau war blass geworden. Sie strich Gaby die blonden Haare aus der heißen Stirn und erklärte mit gepresster Stimme: »Ich hab es dir doch schon so oft erklärt, mein Liebling. Hier im Haus sind keine Tiere erlaubt. Es steht ausdrücklich im Mietvertrag.«
»Dann such doch eine andere Wohnung«, schlug Gaby vor. »Eine mit Garten. Das wär überhaupt viel schöner – ein Garten. Mit ganz vielen Blumen und Tieren drin.«
Mit kaum vernehmlicher Stimme antwortete Marianne: »Ich weiß, mein Liebling, dass ein eigenes Haus viel schöner ist als eine Mietwohnung in einem Hochhaus. Aber so ein Häuschen kostet sehr viel Geld. Das haben wir leider nicht.«
Gaby hatte nachdenklich die Stirn gerunzelt. Nun erkundigte sie sich ernst: »Vati ist doch fort, um Geld zu verdienen, nicht wahr? Du hast es mir doch erzählt, Mutti!«
»Das stimmt, Herzchen. Dein Vati arbeitet als Vertreter und ist ständig unterwegs. Aber sein Verdienst ist leider nicht sehr groß.« Marianne Römer verstummte und dachte, dass sie gern in ihren Beruf zurückkehren und ein wenig Geld dazuverdienen würde. Aber da war Gaby. Sie wollte nicht, dass ihr Kind in einem Kindergarten oder in einem Jugendhort aufwachsen musste. Dazu liebte sie ihr einziges Kind viel zu sehr. Sie wollte sich nicht einmal für ein paar Stunden von Gaby trennen. Deshalb beschied sie sich mit dem, was Friedrich ihr ab und zu in die Hand drückte. Viel Geld war das nicht. Sie verdächtigte ihren Mann bereits seit einiger Zeit, dass er den größten Teil seines Einkommens für andere Dinge ausgebe. Doch sie wagte es nicht, sich auszumalen, wofür das Geld wegging.
»Wann kommt Vati eigentlich wieder heim?«, riss Gaby ihre Mutter aus den trüben Gedanken über ihre Ehe.
»Ich weiß es nicht, Herzchen«, antwortete Marianne wahrheitsgemäß. »Aber nun komm! Dein Abendbrot ist bereits fertig. Nachher geht es in die Badewanne. Du bist ein ganz schöner Dreckspatz. Eigentlich sollte ich dich noch vor dem Essen abduschen.«
»Au ja!«, rief Gaby entzückt. Ihr abendliches Bad liebte sie sehr. Sie nahm ihre sämtlichen Tiere, so weit sie nicht aus Plüsch waren und sofort im Wasser versanken, mit in die Badewanne. Außerdem ein paar Boote, die ihr die Mutter im Laufe der letzten beiden Jahre geschenkt hatte. Jeden Abend fand in der Badewanne eine größere Seeschlacht statt, die Marianne auch diesmal wieder lächelnd verfolgte. Gaby war ihr Ein und Alles, seit Friedrich kaum noch nach Hause kam.
Eine Stunde später saß die junge Frau am Bett ihres Kindes und erkundigte sich: »Welche Geschichte möchtest du denn heute hören?«
»Die vom Schneewittchen und den sieben Zwergen«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Gaby hatte das Märchen mindestens schon fünfzigmal gehört, aber ihre Mutter musste es immer wieder erzählen. Insgeheim hoffte Gaby nämlich, selbst einmal einem Zwerg zu begegnen. Leider war ihr dies bis jetzt noch