Mami 1784 – Familienroman: Julchen, das Wunschkind der Fürstin
Von Isabell Rohde
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"Du hast ja ganz klebrige Finger, Julchen", stellte Verena fest, als sie die Hand ihrer Tochter ergriff, bevor sie das Kreiskrankenhaus betraten.
"Hab' ich", stimmte die Sechsjährige zu, "vom Osterei. Das war ganz unten in meinem Schulranzen und kaputt. Drinnen war was schönes Rosarotes."
"Soso. Ein altes Osterei mit Himbeerfüllung." Verena Schwab lächelte. "Du kannst dir ja gleich bei Opa die Hände waschen."
Verena hatte es eilig. In anderthalb Stunden sollte sie im Schloß bei der Fürstin erscheinen. Und noch wußte sie nicht, wo sie Julchen in der Zeit lassen sollte. Im Krankenzimmer beim Opa konnte sie nicht bleiben, zuviel durfte sie dem Rekonvaleszenten nicht zumuten.
"Ist Opa noch sehr krank?" fragte Julchen und versuchte, mit ihrer Mutter Schritt zu halten. "Dann fürchte ich mich."
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Mami 1784 – Familienroman - Isabell Rohde
Mami -1784-
Julchen, das Wunschkind der Fürstin
Hab mich lieb - sonst lauf ich weg
Isabell Rohde
»Du hast ja ganz klebrige Finger, Julchen«, stellte Verena fest, als sie die Hand ihrer Tochter ergriff, bevor sie das Kreiskrankenhaus betraten.
»Hab’ ich«, stimmte die Sechsjährige zu, »vom Osterei. Das war ganz unten in meinem Schulranzen und kaputt. Drinnen war was schönes Rosarotes.«
»Soso. Ein altes Osterei mit Himbeerfüllung.« Verena Schwab lächelte. »Du kannst dir ja gleich bei Opa die Hände waschen.«
Verena hatte es eilig. In anderthalb Stunden sollte sie im Schloß bei der Fürstin erscheinen. Und noch wußte sie nicht, wo sie Julchen in der Zeit lassen sollte. Im Krankenzimmer beim Opa konnte sie nicht bleiben, zuviel durfte sie dem Rekonvaleszenten nicht zumuten.
»Ist Opa noch sehr krank?« fragte Julchen und versuchte, mit ihrer Mutter Schritt zu halten. »Dann fürchte ich mich.«
»Fürchten? Du hast dich noch nie vor deinem Opa gefürchtet. Inzwischen geht es ihm auch wieder ganz gut. Bald kommt er nach Hause. Nur noch ein knapper Monat, und er geht ohne Stock.«
»Davor fürchte ich mich noch viel mehr«, seufzte Julchen. »Wenn Opa wieder bei uns ist, hast du ja gar keine Zeit mehr für mich.«
»Dafür hat Opa dann wieder viel Zeit für dich, mein Schatz. Er wird dann auch keine Schmerzen mehr haben.«
Verena Schwab war siebenundzwanzig und wohnte mit ihrem Julchen immer noch bei ihren Eltern auf dem kleinen Hof am Rande des Dorfes Bessenheim. Vor sieben Jahren, als sie schwanger war, hatte sie sich von Jochen, dem Vater ihres Kindes, getrennt. Sie dachte nicht gern an diese schwere Zeit zurück. Es hat sich so ergeben, redete sie sich ein und auch, daß sie ihren Eltern dankbar sein mußte, weil beide ihr niemals Vorwürfe gemacht hatten. Aber manchmal, wenn sie der Wunsch nach Selbständigkeit und etwas mehr Freiheit übermannte, mußte sie sich eingestehen, daß es dafür zu spät war. Darum war sie auch so glücklich, daß sie nach fast sieben Jahren wieder oben auf dem Schloß als Friseuse der Fürstin gebraucht wurde.
»Da seid ihr ja, ihr beiden Hübschen«, begrüßte Reinhard Schwab Tochter und Enkelin und richtete sich sogar etwas auf, um seine geliebte Enkelin in die Arme schließen zu können.
»Opa, du kratzt!« beschwerte Julchen sich.
»Na, was!« empörte er sich lachend. »Die Schwestern sagen, der Bart steht mir gut. Und wenn ich wieder zu Hause bin, wird Oma schon dafür sorgen, daß er verschwindet.«
»Wenn er dir gefällt, wirst du ihn behalten«, bestimmte Verena humorvoll, obwohl sie sich doch schon wieder ärgerte. Nur wollte sie es nicht anmerken lassen, wie es ihr manchmal gegen den Strich ging, daß ihre Mutter immer das letzte Wort hatte. In den wichtigen Angelegenheiten genauso wie in den kleinen Dingen, die ihrem Vater Freude machten. Sie legte ihm seine Lieblingsillustrierte auf die Bettdecke, um ihm dann einen Kuß zu geben.
Julchen wusch sich die Hände am Waschbecken, sah sich im Zimmer um und schaute dann aus dem Fenster in den Garten des Krankenhauses hinaus, wo zwei kleine Jungen spielten.
»Darf ich raus?« fragte sie.
»Ja, geh nur, mein Julchen«, erlaubte der Opa. »Aber wenn Mami dich ruft, weil sie gehen muß, kommst du gleich angeflitzt.«
Kaum war Julchen hinausgerannt, lehnte er sich zurück und winkte Verena zu sich.
»Also, jetzt erzähl mal. Was ist mit der Fürstin? Stimmt es, was Trudi mir erzählt hat? Die Fürstin braucht dich wieder als Friseuse? Jetzt, da der Fürst gestorben und sie Witwe ist, hat sie sich wieder an dich erinnert?«
Der feine Spott seiner Stimme war nicht zu überhören, und schon fühlte Verena sich verpflichtet, die Fürstin zu verteidigen.
»Als sie vor sieben Jahren heiratete, bestand der Fürst nun mal auf einer richtigen Kammerzofe für seine junge Frau. Eine wie ich, aus dem Dorf und ohne Meisterprüfung genügte da nicht mehr.«
»Unsinn. Ein Wort der jungen Fürstin und er hätte dich eingestellt.«
»Na und? Sie entschieden sich für eine erfahrenere Kraft«, erwiderte Verena leichthin. »Die hieß Clara, war Friseurmeisterin und Kosmetikerin, verstand sich auf Wäschepflege und kleine Näharbeiten und stand der Fürstin immer zur Verfügung, weil sie im Schloß wohnte.«
»Die meisten vom Schloßpersonal bewohnen im Dachgeschoß eigene Appartements, das war schon immer so«, grummelte Reinhard Schwab. Er kannte sich in den Gepflogenheiten auf dem Berg aus. Sein Großvater und sein Vater hatten die fürstliche Küche mit Gemüse, Eiern und Geflügel beliefert. Wie alle Leute in und um Bessenheim herum, gehörte auch er zu den Bewunderern des alten Fürsten Friedrich. Darum hatte es ihn auch so hart getroffen, daß er vor drei Wochen nicht zu dessen Begräbnis konnte.
»Sie hat diese Carla kurz nach den Begräbnisfeierlichkeiten entlassen«, fuhr Verena mit gedämpfter Stimme fort. »Sie sagt, Carla habe sich auf die Seite der jungen Prinzen geschlagen, als es um eine Erbschaftsangelegenheit ging. Darum brauchte sie mich plötzlich wieder.«
»Was denn für Erbschaftsangelegenheiten?« wollte Reinhard wissen. Hier im Krankenhaus tuschelte man ja nicht über die fürstliche Familie.
»Die Prinzen…«
»Ja, ja«, unterbrach er sie lebhaft. »Erzähl mir von Hendrik und Konrad. Was treiben die beiden denn jetzt so. Darf Hendrick als Ältester sich jetzt nicht Fürst nennen? Ist er nicht auch im diplomatischen Dienst wie sein Vater?«
»Ja. Er ist vierunddreißig und Attaché in Rom. Ihm stehen nach einer gewissen Zeit die acht Räume der jungen Fürstin im Mitteltrakt des Schlosses zu. Er will sie als Privatresidenz nutzen. Das bedeutet, daß sie mit einer Fünf-Zimmerwohnung im Seitentrakt auskommen muß – wie Prinz Konrad. Darüber ist sie ganz unglücklich.«
»Deshalb ist sie unglücklich, die junge Gabriele Fürstin zu Bessenthal?« sann Verenas Vater vor sich hin. »Sie ist doch gerade mal dreißig. Einer jungen Witwe reichen fünf Räume. Sie kann doch die vielen Salons im Erdgeschoß nutzen. Kochen muß sie auch nicht, einer Arbeit ging sie nie nach. Im Gegenteil, sie hat sich während ihrer Ehe oft nach Italien oder Frankreich verdrückt und den kränkelnden Fürsten allein gelassen. Seinen beiden Söhnen war sie nicht mal eine gute Stiefmutter.«
»Aber Vati! Wie konnte sie das? Hendrik ist vier Jahre älter, Konrad nur vier Jahre jünger als sie. Denkst du, sie konnte ihnen die Mutter ersetzen? Wußtest du, daß Fürst Friedrich tatsächlich achtundvierzig Jahre mehr zählte als sie? Ich hab’s nie fassen können!«
»Ja, ja. Es glich einem Skandal, als er sie zum Traualtar führte. Erinnerst du dich wenigstens noch daran?«
»Sicher! Ich habe sie damals doch frisiert und ihr den Brautschmuck im Haar befestigt.«
»Und gleich danach warst du vergessen. Weil du deinen Meister noch nicht gemacht hast. Das war schlimm für dich, Verena.«
»Das war es nicht. Damals gab es wichtigere Dinge in meinem Leben.« Sie unterbrach sich.
»Ich weiß, Jochen. Und der hat dir auch nicht viel Glück gebracht.«
Verena zuckte zusammen. »Ich habe Julchen, Vati. Bitte fang nicht wieder von Jochen an.«
Ein beklemmendes Schweigen legte sich zwischen die beiden. Nur das schwere Atmen des Patienten war zu hören.
Plötzlich berührte Reinhard den Arm seiner Tochter. Mit dieser liebevollen Geste bat er um Verzeihung. Verena wandte sich lächelnd zu ihm. Noch nie konnte sie ihm länger als einige Sekunden grollen. Dazu hatte sie ihn zu lieb.
»Und Prinz Konrad, was treibt der?« wollte er wissen.
»Prinz Konrad studiert in München.« Ein verschmitztes Lächeln grub sich in ihre Mundwinkel. »Er ist immer noch so nett wie damals. Er war es auch, der vor der Tankstelle vorfuhr, weil er im Dorf erfahren hatte, daß ich dort oft aushelfe. Er kam herein und lachte mich an wie früher. Dann bat er mich unverblümt, noch am gleichen Tag die Fürstin zu frisieren. Sie wußte sich ohne Carla nicht zu helfen und weigerte sich, an einer Feierstunde zum Gedenken des Fürsten teilzunehmen. Er meinte sogar, sie stelle sich nur krank, weil sie ohne Carla nicht mit ihren Haaren zurechtkäme.«
»Er muß seine junge Stiefmutter gut kennen.«
»Vielleicht. Wenigstens habe ich mich breitschlagen lassen und bin hoch, so bald ich Zeit fand.«
»Du hast gewartet, bis Trudi von einem Besuch bei mir zurück in die Tankstelle kam. Das war recht von dir.«
»Ja, Vati. Ich lasse Mutti und dich doch nicht im Stich. Nicht mal wegen der Fürstin.«
»Das weiß ich. Und ich verstehe auch, wie gern du die Fürstin frisierst. Das ist interessanter, als unser Haus zu putzen, einen quengelnden Vater wie mich zu ertragen, die Hühner zu versorgen und deine Mutter in der Tankstelle zu vertreten.« Er sah sie innig an. »Du hast deinen Beruf immer sehr geliebt, Verena. Wenn Julchen nicht gekommen wäre, hättest du vielleicht schon einen eigenen kleinen Salon in Bessenheim.«
»Julchen ist wichtiger als ein Salon. Und euch zu helfen, ist nur gerecht. Ich muß euch für so