Das Amulett der Liebe: Der kleine Fürst 365 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
Vorsichtig öffnete Bettina von Stetten die Flügeltür, die zum Schlafzimmer ihrer Großmutter führte. Der Zustand von Fürstin Emilia zu Leven hatte sich in den letzten Tagen erheblich verschlechtert, deshalb verließen Bettina, ihre Eltern und ihr Onkel die große alte Villa der Fürstin kaum noch. Sie war immer stark gewesen, aber vor einigen Monaten hatte sie sich ganz plötzlich verändert, war in geradezu unheimlich kurzer Zeit alt und hinfällig geworden und hatte etwas gesagt, das ihr noch kurz zuvor niemals über die Lippen gekommen wäre: »Ich habe keine Freude mehr am Leben.« Schmal und blass lag sie in ihrem Bett, die Augen hielt sie geschlossen, der Kopf mit den weißen Haaren war leicht zum Fenster geneigt. Sie bewegte sich nicht, doch schien sie Bettinas Anwesenheit zu spüren, denn sie fragte mit brüchiger Stimme: »Bist du das, Tina?« »Ja, Omi. Soll ich dir etwas bringen? Hättest du gern etwas zu trinken?« »Nichts, danke. Setz dich zu mir, Kind. Es ist schön, dass du jetzt bei mir bist.« Sie atmete schwer, bevor sie hinzusetzte: »Ich möchte dir etwas geben, ich denke, es wird Zeit.« Bettina setzte sich zu ihr ans Bett und griff nach ihrer Hand. Wie klein sie geworden war! Fast wie eine Kinderhand. »Sag so etwas nicht, Omi, wir haben Zeit genug.« Emilia öffnete die Augen und sah ihre einzige Enkelin an. Ihre Augen waren voller Liebe. »Ich werde sterben, Kind. Du weißt es, und ich weiß es auch.
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Das Amulett der Liebe - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 365 –
Das Amulett der Liebe
Viola Maybach
Vorsichtig öffnete Bettina von Stetten die Flügeltür, die zum Schlafzimmer ihrer Großmutter führte. Der Zustand von Fürstin Emilia zu Leven hatte sich in den letzten Tagen erheblich verschlechtert, deshalb verließen Bettina, ihre Eltern und ihr Onkel die große alte Villa der Fürstin kaum noch. Sie war immer stark gewesen, aber vor einigen Monaten hatte sie sich ganz plötzlich verändert, war in geradezu unheimlich kurzer Zeit alt und hinfällig geworden und hatte etwas gesagt, das ihr noch kurz zuvor niemals über die Lippen gekommen wäre: »Ich habe keine Freude mehr am Leben.«
Schmal und blass lag sie in ihrem Bett, die Augen hielt sie geschlossen, der Kopf mit den weißen Haaren war leicht zum Fenster geneigt. Sie bewegte sich nicht, doch schien sie Bettinas Anwesenheit zu spüren, denn sie fragte mit brüchiger Stimme: »Bist du das, Tina?«
»Ja, Omi. Soll ich dir etwas bringen? Hättest du gern etwas zu trinken?«
»Nichts, danke. Setz dich zu mir, Kind. Es ist schön, dass du jetzt bei mir bist.« Sie atmete schwer, bevor sie hinzusetzte: »Ich möchte dir etwas geben, ich denke, es wird Zeit.«
Bettina setzte sich zu ihr ans Bett und griff nach ihrer Hand. Wie klein sie geworden war! Fast wie eine Kinderhand. »Sag so etwas nicht, Omi, wir haben Zeit genug.«
Emilia öffnete die Augen und sah ihre einzige Enkelin an. Ihre Augen waren voller Liebe. »Ich werde sterben, Kind. Du weißt es, und ich weiß es auch. Und ich möchte, dass du dir, wenn ich tot bin, eins immer vor Augen hältst: Ich habe nichts mehr gegen den Tod einzuwenden, er kommt zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe viel Schönes erleben dürfen, dafür bin ich dankbar, aber jetzt habe ich keine Kraft mehr.«
»Aber … aber du warst immer so lebendig, alle haben dich für viel jünger gehalten, Omi! Warum hat sich das geändert?«
Emilia lächelte. Es war ein fernes, entrücktes Lächeln, das Bettina erschreckte. »Zu spät«, murmelte sie.
»Was ist zu spät, Omi? Bitte, rede doch mit mir. Vielleicht ... vielleicht findest du deine Lebensfreude ja noch wieder! Wir beide könnten noch einmal eine Europareise machen, wie damals. Das war die schönste Reise meines Lebens, ich werde sie nie vergessen. Oder wir fliegen in die Südsee, das war doch ein Traum von dir. Nichts ist zu spät, so lange man …«
Emilia hob müde eine Hand, um ihre Enkelin am Weiterreden zu hindern. »Kind, bitte, hör auf. Ich werde sterben. Du willst mir doch nicht meine letzten Stunden schwer machen?«
»Natürlich nicht«, flüsterte Bettina mit tränenerstickter Stimme. »Aber wie soll ich denn ohne dich zurechtkommen? Du warst immer auf meiner Seite, hast mir zugehört, wenn ich Kummer hatte, mir einen Rat gegeben, wenn ich ihn brauchte. Ohne dich schaffe ich es nicht.«
»Deine Eltern lieben dich, Tina, auch wenn sie es nicht so zeigen können wie ich, weil sie einen anstrengenden Alltag haben mit viel Arbeit und auch vielen Sorgen. Aber sie lieben dich, und sie würden alles für dich tun.«
Emilia holte tief Luft. »Glaub mir, ich weiß das. Und jetzt sei bitte so gut und geh da drüben zu meinem Schrank.«
Verwundert und verunsichert befolgte Bettina die Anweisung ihrer Großmutter.
»Öffne ihn. Auf der rechten Seite befinden sich Schubladen. In der untersten liegt ein Kästchen. Nimm es bitte heraus und komm wieder zu mir.«
Bettina brachte ihrer Großmutter das schwarze Kästchen, das sie nie zuvor gesehen hatte. »Hier bitte, Omi.«
Emilia schüttelte den Kopf. »Mach es auf, Kind.«
Auch das tat Bettina. Auf dunkelblauem Samt lag ein goldenes Amulett, dessen Mitte ein winziges Herz aus Diamanten zierte. Es war eine wunderschöne Arbeit, die Bettina sprachlos bewunderte.
»Es gehört jetzt dir, Tina«, sagte Emilia. »Ich hoffe, dass du es trägst, wenn ich tot bin – und dass dich dieses Amulett immer daran erinnert, dass du eine der größten Freuden meines Lebens gewesen bist.«
Bettina liefen Tränen über die Wangen, als sie sich über ihre Großmutter beugte, um sie zu küssen. »Danke, Omi. Es ist so unglaublich schön, ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.«
Emilia lächelte. »Tina, mein Kind«, murmelte sie. »Du musst nichts sagen.«
Bettina setzte sich wieder auf den Stuhl, erneut griff sie nach der Hand ihrer Großmutter. »Warum habe ich dich dieses Amulett nie tragen sehen, Omi? Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum man etwas so Schönes im Schrank liegen lässt.«
Emilias Gesicht war ihrer Enkelin zugewandt. »Ich hoffe«, erwiderte sie leise statt einer Antwort, »dass du glücklich wirst, Tina.«
»Clemens und ich, wir werden so glücklich sein, wie du es mit Opa gewesen bist, Omi.«
Die alte Dame lächelte. Es war erneut dieses entrückte Lächeln, das Bettina zuvor schon mit Furcht erfüllt hatte. »Nur eins noch, Tina: Die Briefe in meinem Schrank, nimm sie an dich und verbrenn sie. Stell mir keine Fragen dazu, verbrenn sie einfach.«
»Briefe?«
»Gleiche Schublade, weiter hinten«, murmelte Emilia. »Ich will nicht, dass sie in falsche Hände gelangen. Wirst du dafür sorgen? Versprich es mir. Ich wollte sie längst selbst vernichten, aber ich …« Ihre Stimme war immer schwächer geworden, bis sie schließlich erstarb.
»Ich verbrenne sie, Omi, das verspreche ich dir.«
Emilia stieß einen tiefen Seufzer aus. »Tina«, sagte sie leise, »geh nicht weg, lass du mich nicht auch noch allein.«
»Aber nein, Omi, ich bleibe hier, bei dir.«
Die Augen der alten Fürstin schlossen sich, der Kopf sank ein wenig zur Seite, eine kaum wahrnehmbare Bewegung.
»Omi? Omi!«
Tief in ihrem Inneren wusste Bettina sofort, dass sie keine Antwort von ihrer Großmutter bekommen würde – nie mehr. Aber sie rief weiter, immer lauter, immer verzweifelter, bis sich die Tür des Zimmers öffnete und ihre Eltern und ihr Onkel Albrecht, Fürst zu Leven, hereinkamen.
Marisa von Stetten legte ihrer Tochter beide Hände auf die Schultern und zog sie sanft zurück. »Es ist vorbei, Tina«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Es ist vorbei.« Dann beugte sie sich über ihre Mutter und küsste sie, ihr Bruder Albrecht tat es ihr gleich. Bettina begann haltlos zu schluchzen.
Georg von Stetten trat nun ebenfalls näher. Er umarmte Frau und Tochter und zog sie an sich. So standen sie eine Weile verzweifelt und fassungslos an Emilias Totenbett, und Bettina schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie ihren Eltern nur selten so nahe war wie gerade jetzt.
Auch das habe ich dir zu verdanken, Omi, dachte sie. Das und vieles andere mehr.
*
Graf Florian zu Stolzenberg bewohnte mit seiner jüngeren Schwester Clara eine großzügige Wohnung, die es jedem von ihnen erlaubte, sich auszubreiten, ohne den anderen zu behindern. Sie hatten sich schon immer gut verstanden und fanden diese Lösung daher sehr angenehm: Jeder führte sein eigenes Leben, war aber dennoch nicht allein.
»Hier, die Post«, sagte Clara zu Florian, der in der Küche stand und