Im Sonnenwinkel 22 – Familienroman: Vergiss die traurigen Stunden
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Wundervolle, Familienromane die die Herzen aller höherschlagen lassen.
»Es war dunkel, als die schlanke junge Frau die Bahnhofshalle verließ. Sie hatte gewartet, bis diese sich völlig geleert hatte, bevor sie ins Freie trat. Es kehrte schon wieder Stille ein auf dem Bahnhofsplatz von Hohenborn. Ein letztes Auto fuhr eben weg. Ein Taxi war weit und breit nicht zu sehen. Es war nicht viel anders als früher, vor zehn Jahren, als ein junges Mädchen die Reise in die weite Welt antrat. Wenigstens hier, in der Umgebung des Bahnhofs. Aber es hatte sich doch manches in Hohenborn verändert, wie sie, die sich als Fremde fühlte, feststellen konnte. Auf dem Marktplatz, den sie nach zehn Minuten erreichte, sah es ganz anders aus. Das Hotel »Zur Post« war nicht wiederzuerkennen. Die Fassade, einst verwittert und grau, wirkte direkt vornehm. Die neuen Geschäfte, die Lokale, dies alles war jener jungen Frau unbekannt, und sie hoffte, daß auch sie niemand erkennen würde. Sie betrat die Halle des Hotels »Zur Post.« Ein weicher Teppichboden, bequeme Sessel, schöne Vorhänge, alles sehr gediegen, nicht billig. Doch da, an der Rezeption, ein junges Mädchen, ein Gesicht, das sie kannte, oder das Ebenbild eines andern Gesichts, das jetzt viel älter sein mußte, zehn Jahre älter! Es kostete sie dennoch Überwindung, näher zu treten, und wäre sie nicht zu müde gewesen, wäre sie wieder umgekehrt. »Kann ich bitte ein Zimmer haben?« fragte sie mit wohlklingender Stimme. Zwei helle Augen musterten sie rasch und forschend.
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Im Sonnenwinkel 22 – Familienroman - Patricia Vandenberg
Im Sonnenwinkel
– 22 –
Vergiss die traurigen Stunden
… denn in Erlenried wird alles gut
Patricia Vandenberg
»Es war dunkel, als die schlanke junge Frau die Bahnhofshalle verließ. Sie hatte gewartet, bis diese sich völlig geleert hatte, bevor sie ins Freie trat.
Es kehrte schon wieder Stille ein auf dem Bahnhofsplatz von Hohenborn. Ein letztes Auto fuhr eben weg. Ein Taxi war weit und breit nicht zu sehen.
Es war nicht viel anders als früher, vor zehn Jahren, als ein junges Mädchen die Reise in die weite Welt antrat. Wenigstens hier, in der Umgebung des Bahnhofs.
Aber es hatte sich doch manches in Hohenborn verändert, wie sie, die sich als Fremde fühlte, feststellen konnte. Auf dem Marktplatz, den sie nach zehn Minuten erreichte, sah es ganz anders aus. Das Hotel »Zur Post« war nicht wiederzuerkennen. Die Fassade, einst verwittert und grau, wirkte direkt vornehm. Die neuen Geschäfte, die Lokale, dies alles war jener jungen Frau unbekannt, und sie hoffte, daß auch sie niemand erkennen würde.
Sie betrat die Halle des Hotels »Zur Post.« Ein weicher Teppichboden, bequeme Sessel, schöne Vorhänge, alles sehr gediegen, nicht billig. Doch da, an der Rezeption, ein junges Mädchen, ein Gesicht, das sie kannte, oder das Ebenbild eines andern Gesichts, das jetzt viel älter sein mußte, zehn Jahre älter!
Es kostete sie dennoch Überwindung, näher zu treten, und wäre sie nicht zu müde gewesen, wäre sie wieder umgekehrt.
»Kann ich bitte ein Zimmer haben?« fragte sie mit wohlklingender Stimme.
Zwei helle Augen musterten sie rasch und forschend.
»Zufällig ist eins frei geworden«, erwiderte die helle Mädchenstimme. »Es hat aber nur eine Dusche.«
»Das ist mir recht.«
»Würden Sie sich dann bitte eintragen, gnädige Frau?«
Das Mädchen schob ihr einen Block hin.
Mit steifen Fingern, die ihr nicht gehorchen wollten, schrieb sie den Namen »Ria Burg«.
»Meine Koffer sind noch auf dem Bahnhof«, bemerkte sie leise. »Es war kein Taxi aufzutreiben.«
»Ja, sie sind bei uns rar«, sagte das Mädchen. »Kurt kann die Koffer holen, wenn es Ihnen recht ist. Kurt ist mein Bruder.«
»Heli, komm doch mal!« rief eine weibliche Stimme, bei deren Klang Ria Burg zusammenzuckte.
»Da ist gerade ein Gast gekommen, Mama«, entgegnete das Mädchen.
Eine Frau in mittleren Jahren erschien, das ältere Ebenbild des Mädchens, das Gesicht, das Ria Burg vorhin zu sehen meinte, weil sie für einen Augenblick die zehn Jahre zwischen damals und heute vergessen hatte.
Wieder fühlte sie sich gemustert, und diesmal stockte ihr Herzschlag.
Aber nicht ein einziges Zeichen des Erkennens war in den Augen der anderen zu lesen.
»Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohl fühlen, gnädige Frau«, sagte Maria Dosch, die Besitzerin des Hotels »Zur Post«, in ihrem breiten Dialekt.
»Danke, das werde ich«, erwiderte Ria Burg erleichtert.
»Kurt kann doch gleich mal die Koffer der gnädigen Frau holen, Mama«, meinte Heli Dosch.
»Ja, sofort.«
Ria Burg reichte ihr den Aufbewahrungsschein. Maria Dosch nahm ihn mit einem Lächeln entgegen.
»Mein Sohn muß sich beeilen, sonst machen sie den Bahnhof zu«, äußerte sie. »Bei uns geht es geruhsam zu, aber das werden Sie noch merken, wenn Sie länger bleiben.«
»Doch, ich denke, daß ich einige Tage bleiben werde«, sagte Ria Burg. Wenn mich niemand erkennt, dachte sie weiter.
*
Das Zimmer war sehr hübsch und geräumig. Das Hotel mußte erst kürzlich renoviert worden sein. Alles sah noch sehr neu aus. Und damals vor zehn Jahre, als Josef Dosch gerade gestorben war, hatte man davon gerade gesprochen, daß seine Frau Maria den Gasthof – damals war es noch einer – kaum würde halten können.
Ja, es mußte sich schon manches in Hohenborn verändert haben. Heli war zu jener Zeit elf Jahre gewesen. Und Kurt? Der war fünfzehn und ein richtiger Lausbub, der mit seinen Streichen die Stadt in Atem hielt.
Jetzt war er ein erwachsener Mann, breitschultrig, aber schlank. Er sah recht gut aus und war mit städtischem Schick gekleidet. Er gab sich ganz als junger Hotelier, der sich jedoch nicht scheute, den Gästen in jeder Form gefällig zu sein.
»Wird sofort erledigt, gnädige Frau«, erklärte er höflich. »Ich bin in ein paar Minuten zurück. Und falls Sie Wünsche haben, sagen Sie es nur der Heli. Sie macht das dann schon.«
Die gute Maria scheint wenigstens mit ihren Kindern Glück gehabt zu haben, dachte Ria Burg, die unter richtigem Namen als Viktoria Lindberg in Hohenborn aufgewachsen war und deren bitteres Schicksal, das mit einer glanzvollen Karriere begonnen hatte, wohl jeder hier noch in Erinnerung hatte, denn daß es durch die Zeitungen gegangen war, hatte Viktoria Lindberg, die sich nun Ria Burg nannte, nicht verhindern konnte.
Sie wollte jetzt nicht daran denken. Nicht, bevor sie eine Nacht richtig geschlafen hatte. Die Erinnerungen kamen dann schon von selbst, und sie hatte es mit ihrer Rückkehr nach Hohenborn herausgefordert.
Kurt Dosch brachte schon die Koffer. Ria bedankte sich.
»Wenn Sie speisen wollen, gnädige Frau, wir können heute mit einem ganz delikaten Hasenrücken dienen.«
Nun hatte sie plötzlich Appetit. Hasenrücken – guter Gott, wie lange hatte sie den nicht mehr gegessen, weil er sie immer an die Heimat erinnert hatte. Aber nun war sie ja hier.
»Das ist wunderbar«, sagte sie. »Ich mache mich nur ein wenig frisch. Dann komme ich herunter.«
Maria Dosch hatte sie nicht erkannt, also würde auch niemand anders sie erkennen. Das machte ihr Mut.
Sie betrachtete sich eingehend im Spiegel, nachdem sie geduscht hatte.
Wer sollte denn dieses Gesicht noch erkennen, das acht Operationen hinter sich hatte. Es war nichts mehr von Viktoria Lindberg übriggeblieben. Nur zwei kleine Narben verrieten, wie schrecklich entstellt sie vor einem Jahr gewesen war.
Ihre Augenlider waren noch immer ein wenig geschwollen. Deswegen trug sie eine Brille mit dunkelgetönten Gläsern, mit der sie wie eine Gouvernante wirkte. Aber das wollte sie auch.
Nur das Haar war das gleiche geblieben, wundervolles aschblondes Haar, das sie in einem Nackenknoten trug.
Natürlich hatte man auch nicht die Augenfarbe verändern können, aber die konnte man hinter den getönten Gläsern ohnehin nicht richtig definieren.
Nein, sie war nicht mehr die berühmte Pianistin Viktoria Lindberg, die auf der Höhe des Triumphes in einen Abgrund gestoßen worden war, wobei sie alles verloren hatte, was ihr Leben ausgemacht hatte: ihr Gesicht, die Beweglichkeit ihrer Finger, ihr Vermögen, ihre Freunde und den Mann, den sie zu lieben glaubte.
Ihre Mundwinkel bogen sich abwärts. Liebe, Freunde – oh, wie sehr konnte man sich täuschen.
Aber weg mit diesen Gedanken. Ein delikater Hasenrücken wartete auf sie.
*
Die Spezialität des Hauses wurde von vielen geschätzt. Der Speisesaal war dicht gefüllt. Aber Kurt Dosch war zur Stelle und geleitete Ria Burg in einen kleinen Nebenraum, der für die Hotelgäste reserviert war, und die schienen alle schon gegessen zu haben. Nur ein älteres Paar saß noch an einem Ecktisch.
Kurt Dosch hatte nicht zuviel versprochen. Der Hasenrücken war nicht nur köstlich, die Beilagen machten einem Luxushotel Ehre, die Portion war überaus reichlich. Aber es schmeckte Ria so gut, daß sie nichts auf der Platte ließ. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt mit solchem Appetit gegessen hatte.
Aber schlafen konnte sie jetzt keinesfalls. Sie mußte sich noch ein wenig Bewegung verschaffen und bummelte durch die stillen Straßen der Stadt.
Sie fühlte sich im Innern schon wieder als die junge Viktoria, die es so sehr geliebt hatte, durch diese stillen abendlichen Straßen zu gehen, bis der Ehrgeiz sie gepackt hatte und die Welt lockte. Ihr Musiklehrer hatte ihr den Floh ins Ohr gesetzt.
»Du mußt lernen, Viktoria«, hatte er immer gesagt. »Du hast großes Talent, aber ohne Fleiß keinen Preis.«
Und sie hatte gelernt. Sie hatte geübt und alles darüber vergessen. Die Freundinnen, Onkel Korbinian und auch den Jugendfreund Till, mit dem sie sich einstmals doch so gut verstanden hatte.
Nun kamen die Erinnerungen schon ganz deutlich, und sie wehrte sich nicht dagegen.
War sie nicht gekommen, weil sie Heimweh gehabt hatte, Sehnsucht nach diesen Menschen, die sie einstmals so enttäuscht hatte, als ihr der Ruhm wichtiger gewesen war als ihre menschlichen Beziehungen?
Jetzt gab es keinen Ruhm mehr, keinen Applaus, keine enthusiastischen Bewunderer, die sich darum rissen, einen Blick von der berühmten Viktoria Lindberg zu erhaschen. So schnell konnte alles vorbei sein, so schnell war man vergessen. Man mußte es erlebt haben, um es begreifen zu können.
Aber wo passierte es auch schon, daß auf einer Bühne