Mami 1834 – Familienroman: Unsere Oase des Glücks
Von Isabell Rohde
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Es ging auf halb zehn an diesem regnerischen Julimorgen, als sich in Dr. Schmidts Magengegend ein grummelndes Geräusch bemerkbar machte und ihm voller Empörung einfiel, daß ihm sein Frühstück noch nie so spät gebracht worden war. Wo also blieb Luise? Sonst rauschte sie immer schon um halb neun mit dem Tablett aus dem Gutshaus über den Hof zu ihm. So hielt sie es doch schon zwei Jahre. Genau seit dem Tag, an dem er seinem jungen Freund Thilo Munsberg hierher nach Gordelow gefolgt und ins alte Kutscherhaus gezogen war
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Mami 1834 – Familienroman - Isabell Rohde
Mami –1834–
Unsere Oase des Glücks
Roman von Rohde Isabell
Es ging auf halb zehn an diesem regnerischen Julimorgen, als sich in Dr. Schmidts Magengegend ein grummelndes Geräusch bemerkbar machte und ihm voller Empörung einfiel, daß ihm sein Frühstück noch nie so spät gebracht worden war. Wo also blieb Luise? Sonst rauschte sie immer schon um halb neun mit dem Tablett aus dem Gutshaus über den Hof zu ihm. So hielt sie es doch schon zwei Jahre. Genau seit dem Tag, an dem er seinem jungen Freund Thilo Munsberg hierher nach Gordelow gefolgt und ins alte Kutscherhaus gezogen war.
Sollte er nach dem Telefon greifen, drüben im Gutshaus anrufen und sich beschweren? Oder einfach warten? Eigentlich hatte die gute Luise ja genug im Haushalt des Strohwitwers Thilo zu tun. Bevor Andrea mit ihren drei Kindern wie jedes Jahr in den Ferien anrauschte, war gewiß noch eine Menge vorzubereiten.
Und was war mit Christiane, der sympathischen Studentin, die vor einer Woche aus Berlin eingetroffen war, um in den Ferien die Kinder zu betreuen? Ob sie etwa schon wieder verschlafen und sich deshalb mit Thilo gestritten hatte?
Dr. Kuno Schmidt vergaß seinen Hunger und kicherte schadenfroh vor sich hin. Aber dann, als er sich aus seinem Lehnstuhl erhob und zum Fenster wollte, wurde ihm ein wenig schummrig vor Augen. Deshalb stützte er sich auf das Fensterbrett und atmete tief durch. Draußen regnete es seit dem Morgengrauen. Die Luft war frisch und roch wunderbar nach Erde und Heu.
Durch den Regenschleier leuchteten die gerade hellgelb gestrichenen Mauern des Gutshauses herüber. Ja, das hatte Thilo wirklich geschmackvoll hergerichtet. Und nun trat sogar eine vermummte Gestalt aus der Haustür und begann das Tablett in seine Richtung zu balancieren. Also doch! Er atmete auf. Das konnte nur Christiane mit seinem Frühstück sein.
Sekunden später schlug die Tür unten scheppernd zu und am Stapfen auf den Holzstufen war zu erkennen, daß sich plumpe Gummistiefel näherten.
»Dr. Schmidt?« meldete Christiane Völker ihr Erscheinen an. »Hallo, hallo! Das Frühstück kommt!«
Sofort sackte Kuno auf seinen Ohrensessel und schloß die Augen, so daß Christiane aufschrie.
»Doktorchen! Sie werden mir doch nicht verhungert sein!?«
Sie stellte das Tablett ab, beugte sich über ihn und begann seine Wangen zu massieren. Da öffnete er ein Auge, blinzelte sie an und kicherte schadenfroh.
»Noch ein paar Minuten und mit mir wär’s vorbei gewesen!«
»Um Gottes willen, Doktorchen! Nee, das dürfen Sie nicht mal denken. Sie sind doch mein einziger Freund hier. Daß es mit dem Frühstück so lange dauerte, ist bestimmt nicht meine Schuld.«
»Das glaub ich nicht, hübsche Kollegin. Bestimmt mußte Herr Munsberg Ihnen auch heute ’ne Strafpredigt halten, weil Sie schon wieder verpennt haben. So was mag der Chef eben nicht.«
»Nee, heute nicht. Aber Herr Munsberg hat trotzdem wieder Terror gemacht«, schnaufte sie beleidigt.
Da Christiane nach ihrem Studium der Veterinärmedizin vor vier Wochen durchs Examen gerasselt war, empfand sie seine Anrede ›Kollegin‹ als höhnische Schmeichelei. Aber warum sollte sie dem Fünfundsiebzigjährigen grollen? Er hatte sie doch gern. Und das beruhte inzwischen auf Gegenseitigkeit.
Sie mischte dem pensionierten Tierdoktor also seinen Milchkaffee und machte sich dann ans Honigbrötchen-Schmieren. Dabei fiel ein Regentropfen von ihrer blauen Anorakkapuze mitten auf die Butter.
»Nun ziehen Sie endlich den Anorak aus und setzen sich zu mir«, forderte Kuno sie schmunzelnd auf. »Soviel Zeit muß sein. Und dann verklickern Sie mir, was drüben los war. Hat Thilo Ihnen den Morgen also wieder gründlich verdorben?«
Sie gehorchte, und er begann zu frühstücken.
»Na klar herrscht heute miese Stimmung. Und Herr Munsberg, mag er Ihr Freund sein oder nicht, hat sich wie ein Rüpel aufgeführt. Ich wollte schon packen, weil ich wirklich nicht mit seinen Launen klarkomme. Na, und dann hat Luise mir geraten, Sie auszuhorchen, Herr Doktor. Sie sagt, Sie sind der einzige, der mir erklären kann, wo ich hier eigentlich gelandet bin und was hier gespielt wird.«
Da lachte er. »Na, im Brandenburgischen. Achtzig Kilometer nördlich von Berlin im Dorf Gordelow auf Gut Gordelow, seit drei Jahren im Besitz des Rüpels Thilo Munsberg aus Düsseldorf.«
Das Brötchen schmeckte ihm. Aber Christiane schmollte. »Wenn Sie mich fragen, wird aus dem Gut niemals ein richtiges Gestüt. Sieht heute eher nach einer Nervenheilanstalt aus. Nur Luise nimmt Munsberg in Schutz. Die weiß auch mehr als ich, aber nicht soviel wie Sie. Das sagt sie wenigstens.«
Mit jedem Schluck aus der Tasse kehrten Kuno Schmidts Lebensgeister wieder zurück. Und wenn er Christiane dann noch anschaute, fühlte er sich um Jahre jünger. Sie war ein hübsches Mädchen, auch, wenn es auf den ersten Blick nicht gleich auffiel.
»Nun schieß los, Mädchen. Was war denn wieder?«
Christiane atmete mehrmals ein und aus, dann brach es aus ihr heraus. »Stellen Sie sich vor, die drei Kinder kommen ohne ihre Mutter! Ich bin ganz durcheinander. Was soll ich mit den Mädchen und dem kleinen Camillo anfangen! Ich studier doch Tiermedizin! Warum hat Herr Munsberg eigentlich mich, warum keine Erzieherin engagiert?«
Kuno verschluckte sich fast. »Die Kinder kommen ohne Andrea aus Düsseldorf hierher? Nee, das glaub’ ich nicht!«
»Doch! Er hat es heute früh erfahren. Seine Frau hat einen Zivi engagiert, die drei Kinder in Düsseldorf zu dem ins Auto gesetzt und die Fuhre in Richtung Osten geschickt. Deshalb mußten Luise und ich das Bett von Camillo aus dem Kinderzimmer ins eheliche Schlafzimmer neben Herrn Munsbergs Bett schieben. Und dabei«, sie japste vor Empörung nach Luft, »hat Luise mir erzählt, daß er und seine Frau gar nicht verheiratet sind. Da war ich aber wie von den Socken, sag’ ich Ihnen! Wenn die drei Kinder nun ohne ihre Mutter kommen, bin ich doch aufgeschmissen.«
»Warum denn, Kindchen?«
»Herr Munsberg hat mich eingestellt, um die drei Kinder während der Ferien zu betreuen. Aber wenn die Mutter nicht dabei ist, fühl ich mich total überfordert. Soviel versteh ich nicht von Kindern.«
»Aber was von Tieren und auch von Pferden«, grinste der Alte. »Das imponiert dem Thilo mehr als alles andere.«
Christiane drückte ihren Anorak an sich. In ihrem weißen T-Shirt und der schmalen Jeans, mit ihrem Haar, das von zwei Kämmchen aus der hohen Stirn gehalten wurde, und dem rosigen Teint, sah sie wie ein ganz junges Mädchen aus.
»Und? Stimmt es wirklich, daß Herr Munsberg gar nicht mit der Mutter seiner Kinder verheiratet ist? Und daß diese Andrea auch nicht Frau Munsberg, sondern Frau Chigi genannt wird? Also, so komisch südländisch, italienisch oder so?«
Da nickte er bedächtig. »Ja. Die Mädchen Raffaela und Antonia sind ihre Töchter aus erster Ehe. Nur Camillo ist Thilos Sohn.«
»Aber warum heiratet er Frau Chigi denn nicht?«
Er stöhnte. »Weil sie es nicht will, Christiane. So was gibt’s auch, weil sie nämlich genauso stur und dickköpfig wie Thilo ist. Und wer sie kennt, kann sie sogar verstehen.«
»Gut, ich versteh’ sie nicht. Aber Sie… Sie kennen sie?«
»Hm. Nicht gut, aber gut genug, um mich nicht mehr über die seltsame Liebe dieses ungleichen Paares zu wundern.«
Nun erfuhr Christiane, daß der alte Kuno schon mit Thilos Vater befreundet gewesen war. Nach dem Tod des alten Munsberg hatte Thilo ein Riesenvermögen geerbt und davon gute zehn Jahre in Saus und Braus wie ein Playboy gelebt.
»Die Frauen lagen ihm zu Füßen, das muß man sagen«, knurrte der Alte nicht ohne Stolz. »Aber nur bis Andrea Chigi auftauchte. Sie stammt auch aus Düsseldorf, hatte aber in sehr jungen Jahren den vermögenden italienischen Unternehmer Alberto Chigi geheiratet. Nach seinem Tod kehrte sie mit ihren Töchtern Raffaela und Antonia