Im Banne des Gehörnten: Gaslicht 63
Von Alice Alderwood
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Die Welt glitt aus den Fugen. Verblüfft registrierte Felicitas, wie das Gewölbe rings um sie verschwand und einer diffus leuchtenden Dunkelheit wich. Sie hatte bislang nicht angenommen, daß von etwas absolut Schwarzem Licht ausgehen konnte. Dann sah sie ihn. Er sah gar nicht so schlimm aus, mit den Hörnern auf dem Kopf und dem zottigen Fell eher wie ein trauriger Bulle denn wie ein bösartiger Dämon. Eine bestimmte Größe schien er nicht zu haben, wie ein unstetes Bild schwamm seine Gestalt vor ihr, groß, riesengroß, um gleich darauf wieder zu menschlicher Größe zu schrumpfen. Seine Augen glühten in düsterem Gelb. »Ich will nicht da rein!« Felicitas Garringhouse schob ihre Unterlippe nach vorn und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Füße stemmte die gerade fünfzehnjährige junge Dame an die gegenüberliegende Sitzbank der Kutsche, als wollte sie sich mit ganzem Körpereinsatz im Inneren des Gefährtes verkeilen. »Bitte, Lizzy! Du glaubst doch nicht etwa, daß mir das hier alles irgendeine Freude bereitet?« Janice, mehr als fünf gewichtige Jahre älter als der blondgelockte Trotzkopf, schlug den schwarzen Spitzenschleier, der von ihrem Hut herabhing und ihr Gesicht verhüllte, zurück, um ihrer Schwester besser in die Augen sehen zu können. »Es ist unsere Pflicht, Mister Svenson aufzusuchen! Er wird uns jetzt offiziell das Testament unseres Vaters vorlesen und du, Lizzy, wirst schön ernst und gesittet zuhören! Unsere Miß Patters würde vor Entsetzen in Ohnmacht fallen, wenn sie dich jetzt hier so sehen könnte!« Die Erwähnung der alten Gouvernante und Hauslehrerin der beiden Garringhouse-Schwestern entlockte Felicitas zwar ein kurzes Lächeln, aber gleich darauf quoll ihr eine dicke Träne aus dem Augenwinkel, rollte ihre noch kindliche Stupsnase entlang und tropfte von der Nasenspitze. »Ich will nicht, daß Papa tot ist!« murmelte sie erstickt. Mit einer Geste, die unendliche Müdigkeit ausdrückte, fuhr sich Janice mit beiden Händen über das Gesicht.
Ähnlich wie Im Banne des Gehörnten
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Im Banne des Gehörnten - Alice Alderwood
Gaslicht
– 63 –
Im Banne des Gehörnten
Unveröffentlichter Roman
Alice Alderwood
Die Welt glitt aus den Fugen. Verblüfft registrierte Felicitas, wie das Gewölbe rings um sie verschwand und einer diffus leuchtenden Dunkelheit wich. Sie hatte bislang nicht angenommen, daß von etwas absolut Schwarzem Licht ausgehen konnte. Dann sah sie ihn. Er sah gar nicht so schlimm aus, mit den Hörnern auf dem Kopf und dem zottigen Fell eher wie ein trauriger Bulle denn wie ein bösartiger Dämon. Eine bestimmte Größe schien er nicht zu haben, wie ein unstetes Bild schwamm seine Gestalt vor ihr, groß, riesengroß, um gleich darauf wieder zu menschlicher Größe zu schrumpfen. Seine Augen glühten in düsterem Gelb. Felicitas vergaß völlig, daß sie Angst haben mußte, und starrte fasziniert auf das Maul, in dem eine blutrote Zunge zwischen erstaunlich weißen und gefährlich spitzen Fangzähnen züngelte…
»Ich will nicht da rein!« Felicitas Garringhouse schob ihre Unterlippe nach vorn und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Füße stemmte die gerade fünfzehnjährige junge Dame an die gegenüberliegende Sitzbank der Kutsche, als wollte sie sich mit ganzem Körpereinsatz im Inneren des Gefährtes verkeilen.
»Bitte, Lizzy! Du glaubst doch nicht etwa, daß mir das hier alles irgendeine Freude bereitet?« Janice, mehr als fünf gewichtige Jahre älter als der blondgelockte Trotzkopf, schlug den schwarzen Spitzenschleier, der von ihrem Hut herabhing und ihr Gesicht verhüllte, zurück, um ihrer Schwester besser in die Augen sehen zu können.
»Es ist unsere Pflicht, Mister Svenson aufzusuchen! Er wird uns jetzt offiziell das Testament unseres Vaters vorlesen und du, Lizzy, wirst schön ernst und gesittet zuhören! Unsere Miß Patters würde vor Entsetzen in Ohnmacht fallen, wenn sie dich jetzt hier so sehen könnte!«
Die Erwähnung der alten Gouvernante und Hauslehrerin der beiden Garringhouse-Schwestern entlockte Felicitas zwar ein kurzes Lächeln, aber gleich darauf quoll ihr eine dicke Träne aus dem Augenwinkel, rollte ihre noch kindliche Stupsnase entlang und tropfte von der Nasenspitze.
»Ich will nicht, daß Papa tot ist!« murmelte sie erstickt.
Mit einer Geste, die unendliche Müdigkeit ausdrückte, fuhr sich Janice mit beiden Händen über das Gesicht. Erst vor zwei Tagen hatten sie Nicolas Garringhouse, ihren Vater und erfolgreichen Handelshaus-Betreiber, zur letzten Ruhe neben seiner Frau gebettet. Die Mutter der beiden Mädchen war nach Felicitas’ Geburt am Kindbettfieber gestorben. Jetzt waren die Schwestern allein, und Janice, die in den letzten Tagen kaum Zeit zur Trauer hatte, fühlte, wie eine alles verschlingende Leere auf sie zukroch. Sie hatte sich in den vergangenen Tagen um den Haushalt, die Trauergäste und die Beerdigung gekümmert, weil halt sonst niemand da war, der ihr diese Pflichten hätte abnehmen können. Die ganze Familie Garringhouse bestand jetzt nur noch aus Janice und Felicitas. Der einzige Anverwandte, den es sonst noch gab, war ein Bruder von Nicolas. Aber Kasimir Garringhouse hatte es nicht einmal für nötig gehalten, zur Beerdigung zu erscheinen.
»Bitte Lizzy!« mahnte Janice nochmals. »Du bist kein kleines Kind mehr! Ich erwarte jetzt einfach von dir, daß du dich benimmst wie eine junge Lady aus gutem Hause!«
Etwas in Janices Stimme ließ Felicitas gehorchen. Mit einem leisen Seufzer setzte sie sich gerade und rückte das Korsett gerade, welches sie neuerdings auf Miß Patters’ Geheiß tragen mußte. Obwohl das Teil ordentlich geschnürt war, fand es irgendwie nie Halt auf Lizzys schlankem Mädchenkörper. Schniefend wischte sie sich die Augen aus und tastete nach dem schwarzen Tüll, den ihr die Gouvernante in den Locken festgesteckt hatte.
»Ist schon in Ordnung!« flüsterte Janice und drückte Lizzys Hand, bevor sie den Schlag öffnete. Dienstbeflissen eilte der Kutscher hinzu, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Felicitas stolperte hinter ihrer großen Schwester her und hatte Mühe, nicht aus dem Wagen zu fallen, denn sie hatte sich mit einem ihrer Schnürschuhe wieder einmal in diesem furchtbaren Unterrock verfangen. Lizzy griff etwas zu heftig nach der ausgestreckten Hand des Kutschers, um sich abzufangen. Erschrocken stützte er die junge Miß Garringhouse und empfand Mitleid mit dem Mädchen. Auch das viele Geld ihres Vaters konnte das Schicksal, plötzlich zur Waise geworden zu sein, nicht mildern. Der brave Mann konnte nicht ahnen, daß Lizzys Gedanken sich jetzt völlig auf diese vertrackte Kleidung konzentrierten. Schon allein wegen dieser unpraktischen Aufmachung wollte Felicitas gern darauf verzichten, erwachsen zu werden. Sie sehnte sich nach ihren bequemen Kinderkleidern zurück.
Janice nickte dem Kutscher dankend zu.
»Bitte warten Sie auf uns. Ich hoffe, daß uns Mr. Svenson nicht allzu lange aufhält!« Damit schob sie Lizzy sanft auf die dunkle schwere Holztür zu, die in das große Stadthaus führte, in der der Advokat sein Bureau betrieb.
Mr. John Svenson empfing Janice und Felicitas persönlich im geräumigen Vestibül seiner Geschäftsräume. Drei Sessel bildeten hier eine gemütliche Sitzgruppe, damit die Kunden des Advokaten es recht bequem hatten, falls sie einmal etwas auf den großen Meister der Paragraphen warten mußten.
»Darf ich den Damen eine Erfrischung anbieten, bevor wir uns dem letzten Willen Ihres Vaters zuwenden?« schnarrte der ältere Herr mit dem schütteren Haar und deutete eine leichte Verbeugung an.
»Vielen Dank, Mr. Svenson, aber Sie verstehen sicher, daß wir diese traurige Angelegenheit recht schnell hinter uns haben möchten!« Janice stieß während ihrer Antwort mit dem Ellenbogen leicht und wie sie hoffte, unauffällig, ihre jüngere Schwester an. Felicitas hatte den hageren Anwalt immer mit einem dürren und etwas zu lang geratenen Raben verglichen, der mit nickendem Schnabel über die Wiesen stakste. Es war wohl besser, Lizzy mit einem kleinen Schubs an ihr Versprechen zu erinnern, den Mund im Bureau von Mr. Svenson nur zu öffnen, wenn sie direkt gefragt wurde, und selbst dann nur ganz vorsichtig. Janice seufzte leise. Ihre jüngere Schwester hätte eine viel bessere Erziehung genießen müssen. Aber ihr Vater hatte dem kleinen Wildfang alles und jedes verziehen, selbst Miß Patters hatte die Manieren Lizzys nicht sonderlich richten können. Für das Abrichten ungestümer Fohlen war die viel zu gutmütige Gouvernante einfach nicht geeignet. Die Hauslehrer, die Nicolas Garringhouse für seine Töchter engagiert hatte, fühlten sich berechtigterweise nicht für den gesellschaftlichen Feinschliff der Zöglinge des Hauses zuständig. Während Janice unwillkürlich die Rolle der Hausfrau übernehmen mußte und in Begleitung ihres Vaters lernte, sich in Adelshäusern und im großbürgerlichen Milieu zu bewegen, waren Felicitas alle Freiheiten geblieben. Mit dem Tod von Nicolas lastete nun plötzlich auch noch die Sorge um die Zukunft der Schwester auf Janices schmalen Schultern. Die junge Frau gestattete sich nicht, ins Grübeln zu verfallen, denn Mr. Svenson bat die Garringhouse-Töchter nun in sein Arbeitszimmer.
Janice und Felicitas nahmen in den angebotenen Sesseln Platz, Janice vornehm vorn auf der Kante der Sitzfläche, während sich Felicitas versuchte, bequem anzulehnen, was sie schon wieder in Konflikt mit ihren Röcken brachte. John Svenson übersah diskret die Versuche des Mädchens, sich in eine ordentliche Sitzposition zu bringen, richtete seine Brille und kramte auf seinem riesigen Schreibtisch, bis er gefunden hatte, was er suchte. Unheilvoll rot leuchtete das Siegel auf dem Umschlag.
»Das ist das Testament Ihres Vaters!« erklärte er. »Ich weiß natürlich als Rechtsbeistand von Nicolas Garringhouse um seinen Inhalt. Um allen Förmlichkeiten Genüge zu tun, werde ich jetzt das Siegel erbrechen und Ihnen den letzten Willen des Verstorbenen kundtun. Bitte lassen Sie mich nochmals mein tiefempfundenes Beileid zu Ihrem schmerzlichen Verlust versichern, meine Damen!«
Er rückte umständlich erneut seine Brille zurecht und räusperte sich, bevor er das Siegel öffnete. Janice konnte das Knacken des erhärteten Wachses deutlich hören.
»… erben meine beiden Töchter Janice und Felicitas Garringhouse mein gesamtes Vermögen zu gleichen Teilen. Ausführungsbestimmungen für meinen Anwalt John Svenson zu meinem Immobilienbesitz und dem Geschäft folgen im Text… Möchten Sie diese Einzelheiten hören, oder soll ich Ihnen eine Abschrift zukommen lassen?«
»Was bedeutet das: Ausführungsbestimmungen?« Janice zog die Brauen hoch, was Svenson durch den Schleier natürlich nicht sehen konnte.
»Ihr Vater wollte Sie nicht mit der Verwaltung der Häuser und Grundstücke belasten, erst recht nicht mit den Belangen des Handelshauses. Diese unangenehmen Aufgaben hat Mr. Garringhouse mir und seinem langjährigen Vertrauten und Prokuristen Mr. Levin zugewiesen, während Ihnen selbstverständlich die Gewinne zufließen. Vielleicht findet sich ja später ein Ehemann, der Gefallen an der Fortführung der Firma findet, oder aber, Sie entschließen sich zum Verkauf!«
Janice strich sich einige kaum sichtbare Falten aus dem dunkelblauen Seidenrock über ihren Knien. Sie kannte Svenson praktisch schon ihr ganzes Leben lang, und etwas in seiner Stimme gefiel ihr ganz und gar nicht.
»Dann ist ja vorläufig alles geklärt, Mr. Svenson, nicht wahr? Dann werde ich mit Felicitas jetzt nach Hause zurückkehren!« Sie warf einen forschenden Blick auf Lizzy, die jetzt offenbar begriffen hatte, daß sie sich nur auf der Kante des Sessels niederlassen konnte, ohne Chaos in ihren Unterkleidern auszulösen. Ein zweiter Blick auf den Advokaten