78 Sternenhimmel über Tunis
Von Barbara Cartland
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Buchvorschau
78 Sternenhimmel über Tunis - Barbara Cartland
1 ~ 1897
Der Marquis von Quinbourne trat aus seiner Villa auf die Terrasse hinaus und ließ seinen Blick über das Mittelmeer schweifen. Die Sonne löste gerade die letzten Dunstschleier auf und legte ein atemberaubendes Panorama frei.
Tief in Gedanken versunken stand der Marquis da. Als sich hinter ihm die Terrassentür öffnete, schrak er zusammen und fuhr herum. Eine elegant gekleidete Frau, deren ausgefallener Geschmack verriet, daß sie nur eine Französin sein konnte, kam auf ihn zu.
»Ich komme, um dir au revoir zu sagen, mon cher«, sagte sie mit ihrem bezaubernden Akzent.
Der Marquis lächelte ein wenig.
»Die Kutsche steht bereit, Jeanne. Schick sie sofort zurück, wenn du in Monte Carlo eintriffst.«
»Das werde ich tun.«
Jeanne zögerte einen Moment. Sie klimperte mit ihren getuschten Wimpern, zog einen Schmollmund und sagte mit weicher Stimme: »Es ist bedauerlich, mon cher, daß es so enden muß.«
»Es gibt keinen Grund, weshalb du dich entschuldigen müßtest, Jeanne«, antwortete der Marquis. »Ich danke dir für die glücklichen Tage, die du mir geschenkt hast.«
»Warst du wirklich glücklich?«
»So glücklich, wie ich es unter diesen Bedingungen nur sein konnte. Ich bedauere nur, daß ich deinen Erwartungen nicht entsprochen habe.«
Jeanne zuckte in einer typisch französischen Geste mit den Schultern.
»C‘est la vie! So ist das Leben! Ich hatte es mir so schön und vergnüglich vorgestellt, als du mich einludst, mit dir zu kommen. Ich wollte mich amüsieren, wollte mit dir ins Casino von Monte Carlo gehen und all die anderen vornehmen Orte besuchen.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte der Marquis nervös. »Aber Vorwürfe führen uns jetzt auch nicht weiter.«
Er schwieg einen Moment, dann reichte er ihr einen Umschlag.
»Ich kann nur noch einmal betonen, wie leid es mir tut, liebste Jeanne. Der Scheck, den ich dir ausgestellt habe, wird dich hoffentlich darüber hinwegtrösten, daß du Paris verlassen und so viele Feste versäumt hast.«
Ein erwartungsvoller und habgieriger Ausdruck trat in Jeannes dunkle Augen. Sie öffnete den Umschlag und warf einen Blick auf den Scheck.
Der ausgestellte Betrag nahm ihr beinahe den Atem. Sie umarmte den Marquis und zog seinen Kopf zu sich heran.
»Du bist sehr großzügig, sehr lieb! Merci, merci beaucoup! Vielleicht sollte ich es mir noch einmal überlegen und hierbleiben.«
»Nein, es ist schon richtig so, wie du dich entschieden hast, vollkommen richtig«, erwiderte der Marquis schnell. »Ich muß über so vieles nachdenken, und ich weiß, es langweilt dich, wenn ich das tue.«
Jeanne lachte.
»Das ist wahr. Bei Nacht bist du zwar ein großartiger Liebhaber, aber die Tage . . . oh, là, là. . . die waren sehr, sehr langweilig!«
Reumütig lächelte der Marquis.
»Das kann ich nicht abstreiten. Bitte, Jeanne vergib mir, daß ich meine Sorgen nicht vor dir verbergen konnte. Ich verspreche dir, wenn wir uns das nächste Mal sehen, wird es anders sein.«
»Das nächste Mal treffen wir uns wieder in Paris«, versicherte Jeanne. »In Paris warst du immer so, wie eine Frau es sich nur wünschen kann, aber hier in dieser Villa . . .«
Mit einer ausdrucksvollen Geste unterstrich sie ihre Worte. Dann schlang sie noch einmal ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn stürmisch auf den Mund.
»Au revoir, mon cher, und nicht adieu. Wir sehen uns bestimmt wieder. Vielleicht schon sehr bald.«
»Ich bin sicher, es wird dir bis dahin gut ergehen«, lächelte der Marquis.
»Aber natürlich, mach dir nur keine Sorgen um mich. Ich kenne einen sehr liebenswürdigen Herrn in Monte Carlo, der sich freuen wird, mich willkommen zu heißen. Und sowie ich dort eingetroffen bin, werde ich auch jemanden finden, der mich für heute abend zum Dinner einlädt.«
»Daran zweifle ich keinen Augenblick«, bemerkte der Marquis.
Er nahm ihren Arm und führte sie durch den geschmackvoll eingerichteten Salon in die Säulenhalle.
Vor dem Eingang wartete seine zweispännige Kutsche. Jeannes französische Kammerzofe saß bereits auf der vorderen Polsterbank. Eine beträchtliche Anzahl von Gepäckstücken war oben und hinten auf der Kutsche festgezurrt.
Fürsorglich half der Marquis Jeanne beim Einsteigen. Sie machte es sich auf der Bank bequem und ließ sich von einem Lakaien ihre Beine mit einer warmen Decke umhüllen.
»Au revoir, mon cher«, sagte sie ein letztes Mal mit ihrer weichen und aufreizenden Stimme, die für sie so bezeichnend war.
Der Marquis küßte ihr die Hand. Der Schlag wurde geschlossen, dann fuhr die Kutsche an, und Jeanne winkte ihm noch einmal zu.
Mit einem Seufzer der Erleichterung drehte sich der Marquis um und ging durchs Haus auf die Terrasse zurück. Er setzte sich in einen bequemen Sessel und starrte aufs Meer hinaus.
Er machte nur selten Fehler, aber Jeanne zu bitten, ihn nach Südfrankreich zu begleiten, war ohne Zweifel ein Fehler gewesen.
Sie kannten sich seit einigen Jahren, und er hätte wissen müssen, daß sie sich in der Abgeschiedenheit seiner Villa nicht wohl fühlen würde. Sie hatte ihn begleitet, um ihre phantastische Garderobe in Monte Carlo vorzuführen oder die Aufmerksamkeit der Menschen auf der Promenade des Anglais in Nizza auf sich lenken zu können.
Stattdessen mußte sie feststellen, daß sie allein mit ihm in seiner soeben ererbten Villa bleiben sollte, um sich von seinem exzellenten Chefkoch kulinarisch verwöhnen zu lassen.
Sie sollte ihn unterhalten, aber sie war nicht gewillt, ihm nur die Nächte zu versüßen: Auch am Tage beanspruchte sie seine Aufmerksamkeit.
Bereits am zweiten Tag ihres Aufenthalts wurde dem Marquis klar, daß er besser allein hergekommen wäre und daß Jeanne sich entsetzlich langweilen würde.
Bevor sie ihre Koffer packte, hatte sie zu ihm gesagt: »Als Liebhaber bist du einfach wunderbar! Aber als Unterhalter bist du ein Langweiler!«
Auf Französisch hatte es nicht so hart geklungen, aber er machte sich nichts vor. Es war die Wahrheit. Er konnte niemand anderen dafür verantwortlich machen als sich selbst.
Er war nach Südfrankreich gekommen, um über seine Zukunft nachzudenken. Außerdem wollte er den Festlichkeiten zum diamantenen Jubiläum der Königin entgehen, die für ihn nichts weiter als einen Ausbruch nationaler Gefühle darstellten.
Der Marquis hatte schon viel von der Welt gesehen. Als Victor Bourne - auf seinen Titel hatte er bei seinen Reisen gewöhnlich verzichtet - hatte er viele unbekannte Flecken der Erde besucht, und noch immer verspürte er nicht den Wunsch, nach Hause zurückzukehren und endlich seßhaft zu werden.
Er war erst siebzehn gewesen, als sein älterer Bruder, der schon als Kind ständig kränkelte, starb. Damals begann sein Vater, ihn auf seine späteren Pflichten hin zu erziehen. Der alte Marquis war ein Despot, der mit eiserner Hand über seine Familie, seine Güter und über jeden herrschte, der mit ihm zu tun hatte.
Wie typisch das doch für diesen alten Imperialismus war, dachte Victor. Jede Veränderung war verhaßt, alle sahen auf zu Königin Victoria. Sie repräsentierte Recht und Ordnung.
Er verzog das Gesicht. Natürlich, so räumte er den Gedanken ein, hatte sein Vater, wie jeder Mann seines Alters, guten Grund, stolz auf die Königin zu sein.
Sie regierte schließlich das größte Königreich der Geschichte. Es umfaßte nahezu ein Viertel der Erde und ein Viertel ihrer Bewohner.
In diesem Moment würden die Straßen Londons mit Menschen vollgestopft sein, die ungeduldig darauf warteten, daß die Königin auf dem Balkon des Buckingham Palastes erschien.
Victor konnte sich denken, wie ihre Botschaft lauten würde. Kurz und für alle verständlich: »Aus tiefstem Herzen danke ich meinem Volk. Möge Gott es segnen!«
Morgen würde er in den Zeitungen nachlesen können, daß er sich nicht getäuscht hatte.
So sehr ihn auch das diamantene Jubiläum der Königin beschäftigte, etwas anderes bereitete ihm wesentlich mehr Sorgen: seine Zukunft.
Darüber dachte er bereits nach, seit er in London angekommen war und die Nachricht vom Tode seines Vaters erhalten hatte.
Im Grunde hatte er sich nie Gedanken darum gemacht, was auf ihn zukäme, wenn er eines Tages die Position seines Vaters einnehmen würde. Nicht nur der Titel eines Marquis von Quinbourne ging auf ihn über, sondern auch eine Vielzahl von Pflichten lastete dann auf seinen Schultern.
Als er nach Schloß Windsor gerufen wurde, hatte ihm die Königin mit aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben, was sie von ihm erwartete: daß er dort fortfuhr, wo sein Vater aufgehört hatte.
Der Premierminister, der Marquis von Salisbury, drückte es noch präziser aus.
»Sobald Sie alles auf Quin geregelt haben«, sagte er in seiner nachdrücklichen Art, »werde ich eine Menge Arbeit für Sie haben. Die wird Sie eine ganze Weile an London binden.«
Und nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Ich fürchte, es wird dann keine Auslandsreisen mehr für Sie geben, jedenfalls nicht so wie in den letzten Jahren.«
Es hatte ihn sehr überrascht, daß der Premierminister überhaupt von seinen Reisen und seinem Interesse für fremde Länder wußte.
Er war dem Außenministerium gelegentlich behilflich, wenn es darum ging, über einen entlegenen Teil des Empires zu berichten und lokale Besonderheiten zu erklären.
Normalerweise handelte es sich dabei um Orte, die der Außenminister nicht gerne persönlich aufsuchte.
Als Victor den Premierminister verließ, graute es ihm bei der Vorstellung, was ihm bevorstand, wenn er den ihm zustehenden Platz einnahm.
Zum einen wäre er Kämmerer im Buckingham Palast und zum anderen Vertreter der Krone in seiner Grafschaft, und daneben erwartete ihn noch eine stattliche Anzahl weiterer wichtiger Posten im politischen und gesellschaftlichen Leben.
Das bedeutete für ihn, daß er praktisch ein Gefangener seiner Pflichten wäre. Das freie, ungebundene Leben der letzten sechs Jahre würde ein jähes Ende finden.
Mit zweiundzwanzig war Victor das erste Mal ins Ausland geflüchtet. Er hatte es nicht mehr ausgehalten, ständig von seinem Vater bevormundet zu werden. Alles, was er tat, war falsch. Entweder ließ es sich nicht mit seiner gesellschaftlichen Stellung vereinbaren, oder es war zu oberflächlich und schadete seiner zukünftigen Würde.
Sein Vater hatte seine Freunde kritisiert, seine Interessen und selbst sein Talent für Sprachen. Er war der Meinung, für einen Engländer gäbe es keinen Grund, eine andere Sprache als die eigene zu sprechen. Auch für einen Staatsmann oder Politiker nicht.
»Wenn diese verdammten Ausländer mich nicht verstehen können, dann müssen sie eben unsere Sprache lernen!« erregte er sich.
Für diese Haltung hatte Victor nicht das geringste Verständnis. Eine Zeitlang ließ er die ständigen Tiraden seines Vaters über sich ergehen, dann hielt er es nicht länger aus: Er packte seine Koffer und reiste nach Malaysia - ohne seinem Vater mitzuteilen, wohin er fuhr und wie lange er bleiben wollte.
Als er ein halbes Jahr später zurückkam, behandelten sie ihn wie einen unartigen Jungen, der den Unterricht geschwänzt hatte und nun damit rechnen mußte, von der Schule verwiesen zu werden.
Drei Monate lang schaffte er es, sich seinem Vater wieder unterzuordnen, dann nahm er erneut Reißaus. Er fühlte sich wie erlöst, als er endlich nicht mehr den Anordnungen des alten Marquis Folge leisten mußte. Auch wenn er fortan als das schwarze Schaf der Familie galt - seine Freiheit genoß er in vollen Zügen.
Selbst ein Leben in Gefahr, in