Ein Notfall wird zum Glücksfall: Der kleine Fürst 161 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
»Von den Rothenburgs soll ich herzliche Grüße ausrichten, Frau Baronin, Herr Baron«, sagte Eberhard Hagedorn, als er die Bibliothek von Schloss Sternberg betrat und Baronin Sofia und Baron Friedrich von Kant frischen Tee servierte. Die Baronin warf ihm einen aufmerksamen Blick zu. »Sie sehen bedrückt aus, Herr Hagedorn«, stellte sie fest. »Bitte, bleiben Sie doch einen Augenblick bei uns und erzählen uns von Ihrem Besuch bei den Rothenburgs.« »Es gibt wohl noch keine Neuigkeiten von Tim?«, fragte der Baron. Der alte Butler schüttelte den Kopf. »Nein, noch immer nicht«, antwortete er leise. Eberhard Hagedorn arbeitete seit Jahrzehnten im Schloss, niemand hatte sich vorstellen können, wie es auf Sternberg ohne ihn sein würde. Und dann war er, viele Wochen zuvor, entführt worden, und das bis dahin Unvorstellbare war eingetreten: Die Schlossbewohner hatten ohne ihn auskommen müssen. Er war erst vor Kurzem von einem Sondereinsatzkommando der Polizei befreit worden und nach Sternberg zurückgekehrt, wo er sich jetzt mit seinem jungen Auszubildenden Jannik Weber, der ihn in seiner Abwesenheit so gut es ging vertreten hatte, die Arbeit teilte. Wer ihn nicht gut kannte, wunderte sich, dass er kaum verändert wirkte, aber wer täglich mit ihm zu tun hatte, sah, dass er noch nicht wieder der Alte war. Die Zeit, die er in der Gewalt seiner Entführer hatte verbringen müssen, wirkte nach, denn er hatte sie ja in völliger Ungewissheit darüber verbringen müssen, ob er die Freiheit je wiedersehen würde. Einer seiner Entführer war ein Junge namens Tim gewesen. Er hatte ihm immer das Essen gebracht und als Einziger von den Entführern mit ihm gesprochen, heimlich, weil das vom ›Boss‹ der Entführer verboten worden war. Tim hatte Eberhard Hagedorn auch mit Informationen versorgt und ihm schließlich verraten, er werde sich absetzen. Erst nach seiner Befreiung hatte der alte Butler erfahren, dass Tims vollständiger Name Timothy von Rothenburg war.
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Ein Notfall wird zum Glücksfall - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 161 –
Ein Notfall wird zum Glücksfall
… für das neue Traumpaar Beatrix und Johannes
Viola Maybach
»Von den Rothenburgs soll ich herzliche Grüße ausrichten, Frau Baronin, Herr Baron«, sagte Eberhard Hagedorn, als er die Bibliothek von Schloss Sternberg betrat und Baronin Sofia und Baron Friedrich von Kant frischen Tee servierte.
Die Baronin warf ihm einen aufmerksamen Blick zu. »Sie sehen bedrückt aus, Herr Hagedorn«, stellte sie fest. »Bitte, bleiben Sie doch einen Augenblick bei uns und erzählen uns von Ihrem Besuch bei den Rothenburgs.«
»Es gibt wohl noch keine Neuigkeiten von Tim?«, fragte der Baron.
Der alte Butler schüttelte den Kopf. »Nein, noch immer nicht«, antwortete er leise.
Eberhard Hagedorn arbeitete seit Jahrzehnten im Schloss, niemand hatte sich vorstellen können, wie es auf Sternberg ohne ihn sein würde. Und dann war er, viele Wochen zuvor, entführt worden, und das bis dahin Unvorstellbare war eingetreten: Die Schlossbewohner hatten ohne ihn auskommen müssen. Er war erst vor Kurzem von einem Sondereinsatzkommando der Polizei befreit worden und nach Sternberg zurückgekehrt, wo er sich jetzt mit seinem jungen Auszubildenden Jannik Weber, der ihn in seiner Abwesenheit so gut es ging vertreten hatte, die Arbeit teilte.
Wer ihn nicht gut kannte, wunderte sich, dass er kaum verändert wirkte, aber wer täglich mit ihm zu tun hatte, sah, dass er noch nicht wieder der Alte war. Die Zeit, die er in der Gewalt seiner Entführer hatte verbringen müssen, wirkte nach, denn er hatte sie ja in völliger Ungewissheit darüber verbringen müssen, ob er die Freiheit je wiedersehen würde.
Einer seiner Entführer war ein Junge namens Tim gewesen. Er hatte ihm immer das Essen gebracht und als Einziger von den Entführern mit ihm gesprochen, heimlich, weil das vom ›Boss‹ der Entführer verboten worden war. Tim hatte Eberhard Hagedorn auch mit Informationen versorgt und ihm schließlich verraten, er werde sich absetzen.
Erst nach seiner Befreiung hatte der alte Butler erfahren, dass Tims vollständiger Name Timothy von Rothenburg war. Die Kants waren mit den Rothenburgs flüchtig bekannt. Timothy war ihr jüngster Sohn, ein Jahr zuvor hatte er sein Elternhaus verlassen und war seitdem nicht mehr gesehen worden. Seine Eltern, Elena und Moritz von Rothenburg, hatten ihn durch Detektive suchen lassen, die ihn auch aufgespürt hatten. Doch Tim war er erneut untergetaucht und hatte seinen Eltern schließlich eine Nachricht geschickt: Er werde nicht zu ihnen zurückkehren, er wolle sein eigenes Leben leben, sie sollten ihn bitte in Ruhe lassen.
Für Familie Rothenburg war Eberhard Hagedorn seit seiner Befreiung eine überaus wichtige Person geworden, hatte er doch tagtäglich mit ihrem Sohn zu tun gehabt, mit ihm gesprochen, sich ihm angenähert. Außerdem machte er keinen Hehl daraus, dass er Tim, obwohl einer seiner Entführer, ins Herz geschlossen hatte. Seiner Meinung nach war der Junge kein Verbrecher, sondern ein verführter Jugendlicher. Mittlerweile allerdings war er volljährig geworden.
Jedenfalls war Eberhard Hagedorn regelmäßig bei den Rothenburgs zu Gast, weil Tims Eltern gar nicht genug über ihren Jüngsten hören konnten. Der alte Butler wiederholte sich mittlerweile oft, weil er im Grunde alles, was Tim betraf, schon einmal erzählt hatte, aber die zutiefst verunsicherten, verzweifelten Eltern störte das nicht. Sie wollten über Tim reden mit jemandem, der ihn mochte, obwohl er vom rechten Wege abgekommen war. Und mehr noch wollten sie Geschichten über ihn hören, die bewiesen, dass er sich zwar an einem Verbrechen beteiligt hatte, aber trotzdem noch immer ein guter Junge war.
»Die Rothenburgs machen sich natürlich Sorgen um Tim«, sagte Eberhard Hagedorn jetzt, »und mir geht es nicht anders. Es herrscht seit Wochen eisige Kälte, und der Junge ist auf der Flucht. Er ist dieses Leben ja nicht gewöhnt, ich kann mir nicht vorstellen, dass er das lange durchhält. Mir liegt viel an ihm, das wissen Sie ja. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass er es schafft, sein Leben wieder in Ordnung zu bringen.«
»Meinen Sie nicht, er wird sich irgendwann doch noch bei seinen Eltern melden?«, fragte Baronin Sofia.
»Er hat seinen Eltern gesagt, sie sollen ihn in Ruhe lassen. Er würde es sich selbst nicht verzeihen, wenn er jetzt plötzlich zurückkäme und sie um Hilfe bäte. So weit ist er noch nicht, leider. Noch glaubt er, dass er es unbedingt allein schaffen muss.«
»Aber wie denn?«, fragte der Baron ratlos. »Er hat sich an einer Entführung beteiligt. Auch wenn er noch minderjährig war, so muss er sich doch wegen dieser Tat vor einem Gericht verantworten. Tut er das nicht, wird er doch seines Lebens nicht mehr froh, Herr Hagedorn.«
»Ich weiß, Herr Baron, aber ich glaube nicht, dass Tim im Augenblick so denkt. Er plant vermutlich, ins Ausland zu gehen, sich neue Papiere zu beschaffen und dann ein neues Leben anzufangen. Und wenn er es zu etwas gebracht hat, kommt er zurück. Natürlich kann ich mich irren, denn über seine Pläne hat er mit mir nicht gesprochen, aber ich denke, so stellt er sich das vor.«
»Mir tun die Rothenburgs sehr leid«, sagte Baronin Sofia leise. »Es muss furchtbar sein, einen Sohn auf diese Weise zu …, zu verlieren, falls man das so ausdrücken darf.«
»Ich hoffe nicht, dass Tim verloren ist, Frau Baronin«, erwiderte Eberhard Hagedorn ernst. »Im Gegenteil. Ich hoffe immer noch, er wird irgendwann den Weg zu seinen Eltern finden und dann auch die Kraft haben, zu dem zu stehen, was er getan hat und neu anzufangen. Aber ich muss gestehen, dass meine Hoffnung kleiner wird, je mehr Zeit verstreicht. Und wenn man sich das Wetter ansieht, fragt man sich sowieso, wie sich ein Achtzehnjähriger ohne Geld, ohne Erfahrung mit dem Leben auf der Straße und zu allem Überfluss auch noch auf der Flucht vor der Polizei, ohne Unterstützung durchschlagen soll. Im Sommer mag das ja noch angehen, aber bei Temperaturen von zehn Grad unter Null …« Er schauderte unwillkürlich.
»Meinen Sie, wir sollten die Rothenburgs einmal einladen?«, fragte die Baronin. »Oder wäre das unpassend?«
Der alte Butler dachte nach. »Ich glaube, Sie würden ihnen damit im Augenblick nicht helfen«, antwortete er schließlich. »Sie wären verlegen, nehme ich an, weil sie vermuten würden, dass sie aus Mitleid eingeladen worden sind.«
»Um Himmels willen, diesen Eindruck möchte ich natürlich keinesfalls erwecken!«, rief Baronin Sofia erschrocken. »Vergessen Sie meine Frage, es war eine dumme Idee.«
»Dumm ganz gewiss nicht, Frau Baronin, Sie haben es ja gut gemeint. Aber eine Hilfe wäre es, glaube ich, nicht.«
Als Eberhard Hagedorn die Bibliothek wieder verlassen hatte, griff der Baron nach der Hand seiner Frau. »Es sieht so aus, als hätten wir das Schlimmste hinter uns«, sagte er, »während die Rothenburgs es vielleicht noch vor sich haben.«
Sie sahen einander an, beide wussten sie, worauf er anspielte. Über Sternberg hatten im vergangenen Jahr tiefdunkle Schatten gehangen. Die Entführung Eberhard Hagedorns war nur das letzte Unglück in einer ganzen Reihe gewesen.
Begonnen hatte das Unglücksjahr mit einem Hubschrauberabsturz: Fürstin Elisabeth und