… und plötzlich sind wir eine Familie: Mami 1867 – Familienroman
Von Myra Myrenburg
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»Tut mir wahnsinnig leid, Schätzchen«, seufzte Wolf von Kelberg und tätschelte die Hand seiner derzeitigen Favoritin, einer italienischen Stewardeß namens Paola, »heute kann ich dich beim besten Willen nicht einplanen. Wie wär's mit morgen?«
»Morgen muß ich nach Rom«, grollte Paola, »hast du das schon wieder vergessen?«
»Tststs«, murmelte Wolf kopfschüttelnd und kreiste in seinem Schreibtischsessel einmal um die eigene Achse, »wie ärgerlich! Na, vielleicht bin ich heute abend doch noch früh genug zurück. Wer weiß. Ich rufe dich jedenfalls an. Welches Hotel?«
»Excelsior, wie immer.«
»Wie immer«, wiederholte Wolf zerstreut und schnappte den Hörer, kaum daß sein Haustelefon geklingelt hatte, lauschte sekundenlang der sachlichen Stimme am anderen Ende und knurrte: »Was? Sind Sie sicher? Kein Anschluß unter dem Namen Ida Blonski in ganz Rotenhain? Versteh ich nicht. Die Frau muß doch Telefon haben!«
»Die Frau?« hauchte Paola und zog ihre zarte braune Hand zurück, ohne daß er es bemerkte. »Du fährst zu einer Frau?«
Er grinste breit.
»Keine Angst, Schätzchen, du bist außer Konkurrenz. Die Dame Blonski, die ich heute aufsuche, ob sie nun ein Telefon hat oder nicht, dürfte so alt sein wie deine Großmutter. Falls du noch eine hast…«
»Ich habe sogar zwei«, entgegnete Paola spitz, »was hast du vor mit dieser alten Frau?«
Wolf von Kelberg zog seine langen Beine unter dem mächtigen Palisanderschreibtisch hervor und lächelte träumerisch.
»Mal sehen. Vielleicht bringe ich sie vor Gericht, vielleicht ins Gefängnis.«
»Aber warum denn nur?« flüsterte Paola, halb entsetzt, halb fasziniert.
»Weil sie etwas hat, das rechtmäßig mir gehört«, sagte er knapp, »und genau das will ich mir heute
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Buchvorschau
… und plötzlich sind wir eine Familie - Myra Myrenburg
Mami –1867–
… und plötzlich sind wir eine Familie
Das hatte Wolf von Kelberg sich nicht träumen lassen
Myra Myrenburg
»Tut mir wahnsinnig leid, Schätzchen«, seufzte Wolf von Kelberg und tätschelte die Hand seiner derzeitigen Favoritin, einer italienischen Stewardeß namens Paola, »heute kann ich dich beim besten Willen nicht einplanen. Wie wär’s mit morgen?«
»Morgen muß ich nach Rom«, grollte Paola, »hast du das schon wieder vergessen?«
»Tststs«, murmelte Wolf kopfschüttelnd und kreiste in seinem Schreibtischsessel einmal um die eigene Achse, »wie ärgerlich! Na, vielleicht bin ich heute abend doch noch früh genug zurück. Wer weiß. Ich rufe dich jedenfalls an. Welches Hotel?«
»Excelsior, wie immer.«
»Wie immer«, wiederholte Wolf zerstreut und schnappte den Hörer, kaum daß sein Haustelefon geklingelt hatte, lauschte sekundenlang der sachlichen Stimme am anderen Ende und knurrte: »Was? Sind Sie sicher? Kein Anschluß unter dem Namen Ida Blonski in ganz Rotenhain? Versteh ich nicht. Die Frau muß doch Telefon haben!«
»Die Frau?« hauchte Paola und zog ihre zarte braune Hand zurück, ohne daß er es bemerkte. »Du fährst zu einer Frau?«
Er grinste breit.
»Keine Angst, Schätzchen, du bist außer Konkurrenz. Die Dame Blonski, die ich heute aufsuche, ob sie nun ein Telefon hat oder nicht, dürfte so alt sein wie deine Großmutter. Falls du noch eine hast…«
»Ich habe sogar zwei«, entgegnete Paola spitz, »was hast du vor mit dieser alten Frau?«
Wolf von Kelberg zog seine langen Beine unter dem mächtigen Palisanderschreibtisch hervor und lächelte träumerisch.
»Mal sehen. Vielleicht bringe ich sie vor Gericht, vielleicht ins Gefängnis.«
»Aber warum denn nur?« flüsterte Paola, halb entsetzt, halb fasziniert.
»Weil sie etwas hat, das rechtmäßig mir gehört«, sagte er knapp, »und genau das will ich mir heute ansehen.«
Er stand auf, hängte sich eine kurze Lederjacke mit Pelzbesatz um die Schultern, drückte auf einen Knopf und sprach zu einem unsichtbaren Zuhörer: »Siebmann, meinen Wagen bitte! Ich starte!«
Eine verzerrte Lautsprecherstimme quäkte devot: Jawohl, Herr von Kelberg.«
Paola warf eine Kußhand in die leere Luft. Sie wußte, wann sie entlassen war.
Kurz danach verließ Wolf von Kelberg das Haus. Es war ein fünfstöckiger Glaskasten im Herzen einer Industriestadt. Hochqualifizierte Mitarbeiter und ebenso viele Computer breiteten sich auf den verschiedenen Etagen aus, und über allen residierte der Chef in seiner Penthaus-Wohnung.
Wolf von Kelberg, Diplomkaufmann und Marketing-Berater. Zu seinen Kunden gehörten alte traditionsreiche Firmen ebenso wie neue expansive Unternehmen.
Im Lauf der letzten Jahre hatte Wolf nicht nur eine Menge einflußreicher Männer kennengelernt. Er war auch selbst einer geworden.
Das werden wir dem alten Mädchen als erstes klarmachen, dachte er, sie muß vornherein wissen, mit wem sie es zu tun hat.
Er lenkte den schweren Wagen aus der Stadt hinaus in Richtung in Süden über die Autobahn und schließlich über eine Landstraße, die sich als schwere Zumutung für das Fahrzeug erwies.
»Verdammt!« knirschte Wolf, den Schlaglöchern vergeblich ausweichend. Er war fremd in der Gegend, aber ein guter Kartenleser. Außerdem hatte er sich vorbereitet.
Zuerst kam der Fluß, den man auf einer Fähre überqueren mußte, dann die alte Abtei, dahinter die kleine Ortschaft mit dem Kirchlein aus rotem Sandstein und dem ehemaligen Pfarrhaus.
Ist es zu fassen, dachte Wolf, mit dem Flieger nach London wäre ich nicht länger unterwegs gewesen.
Immerhin: er hatte es geschafft. Sein Ziel vor sich zu sehen, erfüllte ihn mit Befriedigung.
In jenem Pfarrhaus nämlich, in der Obhut einer Dame namens Ida Blonski, lebte mit fast hundertprozentiger Sicherheit das einzige Kind, das er jemals gezeugt hatte: ein Junge von nunmehr zehn Jahren.
Es würde mich nicht wundern, wenn seine Mutter ihn Wolf genannt hätte nach mir. Das sähe ihr ähnlich. So verliebt wie sie damals war, die kleine Edith! So sentimental, so anhänglich. Ich bin kein Mann zum Heiraten, habe ich zu ihr gesagt, wir wollen uns nichts vormachen. Aber das hat sie einfach überhört, dachte er.
Früher war ihm der Gedanke an das Kind nur selten gekommen. In letzter Zeit jedoch verfolgte er ihn, drängte sich auf bei jeder Gelegenheit.
Ganz schlimm war es geworden seit seinem vierzigsten Geburtstag, seit jener stilvollen Fete in seiner neu erbauten Villa im Kreise seiner Geschäftsfreunde, von denen einer ihm auf die Schulter geklopft und augenzwinkernd gefragt hatte, was er in Zukunft mit seinem Besitz anfangen wolle. Vielleicht alles dem Tierschutzverein vermachen?
Denn ein leiblicher Erbe, ein eigenes Kind, sei ja wohl nicht mehr zu erwarten.
Diese lachend geäußerte Vermutung, so gestand sich Wolf von Kelberg am Steuer seines goldmetallisch schimmernden Wagens zähneknirschend ein, hatte ihn tiefer getroffen als jede Aggression.
Denn es war eine ebenso deprimierende wie nicht zu leugnende Tatsache, daß außer dem jungen sentimentalen Mädchen Edith keine seiner Freundinnen jemals wieder von ihm schwanger geworden war.
Bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr hatte er in seinem kinderlosen Dasein kein Manko gesehen, im Gegenteil.
Anders als frei und ungebunden konnte er sich das Leben gar nicht vorstellen.
Aber in letzter Zeit schienen sich alle Party-Gespräche um Kinder zu drehen und um alles, was mit Kindern zusammenhing. Es war verblüffend, es war unglaublich. Es machte ihn nervös, nicht mitreden zu können, es stempelte ihn zum Außenseiter, wenn nicht zum Versager. Dazu kamen melancholische Anwandlungen, Stunden, in denen er sich ernstlich fragte, wozu er sich hetzte und rackerte, wozu er ein solches Unternehmen überhaupt aufgezogen hatte, wozu er lebte.
Wolf von Kelberg wußte so gut wie jeder andere, daß man sich vor solchen Stimmungen hüten mußte. Aber wie?
Vor einem Jahr schließlich hatte er eine Gegenmaßnahme ergriffen und mit der systematischen Suche nach dem Kind begonnen, das ein Mädchen namens Edith nachweislich von ihm bekommen hatte.
Es war nicht leicht gewesen, die Spur zu finden und zu verfolgen. Fest stand inzwischen, daß sie nach Rotenhain führte, einem kleinen Marktflecken, der seinen Namen einem Buchenwäldchen verdankte, das soeben im schwachen Frühlingssonnenschein vor der Windschutzscheibe auftauchte.
»Nun wollen wir doch mal sehen«, sagte Wolf laut zu sich selbst, »wie sich Frau Blonski verhält, wenn sie von meinem Entschluß erfährt.«