Mami 1817 – Familienroman: Mit Anne-Lina in ein neues Leben
Von Gloria Rosen
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"Du willst mir in letzter Zeit gar nicht gefallen." Besorgt musterte Frau Urban ihre Älteste, als sie sich am Abend in der gemütlichen Sesselecke gegenüber saßen. "Dein Gesicht ist viel zu blaß und schmal geworden. Dein Pflichtbewußtsein als Krankenschwester in allen Ehren, aber meiner Meinung nach tust du des Guten zuviel und übernimmst dich in sträflicher Weise. Dein aufreibender Dienst im Krankenhaus und dazu nach Feierabend noch deine Fürsorge um Frau Bilger übersteigt entschieden deine Kräfte."
"Aber sie ist eine solch reizende Nachbarin, die sich nur schwer an die Krücken gewöhnen kann", verteidigte sich Ulrike. "Sie ist immer so herzlich zu mir. Es tut mir unsagbar leid, daß sie sich den schlimmen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hat und nun dazu verdammt ist, sich ihr künftiges Leben lang nur noch an Krücken bewegen zu können. Schuld daran ist eine kleine Verkürzung ihres Beines, was nie mehr ausgeglichen werden kann."
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Mami 1817 – Familienroman - Gloria Rosen
Mami –1817–
Mit Anne-Lina in ein neues Leben
Roman von Gloria Rosen
»Du willst mir in letzter Zeit gar nicht gefallen.« Besorgt musterte Frau Urban ihre Älteste, als sie sich am Abend in der gemütlichen Sesselecke gegenüber saßen. »Dein Gesicht ist viel zu blaß und schmal geworden. Dein Pflichtbewußtsein als Krankenschwester in allen Ehren, aber meiner Meinung nach tust du des Guten zuviel und übernimmst dich in sträflicher Weise. Dein aufreibender Dienst im Krankenhaus und dazu nach Feierabend noch deine Fürsorge um Frau Bilger übersteigt entschieden deine Kräfte.«
»Aber sie ist eine solch reizende Nachbarin, die sich nur schwer an die Krücken gewöhnen kann«, verteidigte sich Ulrike. »Sie ist immer so herzlich zu mir. Es tut mir unsagbar leid, daß sie sich den schlimmen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hat und nun dazu verdammt ist, sich ihr künftiges Leben lang nur noch an Krücken bewegen zu können. Schuld daran ist eine kleine Verkürzung ihres Beines, was nie mehr ausgeglichen werden kann.«
»Trotzdem dürfte dir dein Mitgefühl einigen Ärger einbringen. Frau Bilger ist mehr denn je davon überzeugt, daß du ihr doch noch ihren Herzenswunsch erfüllst und ihren Einzigen heiratest. Du solltest ihr nachdrücklich klar machen, daß du niemals daran denkst.«
»Als ob ich das nicht schon hätte.« Die Tochter seufzte tief auf. »Leider will sie nicht einsehen, daß ich nichts für Gerald empfinde. Außerdem weiß ich nicht mal, ob er aus Zuneigung um mich wirbt oder nur deshalb, weil er seiner Mutter eine Freude machen will. Er tut doch alles für sie, denn sie ist ihm mit Abstand das Liebste auf der Welt.«
Das gab Frau Urban spontan zu, wobei sie allerdings einschränkte: »Gerald ist zudem ganz vernarrt in dich, was keinesfalls zu übersehen ist.« Sie lächelte. »Vater und ich sind auch stolz auf unsere hübsche Tochter – vielmehr Töchter«, verbesserte sie sich sogleich.
Dabei fiel ihr Blick auf die Jüngere, die ihrem Vater am Wohnzimmertisch gegenübersaß. Beide konzentrierten sich ganz auf ihr Schachspiel.
Ulrike war ihrem Blick gefolgt. »Mir ist schleierhaft, welch engelhafte Geduld und Ausdauer meine Schwester in ihrem ansonsten so sprühenden Temperament aufbringen kann.«
»Schachmatt«, rief Manuela in diesem Moment siegesbewußt aus.
»Du hast es mal wieder geschafft«, konterte ihr Vater resigniert und zwinkerte ihr dann neidlos zu. Er erhob sich. »Es wird Zeit, daß wir uns zur Ruhe begeben.«
»Der Meinung bin ich auch. Für mich war es wieder ein aufreibender Tag. Ich wünsche euch eine Gute Nacht.« Ulrike verließ rasch das Zimmer.
Minuten später ließ sie sich wohlig in ihr Bett fallen. Sie schloß die Augen, konnte aber nicht gleich schlafen.
Manuela steckte ihren Kopf zur Tür herein. »Darf ich noch einen Moment hereinkommen? Es dauert ganz gewiß nicht lange.«
Schon saß sie auf Ulrikes Bettrand und griff nach ihren Händen. Ihr Gesicht wirkte ungewöhnlich ernst. »Die Eltern machen sich große Sorgen um dich. Du siehst wirklich ziemlich angegriffen aus. Morgen komme ich mit dir zu Frau Bilger. Du kannst mich einweisen, wie sie zu betreuen ist. Dann nehme ich dir deine Aufgabe ab. Ich tue es wirklich gern.«
Sie beugte sich näher zu der Schwester und bannte deren Blick in ihrem. »Du machst dir doch nichts aus Gerald, nicht wahr?«
»Nein. Wieso fragst du so eigentümlich?«
Da strahlte die Jüngere. »Weil ich bis über beide Ohren in Gerald verliebt bin. Er ist…« Sie brach errötend ab. Ihr Gesicht nahm einen kummervollen Ausdruck an. »Leider sieht er nur dich. Mich beachtet er kaum.«
Ulrike lächelte sie aufmunternd an. »Dann werden wir uns eben etwas einfallen lassen, damit sich all sein Sinnen und Trachten nur auf dich konzentriert. Aber bitte nicht jetzt, sondern morgen. Ich bin todmüde und möchte endlich schlafen.«
»Sollst du auch.« Manuela umspannte die Hände der Schwester fester und blickte sie beschwörend an. »Zuvor mußt du aber mir jedoch fest versprechen, daß du dich so bald wie möglich vom Arzt untersuchen läßt. Du schaust nun wirklich hinfällig aus.«
»Nun übertreibe nicht gleich«, widersprach Ulrike gerührt. »Damit du endlich Ruhe gibst, werde ich in den nächsten Tagen einen von unseren Ärzten im Krankenhaus konsultieren.«
Aufatmend zog sich Manuela zurück, während die Ältere augenblicklich in einen tiefen Schlaf fiel.
Der Zufall kam ihr am nächsten Tag zu Hilfe, ihr Versprechen einzulösen. Als Ulrike nämlich in ihrer Freistunde auf einer abgelegenen Bank in den Anlagen des Krankenhauses saß und sich wohlig den wärmenden Strahlen der Sonne hingab, zuckte sie beim Klang einer sonoren Stimme jäh zusammen. Sie starrte den vor ihr stehenden Mann sekundenlang wie aus weiter Ferne an.
»Habe ich Sie in Ihren Träumen erschreckt? Das wollte ich nicht«, entschuldigte sich Dr. Heiner Harthoff, der Oberarzt ihrer Abteilung. Er musterte sie intensiver. »Unter Ihrer leichten Bräune sehen Sie angegriffen aus. Fehlt Ihnen etwas?«
Die mitfühlenden Worte ihres väterlichen Freundes, für den Ulrike ihn seit jeher ansah, taten ihr wohl. Sie rückte zur Seite. »Möchten Sie sich nicht zu mir setzen? Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten. Oder haben Sie keine Zeit?«
»Für die nächsten zwei Stunden schon«, versicherte er ihr und ließ sich neben ihr nieder. »Sie haben doch etwas auf dem Herzen. Wollen Sie sich mir anvertrauen?«
»Liebend gern, denn mit Ihnen kann ich nahezu alles besprechen, weil Sie stets den besten Rat wissen und zudem äußerst verschwiegen sind.« Sie holte tief Luft. »Ich fühle mich tatsächlich in letzter Zeit überfordert. Irgendwie schlapp und nervös. Mitunter habe ich auf etwas Heißhunger und doch wieder keinen Appetit. Dazu rebelliert manchmal mein Magen. Wahrscheinlich esse ich zu unregelmäßig. Wichtiger als Essen und Trinken ist mir allemal das Wohlbefinden meiner Pfleglinge.«
»Das ist mir hinreichend bekannt.« Gütig schaute der Arzt sie an. »Wann hatten Sie eigentlich das letzte Mal Urlaub?«
Ulrike zog die Stirn kraus und dachte nach. Sie zuckte die Achseln. »Das ist schon eine Weile her. Vermutlich im vorletzten Jahr. Es gab stets wichtigere Dinge für mich.«
»Natürlich, Sie haben sich ja auch ausnutzen lassen.« Der Arzt zankte sie gutmütig aus und gab ihr im bestimmten Ton zu verstehen, daß sie umgehend ihren Urlaub einreichen sollte. Er erhob sich. »Und nun kommen Sie mit mir mit. Ich habe augenblicklich Zeit, um Sie einmal zu untersuchen. Wenn wir wissen, was Ihnen fehlt, kann sofort Abhilfe geschaffen werden.«
Das war allerdings ein gründlicher Irrtum. »Zwar kann ich Ihnen versichern, daß Sie nicht ernsthaft krank sind, aber…«
Sie sah ihn beunruhigt an. »Was meinen Sie damit?«
Er lächelte stillvergnügt vor sich hin un erkundigte sich dann: »Ist Ihnen eigentlich noch gar keine Erleuchtung gekommen, was es mit Ihrem Unwohlsein auf sich hat? Sie sind doch ausgebildete Krankenschwester und eine erstklassige dazu.«
Als sie nicht antwortete, sondern grüblerisch dreinblickte, sagte er mit ernster Miene: »Menschenskind, Sie bekommen ein Baby. Heiraten Sie darum möglichst bald. Sie und der Vater des Kindes sind sich doch einig, nicht wahr?«
Zuerst starrte Ulrike ihn ungläubig an. Dann begannen ihre Augen zu strahlen. Ihr Gesicht nahm einen ganz verklärten Ausdruck an. Während sie ihre Hand unwillkürlich auf den Bauch legte, wiederholte sie mehrmals mit glücklicher Stimme: »Wir werden ein