Die Jorgensen-Kinder: Mami 2047 – Familienroman
Von Myra Myrenburg
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Über dieses E-Book
Zum ersten Mal hatte er sie bei der Hubertusjagd gesehen. Sie ritt eine prächtige Fuchsstute und sah hinreißend aus. Unter der schwarzen Reitkappe quoll das kastanienfarbene Haar hervor, dicht gelockt und glänzend. Ihre Augen leuchteten mit dem Herbstwald um die Wette. Sie funkelten vor Lebensfreude und Übermut. Ihr Name war Amelie Hahn. Sie war gerade dreiundzwanzig geworden, stammte aus dem tiefsten Süden Deutschlands und studierte im dritten Semester Medizin. All dies erfuhr Malte erst später. An diesem klaren, frostigen Novembertag im Schein der goldenen Spätherbstsonne sah er sie zum ersten Mal, was seltsam anmutete, denn er war der Jagdherr und kannte seine Gesellschaft. Aber sie gehörte nicht zu den geladenen Gästen. Irgend jemand hatte sie mitgebracht. Nach einem stürmischen Ritt durch die Wälder verlor er sie aus den Augen, sehr zu seinem Leidwesen, denn er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt. Später, beim Hubertusball im Landgasthof Eichenhain, tauchte sie wieder auf, in einem fußlangen Festtagsdirndl, die herrliche, goldrote Lockenmähne hochgesteckt, ein Bild der Schönheit, der Jugend und der Frische. Malte tanzte siebenmal mit ihr. Er vernachlässigte die Damen der Jagdgesellschaft, sogar die älteren Semester, die er als Gastgeber niemals auslassen durfte, ohne gegen ein ehernes Gebot der Höflichkeit zu verstoßen. Aber ihm war alles egal. Er hatte nur Augen für die schöne junge Amelie. Nur mit ihr wollte er reden, nur mit ihr tanzen. Zum Teufel mit den gesellschaftlichen Pflichten! Die hatte er sein Leben lang treu und redlich erfüllt.
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Buchvorschau
Die Jorgensen-Kinder - Myra Myrenburg
Mami
– 2047 –
Die Jorgensen-Kinder
… sind elternlos. Wer kümmert sich um sie?
Myra Myrenburg
Zum ersten Mal hatte er sie bei der Hubertusjagd gesehen. Sie ritt eine prächtige Fuchsstute und sah hinreißend aus. Unter der schwarzen Reitkappe quoll das kastanienfarbene Haar hervor, dicht gelockt und glänzend. Ihre Augen leuchteten mit dem Herbstwald um die Wette. Sie funkelten vor Lebensfreude und Übermut.
Ihr Name war Amelie Hahn. Sie war gerade dreiundzwanzig geworden, stammte aus dem tiefsten Süden Deutschlands und studierte im dritten Semester Medizin. All dies erfuhr Malte erst später. An diesem klaren, frostigen Novembertag im Schein der goldenen Spätherbstsonne sah er sie zum ersten Mal, was seltsam anmutete, denn er war der Jagdherr und kannte seine Gesellschaft. Aber sie gehörte nicht zu den geladenen Gästen. Irgend jemand hatte sie mitgebracht.
Nach einem stürmischen Ritt durch die Wälder verlor er sie aus den Augen, sehr zu seinem Leidwesen, denn er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt. Später, beim Hubertusball im Landgasthof Eichenhain, tauchte sie wieder auf, in einem fußlangen Festtagsdirndl, die herrliche, goldrote Lockenmähne hochgesteckt, ein Bild der Schönheit, der Jugend und der Frische.
Malte tanzte siebenmal mit ihr. Er vernachlässigte die Damen der Jagdgesellschaft, sogar die älteren Semester, die er als Gastgeber niemals auslassen durfte, ohne gegen ein ehernes Gebot der Höflichkeit zu verstoßen. Aber ihm war alles egal.
Er hatte nur Augen für die schöne junge Amelie. Nur mit ihr wollte er reden, nur mit ihr tanzen. Zum Teufel mit den gesellschaftlichen Pflichten! Die hatte er sein Leben lang treu und redlich erfüllt. Jetzt begann ein neues Zeitalter, wurde die starre Routine unterbrochen. Alles sollte sich ändern, alles.
Malte Jorgensen staunte über sich selbst. Er war normalerweise nicht leicht entflammbar. Das ging schon daraus hervor, daß er ohne größere Anfechtungen dreißig Jahre alt geworden war.
Im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder Jesko, der unzählige Mädchenherzen gebrochen und sonst herzlich wenig aufzuweisen hatte, war Malte zielstrebig einen anderen Weg gegangen. Er leitete schon seit geraumer Zeit das Familienunternehmen, hatte den beiden Brauereien im Nordhessischen noch einen Selterswasservertrieb angeschlossen und einige Gasthöfe erworben. Auch das Landgasthaus Eichenhain befand sich im Besitz der Familie Jorgensen, ebenso wie die vierzig Hektar Buchenwald, die traditionsgemäß für die Hubertusjagd genutzt wurden.
Malte galt bereits als der ungekrönte König der Region. Er war breitschultrig, mittelgroß, kantig gebaut. Seine Gesichtszüge drückten Willensstärke aus, seine grauen Augen blickten prüfend in die Welt. Er war sich seiner Bedeutung durchaus bewußt, aber er war weit davon entfernt, sich zu überschätzen.
Amelie Hahn dagegen war eine Schönheit, die allgemein auffiel. Sie mußte erobert, sie mußte umworben werden.
Eine Herausforderung, die Malte freudig annahm. Zwischen den sieben Tänzen, die er mit ihr tanzte, führte er sie abwechselnd zur Bar und zum Büffet, und die ganze Zeit unterhielt er sich lebhaft mit ihr. Sein Verhalten an diesem Abend hatte etwas Intensives, das seinen besten Freunden natürlich nicht entging. Im nachhinein, wenn er daran zurückdachte, fand er selbst, daß er es wohl doch ein wenig übertrieben hatte. Wie leicht hätte er ihr auf die Nerven fallen können mit seinem geballten Interesse. Aber sie war bemerkenswert fröhlich und unbefangen geblieben, hatte ihm keinen Tanz abgeschlagen und sich in seinen Armen sichtlich wohl gefühlt.
Sie studierte in Gießen, das lag nicht gerade vor seiner Haustür, aber auch nicht in unerreichbarer Ferne. Zur Zeit quälte sie sich mit dem Physikum herum, das dem eigentlichen Medizinstudium vorausging und ihr gar nicht lag, wie sie seufzend bemerkte. Die Hubertusjagd war die einzige Abwechslung gewesen, die sie sich gegönnt hatte. Von nun an mußte sie sich auf den Stoff konzentrieren, wie ätzend er auch immer war.
Dabei hatte sie eine kleine Grimasse gezogen, die Malte liebevoll ihr Clownsgesicht nannte. Und plötzlich, im Morgengrauen, beim lärmenden Aufbruch der letzten Gäste, mitten im Getöse, der abfahrenden Wagen war sie ihm abhanden gekommen. Eben noch hatte er ihre winkende Hand erspäht, und ein fröhliches Abschiedswort war zu ihm hinübergeweht.
Danach hatte er nichts mehr von ihr gehört.
Sie geisterte durch seine Gedanken und gaukelte durch seine Träume. Aber aus Gründen der Disziplin, im Hinblick auf ihr Physikum, meldete er sich erst vier Monate später, obwohl er ihre Adresse und Telefonnummer schon längst herausgefunden hatte. Der Kunstverein, dem er vorstand, gab einen Ball in Kassel am Karnevalssonntag. Kostümierung war zwingend vorgeschrieben.
Sie kam als Hippie-Mädchen mit wallendem Gewand, Sandalen und einem bestickten Band um die Stirn, und wieder sah sie so umwerfend aus, daß Malte der Atem stockte. Er hatte sich als Kosak verkleidet, mit Stiefeln, Pelzmütze und hochgeschlossenem Kittel, ein Kostüm, das ihm ausgezeichnet stand und irgendwie zu ihm paßte, aber denkbar unbequem war. Schon nach einer Stunde brach ihm der Schweiß aus, und da er vor Durst fast verging, trank er zu schnell und zuviel.
Im närrischen Treiben, das sich über mehrere Säle erstreckte, verlor er sein Hippie-Mädchen lange vor Mitternacht aus den Augen, und er verwünschte sich für die Schnapsidee, das erste Wiedersehen mit seiner Traumfrau ausgerechnet auf Karneval gelegt zu haben.
Er erlebte das Fest in einem Nebel von Alkoholdunst, Rauchschwaden und ohrenbetäubender Musik, während er sich durch die wild bewegte Menge kämpfte auf der Suche nach Amelie. Es war wie ein Alptraum.
Er fand sie nicht, und falls sie ihn suchte, was ziemlich unwahrscheinlich war, hatte auch sie kein Glück.
Irgendwann in einem lichten Moment schüttelte er sich, warf die Pelzmütze quer durch den Saal und nahm ein Taxi nach Hause. Nach diesem total verkorksten Wiedersehen, diesem bodenlos peinlichen Verlauf des Festes, an das er sich nur bruchstückweise erinnerte, war Malte tagelang niedergeschlagen, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Schließlich schickte er per Fleurop einen Strauß Frühlingsblumen nach Gießen und schrieb ein paar Worte dazu, die ausdrücken sollten, wie untröstlich er war. Eine Antwort erhielt er nie, und da er erstens zu stolz, zweitens zu unsicher und drittens zu unerfahren war im Umgang mit schönen jungen Frauen, wagte er keinen weiteren Versuch. Amelie Hahn geisterte nach wie vor durch seine Gedanken, gaukelte durch seine Träume und neuerdings auch durch seine Alpträume.
Er kam zu dem Schluß, daß er sie wiedersehen müsse, egal, in welcher Umgebung, egal, bei welcher Gelegenheit. So oder so, dachte er, würde er sich danach besser fühlen.
Ein Irrtum, wie er alsbald erfahren sollte.
Als Amelie Hahn seinen Lebensweg zum dritten Mal kreuzte, schritt sie am Arm seines Bruders Jesko die flachen Stufen zur elterlichen Villa