Eine kleine Ewigkeit: Der Bergpfarrer 277 – Heimatroman
Von Toni Waidacher
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Über dieses E-Book
Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert.
Viktoria Leitner atmete erleichtert auf, als sie von der Autobahn abfuhr und auf die Bundesstraße einbog. Hier war es geradezu idyllisch, kaum Verkehr, keine Hektik, während eben noch die Lastwagen und Pkws mit einem Höllentempo an ihr vorbeigerauscht waren. Nun genoss sie die Ruhe, fuhr auf einen Parkplatz und stieg für ein paar Minuten aus. Einige Schritte weiter stand eine Bank. Die junge Frau hatte einen Apfel aus der Tasche auf dem Beifahrersitz genommen und setzte sich. Genüsslich biss sie ab und ließ ihren Blick schweifen. In der Ferne zeichneten sich die Zwillingsgipfel ab, ›Himmelspitz‹ und ›Wintermaid‹. Lächelnd dachte Viktoria an die Sennerhütten unterhalb der schneebedeckten Gipfel und an die vielen Touren, die sie mit dem Bergpfarrer dort oben unternommen hatte. Meine Güte, wie lang' war das jetzt her? Der Vierundzwanzigjährigen kam es wie eine kleine Ewigkeit vor, dabei war es gerade mal drei Jahre her, dass sie St. Gleich nach der bestandenen Prüfung zur Hotelfachfrau hatte sie sich in einem Hotel in der bayerischen Landeshauptstadt beworben. Ihr damaliger Chef, Sepp Reisinger, der Inhaber des Hotels ›Zum Löwen‹ in St. Johann, hatte sie dabei unterstützt und ihr, neben einem erstklassigen Zeugnis, auch eine Empfehlung an den Münchner Kollegen, der er noch von früher kannte, mit auf den Weg gegeben. Im Hotel ›Royal‹ hatte Vicki dann auch sofort eine Anstellung gefunden und war, bis vor ein paar Tagen, dort noch angestellt gewesen. Nun kehrte sie in die Heimat zurück. Die Silhouette der Berge verschwamm vor ihren Augen, und für Sekunden tauchte das Bild eines Mannes vor ihr auf. Thomas Brunner, der gut aussehende Koch im ›Royal‹, ein ewig lustiger Typ und Hansdampf in allen Gassen. Im Sturm hatte er Viktorias Herz erobert, und beinahe drei Jahre lang waren sie ein Paar gewesen. Wie oft hatten sie von einem eigenen kleinen Hotel oder Restaurant geträumt! »Eines Tags«
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Buchvorschau
Eine kleine Ewigkeit - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer
– 277 –
Eine kleine Ewigkeit
Viktorias Heimkehr weckt Gefühle
Toni Waidacher
Viktoria Leitner atmete erleichtert auf, als sie von der Autobahn abfuhr und auf die Bundesstraße einbog. Hier war es geradezu idyllisch, kaum Verkehr, keine Hektik, während eben noch die Lastwagen und Pkws mit einem Höllentempo an ihr vorbeigerauscht waren. Nun genoss sie die Ruhe, fuhr auf einen Parkplatz und stieg für ein paar Minuten aus.
Einige Schritte weiter stand eine Bank. Die junge Frau hatte einen Apfel aus der Tasche auf dem Beifahrersitz genommen und setzte sich. Genüsslich biss sie ab und ließ ihren Blick schweifen. In der Ferne zeichneten sich die Zwillingsgipfel ab, ›Himmelspitz‹ und ›Wintermaid‹. Lächelnd dachte Viktoria an die Sennerhütten unterhalb der schneebedeckten Gipfel und an die vielen Touren, die sie mit dem Bergpfarrer dort oben unternommen hatte.
Meine Güte, wie lang’ war das jetzt her?
Der Vierundzwanzigjährigen kam es wie eine kleine Ewigkeit vor, dabei war es gerade mal drei Jahre her, dass sie St. Johann verlassen hatte, um in München ›die Welt zu erobern‹ …
Gleich nach der bestandenen Prüfung zur Hotelfachfrau hatte sie sich in einem Hotel in der bayerischen Landeshauptstadt beworben. Ihr damaliger Chef, Sepp Reisinger, der Inhaber des Hotels ›Zum Löwen‹ in St. Johann, hatte sie dabei unterstützt und ihr, neben einem erstklassigen Zeugnis, auch eine Empfehlung an den Münchner Kollegen, der er noch von früher kannte, mit auf den Weg gegeben. Im Hotel ›Royal‹ hatte Vicki dann auch sofort eine Anstellung gefunden und war, bis vor ein paar Tagen, dort noch angestellt gewesen.
Nun kehrte sie in die Heimat zurück.
Nicht ganz freiwillig, eher der Not gehorchend …
Die Silhouette der Berge verschwamm vor ihren Augen, und für Sekunden tauchte das Bild eines Mannes vor ihr auf. Thomas Brunner, der gut aussehende Koch im ›Royal‹, ein ewig lustiger Typ und Hansdampf in allen Gassen. Im Sturm hatte er Viktorias Herz erobert, und beinahe drei Jahre lang waren sie ein Paar gewesen.
Wie oft hatten sie von einem eigenen kleinen Hotel oder Restaurant geträumt!
»Eines Tags«, hatte Thomas immer wieder versprochen, »ist’s so weit, dann haben wir unsren eignen Laden. Dann sind wir zwei selbstständig, und dann, Spatzl, dann wird geheiratet!«
Phrasen, heiße Luft, leere Versprechungen, mehr waren seine Worte nicht. Dabei hätte sie es besser wissen müssen. Mehr als einmal war sie von Kollegen gewarnt worden.
»Der Thomas ist ein Hallodri«, hieß es dann.
»Der ist viel zu schön für eine allein!«, lautete eine andere Warnung.
Indes tat Vicki die gut gemeinten Ratschläge als Unsinn ab, Äußerungen, aus Neid gesagt, weil man ihr den feschen Koch missgönnte. Doch leider stellte es sich als nur allzu wahr heraus. Viktoria fiel aus allen Wolken, als sie dahinterkam, dass der Mann, den sie über alles liebte, mit dem sie ihr Leben verbringen, die Zukunft gestalten wollte, sie betrog. Nicht nur einmal, zweimal …, sie wollte gar nicht wissen, wie oft.
Gerade erst hatten sie sich ein Restaurant angesehen, das ideal für ihre Pläne war, nun saß sie hier auf einem Parkplatz auf der Bank, kaum mehr als zehn Kilometer von St. Johann entfernt, und wischte sich die Tränen aus dem hübschen Gesicht, die sie nicht unterdrücken konnte, weil der Schmerz der Erinnerung größer war, als die Kraft, die sie hatte.
Endlich gab sie sich einen Ruck. Viktoria Leitner stieg wieder in ihr Auto und fuhr weiter. Keine fünf Minuten später passierte sie das Ortsschild.
Sie war wieder daheim.
*
»Warum hast’ denn net angerufen und gesagt, dass du kommst?«
Barbara Leitner sah ihre Tochter fragend an. Es war, gelinde gesagt, ein kleiner Schock, als es an der Haustür klingelte, und Vicki so unversehens vor ihr stand.
Im ersten Moment hatte die Mutter schon das Schlimmste befürchtet – wie schlimm die Geschichte ihrer Tochter indes war, ahnte sie noch nicht.
»Ich wollt’ dich halt überraschen«, antwortete Viktoria und nahm sich noch eine Semmel.
Ihre Mutter hatte rasch den Tisch für ein zweites Frühstück gedeckt und war dann zur Bäckerei Terzing gelaufen, um Semmeln und Kuchen zu holen.
»Hast’ denn so einfach Urlaub bekommen?«, forschte Barbara nach. »Ich denk’, grad jetzt, zur Ferienzeit, habt ihr im Hotel viel zu tun?«
Die Tochter drehte nachdenklich die Tasse in ihren Händen, dann trank sie einen Schluck.
Gut, irgendwann musste sie ja mit der Sprache herausrücken.
Warum also nicht gleich?
»Ich arbeite net mehr im ›Royal‹«, sagte sie, mit belegter Stimme.
Ihre Mutter sah sie mit großen Augen an.
»Net mehr im Royal? Aber warum …?«
Plötzlich lächelte sie.
»Sag bloß, der Thomas und du …, habt ihr etwa ein geeignetes Objekt gefunden? Ist’s jetzt so weit, mit der Selbstständigkeit?«
»Wir sind net mehr zusammen. Ich hab’ mich von Thomas getrennt.«
Totenstille trat ein, man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können.
»Was ist passiert?«, fragte Barbara Leitner tonlos.
Vicki erzählte es ihr, schnörkellos, ohne Emotionen, grad so, als würde sie nicht über sich, sondern über eine andere sprechen.
»Unter diesen Umständen wollte ich net mehr länger im Hotel bleiben«, schloss sie.
»Das versteh’ ich freilich«, nickte ihre Mutter. »Aber, was willst’ jetzt anfangen? Ich glaub’ net, dass der Herr Reisinger jetzt noch jemanden einstellt.«
Ihre Tochter schüttelte den Kopf.
»Ich find’ schon wieder eine Anstellung«, meinte sie. »Wie ich gehört hab’, hat doch in Engelsbach ein neues Hotel eröffnet, ›Ransingerhof‹ heißt es, glaub’ ich. Aber ich will mich noch gar net irgendwo bewerben. Erst einmal möcht’ ich ein bissel Urlaub machen und ausspannen.«
Und vergessen, setzte sie in Gedanken hinzu.
Barbara lächelte und griff über den Tisch nach Vickis Hand.
»Es ist schön, dass du heimgekommen bist«, sagte sie. »Auch wenn ich dich hin und wieder mal in München besucht hab’, drei Jahr’ sind doch eine lange Zeit. Ich bin sicher, dass es eine ganze Menge Leute gibt, die sich freuen, dich wiederzusehen.«
Nach dem Frühstück holte Viktoria ihr Gepäck herein. Die kleine Wohnung, die sie in München gehabt hatte, war ausgeräumt, die Möbel hatte sie verkauft, ein paar allerdings bei einer Freundin untergestellt. Irgendwann würde sie die Sachen dort abholen.
In den beiden Koffern und den zwei Reisetaschen befanden sich ihre Kleider und andere persönliche Dinge, auf die sie nicht verzichten konnte.
»Ich geh’ dann mal zum Friedhof«, sagte Vicki. »Zum Mittag bin ich wieder da.«
Ihre Mutter nickte.
»Was magst’ denn essen?«, erkundigte sie sich. »Ich kann’s ja schon mal vorbereiten?«
Viktoria lächelte.
»Das weißt du doch, Mama, am liebsten deinen Topfenschmarren mit Äpfeln.«
»Gut«, schmunzelte ihre Mutter, »dann sollst’ den auch bekommen!«
Im Flur überprüfte Vicki noch einmal ihr Aussehen und bürstete das lange blonde Haar durch. Dann steckte sie ihre Geldbörse in die Hosentasche und verließ das Haus.
In dem kleinen Einkaufszentrum hatte vor Kurzem die ortsansässige Gärtnerei, die am anderen Ende des Dorfes lag, einen kleinen Laden eröffnet, in dem frische Schnittblumen und Topfpflanzen verkauft wurde. Vicki ließ sich einen hübschen Strauß zusammenstellen und ging zur Kirche weiter.
In Gedanken versunken ging sie den geharkten Kiesweg hinauf.
Wie oft war sie hier gegangen!
Zur ersten Firmung, zur Heiligen Kommunion, später als Ministrantin zu den Gottesdiensten. Lebhaft waren ihr noch die Jugendfreizeiten in Erinnerung, zu denen sie und die anderen mit Pfarrer