Zarte Liebe: Der kleine Fürst 163 – Adelsroman
Von Viola Maybach
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"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
Iris von Roth stand vor dem alten Gebäude und betrachtete es mit zornigen Blicken. Ihr Zorn richtete sich nicht etwa gegen das Gebäude – im Gegenteil. In ihrer Kindheit war das Schlösschen halb verfallen gewesen und hatte ihr und ihren Freundinnen und Freunden als Spielplatz gedient. Einen schöneren hätten sie sich nicht wünschen können, das Gemäuer bot alles, was Kinderherzen begehrten: Große Säle, kleine Kämmerchen, geheimnisvolle Gänge, dunkle Flure und einen riesigen Dachboden, auf dem unerhörte Schätze lagerten, jedenfalls für fantasiebegabte Kinder. Sie hatten dort angeschlagenes Porzellan gefunden, Lampen mit zerschlissenen Seidenschirmen, staubige Bücher mit seltsamen Abbildungen und, Gipfel der Seligkeit, uraltes Spielzeug, darunter auch zwei Puppen ohne Augen und einen alten Teddybär, aus dessen Bauch die Holzwolle quoll.
Das Schlösschen hieß ›Rosenburg‹, weil seine Erbauer, so war es zumindest überliefert, begeisterte Rosenzüchter gewesen waren. Rund zweihundert Jahre später hatten ihre Nachfahren weder das Geld für die Pflege des Rosengartens noch für eine Renovierung ihres Wohnsitzes gehabt und waren weggezogen. Die Rosenburg galt, verfallen, wie sie zu dem Zeitpunkt schon gewesen war, als unverkäuflich, und so war sie zum Kinderspielplatz geworden. Bis vor fünf Jahren ›ein internationaler Investor‹ das Gebäude erworben und aufwändig saniert hatte.
An dieser Stelle setzte Iris' Zorn ein. Gegen eine Renovierung hatte sie grundsätzlich nichts einzuwenden, aus dem Schlösschen hätte man wieder das Schmuckstück machen können, das es einmal gewesen war. Aber die neuen Besitzer hatten kein Interesse an einem Schmuckstück gehabt, sie wollten Geld verdienen, und so hatten sie, ohne Rücksicht auf Verluste, neue Fenster mit Plastikrahmen
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Zarte Liebe - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 163–
Zarte Liebe
Zwei schüchterne Seelen finden zusammen
Viola Maybach
Iris von Roth stand vor dem alten Gebäude und betrachtete es mit zornigen Blicken. Ihr Zorn richtete sich nicht etwa gegen das Gebäude – im Gegenteil. In ihrer Kindheit war das Schlösschen halb verfallen gewesen und hatte ihr und ihren Freundinnen und Freunden als Spielplatz gedient. Einen schöneren hätten sie sich nicht wünschen können, das Gemäuer bot alles, was Kinderherzen begehrten: Große Säle, kleine Kämmerchen, geheimnisvolle Gänge, dunkle Flure und einen riesigen Dachboden, auf dem unerhörte Schätze lagerten, jedenfalls für fantasiebegabte Kinder. Sie hatten dort angeschlagenes Porzellan gefunden, Lampen mit zerschlissenen Seidenschirmen, staubige Bücher mit seltsamen Abbildungen und, Gipfel der Seligkeit, uraltes Spielzeug, darunter auch zwei Puppen ohne Augen und einen alten Teddybär, aus dessen Bauch die Holzwolle quoll.
Das Schlösschen hieß ›Rosenburg‹, weil seine Erbauer, so war es zumindest überliefert, begeisterte Rosenzüchter gewesen waren. Rund zweihundert Jahre später hatten ihre Nachfahren weder das Geld für die Pflege des Rosengartens noch für eine Renovierung ihres Wohnsitzes gehabt und waren weggezogen. Die Rosenburg galt, verfallen, wie sie zu dem Zeitpunkt schon gewesen war, als unverkäuflich, und so war sie zum Kinderspielplatz geworden. Bis vor fünf Jahren ›ein internationaler Investor‹ das Gebäude erworben und aufwändig saniert hatte.
An dieser Stelle setzte Iris’ Zorn ein. Gegen eine Renovierung hatte sie grundsätzlich nichts einzuwenden, aus dem Schlösschen hätte man wieder das Schmuckstück machen können, das es einmal gewesen war. Aber die neuen Besitzer hatten kein Interesse an einem Schmuckstück gehabt, sie wollten Geld verdienen, und so hatten sie, ohne Rücksicht auf Verluste, neue Fenster mit Plastikrahmen und eine scheußliche moderne Haustür eingebaut, sie hatten die alten Backsteine verputzt und den Putz rosa streichen lassen, sie hatten einen neuen hässlichen Betonflügel angebaut und dafür auf der anderen Seite eine alte Glasveranda abgerissen, damit der Parkplatz größer werden konnte. Vor jede Wohnung hatten sie einen Balkon geklebt, und aus dem Dachboden waren mehrere Dachterrassen geworden.
Iris war froh, dass sie nicht wusste, wie es innen aussah, es war bestimmt nicht besser als das, was sie von außen sehen konnte. In der Rosenburg waren Wohnungen für vermögende Geschäftsleute entstanden, die nur vorübergehend in der Stadt weilten. Die Wohnungen wurden für ungeheure Summen kurzfristig vermietet. Geschäftlich gesehen war das neue ›Domizil Rosenburg‹ ein voller Erfolg. Die Wohnungen waren ständig vermietet, teure Limousinen standen auf dem großzügigen Parkplatz, das gesamte Viertel begann sich unter dem Einfluss der neuen Nachbarn zu verändern. Es gab auch schon ersten Ärger, denn vor allem die jüngeren Manager, die in der Rosenburg abstiegen, feierten auch gern mal ausgelassene Partys, die bis in die Morgenstunden dauerten und die umliegenden Straßen beschallten.
Nach einem letzten bösen Blick auf den Parkplatz wandte sich Iris ab, um nach Hause zu gehen. Sie war Grundschullehrerin und kam jeden Tag hier vorbei. Immer blieb sie stehen und fragte sich fassungslos, wieso die zuständigen Leute in den Ämtern es zugelassen hatte, dass die Rosenburg, ein architektonisches Juwel, derart verschandelt wurde. Ihr kamen beinahe die Tränen, als sie an die geheimnisvollen Zimmerfluchten ihrer Kindheit dachte, an den Rosengarten, an den sie sich noch erinnerte, an den staubigen Dachboden …
Nichts von alledem existierte mehr. Vielleicht sollte sie zukünftig einen anderen Weg wählen, damit sie sich nicht jeden Tag von Neuem aufregte? Sie wunderte sich über die Heftigkeit ihres Zorns. Eigentlich war sie schüchtern und zurückhaltend, ihre Kolleginnen und Kollegen zogen sie sogar öfter auf und fragten sie, wie sie es überhaupt schaffte, ihre Klasse zu unterrichten, wo sie doch am liebsten still war und andere reden ließ. Tatsache war aber, dass sie im Umgang mit Kindern keinerlei Probleme hatte, die traten erst auf, wenn sie es mit Erwachsenen zu tun hatte.
»Iris! Hey, Iris, warte doch mal!«
Sie drehte sich um und blieb stehen, als sie Alexandra Wohmann auf sich zukommen sah.
Alexandra war eine Kollegin, die erst seit Beginn des Schuljahrs an ihrer Schule war. Sie war ein ganz anderer Typ als Iris: Laut und burschikos, mit einem vergnügten Lachen, das ziemlich oft aus ihr herausplatzte. Auch äußerlich unterschieden sich die beiden jungen Frauen: Alexandra war groß, hatte dichte dunkle Haare, die sie heute zu einem Zopf gebändigt hatte, und sie trug gerne Jeans, Lederjacken und Stiefel. Sie war der sportliche Kumpeltyp, nicht schön, aber angenehm anzusehen mit ihrem schmalen Gesicht, in dem besonders der breite Mund auffiel, der sich so gern zum Lachen verzog. Gegen sie wirkte Iris beinahe klein, obwohl dieser Eindruck täuschte, aber Iris war viel zierlicher gebaut als Alexandra: Eine Blondine mit sehr heller Haut und veilchenblauen Augen im schönen Gesicht. Alles an ihr wirkte zart, beinahe zerbrechlich. Auch das im Übrigen ein Eindruck, der täuschte. Iris konnte sehr stark sein, wenn es darauf ankam.
Sie mochte Alexandra gern, das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, Alexandra suchte öfter ihre Nähe.
»Ich habe dich gesehen vor dem scheußlichen Gebäude da vorn und mich gefragt, was dich daran so fasziniert«, sagte Alexandra, als sie Iris erreicht hatte.
»Die Rosenburg war mein Kinderparadies«, erwiderte Iris. »Sie stand ja lange leer, wir haben die tollsten Spiele in dem alten Gemäuer veranstaltet. Es war natürlich verboten und immer ein bisschen gruselig da drin, aber das hat es erst richtig interessant gemacht.«
»Das war mal eine Burg?« Alexandras Stimme klang zweifelnd.
»Ja, eine sehr schöne sogar.« Iris seufzte. »Ich sollte nicht mehr jeden Tag hier vorbeigehen, es tut mir nicht gut. Du glaubst nicht, wie zornig es mich macht, dass sie unsere Burg so verschandelt haben.«
Alexandra hängte sich bei ihr ein. »Lass uns noch einen Kaffee trinken«, sagte sie. »Dabei quatschen wir ein bisschen, und danach hast du deinen Ärger vergessen.«
Iris ließ sich nicht lange bitten. »Von mir aus«, sagte sie.
Sie steuerten ein nahe gelegenes Café an und bestellten Cappuccino. »Erzähl mir noch mehr von der Burg«, bat Alexandra.
»Du kannst dir doch bestimmt vorstellen, was eine Horde Kinder in einem verlassenen Gebäude, für das sich sonst niemand interessiert, anstellt.« Iris’ Blick wurde verträumt. Sie sah sich wieder, in heller Aufregung, viele unbekannte Gänge entlanglaufen, weil ihr Freund Michi hinter ihr her war, um sie zu fangen … Ach, sie hatten sich wundervolle Spiele ausgedacht, ganze Nachmittage waren auf diese Weise vergangen. Alle Eltern hatten gewusst, dass ihre Kinder in der Burg spielten, und nicht einmal daran gedacht, es ihnen zu verbieten. Heute war so etwas nicht mehr vorstellbar.
»Du warst bestimmt die Prinzessin, die gefangen genommen wurde und dann von einem Prinzen befreit werden musste«, sagte Alexandra.
»Ja, das war eins unserer Spiele. Aber wir haben auch ganz normal Verstecken gespielt, das war sehr aufregend, weil es in der Burg so viele Verstecke gab. Wenn ich dran war mit Suchen, hatte ich immer Angst, weil ich mich so allein gefühlt habe.«
»So