Gefährliche Erinnerungen: Gaslicht 59
Von Judith Parker
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Laurettas Geschichte bekommt eine andere Wendung. Nun spielt nicht mehr Isaura, deren Lebensfreude erloschen ist, die Hauptrolle, sondern Clare, die sich mit Sir Percy verlobt. Bathseba ist nun die Geliebte von Isauras Ehemann Bruce Lord of Brockfield, ja, und dann verunglückt Sir Percy während einer Parforcejagd. Er ist auf der Stelle tot. Clare ist untröstlich. Aber sie ist jung und lernt Bruce Lord of Brockfield näher kennen. Isaura stirbt, sie hat absichtlich zuviel Laudanum genommen. Als Lauretta diese schaurig-schöne Liebesgeschichte noch einmal durchlas, wurde es ihr ganz wunderlich ums Herz. Die Stimme in dem griechischen Tempel hatte dem Roman diese Wendung gegeben. Sie wollte zu schreiben aufhören, um sich zu entspannen. Lauretta öffnete die Augen und setzte sich im Bett auf. Sie lauschte auf den Lärm, der von unten zu ihr heraufdrang. Sofort erinnerte sie sich daran, daß heute der Tag war, an dem der griechische Tempel abgerissen wurde. In wenigen Stunden würde nichts mehr von dem wunderschönen Bauwerk dasein. Würden aber auch die gräßlichen Bilder aus ihrem Gedächtnis verschwinden, die jetzt wie ein Schwarm häßlicher schwarzer Vögel über ihr zusammenschlugen? Die Frau im Bett erschauderte, dann blickte sie auf die Kaminuhr. Im selben Augenblick ertönten silberhelle Schläge. Sie zählte sie mit. Es war sieben Uhr morgens. Demnach war vor drei Stunden das Todesurteil an der Person vollstreckt worden, die skrupellos ein Verbrechen nach dem anderen begangen hatte.
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Gefährliche Erinnerungen - Judith Parker
Gaslicht
– 59 –
Gefährliche Erinnerungen
Unveröffentlichter Roman
Judith Parker
Laurettas Geschichte bekommt eine andere Wendung. Nun spielt nicht mehr Isaura, deren Lebensfreude erloschen ist, die Hauptrolle, sondern Clare, die sich mit Sir Percy verlobt. Bathseba ist nun die Geliebte von Isauras Ehemann Bruce Lord of Brockfield, ja, und dann verunglückt Sir Percy während einer Parforcejagd. Er ist auf der Stelle tot. Clare ist untröstlich. Aber sie ist jung und lernt Bruce Lord of Brockfield näher kennen. Isaura stirbt, sie hat absichtlich zuviel Laudanum genommen. Als Lauretta diese schaurig-schöne Liebesgeschichte noch einmal durchlas, wurde es ihr ganz wunderlich ums Herz. Die Stimme in dem griechischen Tempel hatte dem Roman diese Wendung gegeben. Sie wollte zu schreiben aufhören, um sich zu entspannen. Ja, sie könnte doch mit ihrer Stute ausreiten, aber da hörte sie wieder dieses unheimliche und ihr doch bereits so vertraute Wispern…
Lauretta öffnete die Augen und setzte sich im Bett auf. Sie lauschte auf den Lärm, der von unten zu ihr heraufdrang. Sofort erinnerte sie sich daran, daß heute der Tag war, an dem der griechische Tempel abgerissen wurde.
In wenigen Stunden würde nichts mehr von dem wunderschönen Bauwerk dasein. Würden aber auch die gräßlichen Bilder aus ihrem Gedächtnis verschwinden, die jetzt wie ein Schwarm häßlicher schwarzer Vögel über ihr zusammenschlugen?
Die Frau im Bett erschauderte, dann blickte sie auf die Kaminuhr. Im selben Augenblick ertönten silberhelle Schläge. Sie zählte sie mit. Es war sieben Uhr morgens.
Demnach war vor drei Stunden das Todesurteil an der Person vollstreckt worden, die skrupellos ein Verbrechen nach dem anderen begangen hatte. War aber der Tod in diesem Fall nicht vorzuziehen? Denn die zweite Person, die daran beteiligt war, verbüßte eine lebenslängliche Haftstrafe im Zuchthaus von Dartmoor.
Die Frau hielt es nicht mehr im Bett aus und stand auf. Nachdem sie in ihre Pantöffelchen geschlüpft war, trat sie ans Fenster und zog den Vorhang auf, dann blickte sie hinüber zu dem wunderschönen kleinen Tempel, der ihr einst so unendlich viel bedeutet hatte…
Vor gut einem Jahr hatte sie an dem Morgen nach ihrem Hochzeitstag auch an diesem Fenster gestanden, aber da war ihr Herz eine einzige offene Wunde gewesen – denn nur aus Liebe zu ihrem Vater, um ihm aus seiner schwierigen finanziellen Lage zu helfen, hatte sie den schwerreichen Casey Kendrik geheiratet, einen Self- mademan, einen Emporkömmling, wie man ihn in höheren Kreisen nannte. Er hatte sich sein Vermögen mit dem Handel von Zinn und Wolle erworben.
Als er reich genug war, hatte er den Geschwistern Floyd und Doreen Saxon, die die Besitzer von Little Lady Castle waren und stets Geldschwierigkeiten hatten, ein großes Stück Land abgekauft samt dem kleinen griechischen Tempel und Golden House erbauen lassen. Das Gebäude war eines jener Häuser, von denen viele träumen. Es erhob sich majestätisch auf einem Hügel inmitten von Wäldern und einem wunderschönen Park. Als das Haus fertig war, hatte Casey sich entschlossen, eine Familie zu gründen. Auf einem Gartenfest hatte er Lauretta zum erstenmal gesehen. Seit diesem Tag war er fest entschlossen gewesen, sie zu heiraten.
Als sie ihm klipp und klar erklärt hatte, sie würde ihn nur heiraten, wenn er ihrem Vater helfe, war er sofort einverstanden gewesen. Eines Tages wird sie mich lieben, hatte er dabei gedacht.
Die nun zwanzigjährige Frau lächelte plötzlich vor sich hin. Und wieder kehrten ihre Gedanken zurück zu jenem Tag, als sie ihre Vorliebe für den kleinen Tempel entdeckt und alles begonnen hatte…
Velma, ihre Zofe, ein aufgewecktes und reizendes Mädchen, hatte ihr sofort versprochen, dafür zu sorgen, daß das reizende Gebäude saubergemacht werden würde. Und Casey, der erfahren hatte, daß seine Frau sich für den Tempel interessierte, hatte das Seinige dazu getan und einen Diwan mit einer orientalischen Decke und bunten Kissen und auch einen kleinen Tisch mit Intarsien aus Elfenbein und Schildpatt hineinstellen lassen, ebenfalls orientalische Sitzkissen.
Als Lauretta sich zum erstenmal auf dem Diwan ausstreckte und sich voller Glück umsah, bewunderte sie die Wandmalereien, Allegorien, den Mosaikboden und auch die Kuppel aus Mosaiksteinen, die zu Fabelwesen aus einer Märchenwelt zusammengesetzt waren.
Dann geschah etwas Merkwürdiges mit ihr. Obwohl sie allein war, hatte sie das Gefühl, als befänden sich unsichtbare Wesen dicht bei ihr, sie glaubte Wispern zu hören, eine eigenartige Empfindung, die sie jedoch nicht erschreckte.
Velma betrat den Tempel. Sie brachte ihr den Nachmittagstee.
»Madam, Sie haben das Große Los gezogen«, entfuhr es dem blondhaarigen Mädchen impulsiv, seine Feststellung wurde von einem kleinen Seufzer begleitet. »Mr. Kendrik liebt Sie sehr.«
»Das steht jetzt nicht zur Debatte«, erwiderte Lauretta unwirsch. Denn sowie die Rede auf ihren Mann kam, stieg Unbehagen in ihr hoch. Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken. »Velma, was würdest du dazu sagen, wenn ich einen Roman schreibe?«
»Das wäre ja wunderbar«, rief die begeisterungsfähige Zofe. »Aber ist das nicht sehr schwer?«
Mit einem träumerischen Blick umfaßte Lauretta das Mädchen. »Ich habe das Gefühl, daß mir die Gedanken für meinen Roman zufliegen werden. Einen Mittelpunkt wird ein kleiner griechischer Tempel spielen – ja, der genauso aussieht wie dieser. Und zwei Schwestern spielen darin eine besondere Rolle – ja und auch ein interessanter Mann.«
Sie lehnte sich bequemer zurück und schloß die Augen, während Velma den heißen Tee in eine Tasse aus dünnem chinesischem Porzellan einschenkte.
*
Lauretta verbrachte den restlichen Nachmittag in dem Tempel. Als Velma wieder gegangen war, überließ sie sich wieder ihren Träumereien. Sie glaubte wieder ein Wispern zu hören und richtete sich halb auf.
»Für wen bist du wohl erbaut worden?« fragte sie den Tempel. »Und was für ein seltsamer Name. Little Lady Castle.« Die junge Frau hatte inzwischen erfahren, daß der Urgroßvater der Geschwister Saxon das Schloß von Lord Maidstone gekauft hatte, weil dieser ein leidenschaftlicher Spieler gewesen war. Er hatte sein gesamtes Vermögen beim Kartenspiel und auch bei Pferderennen verspielt. Nachdem er auch das Geld, das er für seinen Besitz bekommen hatte, verloren hatte, hatte er sich eine Kugel in den Kopf gejagt und seine Familie in Armut zurückgelassen. Eines steht fest, dachte Lauretta, ein Lord Maidstone muß seine Frau so geliebt haben, daß er sie wohl meine Little Lady genannt hatte und deshalb dem Schloß diesen Namen gegeben hatte.
Plötzlich zuckte sie leicht zusammen, als sie rasche Schritte hörte, die sich dem Tempel näherten. Sie kannte diese Schritte schon gut. Casey kam also wieder einmal zu ihr. Wenn er sie doch nur nicht so verwöhnen würde.
»Hallo, Lauretta«, begrüßte der große, kräftige Mann sie liebevoll. Jedesmal, wenn ihr Mann sie aufsuchte, befürchtete sie, daß er auf seinen ehelichen Rechten bestehen würde.
Ihre großen dunklen Augen, die sich mit einem scheuen und auch ängstlichen Ausdruck auf ihn richteten, entlockten ihm ein wehmütiges Lächeln.
Die Frau fragte ablenkend: »Weißt du, weshalb Little Lady Castle so heißt?«
»Leider nicht. Da müßtest du die Geschwister Saxon fragen. Allerdings würde ich es nicht gerne sehen, daß du dich mit ihnen abgibst, Lauretta, sieh mich nicht so an«, warf er ein. »Ich kann dir die Gedanken von der Stirn ablesen. Du denkst, daß die