Candy und Penny - für jeden Streich zu haben: Mami 2004 – Familienroman
Von Mier Edna
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Über dieses E-Book
Weit weg, weit weg, sangen die Räder des Inter-Regio. Weit weg, weit weg, und wenn sie über eine Weiche ratterten: ganz weit weg, ganz weit weg. Jedes »weit weg« brachte Melanie ein gutes Stück fort von ihrer Vergangenheit, einer ungewissen Zukunft näher, die irgendwo im Süden des Landes auf sie wartete. Momentan bot ihr der Reisezug noch ein Stück Geborgenheit und Schutz. Aber wenn er in den Münchener Hauptbahnhof einlief, würde sie auch diesen Hort aufgeben müssen, und dann stand in dicken Lettern »Ungewißheit« über ihrem neuen Lebensabschnitt. Weit weg, weit weg... Ein neuer Lebensabschnitt, wie sich das anhörte! Als würde man noch einmal eingeschult. Melanie preßte die Nase an das kühle Glas der Fensterscheibe und versuchte, sich dieses neue Leben vorzustellen, aber statt dessen stiegen immer wieder Bilder aus der Vergangenheit in ihr auf. Und mit diesen Bildern kehrte auch die alte, tief verwurzelte Wut zurück, die sie in sich trug, seit sie denken konnte. Diese Wut hatte sich in ihr Herz und in ihre Magenwände gefressen wie Salzsäure. Sie war auch der Grund für die häufigen Bauchkrämpfe gewesen, unter denen sie schon als Jugendliche gelitten hatte. Aber niemand war auf die Idee gekommen, eine psychische Ursache für diese Krämpfe zu suchen. »Stell dich nicht so an«, hatte es geheißen oder: »Das ist doch bloß Show.« Und der alte Hausarzt hatte ihr eine eklige Paste verschrieben, die widerlich schmeckte und die Schmerzen nicht vertrieb. Ja, wenn Adrian etwas piekste, dann war Albertine mit ihm stehenden Fußes zu Dr. Meiler gelaufen.
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Buchvorschau
Candy und Penny - für jeden Streich zu haben - Mier Edna
Mami
– 2004 –
Candy und Penny - für jeden Streich zu haben
Wenn eine Mutti bei uns ist, wird alles besser
Mier Edna
Weit weg, weit weg, sangen die Räder des Inter-Regio. Weit weg, weit weg, und wenn sie über eine Weiche ratterten: ganz weit weg, ganz weit weg.
Jedes »weit weg« brachte Melanie ein gutes Stück fort von ihrer Vergangenheit, einer ungewissen Zukunft näher, die irgendwo im Süden des Landes auf sie wartete.
Momentan bot ihr der Reisezug noch ein Stück Geborgenheit und Schutz. Aber wenn er in den Münchener Hauptbahnhof einlief, würde sie auch diesen Hort aufgeben müssen, und dann stand in dicken Lettern »Ungewißheit« über ihrem neuen Lebensabschnitt.
Weit weg, weit weg...
Ein neuer Lebensabschnitt, wie sich das anhörte! Als würde man noch einmal eingeschult.
Melanie preßte die Nase an das kühle Glas der Fensterscheibe und versuchte, sich dieses neue Leben vorzustellen, aber statt dessen stiegen immer wieder Bilder aus der Vergangenheit in ihr auf. Und mit diesen Bildern kehrte auch die alte, tief verwurzelte Wut zurück, die sie in sich trug, seit sie denken konnte.
Diese Wut hatte sich in ihr Herz und in ihre Magenwände gefressen wie Salzsäure. Sie war auch der Grund für die häufigen Bauchkrämpfe gewesen, unter denen sie schon als Jugendliche gelitten hatte. Aber niemand war auf die Idee gekommen, eine psychische Ursache für diese Krämpfe zu suchen.
»Stell dich nicht so an«, hatte es geheißen oder: »Das ist doch bloß Show.« Und der alte Hausarzt hatte ihr eine eklige Paste verschrieben, die widerlich schmeckte und die Schmerzen nicht vertrieb.
Ja, wenn Adrian etwas piekste, dann war Albertine mit ihm stehenden Fußes zu Dr. Meiler gelaufen. Der arme Junge durfte nicht den winzigsten Schmerz erleiden und es sollte ihm an nichts mangeln.
Was Adrian im Überfluß zugesteckt bekam, sparte Albertine an ihrer Tochter ein, die ihrer Meinung nach keine teure Ausbildung brauchte, weil sie später sowieso heiraten würde.
»Du wirst einmal Mutter sein und wundervolle Söhne haben«, pflegte Albertine über ihre selbstgemachten Weisheiten zu dozieren. »Es gibt nichts Schöneres und Größeres, als die Mutter eines gesunden, klugen Jungen zu sein. Da kommt kein noch so interessantes Studium oder keine noch so tolle Karriere mit.«
Daß sie baren Unsinn redete, traute sich niemand, Albertine zu sagen, und den Wandel der Gesellschaft, die Emanzipationswelle und die gesetzliche Gleichstellung der Geschlechter negierte sie mit einer Verbohrtheit, die ihresgleichen suchte.
Ganz klar, daß ihr Augapfel-Sohn Adrian das Genie schlechthin war. Er mußte sich durch den Klavierunterricht quälen, während Melanie nicht einmal eine Blockflöte bekam, obwohl sie eindeutig musikalischer war als ihr Bruder.
Adrian durfte alle möglichen Sportarten betreiben, den sehnsuchtsvollen Traum, Ballettstunden zu nehmen, wagte Melanie erst gar nicht auszusprechen. Und natürlich wurde Adrian auf eine Privatschule geschickt und durchs Abi gepaukt, während Melanie die normale Hauptschule besuchen mußte, obwohl ihre Lehrer Albertine geradezu anflehten, das Mädchen aufs Gymnasium zu schicken.
»Ich bin eine arme Witwe«, hatte sie dagegen argumentiert.
»Das bißchen Geld, das ich erübrigen kann, muß ich in meinen Jungen investieren. Schließlich muß er später einmal eine Familie ernähren. Melanie heiratet sowieso.«
Daß ihre Ansicht vorsintflutlich war und Jungen und Mädchen heute die gleichen beruflichen Chancen und Verpflichtungen hatten, war Albertine nicht begreiflich zu machen, und so hatte Melanie nach dem Schulende eine Lehre als Hauswirtschafterin begonnen, während ihr Bruder nach dem Abitur die Universität besuchen durfte.
Melanie hatte geschluckt und sich gefügt, auch, als Albertine nach der Abschlußprüfung von ihr verlangte, von nun an den heimischen Haushalt zu führen.
»Ich brauche Unterstützung«, war Albertines Erklärung gewesen. »Außerdem wäre es Unsinn, eine feste Anstellung für dich zu suchen. Dein Bruder wird bestimmt bald heiraten, und dann mußt du seinen Haushalt führen, bis du einen Ehemann gefunden hast. Du siehst, für dich ist gesorgt.«
Wieder hatte Melanie ihren Zorn hinuntergeschluckt und sich gefügt. Sie war inzwischen so entmutigt, daß sie tatsächlich geglaubt hatte, den Rest ihres Lebens als unbezahltes Hausmädchen verbringen zu müssen.
Jede Gegenwehr war in ihr gestorben. Sie hatte nur noch funktioniert wie eine Maschine. Aber dann war ihr der smarte Harald Mehrenbach begegnet, und mit ihm waren endlich Licht und Zuversicht in ihr Dasein gekommen.
Der Beginn ihrer Bekanntschaft war ein wenig turbulent gewesen. Melanie war zum Einkaufen in die nahe Stadt geradelt, als sie von einem rücksichtslosen Autofahrer derart an den Straßenrand gedrängt wurde, daß sie kopfüber im Graben landete.
Da sie sich nie wehrte oder beschwerte, hatte Melanie sich aufgerappelt, ihr Rad eingesammelt und war weitergehumpelt, aber da war der Raser zurückgekehrt und hatte direkt neben ihr gehalten.
»Hast du dir weh getan?« hatte er gefragt. Melanie konnte ihn nur anstarren. Harald Mehrenbach schien direkt einer Männermodezeitschrift entstiegen zu sein: breite Schultern, markante Züge, dunkles Haar...
Ein Traum, besonders für eine unbedarfte junge Frau, deren einzige »Männerbekanntschaft« ihr eigener Bruder war.
Natürlich hatte sie sich Hals über Kopf in den schicken Medizinstudenten verliebt. Und natürlich hatte sie geglaubt, diese Liebe würde ewig halten. Aber nach fünf wunderbaren, aufregenden Monaten voller heimlicher Treffen, Herzrasen und Notlügen, um von Daheim fortzukommen, war die Geschichte abrupt zu Ende.
Der Grund für dieses Ende bestand aus drei Worten: Ich bin schwanger.
Melanie hatte diesen verhängnisvollen Satz noch nicht richtig ausgesprochen, da war ihr Traumprinz auch schon verschwunden.
Weltfremd und verschüchtert wie Melanie war, hatte sie sich natürlich nicht zu helfen gewußt. Ihr Gedanken drehten sich nur um eines: Wie kann ich es vor Albertine geheimhalten? Sie hatte begonnen, weite T-Shirts und Pullover zu tragen, aber eines Tages hatte Albertine Melanie angesehen, die Stirn gekraust und »sag mal, du siehst ja aus, als wärst du schwanger« gemurmelt.
Ehe Melanie es verhindern konnte, hatte ihre Mutter den Saum von Melanies dickem Pullover hochgezogen, und damit war das Geheimnis keines mehr.
Die Vorhaltungen hatte Melanie ja noch ertragen. Aber als
Adrian, inzwischen fertiger Jurist, verlangte, daß sie das Kind zur Adoption freigab, hatte Melanie sich erbittert gewehrt.
»Eine Schwester mit einem unehelichen Kind, das kann ich mir unmöglich leisten«, hatte er argumentiert. »Das schadet meiner Karriere. Du gehst bis zur Geburt nach Oberbayern, in ein entsprechendes Haus, und wenn du wiederkommst, ist alles in Ordnung.«
»Eine wunderbare Idee, eine ganz, ganz wunderbare Idee!« hatte Albertine begeistert dazwischen gekräht. »Sieh nur, wie sich dein Bruder um alles sorgt. Du solltest ihm dankbar sein.«
Adrian hatte seine Mutter mit einem strengen Blick zum Schweigen gebracht.
»Um die Adoptionsformalitäten kümmere ich mich, und die Kosten für die Unterbringung und Entbindung übernehme ich auch«, hatte er Melanie eröffnet und dabei so getan, als sei er