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Meine Tante Anna
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eBook224 Seiten3 Stunden

Meine Tante Anna

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Über dieses E-Book

"Meine Tante Anna" von Hermine Villinger. Veröffentlicht von Sharp Ink. Sharp Ink ist Herausgeber einer breiten Büchervielfalt mit Titeln jeden Genres. Von bekannten Klassikern, Belletristik und Sachbüchern bis hin zu in Vergessenheit geratenen bzw. noch unentdeckten Werken der grenzüberschreitenden Literatur, bringen wir Bücher heraus, die man gelesen haben muss. Jede eBook-Ausgabe von Sharp Ink wurde sorgfältig bearbeitet und formatiert, um das Leseerlebnis für alle eReader und Geräte zu verbessern. Unser Ziel ist es, benutzerfreundliche eBooks auf den Markt zu bringen, die für jeden in hochwertigem digitalem Format zugänglich sind.
SpracheDeutsch
HerausgeberSharp Ink
Erscheinungsdatum30. Jan. 2023
ISBN9788028273989
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    Buchvorschau

    Meine Tante Anna - Hermine Villinger

    Hermine Villinger

    Meine Tante Anna

    Sharp Ink Publishing

    2023

    Contact: info@sharpinkbooks.com

    ISBN 978-80-282-7398-9

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titelblatt

    Text

    "

    Unter den verwitterten Grabstätten des alten Friedhofs zu Rastatt befindet sich ein dicht mit Efeu umsponnenes Grab, dessen schlichter roter Sandstein noch keine Spuren von Verfall zeigt. Schiebt man den Efeu ein wenig zur Seite, ist auch die Inschrift noch deutlich zu lesen:

    Anna Villinger.

    Mein Bruder war's, der während seiner Garnisonszeit zu Rastatt das Grab der Schwester unseres Vaters entdeckte und den verfallenen Grabstein der längst Verewigten durch einen neuen ersetzen ließ.

    Wir haben Tante Anna nie gekannt, nur viel von ihr gehört. So wußte mein Bruder auch, daß sie in Rastatt als Institutsvorsteherin gewirkt hatte und da verstorben war.

    Jetzt aber ist auch meine Zeit gekommen, der eigenartigen und so mutigen Seele ein Denkmal zu setzen, indem ich sie aus ihrer stillen Gruft ins Leben zurückrufe – ich, die letzte, allein übriggebliebene der langen Reihe von Angehörigen, deren Bilder die Wände meines Arbeitszimmers zieren. In ihrer Mitte, meinem Schreibtisch gegenüber, hängt das Ölbild von Anna Villinger. – Ein schmales Gesicht, von roten Locken umrahmt, in die sich ein weißes Band schlingt. Unter der schön ausgebildeten Stirn kluge dunkelblaue Augen voll Geist und warmer Güte. Die ausdrucksvollen Mundwinkel zeigen das feine Lächeln liebevollen, überlegenen Humors. Sie trägt ein dunkelblaues Kleid mit bauschigen, an den Schultern aufgefaßten Ärmeln. Den Hals umschließt ein breiter weißer Kragen.

    Sie war zur Zeit, als sie gemalt wurde, Ende der Zwanzig.

    Im Hintergrund des Bildes sieht man durch ein offenes Fenster ein schloßähnliches Gebäude mit kleineren Nebengebäuden inmitten eines Gartens. Dahinter blaues Gebirge.

    Das Gemälde stammt von der Hand des Barons O., des Schloßherrn, in dessen Haus Anna Villinger Erzieherin war.

    Im Besitz ihres Tagebuchs und einer Anzahl von Familienbriefen habe ich daraus schon früher so manches entnommen. Unter anderm die Polenzeit 1832. – Allein, wie es so geht. Das einmal Erschaute kommt nicht selten wieder, um reicher und vertiefter von neuem zu erstehen.

    Anna war das fünfte Kind des Oberamtmanns Villinger in Zell im Wiesental. Alle sieben Kinder – zwei starben schon früh – wurden hier geboren, in dem kleinen freundlichen Landstädtchen an der dem Feldberg entspringenden Wiese, zwischen bäuerlichen Obstgärten, mit gelben Blumen übersäten Matten.

    Ein nicht weniger liebliches Paradies fanden die Kinder bei der Versetzung des Vaters in Staufen. Das kleine Amtsstädtchen liegt am Eingang des Untermünstertals im Schwarzwald. Reben umgeben die Stadt und pflanzen sich in dichter Fülle die Berge hinan, von deren Häuptern die Überreste alter Burgen grüßen.

    Das Schönste aber für die Kinder war das Amtshaus. Ein gar stattliches Gebäude, dessen Front der Turm trennte, mit der gewundenen Steintreppe. An der Außenseite des Turmes wuchs der Efeu in dichten Massen bis zum letzten Fensterchen hinan. Im Hause hohe, schöne Räume, von deren Fenstern man in den Garten schaute, der sich mit seinen alten Bäumen und saftigen Wiesen fast wie ein Park ausnahm. Obst und Gemüse gab's da die Menge, und die Oberamtmännin in einer stets sauberen, stattlich ausgebogten Haube und der breiten weißen Halskrause stand am Herd und kochte das Obst ein, den einzigen Überfluß des Hauses. Denn sonst mußte tüchtig gespart werden. Die beiden älteren Töchter, so jung sie noch waren, verfertigten unter der Leitung der Mutter die eigenen Kleider und die der jüngeren Geschwister. Sie kehrten und fegten, weiße Tüchlein um den Kopf, Stuben und Kammern. Denn die Magd hatte genug mit der groben Haus- und Gartenarbeit zu tun.

    Neben der tätigen, allezeit wohlgemuten Mutter hätte der Vater vielleicht einen allzu ernsten Eindruck gemacht, wenn dessen regelmäßiges, ansprechendes Gesicht nicht jenen Ausdruck von Milde und Güte besessen hätte, wie ihn die Männer der vormärzlichen Zeit aufwiesen. Mit seinem schlichten aschblonden Haar gaben er und die schwarzhaarige Gattin ein äußerst stattliches Paar ab.

    Xaver, der älteste Sohn, voll Leben und Tatkraft wie die Mutter, besuchte, noch nicht siebzehnjährig, die Universität in Freiburg, um die Rechtswissenschaft zu studieren, lehnte jede Unterstützung von zu Hause ab und bestritt seinen Unterhalt durch Nachhilfestunden bei unbegabten Gymnasiasten.

    Aber wenn er des Sonntags heimkam nach Staufen, da konnte sich die Oberamtmännin nicht genug tun in der Bewirtung des Sohnes, denn wenn er auch stolz zu Roß in Staufen einritt, das Bild eines flotten Studenten, das Mutterherz grämte sich unablässig ob seiner Magerkeit und war überzeugt, er maß der dem Körper so notwendigen Nahrung zu wenig Bedeutung bei.

    Ihre Sorgen sollten nur zu berechtigt sein. Jung verheiratet in Karlsruhe, zu Beginn einer vielversprechenden Karriere, raffte den überarbeiteten, so wenig widerstandsfähigen jungen Mann ein Nervenfieber schnell dahin.

    All diesen Kindern am Tische des Oberamtmanns, stand nicht einem jeden schon damals das künftige Schicksal auf der Stirne geschrieben? So Theresen, der Ältesten der Mädchen. Mit ihrem immer bereiten: »Wie Sie wünschen, Mamale« – blieb sie der jüngern Geschwister wegen von der Schule weg, um der schwergeplagten Mutter hilfreich zur Seite zu stehen.

    Anders Caton, die zweite Tochter. Sie nahm sich ihren Anteil am Leben, ohne lang zu fragen. Schwarzhaarig, mit dunkelsprühenden Augen, war sie das Ebenbild der Mutter, sowohl an Frische als an Kraft – diese lebendige Kraft, die Mutter Villinger befähigte, den Ihren ein Heim zu schaffen, wie man sich's nicht liebevoller denken konnte.

    Ihre beiden jüngsten Kinder: Hermann glich Caton, und Anna, das überzarte, beinahe schmächtige Nannele, war trotz des schweren Leidens, das ihrer zarten Kindheit anhaftete, die Lebendigste von allen, die Reichste an Geist und Gemüt und übersprudelnder Phantasie.

    Wie oft in der Nacht stand die Oberamtmännin auf, wenn sie das leise Stöhnen des Kindes vernahm, das in seinem Bett aufsitzend, von schwerem Asthma gequält, nach Atem rang. Und einmal entfuhr es der Mutter unter Tränen: »O du mein arm's Nannele, warum grad' dir das?« »Aber Mutter,« verwunderte sich das Kind, »müssen wir nicht dem lieben Gott danken, daß es nur in der Nacht kommt und nicht am Tag, sonst könnt' ich ja nicht in die Schul'.«


    Anna zählte elf Jahre, als der Vater als Kreisrat nach Freiburg versetzt wurde. Also lebten die landgewohnten Kinder in einer engen Gasse in engen Räumen. In Freiburg gab's keine Dienstwohnung wie in Staufen, keinen Garten mit Obst und Gemüse. Auch mußten die heranwachsenden Töchter jetzt anders gekleidet gehen als früher. Allein die tapfere Mutter Villinger wußte Rats. Und so war's in kurzer Zeit bei Kreisrats nicht weniger behaglich als bei Oberamtmanns im ehemaligen Schlößle zu Staufen.

    Man hatte eine große Wohnung genommen und gab jungen Studentlein ein Heim im Hause. Mutter und Töchter teilten sich in die Arbeit des großen Haushalts, nur von einer geringen Magd unterstützt. Aber niemand sah es ihnen an, was sie geleistet, wenn sie Punkt Zwölf am wohlgedeckten Speisetisch erschienen.

    Nannele, das im schwarzen Kloster in kurzer Zeit die beste Schülerin war, hatte der Mutter unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit das Geständnis gemacht, daß sie nur darum so eifrig lerne, um später Klosterfrau werden zu dürfen.

    Der schöne Traum sollte nicht lange währen.

    Die Klosterfrauen, Annas Klassenlehrerinnen, kamen einmal zur Mutter zum Kaffee. Glückselig bediente das Kind die geliebten Frauen und zog sich später auf den Wink der Mutter ins Nebenzimmer zurück. Sie nahm ihr Reißbrett, um die Rokokouhr auf der Kommode abzuzeichnen, ein schon begonnener Versuch.

    Plötzlich horchte sie auf. Mutter sprach in einem Ton, den Anna nie an ihr gehört. Die Tür war nur angelehnt, daher jedes Wort zu verstehen.

    »Um Caton ist mir nicht bang, liebe Frau Stephanie,« sagte die Mutter, »wohl aber um Therese und Anna. Was soll aus ihnen werden? Man weiß ja, wie apprehensiv die Menschen, hauptsächlich die Männer, gegen rote Haare sind. Und wir haben kein Vermögen, unsre Kinder haben nichts zu erwarten, wenn unsre Zeit gekommen ist. Wie oft kann ich in der Nacht nicht schlafen und mache mir Vorwürfe, daß ich Therese so früh aus der Schule behalten. So kann sie nicht einmal Erzieherin werden, und wie soll ich sie mir in einer untergeordneten Stellung denken! Xaver versichert mir zwar immer wieder, er werde Sorge für seine Schwestern tragen, deren Wohl ihm mehr am Herzen liege als das eigene. Aber das kann ich doch nicht von diesem Sohn verlangen, der jetzt schon daran denkt, sich eine Häuslichkeit zu gründen.«

    »Frau Kreisrat,« nahm Frau Stephanie das Wort, »vertrauen Sie auf Gott, Sie haben brave Kinder. Nanneles Leiden ist zwar eine traurige Mitgabe für das Kind, aber das hindert sie nicht, in ihrer Klasse die beste Schülerin zu sein. Ohne ihr Leiden wäre sie uns eine hochwillkommene Kraft im Kloster. Aber warum soll sie nicht eine ausgezeichnete weltliche Lehrerin werden, da sie alle Anlagen dazu hat?«

    Mutter Villinger schaute wie gewöhnlich, bevor sie ins Bett ging, nach ihrem Nannele, das in einem winzigen Zimmerlein neben den Eltern schlief.

    Ganz still lag sie, während ihr die Tränen unaufhaltsam über die Wangen flossen.

    Als die Mutter zu ihr trat, schluckte das Kind mit aller Gewalt seinen Schmerz hinunter und schlang den Arm um den Hals der Mutter.

    »Sie können ruhig schlafen, ganz ruhig, Mutterle, ich werd' eine ausgezeichnete Lehrerin und verdien' viel, viel Geld. Dann ist auch für Therese gesorgt, und wir brauchen unserm Xaver nicht zur Last zu fallen.«

    Und nun soll ihr Tagebuch, sollen ihre Briefe für sie sprechen. Freilich muß ich hier und dort, oft sogar, ergänzend eingreifen, um zur Lebendigkeit des Gesamtbildes möglichst beizutragen, indem ich das Gehörte und auch die eigene Phantasie zu Hilfe nehme.

    Mein Tagebuch,

    angefangen an meinem 16ten Geburtstag 1827.

    Ich wollte schon vor Jahren ein Tagebuch beginnen, aber da war ich noch ein Schulkind, und die Kamarädle ließen mir keine Ruhe. So habe ich damals nur Selbstgespräche gehalten in der Nacht, wenn das Schnaufen kam, Asthma genannt.

    Jetzt bin ich aber aus den jüngeren Jahren in ein reiferes Alter hinübergeschritten, habe die Klosterschule verlassen und mein deutsches und französisches Examen gemacht. Wenn die Hausarbeit getan ist, darf ich die französische Konversationsstunde im Kloster weiter besuchen, und zu meinem heutigen Geburtstage wurde ich von meinen gütigen Eltern mit der Erlaubnis überrascht, mein Zeichentalent weiter bilden zu dürfen. Oh, Xaver, mein unvergeßlicher, geliebter Bruder, hätte ich statt deiner sterben können! An mir hätte die Welt, hätten die Meinen nichts verloren. Aber das Los hat ihn getroffen. Mit sechsundzwanzig Jahren, beim Beginn einer vielversprechenden Laufbahn, mußte er von seiner jungen Frau, von seinen Eltern und Geschwistern scheiden. Mit ihm starb mir ein großer Teil meines Lebensglücks. Wir klagten uns unsern Schmerz nicht in lauten Ausbrüchen, sanft weinend sprachen wir von unserm Abgeschiedenen miteinander, so in dumpfer Zurückgezogenheit nur unserm Schmerz lebend. Aber die Freunde kamen und führten uns hinaus in die schöne Natur, und wir konnten uns ihrer wieder freuen. Ja, wir mußten uns aufraffen, denn war Caton nicht Braut, hatten wir nicht an ihrem edlen, vortrefflichen Ludwig einen neuen Bruder gewonnen!

    Wie schön war unsre Schwester bei ihrer Vermählung! Es war ein unvergeßlicher Augenblick in dem sonnendurchleuchteten Münster, als die beiden jungen, so schönen Menschen das heilige Jawort auf den Stufen des Altars tauschten.

    Ach, nur zu bald schlug die Abschiedsstunde, und fort rollte der Wagen mit der geliebten Schwester. Im fernen Norden, in Hannover, wird fortan ihre Heimat sein.


    1. 6. Mit welcher Sehnsucht erwarteten wir die ersten Nachrichten von Caton. Schon drei Tage vor dessen Ankunft erwarteten wir ihren Brief, an dem letzten aber mit Gewißheit. Die Mutter lud deshalb unsere intimsten Freundinnen mit ihren Müttern ein, Fromherzens und Ruofs und Malchen und Lenchen, teilzunehmen an einer zu erwartenden Freude oder uns zu trösten über deren Ausbleiben. Aber sie blieb nicht aus! Es kam Kunde von Caton. Sie war gesund und glücklich, zeitweiliges Heimweh abgerechnet. Oh, wie schwammen die Tränen der Wonne in jedem Auge! Mutter in ihrer Freude sprang auf und holte den noch vorhandenen großen Efeukranz, der an Catons Hochzeit die Wände zieren half. Mit diesem Kranz umkreisete sie den teuern Brief der Schwester, daß er, so in grünem Schmuck prangend, den Freundinnen entgegenlachen sollte. Und sie kamen und lachten und weinten ein wenig vor Rührung beim Vorlesen des Briefes.

    Bei dieser Gelegenheit will ich eure Namen in mein Tagebuch einschreiben, ihr Freunde meines Herzens und unsres Hauses, damit ich mich eurer Freundschaft freue, so oft ich dieses Blatt durchlese.

    Zuerst die mir am nächsten stehenden: Lenchen von Mohr, die arme Lotte, unseres Xavers Frau, und deren Schwester, mein kluges Malchen Roth. Malchen Wänker, Mutters Jugendfreundin, die Hofrätin, Amanns, Holzhauers, Fromherzens, Ruofs, Gräfle, Kalm, Schaffroth, Molitor, Fr. von Berg, Metz, Baumgärtner und meine Lehrerinnen, die Klosterfrauen. Ihr alle, die ihr uns liebreich beigestanden seid bei dem so schmerzlichen Verlust unsres geliebten Xaver, bei unsres guten Vaters Krankheit und bei Catons Scheiden aus der Heimat, in ewiger Dankbarkeit werde ich eurer gedenken.


    30. 6. Oh, daß ich so viel Gewalt über mich vermöchte, meinem Gemüte eine ruhigere Haltung zu geben! Mit Paulus möchte ich ausrufen: »Was ist es, das ich nicht will, daß ich tue, das tue ich; und das ich tun will, das tue ich nicht!« Meine zu große Offenheit, mein unüberlegtes Sprechen und Lachen, wie viele bittere Stunden danke ich schon von der Schule her dieser unglückseligen Eigenschaft. Auch heute habe ich wieder Ursache, mit mir unzufrieden zu sein. Die Hofrätin war zum Kaffee da. Wie oft bin ich ihretwegen schon geschmält worden, wie viele sanfte Fußtritte ernte ich unter dem Tisch von Therese, wenn ich, was alle paar Augenblicke geschieht, der Hofrätin den Knäuel suche, wobei ich den Faden nicht selten mit Vorliebe verwirre, um meiner Lachlust frönen zu können.

    Wie soll man aber auch ernst bleiben!

    Kugelförmig kommt sie zur Türe hereingeschossen, auch beim schönsten Wetter behauptend, sie komme durch »der dicker Dreck.«

    »Ja, Kreisrätin, über dich geht mir halt nix, wenn mei Herz voll ist – guter Tag, Kinderle, jetzt denke au, mei Hofrat selig isch mir heut Nacht wieder im Traum erschiene. Recht zufriede würde er im Himmel sein. Ich soll doch auch kommen. Jetzt wird mir's nimmer besser – mir pressiert's nit. Mei Leine isch noch beim Weber, mei Garn nit auf der Bleich. He, do möcht mer zipfelsinnig werde. ›Komm doch au‹ – grad' wie früher, der nämlich bockbeinig Hofrat, nit ein Brösele g'scheiter.«

    Der Knäuel fiel unter den Tisch, ich flugs hinter ihm her, dabei stieß ich den Kopf an.

    »O Herrjegerle, Nannele,« rief die Hofrätin aus, »du dauerst mich. Der Hofrat selig hat allemal g'sagt, ihn treff' noch der Schlag mit der lumpige Knäuelsucherei alleweil. Aber ich hab' ihm d' Nas' drauf 'tunkt: dei Schwester hat sechs lebendige Mädle und isch die größt' Schlamp in der Stadt. Wo soll denn da e Aussteuer herkomme? Ja, wenn ich kei G'wisse hätt' – aber ich hab' eins, und so kriegt e jed's sei Bett, sei Leine für Hemde, Hose, Nachtjacke, Bettücher, Tischtücher, Serviette und Handtücher und ebenso drei Dutzend Strümpf'. Mei Geld kriege sie nit, mei Geld kriegt mei leibliche Schwester und ihr Bube. Ich bin halt für Bube. Alle Abend bet' ich ein Vaterunser, daß im Hofrat seine Nichtene unter d' Haub komme. Ach, wenn doch einer käm' und des bös' Karolin' mitnähm' – am liebste bis nach Amerika nei. Aber ich fürcht', die wüscht' Nas', die's hat, verdirbt jedem der Guschto, und des boshaftig' Mädle bleibt uns auf'm Hals – Nannele, Nannele,« sie drohte mit dem Finger, »um dich ist mir's au ein wenig bang – 's heißt allgemein, du lernsch zu viel. Gib acht, gib acht, das tut der Weiblichkeit Abbruch. G'scheite Frauenzimmer bekomme kei Mann, seiner Lebtag nit.«

    »Und Caton,« fragte ich, »ist Caton vielleicht nicht gescheit – und erst die Mutter, Frau Hofrätin?«

    »He jo, he jo,« lachte sie auf, »weisch noch, Kreisrätin, wie wir klein ware und sind vom Schloßberg 'runter g'saust auf unsre Schlittele, und über einmal, bums, fliegt dei Schneeballe einem Herr an der Kopf. ›Mädele‹, sagt er und schaut dich zornig an, ›sag, was verdiensch jetzt?‹ ›He‹, hasch g'sagt, ›e Schokoladtäfele‹ – Und hasch richtig eins kriegt.«

    Alsdann heißt's: »Kinderle, ich muß gehe – wo sind meine Handschuh – ach Gott, mei Schirm, mei Mantel – richtig, 's fehlt mir e Stricknadel – schaut her, rutscht mir nit der falsch Zopf – lehnt mir e Haarnadel – Kreisrätin, 's tut mir leid, aber du magsch sage, was du willsch, mei Weber isch doch besser als deiner, da beißt kei Maus der Fade ab.«

    Vater nennt die Hofrätin »die heitere Person«, und wirklich, sie ist ein rechter

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