Hoppla, jetzt kommen wir!: Mami 1968 – Familienroman
Von Eva-Maria Horn
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»Ich halte es einfach nicht mehr aus, Mama. Wenn ich noch länger hier bleibe, ersticke ich.« Elisabeth drückte die Hände gegen ihre schmal gewordenen Wangen. Frau Reuther konnte nicht sprechen, ein abgrundtiefes Mitleid mit ihrer Tochter würgte sie. »Hör auf, Theater zu spielen, Elisabeth Bergmann. Du hast schon als Kind gern eine Schau abgezogen, das kennen wir zur Genüge. Jeder weiß, daß du in den letzten Wochen einen Streifen mitgemacht hast, und Mama und ich haben dir geholfen, so gut wir konnten. Aber jetzt ist es vorbei. Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an, Mama.« Kampflustig gab Manuela, die beliebte Apothekerin der kleinen Stadt, den Blick zurück. »Mama, Elisabeth badet in Selbstmitleid. Mitleid, Mama, hilft ihr gar nichts. Und du, Mama, machst dich noch krank, so sehr leidest du mit.« »Du kannst doch überhaupt nicht mitreden«, klagte Elisabeth weinend. Elisabeth ließ sich in den formschönen Ledersessel fallen. Er, wie alles in diesem Zimmer, sah ein wenig schäbig aus, aber es war eine behagliche, abgenutzte Eleganz, wie die Aktentasche eines Mannes, von der er sich aus Anhänglichkeit nicht trennen mochte. »Nur weil ich nicht verheiratet bin?« spöttelte Manuela. »Deine Meinung trifft nicht zu, meine Liebe.
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Buchvorschau
Hoppla, jetzt kommen wir! - Eva-Maria Horn
Leseprobe:
Elternlos – und doch geliebt
Leseprobe»Morgen früh beginnt für mich wieder der Alltag«, seufzte Peter Schellmann. »Da heißt es, am Zeichentisch zu stehen und die Pläne meines Chefs auszuarbeiten.« »Ist dein Chef ein Ekel?«, erkundigte sich Peters siebenjähriger Bruder Ulrich neugierig. »Nein, Herr Zinner ist kein Ekel. Im Gegenteil, er ist ausgesprochen freundlich. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich in Oswald Zinners Bauun¬ternehmen untergekommen bin, obwohl …« »Obwohl – was?«, fragte Ulrich, als Peter stockte und nicht gesonnen schien weiterzusprechen. »Nichts«, entgegnete der junge Architekt einsilbig. Er fand, es hatte keinen Sinn, dem kleinen Bruder etwas vorzujammern. Während seines Studiums hatte er teils von kühnen Brückenkonstruktionen, die reißende Urwaldflüsse überspannten, geträumt, teils von atemberaubenden Prachtbauten, die weltweite Bewunderung und Anerkennung gefunden hatten. Natürlich hatte er schon damals gewusst, dass seine Chance, diese Träume zu verwirklichen, gering war, und war durchaus bereit gewesen, sich mit weniger anspruchsvollen Aufgaben zufriedenzugeben. Nur hätte er gern irgendeinen greifbaren Erfolg seiner Arbeiten gesehen. Oswald Zinners Bauvorhaben schienen jedoch über das Planungsstadium nicht hinauszukommen. Was will ich eigentlich?, fragte sich Peter. Die Firma war neu, erst vor kurzem gegründet.
Mami
– 1968 –
Hoppla, jetzt kommen wir!
atharina und Moritz wollen selbst entscheiden
Eva-Maria Horn
»Ich halte es einfach nicht mehr aus, Mama. Wenn ich noch länger hier bleibe, ersticke ich.«
Elisabeth drückte die Hände gegen ihre schmal gewordenen Wangen. Frau Reuther konnte nicht sprechen, ein abgrundtiefes Mitleid mit ihrer Tochter würgte sie.
»Hör auf, Theater zu spielen, Elisabeth Bergmann. Du hast schon als Kind gern eine Schau abgezogen, das kennen wir zur Genüge. Jeder weiß, daß du in den letzten Wochen einen Streifen mitgemacht hast, und Mama und ich haben dir geholfen, so gut wir konnten. Aber jetzt ist es vorbei. Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an, Mama.« Kampflustig gab Manuela, die beliebte Apothekerin der kleinen Stadt, den Blick zurück.
»Mama, Elisabeth badet in Selbstmitleid. Mitleid, Mama, hilft ihr gar nichts. Und du, Mama, machst dich noch krank, so sehr leidest du mit.«
»Du kannst doch überhaupt nicht mitreden«, klagte Elisabeth weinend. Elisabeth ließ sich in den formschönen Ledersessel fallen. Er, wie alles in diesem Zimmer, sah ein wenig schäbig aus, aber es war eine behagliche, abgenutzte Eleganz, wie die Aktentasche eines Mannes, von der er sich aus Anhänglichkeit nicht trennen mochte.
»Nur weil ich nicht verheiratet bin?« spöttelte Manuela. »Deine Meinung trifft nicht zu, meine Liebe. Ich beurteile auch Bilder und kann nicht malen.«
»Bitte, zankt euch nicht«, bat Frau Reuther erschöpft. »Es ist doch jetzt wirklich nicht der passende Augenblick.« Wie verschieden doch ihre beiden Töchter waren, nicht nur äußerlich.
Manuela hatte immer im Schatten ihrer schönen Schwester gestanden, dabei war sie keineswegs unattraktiv. Aber neben Elisabeths Schönheit verblaßte ihr Aussehen. Elisabeth mit ihren weichen, ein wenig gelockten blonden Haaren, den großen blauen Augen, den fein geschwungenen Wimpern zog alle Blicke auf sich. Immer waren Elisabeth alle Herzen zugeflogen, die Männer verspürten einen enormen Beschützerinstinkt und rissen sich darum, ihr gefällig zu sein. Elisabeth war immer, so lange Manuela denken konnte, der Mittelpunkt jeder Gesellschaft gewesen. Manuela hatte gelernt, damit zu leben. Heimlich spottete sie über die Männer, die sich nach ihrer Meinung lächerlich machten, um Elisabeths Gunst zu erringen.
Aber es gab etwas, das Manuela bis heute nicht verwunden hatte. Elisabeth war verreist gewesen, Manuela war mit der Mutter zu einem Ball gegangen, den sie nur unlustig besuchte.
Und da war ihr Rudolf begegnet. Rudolf Bergmann. Sie sahen sich und beide verliebten sich auf den ersten Blick ineinander. Den ganzen Abend tanzten sie zusammen, und Rudolf wich nicht von ihrer Seite. Sehr zum Ärger der Mütter heiratsfähiger Töchter, die alle ein Auge auf den reichen Junggesellen geworfen hatten, der neu war in der kleinen Stadt.
Alles war wunderbar gewesen, Manuela hatte das Gefühl, als schwebte sie auf Wolken.
Ja, bis Elisabeth zurück war. Nie, nie, würde Manuela den Augenblick vergessen. Sie bummelte mit Rudolf durch den Park der Stadt. Sie hielten Händchen, und wenn sie sich unbeobachtet fühlten, küßte Rudolf sie.
Und dann kam Elisabeth. Hoch zu Roß, in einem Reitanzug, den sie schon seit ewigen Zeiten trug. Das blonde Haar war achtlos zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden, er wippte auf ihrem Rücken, als sie achtlos vom Pferd sprang.
Und von diesem Augenblick an hatte Rudolf, trotz seines schlechten Gewissens, nur noch Augen für Elisabeth gehabt. Es dauerte nur drei Monate, und sie waren verheiratet.
Manuela schüttelte gewaltsam die Erinnerung ab, sie spürte die Augen der Mutter, als blickten sie in ihr Herz. Sie hatte nie mit der Mutter darüber gesprochen, sie wußte nicht einmal, was ihre Mutter bemerkt hatte…
Sie war mit diesem Kummer, der ihr beinahe das Herz gebrochen hatte, ganz allein fertig geworden. Sie wurde nach dem Studium die rechte Hand ihres Vaters; als er starb, war sie die Besitzerin der Apotheke, und jeder im Städtchen glaubte, sie sei vollkommen glücklich und wollte nicht heiraten.
Frau Reuther hustete die Enge aus der Kehle.
»Du möchtest verreisen, Elisabeth?« fragte sie mit einem Blick, der voll Mitleid für ihre beiden Töchter war.
»Ja, Mama. Das kann ich allerdings nur« – Elisabeth sah dabei auf ihre Schwester, die äußerlich völlig gelassen im Sessel saß, die Beine, die in eleganten Hosen steckten, nachlässig übereinander gelegt – »das kann ich nur, wenn die Zwillinge zu euch kommen dürfen. Ich weiß, daß das eine Zumutung ist. Moritz und Katharina leiden sehr unter der Scheidung. Allerdings kann ich das nicht so richtig begreifen. Rudolf hat sich kaum um sie gekümmert, er war ja selten zu Hause. Ich bin überzeugt«, sie schnupfte in ihr Taschentuch, »es waren nicht nur berufliche Gründe, die ihn von seiner Familie fern hielten. Ganz bestimmt steckte eine Frau dahinter.«
Manche Frauen sehen häßlich aus, wenn sie weinten und sich vor Kummer verzehren, dachte Manuela. Bei meiner schönen Schwester ist das anders.
»Hör auf, Elisabeth.« Manuela bemühte sich um einen neutralen Ton. »Wenn er zu Hause war, bist du nicht gerade die liebevolle Ehefrau gewesen. Ich habe es oft genug miterlebt. Ich gebe dem Richter recht. Schuld an dieser Krise habt ihr beide. Du hast dich schon immer sehr wichtig genommen und hast wenig Gespür für die Bedürfnisse des anderen. – Nein, laß mich ausreden.« Sie wirkte energisch ab, als Elisabeth empört etwas einwenden wollte. »Versuchen wir doch, ruhig zu sein. Du willst also euer schönes Haus für eine Weile schließen und erwartest, daß die Kinder zu uns kommen. Ich finde diese Lösung nicht gut. Ich finde, es war von Rudolf sehr anständig, daß er dir das Haus überließ. Du kannst mich ruhig so entrüstet ansehen, Elisabeth. Du hast