Nur eine Mutter für meinen Sohn?: Mami 1927 – Familienroman
Von Eva-Maria Horn
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»Else, du sollst das schwere Tablett nicht tragen. Ich hab' es dir schon so oft gesagt.«
Else bekam ihr störrisches Gesicht, eine Antwort gab sie nicht. Else war schon über 60 Jahre im Dienst der Familie von Merfeld. Als junges Mädchen, mit wippenden Zöpfen und viel zu dünnem Körper, war sie als Stubenmädchen angefangen. Die Schwiegermutter der jetzigen Herrin des schönen Hauses war eine strenge, aber gerechte Frau gewesen. Solange Else denken konnte, hatte sie vor der vornehmen Frau Angst gehabt, aber diese Frau von Merfeld liebte sie. Durchs Feuer würde sie für sie gehen, und keine Arbeit war ihr zuviel, ja, Else war glücklich, wenn sie etwas für die Arme, die seit ihrem Reitunfall im Rollstuhl saß, tun durfte.
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Buchvorschau
Nur eine Mutter für meinen Sohn? - Eva-Maria Horn
Mami
– 1927–
Nur eine Mutter für meinen Sohn?
Was verbindet Susanne und Ferdinand wirklich?
Eva-Maria Horn
»Else, du sollst das schwere Tablett nicht tragen. Ich hab’ es dir schon so oft gesagt.«
Else bekam ihr störrisches Gesicht, eine Antwort gab sie nicht. Else war schon über 60 Jahre im Dienst der Familie von Merfeld. Als junges Mädchen, mit wippenden Zöpfen und viel zu dünnem Körper, war sie als Stubenmädchen angefangen. Die Schwiegermutter der jetzigen Herrin des schönen Hauses war eine strenge, aber gerechte Frau gewesen. Solange Else denken konnte, hatte sie vor der vornehmen Frau Angst gehabt, aber diese Frau von Merfeld liebte sie. Durchs Feuer würde sie für sie gehen, und keine Arbeit war ihr zuviel, ja, Else war glücklich, wenn sie etwas für die Arme, die seit ihrem Reitunfall im Rollstuhl saß, tun durfte.
»Was meine Aufgabe ist, ist meine Aufgabe.« Sie stellte das Tablett auf das Beistelltischchen, nahm die silberne Kanne und stellte sie auf den Teewagen. Ihre Hände zitterten leider, aber noch nie hatte sie eine der hauchdünnen Tassen fallen lassen.
Else musterte die Herrin streng. »Es tut nicht gut, wenn man immer nur in den Garten sieht. Sie kommen nur ins Grübeln, Frau von Merfeld. Betrachten Sie lieber das hübsche Zimmer und die wunderschönen Blumen, die der Gärtner extra für Sie züchtet. Vielleicht sollte ich Sie nach dem Tee mal ins Gewächshaus fahren, da waren Sie schon lange nicht mehr. Und der Gärtner würde sich freuen.«
»Das fehlt noch, daß du meinen Rollstuhl schiebst. Meinst du, ich sehe nicht, wie dick deine Knie sind? Du kannst ruhig deine langen Röcke tragen, ich sehe deine Arthritis trotzdem. Und deine armen Finger werden immer unbeweglicher.«
»Aber Sie bedienen kann ich immer noch. Und den Mädchen in der Küche auf die Finger sehen, das kann ich auch noch.«
Sie goß vorsichtig den Tee ein und gab ein wenig Sahne dazu. Else wußte, wie Lieselotte von Merfeld es liebte.
»Setz dich ein wenig zu mir, Else.« Else konnte es nicht ertragen, wenn Frau von Merfeld ein trauriges Gesicht machte. In Elses Augen sah Lieselotte von Merfeld nicht nur aus wie der Engel auf dem wunderschönen Bild, sie war auch ein Engel. Immer zeigte sie ihrer Tochter Susanne und ihrem Mann ein heiteres Gesicht, bemühte sich, ihre Schmerzen zu verbergen. Nur bei Else, der Treuen, gab sie sich manchmal dem Kummer hin, mit Else konnte sie über Sorgen und Schmerzen sprechen.
»Ich hab’ mir schon eine Tasse mitgebracht. Ich wußte, daß Sie mich darum bitten würden. Trotzdem ich finde, daß es sich nicht schickt.«
»Hör auf, Else, du gehörst längst zur Familie. Du wohnst in diesem Haus länger als ich. Du hast meinen Mann heranwachsen gesehen. Er erzählt mir oft, daß du zärtlicher zu ihm warst als seine Mutter. Zu dir ist er gekommen, wenn er etwas ausgefressen hatte, du warst immer für ihn da. Du hast an seinem Bett gesessen, wenn er krank war, du hast seine Tränen getrocknet, wenn er Angst vor dem Internat hatte. Eine gräßliche Tradition, Jungen schon mit acht ins Internat zu stecken. Ich bin froh, daß Susanne ein Mädchen ist.«
Ein Lächeln flog über Elses Gesicht und glättete die Falten, die Jahre voll Arbeit gegraben hatten. Sie saß nur auf der Kante des Ohrensessels. Im übrigen war es der Lieblingssessel des verstorbenen Merfeld gewesen. Hierher hatte er sich nach dem Essen zurückgezogen und seine Zeitung gelesen. Und oft war er dabei eingeschlafen. Wie so oft trafen sich auch jetzt ihre Gedanken.
»Das Haus steckt voll Erinnerungen.« Lieselotte strich sich mit müder Bewegung ihr blondes Haar aus der Stirn. »Wenn ich hier sitze, ist mir oft, als kämen sie alle ins Zimmer, alle, die einmal hier gelebt haben. Ich schwebe dann zwischen Wachen und Träumen, es ist ein wunderbarer Zustand. Eben, als ich vor dem Fenster saß und in den Garten sah, war ich wieder das junge Mädchen, das mein Bernhard ins Haus brachte. Mein erster Besuch hier. Ich trug einen bunten Schottenrock und eine weiße Bluse und kam mir neben meiner zukünftigen Schwiegermutter schrecklich unbeholfen vor. Ich wagte kaum, den Mund aufzumachen, so schüchterte sie mich ein. Aber Bernhards Vater nahm mich einfach in die Arme und gab mir einen Kuß.«
»Aber Ihre Schwiegermutter mochte Sie. Von Anfang an«, erklärte Else energisch. »Als ich ihr am Abend beim Auskleiden half, sagte sie: Ich glaube, jetzt hat Bernhard endlich einen guten Geschmack bewiesen. Sie ist anders als die Gänschen, die er sonst mit nach Mersfeld brachte. Ich hoffe nur, er wird endlich bei der Stange bleiben.«
Lieselotte seufzte in der Erinnerung. »Sie hat mich schrecklich eingeschüchtert. Ich wußte, daß Bernhard nur die Hand ausstrecken mußte, und er konnte unter den reichsten Mädchen wählen. Ich habe den Merfelds keine Mitgift gebracht.«
»Aber Liebe und Fröhlichkeit und Leben… Sie haben aus diesem Haus ein Zuhause gemacht. Sie haben nicht nur Ihren Mann, Sie haben auch Ihre Schwiegereltern glücklich gemacht.«
»Ach, Else. Und jetzt sitze ich im Rollstuhl. Meinetwegen haben die Umbauten vorgenommen werden müssen, ich darf gar nicht daran denken, wieviel Geld das verschlungen hat. Und nur, damit ich ungehindert in den Garten fahren, mit meinem Rollstuhl von einem Zimmer ins andere kommen kann. Ich mag es gar nicht, wenn an dem Haus etwas verändert wird.«
»So, wie es jetzt ist, ist es gut«, erklärte Else energisch. »Sie grübeln viel zuviel. Sie sollten häufiger Besuch einladen. Wenn ich auch nicht horche, so bekomme ich doch mit, wie oft sich Damen bei Ihnen melden.«
»Sie langweilen mich«, gestand Lieselotte verlegen. »Ihre Welt ist nicht mehr meine Welt. Wenn mein Mann des Abends nach Hause kommt, bin ich froh, mit ihm allein zu sein. Und ich habe Susanne. Else, hast du den Eindruck, daß sie leidet? Dir bleibt nichts verborgen, und du liebst Susanne wie ich. Sie ist mit Julian ein Herz und eine Seele gewesen. Julian und Susanne… man nannte sie immer in einem Atemzug. Julian ging in unserem Haus ein und aus, und sie war auf Gut Moorhof genauso zu Hause wie hier. Ich weiß, Julians Eltern haben Susanne schon als Schwiegertochter gesehen, wie ich Julian als Sohn. Als ich hörte, daß er sich mit einer anderen verlobte, war ich wie vor den Kopf geschlagen. Aber Susanne hat sich nichts anmerken lassen. Als ich sie behutsam fragte, ob sie traurig wäre, lachte sie nur. Sie behauptete, Julian und sie wären wie Bruder und Schwester. Und wer heiratet seinen Bruder, wollte sie vergnügt von mir wissen. Oh, Else, ich hasse es, wenn alle bemüht sind, jeden Kummer von mir fernzuhalten. Wenn sie nur wüßten, wieviel schwerer es ist, nur dazusitzen und sich Dinge auszumalen.«
»Julian hat gewählt. Er ist mit seiner Frau auf der Hochzeitsreise, Susanne war eine wunderschöne Brautjungfer. Sie sollten sich um Susanne keine Gedanken machen. Susanne ist jung, sie ist wunderschön, sie wird ihren Märchenprinzen finden. Da bin ich ganz sicher. Julian und sie sind als Kinder unzertrennlich gewesen, und wenn seine Frau klug ist, wird sie dieser Kinderfreundschaft nichts in den Weg legen. Sie könnte in Susanne eine Freundin haben. Ist es das, was Sie bedrückt, Frau von Merfeld?« wollte Else in ihrer direkten Art wissen. Und dabei musterte sie ängstlich das viel zu blasse, wunderschöne Gesicht. Else sah nicht, daß auch hier Schmerzen, Einsamkeit und Verzweiflung ihre Spuren hinterlassen hatten. In Elses Augen war sie noch immer die junge Frau von Merfeld, die zu ihr in die Küche gekommen war, Elses Hand genommen hatte. Else würde diesen Augenblick nie vergessen. »Else, helfen Sie mir. Hier ist mir alles fremd. Ich bin gar nicht gewohnt, bedient zu werden…«
Mit ihren großen grauen Augen, die voller Angst waren, mit der leisen Stimme hatte sie Elses Beschützerinstinkt geweckt. In diesem Moment hatte sie Lieselotte, die zukünftige Herrin des Hauses, in ihr Herz geschlossen.
»Ich weiß es nicht, ob das