Marlies wird adoptiert: Sophienlust 139 – Familienroman
Von Aliza Korten
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Man konnte Vera Heinrich kaum übersehen. Sie war groß, überschlank und stets apart gekleidet. Das herrliche Haar trug sie in einem schweren Nackenknoten, eine Frisur, die ihr wunderbar zu Gesicht stand. Dieses fein gezeichnete schmale Gesicht war es, was Denise von Schoenecker zu denken gab. Sie las darin Unrast, Zweifel und Sorge.
Denise verbrachte einen kurzen Urlaub in der herrlichen Bergwelt der Alpen, um sich nach einer schweren Erkältung zu erholen. Die Sonne hatte inzwischen ihre Haut gebräunt und ihren lebhaften dunklen Augen die alte Leuchtkraft wiedergegeben. Schon für den nächsten Tag erwartete sie ihren Mann, der sie nach Schoeneich zurückbringen würde.
An diesem letzten Abend kam Denise von Schoenecker mit Vera Heinrich ins Gespräch. Es war die stille Dämmerstunde nach dem Abendessen. Die Hotelgäste saßen auf der Terrasse, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Da bat Vera Heinrich mit leiser Stimme um die Erlaubnis, sich neben Denise setzen zu dürfen, die einen Sessel abseits von den anderen gewählt hatte.
»Ich habe gehört, dass Sie ein Kinderheim leiten, Frau von Schoenecker«, begann die junge Frau unsicher.
Denise nickte und lächelte ermutigend. »Ja, Sophienlust, das Haus der glücklichen Kinder, wie mein Sohn Nick gern sagt.«
»Ist es neugierig oder unbescheiden, wenn ich Sie bitte, mir ein wenig über dieses Heim zu erzählen?«, fragte Vera Heinrich.
»Durchaus nicht, liebe Frau Heinrich. Es ist das liebste und wichtigste Thema meines Lebens.«
Denise sprach heiter und lebhaft. Sie spürte, dass hinter den Fragen der jungen Frau etwas Besonderes stand. Wie immer, war sie sofort bereit, die Hilfe, die vielleicht von ihr gefordert
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Buchvorschau
Marlies wird adoptiert - Aliza Korten
Sophienlust –139–
Marlies wird adoptiert
Geht ihr größter Wunsch in Erfüllung?
Aliza Korten
Man konnte Vera Heinrich kaum übersehen. Sie war groß, überschlank und stets apart gekleidet. Das herrliche Haar trug sie in einem schweren Nackenknoten, eine Frisur, die ihr wunderbar zu Gesicht stand. Dieses fein gezeichnete schmale Gesicht war es, was Denise von Schoenecker zu denken gab. Sie las darin Unrast, Zweifel und Sorge.
Denise verbrachte einen kurzen Urlaub in der herrlichen Bergwelt der Alpen, um sich nach einer schweren Erkältung zu erholen. Die Sonne hatte inzwischen ihre Haut gebräunt und ihren lebhaften dunklen Augen die alte Leuchtkraft wiedergegeben. Schon für den nächsten Tag erwartete sie ihren Mann, der sie nach Schoeneich zurückbringen würde.
An diesem letzten Abend kam Denise von Schoenecker mit Vera Heinrich ins Gespräch. Es war die stille Dämmerstunde nach dem Abendessen. Die Hotelgäste saßen auf der Terrasse, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Da bat Vera Heinrich mit leiser Stimme um die Erlaubnis, sich neben Denise setzen zu dürfen, die einen Sessel abseits von den anderen gewählt hatte.
»Ich habe gehört, dass Sie ein Kinderheim leiten, Frau von Schoenecker«, begann die junge Frau unsicher.
Denise nickte und lächelte ermutigend. »Ja, Sophienlust, das Haus der glücklichen Kinder, wie mein Sohn Nick gern sagt.«
»Ist es neugierig oder unbescheiden, wenn ich Sie bitte, mir ein wenig über dieses Heim zu erzählen?«, fragte Vera Heinrich.
»Durchaus nicht, liebe Frau Heinrich. Es ist das liebste und wichtigste Thema meines Lebens.«
Denise sprach heiter und lebhaft. Sie spürte, dass hinter den Fragen der jungen Frau etwas Besonderes stand. Wie immer, war sie sofort bereit, die Hilfe, die vielleicht von ihr gefordert wurde, zu gewähren.
»Sophienlust ist ein Landsitz, den mein Sohn Dominik von seiner Urgroßmutter erbte, als er fünf Jahre alt war. Selbstverständlich konnte Nick dieses Erbe damals nicht selber antreten. So übernahm ich die Aufgabe, das Vermächtnis der alten Dame zu erfüllen und das ehemalige Herrenhaus von Sophienlust zu einer Zufluchtsstätte für in Not geratene Kinder umzugestalten. Ich war damals jung und hatte schwere Jahre hinter mir. Ich hatte meinen Mann verloren, stand mit Nick allein da, musste das Geld für unseren Lebensunterhalt verdienen und meinen Jungen in ein Heim geben. Die Trennung war für mich und das Kind das Bitterste an unserem Schicksal. Doch Nicks Erbschaft änderte alles. Wir litten keine Not mehr, sondern waren mit einem Schlage reich geworden. Umso mehr lag mir daran, anderen Kindern zu helfen und den Gedanken der Erblasserin in die Wirklichkeit umzusetzen. Das schöne alte Gebäude erwies sich dafür als recht gut geeignet. Allzu viele bauliche Veränderungen brauchte ich nicht vorzunehmen. Schon bald hielten die ersten Kinder bei uns Einzug. Es bildete sich eine harmonische Gemeinschaft, in der ich mich seitdem ebenso glücklich fühle wie die Kinder. Das Leben ist schlicht und natürlich in Sophienlust. Die Kinder wachsen in unmittelbarem Kontakt mit der Landwirtschaft und mit Tieren auf. Wir lehren sie, hilfsbereit und freundlich zu sein, und die Augen für die Nöte anderer offenzuhalten. So manches Schicksal hat sich im Laufe der Jahre erfüllt. Elternlose Kinder fanden in einer neuen Familie Geborgenheit, größere Buben und Mädchen verließen das Heim, um ihren eigenen Weg zu gehen. Doch mit allen Kindern besteht bis auf den heutigen Tag eine nie abreißende Verbindung. Denn Sophienlust wird den Kindern zur Heimat fürs Leben. Darauf legen wir den größten Wert.«
»Das klingt fast wie ein Märchen – gerade in der heutigen Zeit«, warf Vera Heinrich mit einem Seufzer ein.
»Sie sollten uns besuchen und sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es kein Märchen ist, Frau Heinrich. Die Geschichte geht auch noch weiter. Allerdings handelt es sich dabei um mein ganz persönliches Schicksal, und ich bin nicht sicher, ob Sie das interessiert.«
»Doch, Frau von Schoenecker. Ich möchte alles über Sophienlust wissen.« Mit wacher Aufmerksamkeit blickte Vera Heinrich Denise an. Noch konnte sie sich nicht dazu durchringen, ihr eigenes Anliegen vorzubringen. Deshalb begrüßte sie es, dass Denise noch mehr zu sagen hatte.
»Nick und ich haben in Sophienlust in mehrfacher Hinsicht unser Glück gefunden«, fuhr die schöne Frau mit dem dunklen Haar gedankenvoll fort. »Ich begegnete meinem jetzigen Mann, Alexander von Schoenecker, der auf einem benachbarten Gut lebte und ebenso verwitwet war wie ich. Es war eine segensvolle Fügung des Schicksals. Ich habe in meiner zweiten Ehe mit Alexander eine Erfüllung gefunden, die sich mit Worten nicht beschreiben lässt. Nick erhielt einen liebevollen Vater, und ich bemühte mich, den beiden verwaisten Kindern meines Mannes eine gute Mutter zu werden. Heute studiert Sascha bereits in Heidelberg, während Andrea sogar schon verheiratet ist und einen süßen kleinen Jungen hat. Nick besucht die Oberschule, und dazu haben wir noch einen Benjamin namens Henrik, der inzwischen auch schon die Volksschulbank drückt.«
»Spielt sich Ihr Familienleben in Sophienlust ab?«
»Nein. Als wir heirateten, siedelte ich mit Nick nach Schoeneich über. Eine tüchtige Heimleiterin übernahm die Verantwortung für Sophienlust. Doch ich bin regelmäßig dort, und Nick verfügt in Sophienlust über ein eigenes Zimmer. Er weiß bis auf den heutigen Tag nicht, ob er Schoeneich oder Sophienlust als seine wirkliche Heimat betrachten soll. Ich bin froh, dass es so ist, denn er wird ja später Sophienlust übernehmen.«
»Sie sind zu beneiden, Frau von Schoenecker.«
Denise neigte den Kopf. »Ja, darin muss ich Ihnen zustimmen, Frau Heinrich. Oft genug frage ich mich, ob ein Mensch wie ich ein so reich bemessenes Glück verdient. Ich finde auf diese Frage keine Antwort. Aber ich bemühe mich, alle Liebe, die ich empfange, an die uns anvertrauten Kinder weiterzugeben.«
»Ist …, ist das Heim ständig überfüllt? Haben Sie lange Vormerklisten?«
»Nein, bis jetzt hat noch jedes Kind, das in Not war, bei uns Unterkunft gefunden.«
»Darf ich Ihnen sagen, warum ich nach Sophienlust fragte?«, stieß Vera Heinrich nun mit einem tiefen Atemzug hervor.
»Natürlich, gern.«
»Ich suche für ein elfjähriges Mädchen eine Bleibe – vielleicht nicht für immer. Es ist noch alles unbestimmt.«
»Handelt es sich um Ihre kleine Tochter?«, versuchte Denise zu helfen.
Vera Heinrich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das nicht. Marlies ist das uneheliche Kind meiner verstorbenen Cousine. Ich nahm die Kleine zu mir, weil meine Cousine mich darum bat. Marlies war ein süßes Baby und wuchs zu einem bildhübschen Mädchen heran. Hier, sehen Sie selbst!« Sie zog aus ihrer Handtasche die Fotografie eines blonden Mädchens mit klaren blauen Augen, das den Betrachter über einen Margaritenstrauß hinweg anlächelte.
»Ja, wirklich, man muss Marlies lieb haben, wenn man das Bild nur ansieht«, bestätigte Denise.
»Trotzdem will mein Verlobter nicht, dass sie bei mir bleibt«, rang es sich von den Lippen Vera Heinrichs. »Er meint, dass das ziemlich große Kind unsere Ehe stören würde, und fordert von mir, dass ich mich für immer von Marlies trenne. Seit Wochen schlage ich mich mit diesem schrecklichen Konflikt herum. Durch die ständige Spannung hat sich mein Verhältnis zu dem armen Kind bereits verändert. Marlies vertraut mir nicht mehr, ist verschlossen und trotzig. In der Schule haben ihre Leistungen nachgelassen, obwohl sie begabt ist und bis jetzt in den meisten Fächern die Beste der Klasse war. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ist es meine Pflicht, auf mein Glück zu verzichten, weil ich meiner Cousine versprochen hatte, für Marlies zu sorgen? Müsste ich meinen Verlobten davon überzeugen können, dass Marlies zu mir gehört, also auch zu ihm, wenn er mich wirklich liebt? Ich kann nachts nicht mehr schlafen, weil ich keine Antwort auf diese Fragen zu finden vermag.«
Sanft legte Denise ihre Hand auf den Arm der jungen Frau. »Sie haben Ihrer Cousine sicherlich nicht versprochen, Ihr Lebensglück zu opfern und von Stund an nur noch für das Kind dazusein, nicht wahr?«
»Nein, Marlies’ Mutter sprach im Sterben die Bitte aus, das Kind zu mir zu nehmen. Mir blieb keine Zeit mehr, ihr eine Antwort zu geben. Der Tod kam schneller. Ich habe mich jedoch immer an diese Verpflichtung gebunden gefühlt.«
»Sie dürfen nicht gar zu streng mit sich sein, Frau Heinrich. Ich persönlich bin der Meinung, dass Versprechungen am Sterbebett eines Menschen nicht wörtlich, sondern sinngemäß eingehalten werden sollten. Die Verhältnisse ändern sich im Lauf der Jahre. Schauen Sie sich Sophienlust an, und entscheiden Sie selbst, ob es der rechte Platz für Marlies wäre!«
»Ist das ein Angebot, das gilt?«
»Sehe ich so aus, als würde ich Ihnen leere Versprechungen machen? Nehmen Sie einmal an, Sie würden erreichen, dass Ihr Verlobter das Kind akzeptiert, ohne dass er innerlich wirklich damit einverstanden ist. Glauben Sie, dass das für Marlies ein Gewinn wäre?«
»Nein, wohl nicht. Für mich lautet die Frage, ob ich verzichten muss. Hat Marlies denn weniger Rechte als ich?«
»Ich bin ganz sicher, dass Marlies in Sophienlust weit besser zu ihrem Recht kommen kann, als Sie jetzt glauben, Frau Heinrich. Sie waren sehr jung,