Mutters Einzige: Sophienlust Extra 104 – Familienroman
Von Gert Rothberg
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Über dieses E-Book
In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg.
»Wenn du mich nicht mitfahren lässt, hast du mich nicht lieb, Mutti«, behauptete Henrik von Schoenecker. Dabei bedachte er seine schöne Mutter mit einem Blick, der nicht nur einen Stein, sondern ein ganzes Gebirge hätte erweichen können. »Er ist zu klein«, wandte Nick abweisend ein. »Ich habe genügend zu tun, wenn ich auf Pünktchen und Vicky achtgeben muss. So eine Radtour ist anstrengend, Henrik. Die hältst du nicht durch.« »Und wie ich sie durchhalte«, schrie Henrik wütend. »Es ist einfach gemein, dass ich nicht mitfahren soll. Vicky ist gar nicht so viel älter als ich und obendrein ein Mädchen. In deinem Zelt ist doch noch Platz. Du langweilst dich bestimmt allein in deinem Zelt, Nick. Außerdem kann ich beim Zelt aufbauen helfen und natürlich auch beim Kochen.« Denise von Schoenecker strich ihrem Jüngsten über den hellen Haarschopf. »Du bettelst jetzt seit einer Woche darum, Henrik. Wir müssen Vati fragen. Wenn er es erlaubt und wenn du versprichst, immer rechtzeitig schlafen zu gehen, lässt sich vielleicht etwas machen. Schließlich steht sonst in diesen Ferien für dich keine Reise auf dem Programm.
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Buchvorschau
Mutters Einzige - Gert Rothberg
Sophienlust Extra
– 104 –
Mutters Einzige
Unveröffentlichter Roman
Gert Rothberg
»Wenn du mich nicht mitfahren lässt, hast du mich nicht lieb, Mutti«, behauptete Henrik von Schoenecker. Dabei bedachte er seine schöne Mutter mit einem Blick, der nicht nur einen Stein, sondern ein ganzes Gebirge hätte erweichen können.
»Er ist zu klein«, wandte Nick abweisend ein. »Ich habe genügend zu tun, wenn ich auf Pünktchen und Vicky achtgeben muss. So eine Radtour ist anstrengend, Henrik. Die hältst du nicht durch.«
»Und wie ich sie durchhalte«, schrie Henrik wütend.
»Es ist einfach gemein, dass ich nicht mitfahren soll. Vicky ist gar nicht so viel älter als ich und obendrein ein Mädchen. In deinem Zelt ist doch noch Platz. Du langweilst dich bestimmt allein in deinem Zelt, Nick. Außerdem kann ich beim Zelt aufbauen helfen und natürlich auch beim Kochen.«
Denise von Schoenecker strich ihrem Jüngsten über den hellen Haarschopf.
»Du bettelst jetzt seit einer Woche darum, Henrik. Wir müssen Vati fragen. Wenn er es erlaubt und wenn du versprichst, immer rechtzeitig schlafen zu gehen, lässt sich vielleicht etwas machen. Schließlich steht sonst in diesen Ferien für dich keine Reise auf dem Programm. Nick, Pünktchen und Vicky werden schon auf dich achtgeben.«
Henrik zog eine herrliche Schnute. »Auf mich braucht keiner aufzupassen. Ich bin kein Baby mehr.«
»Wenn du immerzu maulst, nehmen wir dich bestimmt nicht mit«, drohte Nick. In seinen dunklen Augen blitzte der Schalk auf. Er hatte bei seiner Mutter bereits ein gutes Wort für Henrik eingelegt, denn er war gern bereit, auch den jüngeren Bruder mitzunehmen. Umso mehr Vergnügen bereitete es ihm im Moment, den Kleinen ein bisschen zappeln zu lassen. Da seine Mutter schon halb und halb Ja gesagt hatte, rechnete er damit, dass auch der Vater seinen Segen erteilen würde.
Denise von Schoenecker lächelte. »Da hinten sehe ich Vati kommen, Kinder. Hört, was er sagt.«
Die beiden Buben schossen davon. Denise blickte ihnen mit einem zärtlich versonnen Ausdruck und mütterlichem Stolz nach. Die beiden liefen dem Vater entgegen, der eben von einem Ritt über die Ländereien des Gutes Schoeneich zurückkehrte.
Wie glücklich sind wir doch, dachte Denise. Manchmal fürchtete sie sogar nach so vielen Jahren noch, dass sie aus dem Traum erwachen und wieder die Tänzerin Denise sein würde, die mit harter Arbeit das Brot für Nick und sich selbst verdienen musste, weil adelsstolze Verwandte ihr und dem kleinen Jungen den Zugang zur Familie ihres viel zu früh verstorbenen ersten Mannes nicht gestatten wollten. Nick hatte damals in einem Kinderheim gelebt. Die Trennung von ihm war für Denise fast noch schwerer zu ertragen gewesen als die Armut und die ständige anstrengende Arbeit.
Dann aber war die Wende gekommen, sozusagen über Nacht. Die Großmutter ihres verstorbenen Mannes – Nicks Urgroßmutter also – hatte anders als die übrigen Familienmitglieder gedacht. Sie hatte nach ihrem Tod dem kleinen Jungen das Gut Sophienlust zusammen mit ihrem gesamten großen Vermögen hinterlassen. Sophie von Wellentin hatte nicht mehr erleben können, wie überwältigt Mutter und Sohn gewesen waren, als ihnen klar geworden war, dass die Trennung für immer ein Ende hatte. Mit Elan war Denise daran gegangen, das Vermächtnis der alten Dame zu erfüllen. Sophie von Wellentin hatte in ihrem Testament verfügt, dass das ehemalige Herrenhaus von Sophienlust eine Zufluchtsstätte für in Not geratende Kinder werden sollte. Seither war das ehrwürdige Gebäude von hellen jungen Stimmen, von Lachen und Frohsinn erfüllt.
Lange war das alles her. Nick war damals erst fünf Jahre alt gewesen. Jetzt war er schon ein Gymnasiast, dessen Stimme bereits männlich klang, der in die ihm durch das Testament der Urgroßmutter gestellte Aufgabe immer mehr hineinwuchs. Es stand für ihn schon fest, dass er später die Leitung des Kinderheims Sophienlust – des »Hauses der glücklichen Kinder« übernehmen würde.
Doch bis dahin würden noch viele Jahre vergehen. Es war tröstlich für Denise, daran zu denken, dass Nick trotz seiner tiefen Stimme noch ein Schüler war. Denn sie fühlte sich noch jung und wollte die verantwortungsvolle Leitung des Kinderheims vorerst nicht aus den Händen geben.
Denise von Schoenecker umfasste ihren Mann, der nun abstieg und das Pferd Nick übergab, zusammen mit den beiden Jungen mit einem liebevollen Blick. Nicht nur in finanzieller Hinsicht hatte der Umzug nach Sophienlust alles verändert – nein, auch ein zweites persönliches Glück war ihr zuteil geworden. Sie hatte damals den verwitweten Gutsnachbarn Alexander von Schoenecker kennen- und lieben gelernt, mit dem sie nun seit vielen Jahren eine harmonische und erfüllte Ehe führte. Henrik entstammte dieser Ehe. Es war fast ein wenig schmerzlich für Denise, dass der Junge jetzt schon mit den größeren Kindern zum Zelten wegfahren wollte. Andrea von Schoenecker und ihr Bruder Sascha, Kinder aus der ersten Ehe Alexanders, waren damals noch Schüler gewesen. Heute studierte Sascha in Heidelberg, während Andrea mit einem Tierarzt verheiratet war und im unweit gelegenen Bachenau lebte. Dort gab es sogar ein erstes Enkelkind, den kleinen Peter, der der Stolz der gesamten Familie war.
»Nun, träumst du ein bisschen?«, fragte Alexander, der, von Denise unbemerkt, herangekommen war, während Nick und Henrik das Pferd wegführten.
Denise bot ihm die Lippen. »Hm, ich dachte an die Vergangenheit und an unser Glück. Ob man ein solches Glück überhaupt verdient, Alexander?« Der Gutsherr beugte sich nieder und küsste seine Frau. »Du ganz gewiss, Isi«, meinte er und strich ihr über das dunkle Haar. »Ich bin jedoch nicht so sicher, ob mir ohne deine Mitwirkung ein so wunderbares Schicksal zuteil geworden wäre.«
»Ich betrachte unser Glück als Geschenk, Alexander. Und ich glaube, so sollte man es auch ansehen, damit man nicht übermütig wird. Als ein kostbares Geschenk, das zerbrechlich ist, sodass man behutsam damit umgehen muss.«
Alexander küsste sie noch einmal. »Ja, man darf es nicht für selbstverständlich halten. Das könnte ein böses Erwachen geben.« Er setzte sich zu ihr auf die Terrasse des Gutshauses, von der man den parkartigen Garten überschaute. »Henrik will unbedingt mit den drei anderen Kindern an den Tegernsee fahren, Isi. Er sagte, du hättest die Entscheidung mir überlassen. Glaubst du, dass wir unseren Benjamin auf eine so große Fahrt schicken können?«
»Nick, Pünktchen und Vicky sind zuverlässig und vernünftig, Alexander. Wenn du derselben Ansicht bist, wollen wir den armen Kleinen nicht länger auf die Folter spannen. Er ist schon ganz verrückt vor lauter Aufregung, weil er natürlich den Braten riecht und genau merkt, dass er schließlich den Sieg davontragen wird.«
»Ich habe die Route mit Nick genau besprochen«, sagte der Gutsherr. »Sie ist in einzelne Etappen von jeweils nicht mehr als achtzig Kilometern aufgeteilt. Das habe ich zur Bedingung gemacht. Dort, wo es bergig ist, dürfen die Kinder nur fünfzig Kilometer am Tag zurücklegen. Dem sind die Mädchen unter allen Umständen gewachsen, und Henrik schafft das auch.«
»Also, ja?«
»Also, ja!« Alexander lachte. »Wir sind schwache Eltern. Aber die Jüngsten können eben gar so herzzerbrechend betteln. So, wie Henrik mich vorhin angesehen hat …«
»Du brauchst es mir nicht zu beschreiben. Ich werde seit Tagen mit diesem Blick bearbeitet. Nun hat er es also geschafft. Es ist sicherlich richtig, dass wir ihm etwas zutrauen. Man darf die Kinder nicht gar zu sehr zurückhalten und behüten. Das Leben packt sie später auch rau an. Dann können wir sie nicht mehr in Watte wickeln und vor jedem Puff schützen.«
Einige Minuten später ertönte ein Indianergeheul, sodass die Köchin unten in der Gutsküche Angst bekam, Henrik hatte die Erlaubnis bekommen, an der Tour teilzunehmen. Er rannte hin und her, als habe er den Verstand verloren, er brüllte und jubilierte, dass seine Eltern sich erschrocken beide Ohren zuhielten.
»Fasse dich, Kleiner«, bemühte sich Nick, seinen jüngeren Bruder auf den Erdboden zurückzuholen. »Wenn du so schreist, sagt Vati vielleicht, dass du doch noch zu kindisch und unvernünftig bist, und dann macht er einen Rückzieher.«
Henrik verstummte jäh. Er starrte seinen Vater entsetzt an. »Würdest du so etwas machen, Vati?«, stotterte er.
»Nein, Henrik. Versprochen ist versprochen. Ich finde jedoch, dass es nicht nötig ist, einen solchen Lärm zu vollführen.«
»Du bist ein Ekel«, wandte sich Henrik an seinen größeren Bruder und streckte ihm die Zunge heraus.
Denise lachte. »Benimm dich, Henrik. Gerade bei Nick solltest du dich nicht unbeliebt machen. Er hat sich nämlich dafür eingesetzt, dass du mitfahren darfst.«
»Ehrlich, Nick?«
»Hm«, antwortete Nick. »Aber du brauchst dich nicht bei mir zu bedanken, ich meine, du wirst es schon schaffen und dich auch anständig benehmen.«
»Ehrenwort«, versprach Henrik feierlich. »Ich werde sogar früher schlafen gehen, wenn es unbedingt sein muss.«
»Na ja, sagen wir, du um neun, die anderen um zehn. Ist das fair?«, mischte sich der Vater wieder ein.
»Sehr anständig, Vati«, sagte Henrik zufrieden, denn zu Hause und während der Schulzeit musste er schon früher zu Bett gehen. Er hatte also doch noch etwas herausgeschunden.
*
Die beiden folgenden Tage vergingen mit Reisevorbereitungen. Henrik trug viel zu viele Sachen zusammen, die er durchaus mitnehmen wollte. Immer wieder musste er sich von Nick belehren lassen, dass ein Fahrrad kein Lastauto sei. Nur das Nötigste könne man mitnehmen. Das sei doch gerade das Nette, dass man auf so einer Reise einmal ganz einfach leben und auf alles Unnötige verzichten müsse.
Sämtliche Sophienluster Kinder nahmen an den Vorbereitungen der vier Camper lebhaften Anteil. Die kleine schwarze Peggy machte sich einen Spaß daraus, Henrik damit aufzuziehen, dass er vielleicht mit den größeren Kindern beim Radfahren nicht werde Schritt halten können. Henrik bekam prompt einen Wutanfall