Das Findelkind aus Indien: Sophienlust 216 – Familienroman
Von Anne Alexander
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Henrik, warum bist du eigentlich heute Morgen so zappelig?«, fragte Denise von Schoenecker ihren neunjährigen Sohn. Es waren noch Ferien, aber ihr Sohn dachte gar nicht daran, zum Spielen in den Park zu gehen. Er lag in der großen Halle des schlossähnlichen Gutshauses auf dem Teppich und spielte mit einem Rennwagen. Immer wieder sprang er auf und lief hinaus, um gleich darauf zurückzukommen.
»Ich warte auf die Post«, antwortete Henrik. »Holger hat doch gestern angerufen, Mutti. Er hat gesagt, dass er mir eine Broschüre über die neue Autobahn, die sein Vater ihm geschenkt hat, schicken wird.«
»Das heißt noch lange nicht, dass diese Broschüre schon heute ankommen wird, Henrik. Manchmal dauert die Post zwei, drei Tage.«
»Auch von Maibach?«
Denise nickte. »Vielleicht hat Holger die Broschüre erst in den Briefkasten geworfen, nachdem dieser bereits geleert worden war.«
»Aber ich brauche sie ganz dringend, Mutti!«
»Warum denn?«
»Weil ich Vati die Autobahn zeigen will.«
Vor sich hin pfeifend kam Nick, Denises ältester Sohn, die Treppe herab. »Kommst du mit nach Sophienlust, Henrik, alter Knabe?«, fragte er gut gelaunt seinen Bruder.
»Selbst alter Knabe«, maulte Henrik.
»Na, was ist denn dir über die Leber gelaufen?«
»Henrik wartet auf die Post«, erklärte Denise und zwinkerte Nick zu.
»Doch nicht etwa auf einen Liebesbrief?«, spöttelte der Bruder. »Mutti, ich glaube, wir müssen auf unseren Kleinen aufpassen.«
Henriks Augen funkelten vor Zorn. Er hasste es, wenn man ihn klein nannte. Viel lieber wäre er bereits sechzehn Jahre alt gewesen, wie sein Bruder Dominik. Er hatte schon eine heftige Erwiderung auf der Zunge, aber in diesem Moment hielt hupend
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Buchvorschau
Das Findelkind aus Indien - Anne Alexander
Sophienlust
– 216 –
Das Findelkind aus Indien
Anne Alexander
»Henrik, warum bist du eigentlich heute Morgen so zappelig?«, fragte Denise von Schoenecker ihren neunjährigen Sohn. Es waren noch Ferien, aber ihr Sohn dachte gar nicht daran, zum Spielen in den Park zu gehen. Er lag in der großen Halle des schlossähnlichen Gutshauses auf dem Teppich und spielte mit einem Rennwagen. Immer wieder sprang er auf und lief hinaus, um gleich darauf zurückzukommen.
»Ich warte auf die Post«, antwortete Henrik. »Holger hat doch gestern angerufen, Mutti. Er hat gesagt, dass er mir eine Broschüre über die neue Autobahn, die sein Vater ihm geschenkt hat, schicken wird.«
»Das heißt noch lange nicht, dass diese Broschüre schon heute ankommen wird, Henrik. Manchmal dauert die Post zwei, drei Tage.«
»Auch von Maibach?«
Denise nickte. »Vielleicht hat Holger die Broschüre erst in den Briefkasten geworfen, nachdem dieser bereits geleert worden war.«
»Aber ich brauche sie ganz dringend, Mutti!«
»Warum denn?«
»Weil ich Vati die Autobahn zeigen will.«
Vor sich hin pfeifend kam Nick, Denises ältester Sohn, die Treppe herab. »Kommst du mit nach Sophienlust, Henrik, alter Knabe?«, fragte er gut gelaunt seinen Bruder.
»Selbst alter Knabe«, maulte Henrik.
»Na, was ist denn dir über die Leber gelaufen?«
»Henrik wartet auf die Post«, erklärte Denise und zwinkerte Nick zu.
»Doch nicht etwa auf einen Liebesbrief?«, spöttelte der Bruder. »Mutti, ich glaube, wir müssen auf unseren Kleinen aufpassen.«
Henriks Augen funkelten vor Zorn. Er hasste es, wenn man ihn klein nannte. Viel lieber wäre er bereits sechzehn Jahre alt gewesen, wie sein Bruder Dominik. Er hatte schon eine heftige Erwiderung auf der Zunge, aber in diesem Moment hielt hupend das Postauto vor dem Gutshaus.
Henrik rannte hinaus. »Ist ein Brief für mich dabei?«, fragte er den verblüfften Postboten.
»Na, da müssen wir mal nachsehen, Henrik.« Umständlich kramte der Postbote zwischen den Briefen, die er für die Familie von Schoenecker hatte. »Tatsächlich, da ist auch etwas für dich!«
Henrik nahm den Umschlag in Empfang und wollte bereits ins Gutshaus zurücklaufen, als er sich besann. Er wandte sich noch einmal um und sagte: »Danke, Herr Förster!«
Kopfschüttelnd sah der Postbote ihm nach. »So aufgeregt habe ich Ihren Henrik ja noch nie gesehen, Frau von Schoenecker«, meinte er verwundert und reichte Denise ein dickes Bündel Briefe.
»Ein ehemaliger Schulfreund hat ihm eine Autobahn-Broschüre geschickt«, erklärte Denise.
»Dann bis morgen, Frau von Schoenecker!« Herr Förster stieg wieder in seinen Wagen ein und fuhr davon.
Denise ging in die Halle zurück. Sie sah ihre beiden Söhne vor dem Kamin sitzen und die Broschüre betrachten. Nick schien genauso viel Interesse an dieser Autobahn zu haben wie Henrik.
»Ist etwas Wichtiges dabei, Denise?«, fragte Alexander von Schoenecker seine Frau, als diese ihm die Post auf den Schreibtisch legte.
»Ja, ein Brief aus Mumbai«, antwortete Denise und setzte sich in den bequemen Sessel ihm gegenüber. »Kannst du dich noch an die Familie Marten erinnern? Stefan Marten und seine Frau sind mit ihren Kindern vor fünf Jahren nach Indien geflogen. Sie arbeiten in einer Missionsstation.«
Alexander überlegte. Er hatte im Laufe der letzten Jahre so viele Leute kennengelernt, dass es ihm manchmal schwerfiel, sich sofort an jeden einzelnen zu erinnern. »Natürlich, die Martens«, sagte er. »Für wie viele Jahre haben sie sich eigentlich verpflichtet? Müsste ihre Zeit in Indien nicht jetzt um sein?«
»Doch«, antwortete Denise. »Marianne Marten schreibt, dass sie mit ihren Kindern noch in diesem Jahr nach Deutschland hatten zurückkehren wollen. Jetzt aber ist ihr Mann krank geworden. Deshalb konnten sie ihre Arbeit nicht wie geplant beenden. Sie werden also bis Mitte nächsten Jahres in Indien bleiben müssen. Damit die Kinder, die jetzt eingeschult werden sollen, keinen Unterricht versäumen, möchten die Martens sie vorerst allein nach Deutschland schicken. Frau Marten fragt an, ob Christine und Matthias in Sophienlust aufgenommen werden könnten.«
»Und was wirst du ihr antworten, Denise?«
»Dass sie die Kinder ruhig schicken soll. In Sophienlust herrscht zwar wieder einmal Platzmangel, aber irgendwie werden wir die beiden schon unterbringen. Wenn ich nachher nach Sophienlust fahre, spreche ich gleich mit Frau Rennert und Schwester Regine.«
»Wollten wir nicht um elf Uhr zusammen ausreiten?«
»Das habe ich total vergessen, Alexander«, sagte Denise bedrückt. »Bitte entschuldige! Ich weiß, ich sollte mich etwas mehr um meine Familie kümmern, aber manchmal wächst mir die Arbeit über den Kopf.«
»Vergiss nicht, dass du ab und zu etwas Ruhe brauchst, Denise«, mahnte Alexander von Schoenecker. Die Leitung des Kinderheimes Sophienlust war eine wundervolle Aufgabe für Denise, aber er war in ständiger Sorge, dass sie sich dabei übernahm.
»Mach dir darüber keine Sorgen, Alexander«, meinte Denise und trat neben ihn. »Wenn ich etwas ausspannen will, dann finde ich schon eine Gelegenheit dazu.« Sie küsste ihn zärtlich auf die Stirn. »Wir werden heute Nachmittag zusammen ausreiten. Das verspreche ich dir.«
»Wenn nicht wieder etwas dazwischenkommt«, meinte Alexander.
»Übrigens hat auch Henrik Post bekommen«, verriet Denise. »Sein Freund Holger hat ihm eine Autobahn-Broschüre geschickt. Ich nehme an, Henrik hat ein Attentat auf dich vor.«
»Was will er denn noch mit einer Autobahn?«, stöhnte Alexander belustigt auf. »Sein Zimmer gleicht schon jetzt einer Garage.«
»Ich glaube, von Autos und allem, was dazugehört, können Buben überhaupt nicht genug bekommen. Vermutlich war es bei dir genauso.«
»Das schon.« Alexander lachte und fügte hinzu: »Aber mein Vater verstand es, meinen Wünschen zu widerstehen, während Henrik uns doch um den Finger wickeln kann.«
Als Denise wieder in die Halle kam, war diese leer. Auf dem Weg zur Garage traf sie Nick.
»Nimmst du mich nach Sophienlust mit, Mutti?«, fragte der Sechzehnjährige.
»Gern, Nick.«
»Mutti, darf ich den Wagen aus der Garage fahren?«
Denise von Schoenecker zögerte. »Vati wäre damit sicher nicht einverstanden.«
»Aber Vati hat mir doch das Fahren schon beigebracht«, argumentierte Nick.
»Na gut, meinetwegen, Nick!« Denise warf ihrem Sohn die Autoschlüssel zu.
Geschickt fuhr Nick Denises Wagen aus der Garage heraus. Er öffnete für seine Mutter galant die Wagentür. »Na, was sagst du nun? Bin ich nicht schon ein perfekter Fahrer?«
»Leider noch zwei Jahre zu jung, mein Sohn.« Denise lachte. »Dass du mir nicht einmal meinen Wagen zu einer kleinen Spritztour benutzt!«
»Bestimmt nicht, Mutti«, sagte Nick. »Ich würde dir und Vati doch keine Scherereien machen. Die zwei Jahre kann ich auch noch warten. Vati hat mir versprochen, dass ich schon mit siebzehn den Führerschein machen darf, damit ich ihn an meinem achtzehnten Geburtstag habe.«
Von Gut Schoeneich nach Sophienlust, dem Heim der glücklichen Kinder, war es nicht weit. Schon bald lag das Parktor des Kinderheims vor ihnen. Denise fuhr die Auffahrt entlang zu dem ehemaligen Herrenhaus und hielt vor der Freitreppe.
Schwester Regine, eine hübsche junge Frau, kam den Angekommenen entgegen. Freundlich begrüßte sie Denise und deren Sohn.
»Sie wundern sich sicher, dass es heute so still bei uns ist, Frau von Schoenecker«, meinte sie. »Die Kinder sind alle zum Forsthaus gelaufen. Revierförster Schröder hat sie zu einem Waldspaziergang eingeladen. Er will ihnen die verschiedenen Waldpflanzen erklären und ihnen den Platz zeigen, an dem die neue Schonung angelegt werden soll.«
»Ist Pünktchen auch mitgegangen?«, fragte Nick enttäuscht.
»Ja, Pünktchen ist auch dabei«, sagte Schwester Regine, »aber ich nehme an, dass die Kinder in etwa einer halben Stunde wieder zurück sein werden.«
»Mutti, kann ich über Mittag in Sophienlust bleiben?«, fragte Nick.
»Natürlich, Nick«, antwortete Denise und folgte Schwester Regine ins Haus.
Nick setzte sich auf die Stufen der Freitreppe. Er war der eigentliche Besitzer von Sophienlust, einem ehemaligen Gut, das ihm von seiner Großmutter Sophie von Wellentin mit der Auflage vererbt worden war, daraus ein Heim für elternlose und Geborgenheit suchende Kinder zu machen. Bis zu seiner Großjährigkeit verwaltete Denise von Schoenecker für ihn das Kinderheim. Sie war in erster Ehe mit Dietmar von Wellentin verheiratet gewesen.
»Na, so allein?«, fragte plötzlich eine Stimme hinter Nick.
Er wandte sich um. »Pünktchen!«
»Mir ist gerade noch rechtzeitig eingefallen, dass wir für heute Nachmittag verabredet waren«, sagte Angelina Dommin, die vor allen wegen ihrer vielen Sommersprossen Pünktchen genannt wurde. »Ich bin früher als die anderen nach Hause gekommen.«
»Und ich dachte schon, du hättest mich vergessen.« Nick sprang auf. »Hast du Lust, ein Stück auszureiten? Bis zum Essen haben wir noch viel Zeit.«
Pünktchen nickte begeistert. Während die beiden zur Koppel gingen, erzählte Nick, dass in Sophienlust zwei Kinder aus Indien erwartet würden.
»Da wird sich Irmela aber freuen«, meinte Pünktchen.
»Wann kommt sie denn zurück?«
»In etwa zwei Wochen«, sagte Pünktchen. »Sie hat mir eine Karte aus Paris geschrieben.«
Irmela, deren Mutter und Stiefvater in Mumbai lebten, befand sich gerade mit ihren Eltern auf einer Europareise. Irmelas Eltern kamen jedes Jahr in den Ferien nach Sophienlust und nahmen dann ihre Tochter für einige Wochen mit.
»Hast du nicht auch manchmal