Im Stich gelassen: Sophienlust 399 – Familienroman
Von Marisa Frank
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Der rote Kleinbus mit der Aufschrift ›Kinderheim Sophienlust‹ bog von der Hauptstraße ab und hatte gleich darauf den großen Park, in dem das Kinderheim Sophienlust stand, erreicht. Der Besitz wurde von einer dichten Hecke eingefriedet, aber das große schmiedeeiserne Tor stand offen. Der Bus fuhr durch das Tor und die Auffahrt entlang. Er hielt direkt vor der Freitreppe des ehemaligen Herrenhauses. Die Jugendlichen im Bus sprangen auf. Es waren Mädchen und Jungen, die das Gymnasium in Maibach besuchten. Jeden Tag wurden sie mit dem Kleinbus nach Maibach zum Gymnasium gefahren und von dort auch wieder abgeholt. Unter den Gymnasiasten befand sich auch Dominik von Wellentin-Schoenecker, genannt Nick. Er war der eigentliche Besitzer von Sophienlust, das bis zu seiner Großjährigkeit von seiner Mutter, Denise von Schoenecker, verwaltet wurde. »Nanu, bleibst du heute in Sophienlust?« wunderte sich Pünktchen, als sie sah, daß Nick zusammen mit den anderen Kindern die Halle von Sophienlust betrat. Sonst schwang Nick sich nach der Rückkehr aus dem Gymnasium sofort auf sein Fahrrad und fuhr zu dem nahegelegenen Gut Schoeneich, wo er mit seiner Familie wohnte. »Ne.« Nick grinste die Dreizehnjährige, die wegen ihrer zahlreichen Sommersprossen nur Pünktchen genannt wurde, an. »Ich will nur sehen, ob Mutti noch hier ist. Ich muß ihr etwas sagen, sonst vergesse ich es am Ende noch.« »Du kommst doch aber am Nachmittag?« vergewisserte sich Pünktchen. Sie und Nick waren sehr gute Freunde. Heimlich träumte die Dreizehnjährige schon davon, einmal Nicks Frau zu werden.
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Buchvorschau
Im Stich gelassen - Marisa Frank
Sophienlust
– 399 –
Im Stich gelassen
Ein schweres Schicksal für den kleinen Thorsten
Marisa Frank
Der rote Kleinbus mit der Aufschrift ›Kinderheim Sophienlust‹ bog von der Hauptstraße ab und hatte gleich darauf den großen Park, in dem das Kinderheim Sophienlust stand, erreicht. Der Besitz wurde von einer dichten Hecke eingefriedet, aber das große schmiedeeiserne Tor stand offen.
Der Bus fuhr durch das Tor und die Auffahrt entlang. Er hielt direkt vor der Freitreppe des ehemaligen Herrenhauses.
Die Jugendlichen im Bus sprangen auf. Es waren Mädchen und Jungen, die das Gymnasium in Maibach besuchten. Jeden Tag wurden sie mit dem Kleinbus nach Maibach zum Gymnasium gefahren und von dort auch wieder abgeholt.
Unter den Gymnasiasten befand sich auch Dominik von Wellentin-Schoenecker, genannt Nick. Er war der eigentliche Besitzer von Sophienlust, das bis zu seiner Großjährigkeit von seiner Mutter, Denise von Schoenecker, verwaltet wurde.
»Nanu, bleibst du heute in Sophienlust?« wunderte sich Pünktchen, als sie sah, daß Nick zusammen mit den anderen Kindern die Halle von Sophienlust betrat. Sonst schwang Nick sich nach der Rückkehr aus dem Gymnasium sofort auf sein Fahrrad und fuhr zu dem nahegelegenen Gut Schoeneich, wo er mit seiner Familie wohnte.
»Ne.« Nick grinste die Dreizehnjährige, die wegen ihrer zahlreichen Sommersprossen nur Pünktchen genannt wurde, an. »Ich will nur sehen, ob Mutti noch hier ist. Ich muß ihr etwas sagen, sonst vergesse ich es am Ende noch.«
»Du kommst doch aber am Nachmittag?« vergewisserte sich Pünktchen. Sie und Nick waren sehr gute Freunde. Heimlich träumte die Dreizehnjährige schon davon, einmal Nicks Frau zu werden. Immerhin war dieser schon sechzehn.
»Klar, ich hole dich ab, und dann gehen wir auf die Koppel. So war es doch ausgemacht. Ich muß aber zuerst noch etwas lernen. Wir schreiben morgen eine Arbeit.«
»Ist schon recht. Auch ich muß meine Nase noch etwas in die Schulbücher stecken.« Pünktchen strahlte. Wie Nick liebte auch sie die Pferde.
»Dann lern mal schön. Bis dann.« Nick steckte seine Hände in die Hosentaschen und schlenderte durch die Halle auf das büroähnliche Empfangszimmer zu. Dort arbeitete meistens die Heimleiterin, Frau Rennert. Aber auch Schwester Regine hielt sich sehr oft dort auf sowie Nicks Mutter.
Denise von Schoenecker hatte gerade den Kugelschreiber weggelegt, als ihr Sohn eintrat. »Willst du mit mir im Auto mitfahren?« fragte sie. »Ich bin gleich soweit.«
»Kann ich machen. Eigentlich wollte ich dir nur etwas sagen.« Nick hockte sich auf den Schreibtischrand. Er sah etwas unsicher aus.
»Hast du eine Arbeit verhauen?« fragte Denise.
»Nicht, daß ich wüßte.« Nick zuckte mit den Achseln.
»Was hast du dann angestellt?« Denise, die ihren Sohn gut kannte, bemerkte sofort, daß etwas nicht stimmte.
»Das ist es ja eben, ich weiß es nicht.« Nick rutschte von der Schreibtischkante. »Ich zermartere mir das Hirn, aber mir fällt nichts ein.«
»Nanu, du Unschuldslamm. Um was geht es?«
»Ich weiß es nicht.« Nick seufzte. »Ob du es mir glaubst oder nicht, diesmal habe ich ein reines Gewissen.«
Denises Stirn kräuselte sich. »Heraus mit der Sprache! Was ist los?«
»Herr Förster will dich sprechen. Er bittet dich, bei Gelegenheit einmal bei ihm vorbeizusehen.«
»Er bittet mich?« Etwas skeptisch sah Denise ihren Sohn an.
»Genau! Und das verstehe ich nicht«, gab Nick ehrlich zu. »Wenn jemand von uns etwas ausgefressen hat, dann befiehlt er. Du kennst ja meinen Klassenlehrer nun schon recht gut. Er läßt die Eltern gern zu sich kommen. Bisher hat es mich nur einmal erwischt. Erinnerst du dich?«
»Natürlich. Ich hoffe, es dreht sich nicht wieder um die gleiche Angelegenheit.«
»Ganz sicher nicht«, versicherte Nick rasch.
»Ich werde es bald wissen.« Denise unterdrückte ein Schmunzeln, denn die Aufforderung des Lehrers machte Nick offensichtlich zu schaffen. »Ich habe morgen vormittag sowieso in Maibach zu tun. Dann werde ich Herrn Förster im Gymnasium aufsuchen.«
Nick nickte. »Ich bin wirklich gespannt, was er will. Er hat aber gesagt, daß es nicht eilig ist«, versicherte er nochmals, als Denise ihn musterte.
»Hauptsache, du hast ein reines Gewissen«, meinte sie. »Jetzt fahren wir erst einmal nach Hause. Wenn dir doch noch etwas einfallen sollte, dann kannst du es mir ja sagen.«
»Tut mir leid…« Mit einer theatralischen Geste breitete Nick seine Arme aus. »Ich weiß wirklich nichts.«
»Na ja…« Ganz so sicher war Denise nicht. Zwar war Nick ein sehr guter Schüler und außerdem schon sehr vernünftig. Er handelte oft selbständig, wenn er einem Kind helfen konnte, aber im Grunde war er ein unbekümmerter Junge, wie jeder andere in seinem Alter auch.
Nick war die Aufforderung seines Lehrers wirklich nicht ganz geheuer. Da er sich noch immer den Kopf zerbrach, kam er auch dann wieder darauf zu sprechen, als er neben seiner Mutter im Auto saß.
Sophienlust war durch eine Straße mit dem nahegelegenen Familiensitz Schoeneich verbunden. So konnte Denise von Schoenecker leicht hin- und herfahren. Aber auch ihre Söhne Nick und Henrik pendelten zwischen Gut Schoeneich und dem Kinderheim Sophienlust gern hin und her.
Die Familie saß aber meistens in Schoeneich. Die Köchin Martha wäre schwer beleidigt gewesen, wenn Denise nicht zum Essen gekommen wäre. Sie kochte für die Familie von Schoenecker, ihre Schwester Magda hingegen war Köchin in Sophienlust. Die beiden Frauen waren sehr liebenswürdig, so daß jeder sie mochte, doch bezüglich ihrer Kochkunst herrschte Rivalität zwischen ihnen.
»Er war irgendwie eigenartig, der Herr Förster«, sinnierte Nick. »Er war direkt höflich und bat um dein Kommen.«
»Nun übertreibst du wohl.« Denise lachte. »Wenn du so etwas wie ein schlechtes Gewissen hast, dann setze dich auf deinen Hosenboden und lerne. Das kann nie schaden.«
»Das habe ich nach dem Essen auch vor, aber nicht wegen des schlechten Gewissens.« Nick machte ein beleidigtes Gesicht. »Wir schreiben morgen eine Arbeit, und da will ich gut abschneiden.«
»Das klingt schon besser«, gab Denise zu. Sie hielt vor dem Wohnhaus. Wie Sophienlust lag auch Schoeneich in einem großen Park. Es war ein schloßartiger Bau mit einem Turm. An den dunklen Mauern rankte sich wilder Wein empor, wodurch der märchenhafte Eindruck noch verstärkt wurde. Bei Besuchern löste das Haus stets helle Begeisterung aus.
Kaum hatte Denise von Schoenecker das Auto abgestellt, kam ein neunjähriger Junge aus dem Haus gerannt. »Das habe ich mir gedacht!« Empört stemmte er seine Hände in die Seite. »Nick läßt sich wieder einmal chauffieren. Ich bin immer der Dumme. Das nächste Mal warte ich auch in Sophienlust, bis Mutti herfährt. Ich habe es satt, immer mit dem Fahrrad zu fahren.«
»Halt mal die Luft an, Kleiner«, sagte Nick, der aus dem Auto gestiegen war, gelassen. »Ich mußte Mutti etwas ausrichten.«
»Eine bessere Ausrede fällt dir wohl nicht ein?« schimpfte Henrik. Er machte sich gern wichtig und beneidete seinen großen Bruder stets um dessen Freiheit. Im Grunde kamen die beiden aber bestens miteinander aus. »Morgen habe ich eine ganze Menge auszurichten. Glaubst du etwa, in unserer Schule passiert nichts?« Henriks Augen blitzten. Sein Haarschopf war wie immer zerzaust.
Mit einer brüderlichen Geste legte Nick seinen Arm um Henriks Schultern.
»Es ging nicht ums Erleben«, meinte er. »Ich kann mir gut vorstellen, daß du da mehr zu erzählen hättest als ich. Ich mußte Mutti etwas ausrichten.«
»So?« Fragend sah Henrik seinen um sieben Jahre älteren Bruder an.
»Du kannst es mir schon glauben. Herr Förster, mein Klassenlehrer, will Mutti sprechen.«
Henriks Augen wurden groß. »Hast du etwas ausgefressen?« erkundigte er sich.
»Das ist es ja. Ich weiß es nicht.« Nick sah zu seiner Mutter hin. Nahm sie ihm das ab? Henrik tat es jedenfalls nicht.
»Ich lasse mich von dir doch nicht auf den Arm nehmen«, versicherte der Neunjährige. »Aber so ist es bei uns immer. Mir sagt keiner etwas.«
Mit einer beleidigten Miene drehte sich Henrik um und stapfte ins Haus zurück.
Nick fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Ich würde es wirklich gern wissen«, murmelte er.
»Morgen weißt du es«, beruhigte seine Mutter ihn. »So, und jetzt wollen wir essen. Du weißt, Martha ist die Pünktlichkeit in Person.« Denise warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Es ist schon eins vorbei.«
»Ich wasche mir nur schnell die Hände«, meinte Nick. Vor seiner Mutter stürmte er ins Haus.
Im Eßzimmer saß Alexander von Schoenecker bereits am Tisch. Er legte die Zeitung weg, als seine Frau eintrat. Auch er war ein vielbeschäftigter Mann.
»Hallo.« Alexander erhob sich. Er ging auf seine Frau zu und küßte sie zärtlich. »Etwas Neues?« Er wußte, daß seine Frau ganz in ihrer Aufgabe aufging. Sie scheute keine Strapazen, wenn es darum ging, ein gefährdetes oder verlassenes Kind nach Sophienlust zu holen. Oft hatte Alexander schon zugunsten ihrer Schützlinge