Gaslicht 35: Das Haus, in dem der Tod umgeht
Von Susan Grant
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In der Nacht hatte ich wieder einen Alptraum. Eine Stimme rief mich. War es die Stimme Tante Claires? Ich mußte nach ihr suchen. Draußen war es so dunkel, daß ich kaum etwas sehen konnte. Hin und wieder funkelte der Mond wie ein grelles Auge aus Neonlicht durch Wolkenfetzen. Ich zitterte im kalten Hauch des Sturms wie ein Blatt im Wind. Das Donnern der Brandung dröhnte mir in den Ohren. Und wieder dieser Schrei: »Meggy, Meggy!« Ich taumelte, stürzte. Brennender Schmerz brachte mich zur Besinnung. Jemand umkrallte meine Schultern und schüttelte mich mit aller Kraft. Und plötzlich wußte ich, daß es kein Traum war…
»Wir haben es bald geschafft!« Rex Bradley, mein Mann, drehte sich flüchtig zu mir um. Er lachte. Eine dunkle Haarsträhne hing ihm verwegen in die Stirn. »Halt dich gut fest, Liebling! Jetzt wird es ein wenig turbulent.«
Durch das Fenster erhaschte ich im Vorbeifahren windzerzauste kalte Bäume, die anklagend ihre Äste in den Himmel reckten. Der Wagen schwankte im heftigen Wind. Er holperte über den unebenen Boden wie ein bockendes Pferd. Mit beiden Händen umklammerte ich die Rücklehne und versuchte, so gut wie möglich die unangenehmen Stöße der Räder aufzufangen.
Mir war entsetzlich übel und mein Kopf schmerzte. Was ich durchs Wagenfenster sah, war auch nicht gerade dazu angetan, meine Lebensgeister zu heben. Eine trostlose graue Gegend. Ähnlich hatte ich mir immer das Ende der Welt vorgestellt.
Es dämmerte bereits. Am fahlblauen Himmel jagten schwarze Wolkenfetzen dahin. Trotz des Motorengeräusches hörte ich ein fernes Donnern. In Serpentinen schlängelte sich der ungepflasterte
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Gaslicht
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Gaslicht 35 - Susan Grant
Gaslicht
– 35 –
Das Haus, in dem der Tod umgeht
Susan Grant
In der Nacht hatte ich wieder einen Alptraum. Eine Stimme rief mich. War es die Stimme Tante Claires? Ich mußte nach ihr suchen. Draußen war es so dunkel, daß ich kaum etwas sehen konnte. Hin und wieder funkelte der Mond wie ein grelles Auge aus Neonlicht durch Wolkenfetzen. Ich zitterte im kalten Hauch des Sturms wie ein Blatt im Wind. Das Donnern der Brandung dröhnte mir in den Ohren. Und wieder dieser Schrei: »Meggy, Meggy!« Ich taumelte, stürzte. Brennender Schmerz brachte mich zur Besinnung. Jemand umkrallte meine Schultern und schüttelte mich mit aller Kraft. Und plötzlich wußte ich, daß es kein Traum war…
»Wir haben es bald geschafft!« Rex Bradley, mein Mann, drehte sich flüchtig zu mir um. Er lachte. Eine dunkle Haarsträhne hing ihm verwegen in die Stirn. »Halt dich gut fest, Liebling! Jetzt wird es ein wenig turbulent.«
Durch das Fenster erhaschte ich im Vorbeifahren windzerzauste kalte Bäume, die anklagend ihre Äste in den Himmel reckten. Der Wagen schwankte im heftigen Wind. Er holperte über den unebenen Boden wie ein bockendes Pferd. Mit beiden Händen umklammerte ich die Rücklehne und versuchte, so gut wie möglich die unangenehmen Stöße der Räder aufzufangen.
Mir war entsetzlich übel und mein Kopf schmerzte. Was ich durchs Wagenfenster sah, war auch nicht gerade dazu angetan, meine Lebensgeister zu heben. Eine trostlose graue Gegend. Ähnlich hatte ich mir immer das Ende der Welt vorgestellt.
Es dämmerte bereits. Am fahlblauen Himmel jagten schwarze Wolkenfetzen dahin. Trotz des Motorengeräusches hörte ich ein fernes Donnern. In Serpentinen schlängelte sich der ungepflasterte Weg eine Anhöhe hinauf, die seitlich von Gestrüpp und kleinen verkrüppelten Bäumen begrenzt war.
Erschöpft schloß ich die Augen und wünschte mir, diese Höllenfahrt fände doch endlich ihr glückliches Ende. Ich sehnte mich nach heißem Tee und einem warmen Feuer, an dem ich meine vor Kälte erstarrten Glieder wärmen konnte. Sicher würden meine Wünsche bald Erfüllung finden, denn der Weg endete ganz plötzlich und mündete auf einer Art Bauplatz auf dem man vergessen hatte, die dicken Steine wegzuschaffen.
Rex ließ den Wagen auslaufen. Durch graue Nebelschleier schimmerte tröstlich ein Licht. Ungeduldig wartete ich, bis Rex den hinteren Wagenschlag geöffnet hatte und mir hinaushalf.
»Du bist so blaß, Meggy«, sagte er besorgt. »Wie fühlst du dich?«
»Nicht besonders!« Ich schauderte in dem kalten Wind. Richtig steif fühlte ich mich nach der langen Fahrt. Das tröstliche Licht kam aus dem unteren Stockwerk eines grauen, kastenähnlichen Gebäudes von erschreckender Häßlichkeit. Das Donnern klang jetzt ganz nah. Möwen kreischten und jagten im wilden Sturzflug vom Himmel herab. Bis zum Horizont dehnte sich eine graugrüne Wassermasse. Der heftige Wind trieb das Wasser der See zu haushohen Wellen, bis sie donnernd an der Felsküste zerbarsten.
»Du zitterst ja, Meggy!« Rex legte besorgt den Arm um meine Schultern. »Komm ins Haus. Butler Jim wird sich um unser Gepäck kümmern. Dir wird gleich warm werden. Ich habe Anordnung gegeben, daß man in der Halle Feuer im Kamin macht.«
»Das ist genau das, was ich mir wünsche«, sagte ich dankbar. »Und Unmengen von heißem Tee!«
Nur wenige Stufen führten zu einer Holztür. Rechts und links von der Treppe standen Holzkübel, doch die Blumen darin waren verdorrt. Ein mittelgroßer Mann mit groben Gesichtszügen, die im Widerspruch zu seiner eleganten Livree standen, riß vor uns die Tür auf, als hätte er stundenlang hinter der Tür auf unsere Ankunft gelauert.
Mit gemurmeltem Gruß und übertrieben tiefer Verneigung gab er den Weg frei. Eine große Halle tat sich vor mir auf. Sie war bis zur halben Wandhöhe mit dunklem Holz verkleidet. Die wenigen schlichten Möbelstücke schienen aus Mahagoni zu sein. Seitlich führte eine Treppe mit Mahagonigeländer nach oben zur Galerie. Der Treppenaufgang wurde von einer schwarzen Skulptur bewacht. Der Boden war mit schwarzweißen Kacheln im Schachbrettmuster belegt.
Alles wirkte auf mich kalt und unfreundlich. Ich vermißte weiche Teppiche und hübsche Bilder an den kahlen Wänden. Aber wahrscheinlich lag das nur an meiner schlechten Verfassung. Noch immer litt ich unter den Nachwirkungen des schweren Autounfalls vor acht Wochen. Diese quälenden Kopfschmerzen waren eine Folge der Gehirnerschütterung, die ich mir zugezogen hatte. In dunklen Wellen flutete die Erinnerung an das furchtbare Geschehen auf mich zu. Nicht daran denken, befahl ich mir mühsam. Ich muß versuchen, zu vergessen. Ich muß vergessen, daß meine geliebte Tante Claire durch meine Schuld ums Leben gekommen ist.
Als sich der Butler mir näherte, wahrscheinlich, um mir den Mantel abzunehmen, ließ ich ihn rasch von den Schultern gleiten. Der Gedanke, von seinen kräftigen Händen berührt zu werden, war mir unangenehm. Er fing den pelzgefütterten Trench auf und verschwand. Das Kaminfeuer zog mich magisch an. Ich streckte meine eiskalten Hände der flackernden Glut entgegen.
»Du bekommst auf der Stelle deinen geliebten Tee.« Rex lächelte mir aufmunternd zu und lief schon die Treppe hinauf.
Er hatte eine erschreckende Vitalität, die mich früher entzückt hatte. Seit meiner Krankheit ging er mir damit manchmal auf die Nerven. Doch ich durfte ihm gegenüber nicht ungerecht sein. Rex war rührend um mich besorgt. Dieses einsame Haus an der Küste von Cornwall hatte er nur gekauft, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Er wußte ja, wie sehr ich noch immer unter dem plötzlichen Tod meiner Tante Claire Stuart litt.
Ich starrte in die Glut der Flammen. Tante Claire, all das Blut… und ihr Gesicht, so bleich und starr…!
Das Klirren von Porzellan riß mich aus meinen Gedanken. Der Diener war in die Halle getreten. Erst jetzt fiel mir auf, daß er beim Gehen stark hinkte. Ich spürte den Blick seiner hervorquellenden, hellen Augen wie eine unangenehme körperliche Berührung.
»Ihr Tee, Madam«, murmelte er unterwürfig.
»Danke, Jim!«
Ich bemühte mich um einen besonders freundlichen Ton. Er konnte doch nichts dafür, daß er mir unsympathisch war. Sicher war der Ärmste heilfroh, überhaupt eine Stellung als Diener bekommen zu haben. Sehr geschickt stellte er sich beim Servieren nicht an. Als ich das Zittern seiner breiten Hände bemerkte, tat er mir leid.
Rex kam die Treppe herunter. »Bring das Gepäck nach oben«, befahl er Jim. »Die Zimmer sind soweit in Ordnung«, sagte er zu mir und nahm mir gegenüber an dem dunkelbraunen Tisch Platz. »Gefällt es dir hier, Meggy? Bestimmt wirst du dich in der frischen Seeluft gut erholen. Wir werden eine schöne Zeit zusammen haben.«
»Gewiß, Rex!« Mir war noch immer kalt. Fröstelnd schloß ich die klammen Finger um die heiße Teetasse. Für meinen Geschmack war der Tee zu dünn, aber wenigstens war er heiß. Mein Blick glitt durch den Raum. Um mich hier wohlfühlen zu können, würde ich eine Menge verändern müssen. Wenn ich da an unsere gemütliche Villa in London dachte! Aber Rex hatte recht. Alles in der Villa erinnerte an Tante Claire. Dort würde ich niemals vergessen können.
*
Rex hatte hastig seinen Tee getrunken. »Ich werde dir jetzt dein Personal vorstellen.« Er läutete nach Jim und befahl ihm, zunächst die Krankenschwester hereinzuführen.
Kurz darauf trat eine junge Frau ein, die etwa in meinem Alter, so um die Vierundzwanzig sein mußte. Selbst das graue, schmucklose Kleid, das Cate Duster trug, verbarg nicht, wie schön sie gewachsen war. Das glatte braune Haar trug sie in der Mitte gescheitelt und am Hinterkopf straff zurückgenommen. In dem sonst grob geschnittenen Gesicht fiel der volle, sinnliche Mund auf. Ihre schmalen, braunen Augen musterten mich mit scheuer Neugierde.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte sie mit einer überraschend tiefen, rauchigen Stimme, die nicht zu ihrer Jugend passen wollte.
»Ich freue mich auch«, entgegnete ich höflich und ganz gegen meine Überzeugung.
Meiner Ansicht nach brauchte ich keine Krankenschwester. Doch Rex hatte darauf bestanden. Er wollte nichts unversucht lassen, mich wieder auf die Beine zu bringen, wie er sich scherzhaft ausdrückte.
Zum Haushalt gehörten noch die Köchin Bette, der man die Vorliebe für reichliches Essen ansah und das Hausmädchen Sally, das mich mit seinem spitzen Gesicht und den nadelkopfgroßen schwarzen Augen an eine scheue Maus erinnerte.
Nur Schwester Cate durfte mit uns zusammen essen. Butler Jim trug hinkend die Suppe auf, eine gelbliche Brühe, auf der Fettaugen schwammen. Mir drehte sich allein schon bei dem Anblick der Magen um. Angewidert schob ich den Teller von mir, obwohl Rex beteuerte, sie würde ausgezeichnet schmecken. Ich war noch nie ein Freund von fetten Suppen gewesen. Dazu hatte ich in der letzten Zeit kaum Appetit und mußte mich regelrecht zum Essen zwingen.
Auch die nächsten Gänge ließen in mir den Verdacht aufkommen, daß Rex mit der Wahl seiner Köchin hereingefallen war. Das Fleisch wurde in einer fettriefenden Soße serviert, das Gemüse war zerkocht und die Kartoffeln hätte ich nicht mal gewagt, Schweinen vorzusetzen.
So begnügte ich mich mit Brot und Käse und nahm mir vor, mich in der nächsten Zeit um die Küche zu kümmern.
Draußen stürmte es noch immer. Selbst die Kerzen auf dem Tisch flackerten unruhig. Irgendwo klapperte monoton ein Fensterladen. Wenn der Wind heulend durch den Schornstein fuhr, jagte er Funken im Kaminfeuer auf. Der starke Harzgeruch des brennenden Holzes legte sich schwer auf meine Lungen. Als ich zu husten begann, goß Rex mir noch etwas Rotwein ein.
»Trink einen Schluck, Liebling!« Er neigte sich zu mir und lächelte.
Das Kerzenlicht spielte über seine regelmäßigen Züge. Rex war der attraktivste Mann, der mir jemals begegnet war. Hals über Kopf hatte ich mich in ihn verliebt und genau so schnell geheiratet, was Tante Claire gar nicht gepaßt hatte. Sie hatte sich damals, vor einem halben Jahr, wie eine törichte Mutter benommen, die ihre einzige Tochter nicht verlieren will.
Dabei hatte Rex sich soviel Mühe mit ihr gegeben. Doch sein Charme war bei ihr verschwendet gewesen. Sie hatte mir sogar einzureden versucht, daß Rex nichts weiter wäre, als ein Mitgiftjäger.
Wäre ich ein häßliches Entlein gewesen, hätte ich ihr vielleicht geglaubt. Doch es hat mir nie an Verehrern gemangelt, die mir beteuerten, wie reizvoll meine dunkelblauen Augen zu meinem kastanienbraunen Haar wirkten, dessen reiche Fülle fast zu schwer für mein schmales Gesicht war.
Meine zierliche Figur mochte in manchen Männern Beschützerinstinkte wecken. Auf jeden Fall hatte ich eine erfolgreiche Saison hinter