Mami 1792 – Familienroman: Carolina kehrt heim
Von Beate May
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Der alte Musiklehrer Grothjohann war hoch in den Achtzigern und - wie er immer gerne bemerkte, wenn er die Gelegenheit dazu bekam - kerngesund. Gesünder als mancher, der nicht halb so viele Jahre zählte wie er. Daran war die Musik schuld, fügte er dann flink hinzu, und das mochte man ihm nun glauben oder nicht, aber ein Körnchen Wahrheit war bestimmt an dieser Theorie.
Bei allem, was Grothjohann tat, trug er seine Meerschaumpfeife bei sich. Zeit seines Lebens konnte man ihn rauchen und qualmen sehen wie einen Schlot, was aber seiner Gesundheit offensichtlich niemals geschadet hatte. Er liebte auch sein tägliches Glas Rotwein, womit er dann endgültig sämtliche medizinischen Thesen über den Haufen warf, die da stets lauteten, daß Tabak und Alkohol der Gesundheit des Menschens schadeten. Zweifellos galt der alte Lehrer als Original in seiner nächsten Umgebung, und er hatte wie selbstverständlich die Geschichte seines Dorfes sowie die sämtlicher Einwohner im Kopf. "Ah, der Herr Kollege", sagte er jetzt erfreut, als er den jungen Lehrer Jonathan Gerloff den Weg durch seinen Vorgarten heraufkommen sah, wo bereits Märzbecher und Schneeglöckchen blühten und die ersten gelben Narzissen ihre Köpfe im Wind wiegten. "Sie kommen zu mir, Kollege?" fuhr er dann freundlich fort. "Warum? Soviel ich weiß, brauchen Sie den Rat eines hoffnungslos altmodischen Kollegen nicht mehr."
"Da kann man nie sicher sein", lächelte Jonathan und schüttelte kräftig die Hand des alten Mannes.
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Mami 1792 – Familienroman - Beate May
Mami -1792-
Carolina kehrt heim
Beate May
Der alte Musiklehrer Grothjohann war hoch in den Achtzigern und – wie er immer gerne bemerkte, wenn er die Gelegenheit dazu bekam – kerngesund. Gesünder als mancher, der nicht halb so viele Jahre zählte wie er. Daran war die Musik schuld, fügte er dann flink hinzu, und das mochte man ihm nun glauben oder nicht, aber ein Körnchen Wahrheit war bestimmt an dieser Theorie.
Bei allem, was Grothjohann tat, trug er seine Meerschaumpfeife bei sich. Zeit seines Lebens konnte man ihn rauchen und qualmen sehen wie einen Schlot, was aber seiner Gesundheit offensichtlich niemals geschadet hatte.
Er liebte auch sein tägliches Glas Rotwein, womit er dann endgültig sämtliche medizinischen Thesen über den Haufen warf, die da stets lauteten, daß Tabak und Alkohol der Gesundheit des Menschens schadeten.
Zweifellos galt der alte Lehrer als Original in seiner nächsten Umgebung, und er hatte wie selbstverständlich die Geschichte seines Dorfes sowie die sämtlicher Einwohner im Kopf.
»Ah, der Herr Kollege«, sagte er jetzt erfreut, als er den jungen Lehrer Jonathan Gerloff den Weg durch seinen Vorgarten heraufkommen sah, wo bereits Märzbecher und Schneeglöckchen blühten und die ersten gelben Narzissen ihre Köpfe im Wind wiegten. »Sie kommen zu mir, Kollege?« fuhr er dann freundlich fort. »Warum? Soviel ich weiß, brauchen Sie den Rat eines hoffnungslos altmodischen Kollegen nicht mehr.«
»Da kann man nie sicher sein«, lächelte Jonathan und schüttelte kräftig die Hand des alten Mannes. »Ich habe eigentlich keinen besonderen Grund – oder jedenfalls keinen besonders wichtigen.«
»Na, dann will ich uns mal einen Schluck einschenken«, meinte der alte Musiklehrer vergnügt und eilte dem jungen Mann flink wie ein Wiesel voraus, durchquerte die Diele und strebte hinüber in sein großes Lesezimmer, durch dessen Fenster das letzte Licht dieses Märztages fiel.
Eine Stehlampe brannte bereits neben dem gemütlichen Lesesessel des alten Grothjohann, ein dickes Buch lag aufgeschlagen auf dem kleinen, runden Tisch daneben.
Sie tranken einander zu, und als er das Glas absetzte, begann Jona-than zögerlich: »Ich komme natürlich nicht ›einfach nur so‹.«
»Das ist mir klar«, erklärte
Grothjohann mit allergrößter Selbstverständlichkeit. »Sie kommen niemals einfach nur so.«
»Es ist wegen Irene Osterkamp.«
»Wieso?« erschrak Grothjohann da. »Ist ihr was zugestoßen?«
»Nein, um Himmels willen, nein. Aber ich hatte gestern nachmittag ein Gespräch mit ihr wegen irgendwelcher schulischen Probleme… Sie wissen, daß Irene die Ehrenvorsitzende der Elternvertretung ist?«
Natürlich wußte Grothjohann das. Jede Information, mochte sie noch so unbedeutend sein, erreichte ihn früher oder später – erst recht dann, wenn es sich dabei um Dinge handelte, die die Schule betrafen, an der er bis zum Pensionsalter unterrichtet hatte.
»… und sie machte auf mich einen sehr niedergeschlagenen, ja, depressiven Eindruck«, fuhr Jona-than fort. »So kannte ich Irene gar nicht. Eigentlich ist sie doch eine lebenslustige, aktive Person. Aber gestern bekam ich Angst um sie.«
»Hm«, machte Grothjohann nur nachdenklich.
»Ich habe mir natürlich gesagt, daß mich das nicht das geringste angeht, aber andererseits steht gerade Irene mir sehr nahe. Sie hat mich damals, als ich hierher versetzt wurde, als eine der wenigen mit offenen Armen empfangen und mich gewissermaßen unter ihre Fittiche genommen, und wenn es ihr nicht gut geht, dann…«
»Ich verstehe«, nickte der alte Mann langsam. »Aber was wollen Sie tun?«
»Gibt es nicht irgendwo einen Sohn?« fragte Jonathan. »In Süd-amerika oder so? Ich glaubte, da mal so was gehört zu haben.«
Der alte Grothjohann zuckte kaum merklich zusammen. »Wer sagt das?«
»Ach, was weiß ich? Irgend jemand im Kollegium machte mal so eine Bemerkung…«
»Wahrscheinlich die alte Maschke, Gott hab’ sie selig«, brummte Grothjohann erzürnt. »Ich weiß, man soll über Tote nichts Unfreundliches sagen, aber die Maschke war nicht nur eine schlechte Lehrerin, sondern auch eine unverbesserliche Schludertasche. Komisch, daß sie so plötzlich gestorben ist. Hat nicht mal das Pensionsalter erreicht, die Ärmste. Aber wenn sie schon solche Sachen erzählte, dann hätte sie wenigstens darauf achten sollen, was wahr ist und was nicht.«
»Was heißt denn das?« horchte Jonathan auf.
»Das heißt, daß der Sohn von Irene Osterkamp eine Tochter ist, und die lebt nicht in Südamerika, sondern in Neuseeland.«
»Ach, gewissermaßen gleich nebenan«, wurde der junge Lehrer ironisch.
Grothjohann kratzte sich ein wenig ratlos am Hinterkopf. »Also, die Irene ist da ein bißchen empfindlich. In ihrer Gegenwart durfte früher nie einer den Namen der Tochter nennen, dann fing sie schon an zu lamentieren. Ich hab mal versucht, mit ihr darüber zu reden, aber sie ließ es gar nicht zu. Sobald der Name nur fiel, drehte sie sich um und ging.«
Jonathan hätte kaum konsternierter sein können. »Aber sie hat nur diese eine Tochter. Und von der will sie nichts hören und nichts sehen? Was soll denn werden, wenn Irene älter wird? Sie braucht schon jetzt Hilfe, fürchte ich – wie lange will sie darauf warten, daß ihr diese Hilfe zuteil wird? Bis sie tot umfällt?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Haben Sie sie gekannt?« fragte der junge Mann da.
Grothjohann reagierte irritiert. »Wen?«
»Na, Irenes einzige Tochter.«
Der alte Mann nahm erst noch einen Schluck von seinem Wein, ehe er sagte: »Sicher hab ich sie gekannt. Sie saß bei mir im Musikunterricht. Und sie hat im Kirchenchor gesungen, den ich damals leitete. Eine schöne Altstimme hatte sie…«
Er schwieg schon wieder, und das fand Jonathan doch sehr merkwürdig. Gewöhnlich sprudelte
Grothjohann nämlich über, wenn man ihm nur eine kurze Bemerkung, ein einziges Wort hinwarf.
»Wie war sie denn so?« wollte er deshalb wissen.
»Warum interessiert Sie das?«
»Weil ich mir ein Bild von dem Mädchen machen möchte, ehe ich mich – vielleicht – an sie wende.«
»Sie wollen Kontakt zu ihr aufnehmen?« Grothjohann machte ein sehr skeptisches Gesicht. »Hoffentlich tut Ihnen das nicht leid. Außerdem ist Katharina Osterkamp inzwischen kein Mädchen mehr. Sie ist seit zehn Jahren fort, damals war sie noch nicht mal achtzehn.«
»So jung?« stutzte Jonathan. »Und sie ist einfach auf und davon?«
Grothjohann lächelte dünn. »Sie ließ sich von niemand aufhalten. Damals lebte ja ihr Vater, Irenes Mann, noch, und so sehr er auch versuchte, Katharina zu halten – es gelang ihm nicht.«
»Sie hat keinerlei Rücksichten genommen«, schloß Jonathan sachlich.
Grothjohann seufzte leicht. »Der alte Jens Osterkamp war schon damals ein kranker Mann. Ich betone das, damit Sie nun nicht auf die Idee kommen, zu behaupten, er sei an gebrochenem Herzen gestorben, weil seine einzige Tochter wegging.«
»Aber sie könnte jetzt was gutmachen«, bemerkte Jonathan lakonisch. »Irene braucht ihre Tochter, und die hat der Mutter gegenüber eine Verpflichtung, denke ich.«
»Ich bezweifle, daß man Katharina mit diesem Argument bewegen kann, nach Hause zu kommen«, brummte Grothjohann und schenkte sich noch einen Rotwein ein.
»Sind denn die Eltern und die Tochter damals im Streit auseinandergegangen?« wollte der junge Mann wissen.
»Je nun«, sagte Grothjohann und wich dem forschenden Blick des anderen aus. »Das könnte man wohl so nennen. Katharina Osterkamp war immer ein sehr ungebärdiges, wildes Mädchen. Sie wollte dauernd etwas anderes als ihre Eltern. Der junge Mann, in den sie sich damals verliebt hatte, gefiel dem alten Osterkamp nicht, also verbot er ihr rigoros den Umgang mit dem Burschen. Aber Katharina war, wenn es darauf ankam, genauso stur und dickköpfig wie der Alte, und deshalb ließ sie sich nichts von ihm sagen. Sie wartete nicht mal ihren achtzehnten Geburtstag ab, sondern kehrte den Eltern und unserem Dorf hier den Rücken.«
»Keiner hat versucht, sie zurückzuholen?«
»Das erübrigte