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13 SHADOWS, Band 26: DIE GÖTTIN DER NACHT: Horror aus dem Apex-Verlag!
13 SHADOWS, Band 26: DIE GÖTTIN DER NACHT: Horror aus dem Apex-Verlag!
13 SHADOWS, Band 26: DIE GÖTTIN DER NACHT: Horror aus dem Apex-Verlag!
eBook314 Seiten4 Stunden

13 SHADOWS, Band 26: DIE GÖTTIN DER NACHT: Horror aus dem Apex-Verlag!

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Über dieses E-Book

Die Anthologie DIE GÖTTIN DER NACHT, herausgegeben von Christian Dörge, enthält zwölf ausgewählte Erzählungen internationaler Autoren: R. Lionel Fanthorpe, Frederic Brown, Aleister Crowley, Trebor Thorpe, Bron Fane, Pel Torro, Leo Brett, Dennis Wheatley, Anthony Boucher, H. R. Wakefield, Feodor Sologub und Charles Beaumont.

DIE GÖTTIN DER NACHT erscheint in der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum12. Juli 2019
ISBN9783743884342
13 SHADOWS, Band 26: DIE GÖTTIN DER NACHT: Horror aus dem Apex-Verlag!

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    Buchvorschau

    13 SHADOWS, Band 26 - Christian Dörge

    Das Buch

    Die Anthologie DIE GÖTTIN DER NACHT, herausgegeben von Christian Dörge, enthält zwölf ausgewählte Erzählungen internationaler Autoren: R. Lionel Fanthorpe, Frederic Brown, Aleister Crowley, Trebor Thorpe, Bron Fane, Pel Torro, Leo Brett, Dennis Wheatley, Anthony Boucher, H. R. Wakefield, Feodor Sologub und Charles Beaumont.

    DIE GÖTTIN DER NACHT erscheint in der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht.

    Trebor Thorpe: RACHE AUS DEM JENSEITS

      (The Swing Of The Pendulum)

    Señor Pedro Gordini pfiff bei der Arbeit leise vor sich hin. Es war kein besonders melodisches Pfeifen, es klang aber auch nicht besonders unangenehm. Señor Pedro Gordini war ein unauffälliger, freundlicher alter Mann, dem man seine siebzig Jahre nicht ansah. Pedro Gordini war ein Uhrmacher; er hatte feinfühlige, geschickte Finger. Er liebte seine Uhren, und er glaubte in aller Unschuld und Herzenseinfalt, dass seine Uhren ihn auf eine eigene unerklärliche Weise wiederliebten. Er gehörte zu den Menschen, die die unbelebte Natur mit Gedanken und Leben und eigener Kraft ausstatteten. Daran war nichts Unheimliches oder Übernatürliches. Es war ein Glaube, dem viele gebildete angebliche Rationalisten anhingen, sei es bewusst oder unbewusst, absichtlich oder unabsichtlich, wissentlich oder unwissentlich.

    Auf seinen schneeweißen Locken trug Pedro Gordini hinten auf dem Kopf ein kleines, rotes Samtkäppchen. Dieses Samtkäppchen mit der blauen Troddel war Teil seiner Persönlichkeit. Es war Teil des Eigenbildes, das er für sich geschaffen hatte und dem er gerecht werden wollte.

    Er wollte nichts als Ruhe und Frieden im Leben, und er sah keinen Grund, warum andere Menschen nicht ihr Leben unter denselben angenehmen Umständen verbringen sollten. Er hatte keine großen Ambitionen; er strebte weder nach Reichtum, noch wollte er arm sein. Solange der Erlös seiner Uhren es ihm möglich machte, sein bescheidenes Dasein zu fristen, die Gebühren und die Miete für seinen Laden zu bezahlen und den Kindern der Nachbarschaft ein paar Pesetas zuzustecken, hatte Pedro Gordini keinen Grund zur Klage. Er verschenkte natürlich nicht wirklich Geld, sondern nur im übertragenen Sinne.

    Gordini hatte noch ein Ziel. Manchmal glänzte es hell an seinem Horizont, manchmal schimmerte es trübe, wenn er eine Menge Reparaturen oder geschäftliche Dinge zu erledigen hatte. Aber die ganze Zeit stand es ihm vor Augen, und es war ein Teil von Pedros Umwelt, ob er nun direkt damit beschäftigt war oder nicht. Dieses Projekt, die große Liebe seines Lebens, war eine riesige Standuhr. Er hatte mehr als zwanzig Jahre an dieser Uhr gearbeitet. Es war keine gewöhnliche Standuhr. Nichts, was Pedro Gordini machte, war jemals wirklich gewöhnlich, aber dieses Gebilde war etwas besonders Ungewöhnliches. Es war etwas Einzigartiges. Vielleicht als Ausgleich für eine gewisse Schmächtigkeit seiner Gestalt hatte der alte Mann eine Schwäche für das Große. Weil er selbst klein war, sollte sein Werk groß sein. Weil er Geistesschärfe mit physischer Kraft gleichsetzte, bewunderte er physische Kraft und physische Größe um ihrer selbst willen. Pedro Gordinis Uhr ragte bis zur Decke seines hohen, altmodischen Ladens empor. Sie war über sechzehn Fuß hoch und entsprechend breit. Sie wirkte wie ein Riese unter den Uhren; sie war ein Koloss im horologischen Kleinkram, ein Gigant im Reich der Zeitmessung.

    Pedro Gordini arbeitete an seiner Riesenuhr, sooft seine andere Arbeit es ihm erlaubte. Manchmal verbrachte er mehrere Stunden am Tag und mehrere Tage in der Woche damit, zierliche Muster in ihre Oberfläche einzugravieren und einzulegen. Die Gravierung, die er in die Felder des Uhrgehäuses einarbeitete, diente nicht nur rein ästhetischen Zwecken. Sie war ein eigener Kode. Eine Blumensprache, die mit Hilfe eines Buches, welches Gordini in einem Geheimfach im Fuß der gewaltigen Uhr aufbewahrte, entschlüsselt werden konnte. Selbst das Schloss, mit dem man das Geheimfach öffnete, war durch ein drehbares Blumenmuster vor neugierigen Augen verborgen.

    In seinem Blumencode schrieb Pedro Gordini die Geschichte seines Lebens. Es bereitete ihm große Freude, sich Gedanken darüber zu machen, ob einmal ein Historiker der Zukunft jenes Blumenmuster studieren würde oder nicht. Vielleicht würde die Uhr einmal in einem großen Museum stehen oder einen Ehrenplatz im Zentralen Horologischen Institut einnehmen. Er fragte sich, ob derselbe Historiker der Zukunft seine Lebensgeschichte entschlüsseln würde. Es mochte ganz interessant sein, ihm dabei zuzusehen, sagte er sich. Pedro Gordini besaß nämlich den einfachen, überströmenden Glauben, der ihn hoffen ließ, dass er irgendwie auch dann noch in der Lage sein würde zu beobachten, zu wissen und zu verstehen, nachdem er durch das Tor gegangen war, das die Menschen »Tod« nennen. Er stellte sich das Leben nach dem Tod als einen Aufenthalt in einer höheren Sphäre vor, und er hoffte voller Optimismus, dass es irgendein Kommunikationsmittel, irgendeinen Kontakt zwischen dem Bereich, in dem er sich schließlich zu finden erwartete, und der physischen Welt geben würde, von der er wusste, dass er sie eines Tages verlassen musste. Mit seinen siebzig Jahren zweifelte er nicht daran, dass dieser Tag eher früher als später kommen würde. Er machte sich keine Illusionen. Sehr alte Leute glauben mitunter, sie müssten unsterblich sein, aber Gordini gehörte nicht dazu. Er hatte gut auf sich achtgegeben, wie es Shakespeare von dem alten Diener in Was ihr wollt sagt: »Er hat die Adern nicht gefüllt mit wildem, berauschendem Trunke.« Deshalb war auch der Winter seines Lebens ein sauberer, anständiger, gesunder Winter.

    Er hatte sein altes Herz niemals überanstrengt; denn selbst der Bau der großen Uhr war in Abschnitten geschehen. Die Arbeit hatte keine große körperliche Anstrengung gekostet. Pedro Gordini legte die Armbanduhr, die er gerade fertig repariert hatte, beiseite. In einer sauberen, minuziösen Handschrift schrieb er die Rechnung für die Reparatur aus und wickelte sie um die Uhr, die er dann auf das Regal für fertige Arbeiten legte. Er glaubte an den Wert guter Gewohnheiten; er glaubte daran, dass es einen Platz für alles geben und dass alles an seinem Platz sein müsse. Er war in jeder Beziehung gründlich und methodisch - ein Handwerker der alten Schule.

    Gordini wandte seine Aufmerksamkeit wieder der riesigen Standuhr zu. Er bezeichnete sie in Gedanken gern als den Ahnherrn aller Standuhren. Was sollte er in seinem faszinierenden Blumencode über den heutigen Tag schreiben? Er nahm das Buch aus dem Geheimfach und begann eine Botschaft über die Ereignisse des Tages zusammenzustellen. Er hatte vier Armbanduhren und einen Wecker repariert, und er hatte eine 8-Tage-Uhr und eine jener faszinierenden Sechsmonats-Uhren verkauft, bei denen Messinggewichte in einem Halbvakuum schwingen. Nachdem er alle diese Dinge vollbracht hatte, dachte Gordini in seiner simplen Art, hätte er auch ein Recht, die Nachwelt wissen zu lassen, was er getan habe. Große Männer schrieben ihre Memoiren in Eisen und Holz. Sie nahmen Holz, das zu Papier verarbeitet war, und schrieben darauf mit einer eisernen Schreibfeder. Das einzige, was Gordini ausließ, war die Tinte. Denn auch er schrieb seine Memoiren in Metall und Holz, nicht mit dem gewöhnlichen Eisen oder harten Stahl einer Schreibfeder, auch nicht mit dem feinen Gold oder Platin eines teuren Füllhalters. Er schrieb mit Silber. Die Buchstaben, die schönen Blumenbuchstaben, die er in die Oberfläche einritzte, blinkten und glänzten und lächelten ihn an. Er ließ seinen Blick über die Hunderte von Zeilen aus winzigen Silberblumen schweifen, die er bereits in die Oberfläche eingraviert hatte.

    Plötzlich klopfte es an der Tür. Gordini hatte schon seit zwei Stunden geschlossen. Er fragte sich, wer das sein könne. Ein tiefer Instinkt warnte ihn, dass es das Beste sein würde, sein Buch zu verstecken. Er legte es in das Geheimfach zurück und schob die Blume, die das Schlüsselloch verdeckte, wieder an ihren Platz.

    »Ich komme!«, rief er und ging an die Tür seiner kleinen Werkstatt. Er hatte kaum den Riegel zurückgeschoben, als sie nach innen aufgestoßen wurde. Eine große, dunkle Gestalt stand drohend im Türrahmen.

    Pedro Gordini trat einen Schritt zurück. Der hochgewachsene Fremde trug einen Regenmantel, den er bis unters Kinn zugeknöpft hatte. Er hatte den Kragen hochgeschlagen, und ein Schlapphut verdeckte den oberen Teil seines Gesichts. Die Krempe reichte bis zu den Augen herunter. Die Augen blickten wild und zu allem entschlossen. Gordini fasste sich wieder ein wenig.

    »Ich habe eigentlich geschlossen, Señor, aber wenn ich irgendetwas für Sie tun kann...«

    »Ich brauche Geld.«

    »Sicher, Señor, das brauchen wir alle - aber wie kann ich Ihnen helfen?«

    »Lass die Witzchen, alter Schwachkopf!«, knurrte der Fremde. »Los, ich will Geld! Du hast doch sicher Gold oder Silber herumliegen. Her damit, aber schnell! Uhren, Wertgegenstände, gib sie her!« Eine Hand kam aus der Manteltasche. Ein Revolver lag darin.

    »Aber Señor, ich verstehe nicht...«

    »Dies ist ein Überfall! Verstehst du jetzt? Oder willst du lieber eine Kugel im Kopf haben?«

    »Señor - ich...« Gordini brach ab und ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.

    »Geld her! Los, los!«

    »Die Kasse ist hier«, sagte Gordini matt. Der große Mann stieß ihn unsanft zur Seite.

    »Jetzt wirst du endlich vernünftig.«

    Er nahm alles Geld heraus, das in der Kasse war. »Hast du sonst noch irgendwo etwas versteckt?«

    »Nein, Señor, ich bringe mein Geld auf die Bank.«

    »Das ist mal was Neues! Der erste Dorfbewohner, der einer Bank traut!«

    »Wirklich, Señor. Die Bank ist sehr gut. Ich bringe mein Geld immer auf die Bank.«

    »Du lügst!«, fauchte der gefährlich dreinblickende Fremde. »Ich weiß, dass du hier irgendwo noch Geld versteckt hast!«

    »Ehrlich, Señor, ich habe keins. Ich schwöre es!«

    »Wenn du nicht sofort damit rausrückst, schlage ich dir alles kurz und klein! Und zwar gründlich!« Die wilden, gefährlichen Augen funkelten heimtückisch.

    »Bitte, Señor, bitte! Ich gebe Ihnen alles, was ich habe! Sehen Sie, hier sind noch ein paar Gold- und Silberbarren, die ich zum Arbeiten brauche, aber bitte, machen Sie nichts kaputt, bitte! Ich arbeite stundenlang, jahrelang an meinen Uhren. Bitte! Ich kann es nicht mit ansehen, wenn irgendetwas zerschlagen wird. Tun Sie es nicht!«

    Der Fremde steckte die Gold- und Silberbarren in die Tasche.

    »Hast du noch mehr Gold und Silber?«

    »Nein, Señor, das ist alles! Ich schwöre es, sehen Sie hier und hier und hier...«

    Der Fremde blickte plötzlich auf die riesige Standuhr.

    »Was zum Teufel baust du da? Einen Kirchturm?«

    »Es ist bloß eine Uhr, Señor...«

    »Was ist das auf der Seite da für ein Metall? Die ganzen Röschen und das Zeug? Ist das Silber? «

    »Es ist nur sehr dünn, Señor.«

    »Rausreißen!«

    »Aber das geht nicht, Señor. Es ist alles ins Holz eingelassen.«

    »Du sollst es rausreißen!«

    »Aber Señor, es ist mein ganzes Lebenswerk. Ich würde lieber sterben als es herauszureißen!«, keuchte Pedro.

    »Wenn du es nicht tust, wirst du sterben«, knurrte der Fremde. »In dem Ding da sind mehrere tausend Peseten drin! Ich brauche es schnell; ich will es einschmelzen.«

    »Das können Sie nicht machen, Señor!«, protestierte Pedro.

    Der Fremde verpasste Pedro mit der freien Hand einen Schlag vor den Kopf. Der Uhrmacher taumelte zurück.

    »Raus damit, aber schnell!«, befahl der Gangster.

    Der Alte wischte sich das Blut von den Lippen.

    »Schon recht, Señor«, sagte er. »Ich muss mir dazu einen Schraubenzieher und einen Silbermeißel holen.«

    »Mach schnell, mach schnell«, befahl der Gangster brutal.

    Pedro setzte den Meißel an der ersten Silberblume an. Es war, als müsse er einen Teil seines eigenen Herzens herausreißen. Er sah den rohen Fremden bittend an.

    »Ich kann es nicht tun, Señor, bitte! Ich kann nicht!«

    Der andere hob drohend die Hand, und im Verstand des harmlosen Alten klinkte irgendetwas aus. Er warf sich auf das große, unrasierte Individuum, das ihm befohlen hatte, sein Lebenswerk zu zerstören, und schlug mit dem Silbermeißel nach ihm. Er hinterließ einen klaffenden Riß im Arm «des Mannes, verfehlte jedoch Venen und Arterien.

    »Du alter Narr! Du bist wohl verrückt! Schau, was du getan hast!«, knirschte der Gangster. Er schlug mit dem Revolverknauf nach dem Kopf des alten Mannes. Der Sicherungshebel war dick und hart. Er bohrte sich mit einem unangenehm knirschenden Laut in Pedro Gordinis Schädeldecke. Der alte Uhrmacher fiel zu Boden und rührte sich nicht mehr. Langsam breitete sich eine Blutlache um seinen zerschmetterten Schädel aus. Seine Augen öffneten sich plötzlich, zuckten krampfhaft noch ein- oder zweimal, dann wurden sie starr. Das Blut floss immer noch. Der Fremde beugte sich über den alten Gordini.

    »Jetzt ist es also doch so weit gekommen«, murmelte er halb zu der Leiche und halb zu sich selbst. Es war kein Puls, kein Herzschlag mehr zu spüren...

    Er wischte das Blut am Sicherungshebel der schweren Automatik sorgfältig an dem Arbeitskittel des alten Uhrmachers ab. Sein zorniger Blick streifte die gewaltige Standuhr. Es war jetzt keine Zeit mehr, das Silber herauszubrechen. Wenn man ihn jetzt erwischte, war er reif für den Galgen. Und selbst für einen Gangster ist ein Stück mit einem Galgen nicht die Art von Trauerspiel, in dem er eine Hauptrolle übernehmen möchte.

    Der große unheimliche Fremde zog sich den Hut tiefer ins Gesicht und trat aus dem kleinen Laden, der sich so tragisch verändert hatte. Schnell und unerkannt ging er an den verdunkelten Häusern vorbei. Spanische Dorfbewohner gehen früh zu Bett. Keiner war zu sehen. Er kam zu einem großen ausländischen Wagen, schaltete das Standlicht ein und fuhr langsam aus dem Dorf hinaus, bevor er die Scheinwerfer voll aufblendete.

    Die Ortspolizei tat ihr Bestes. Die Gendarmerie untersuchte alles, so gut sie es nur konnte, aber es gab keine Indizien. Der Fremde war ein Profi gewesen. Er war ein Mann, für den Besitz nicht neun, sondern zehn Zehntel des Gesetzes darstellte. Was er wollte, das nahm er sich und entriss es dem rechtmäßigen Besitzer unter Einsatz aller Mittel, die ihm zur Verfügung standen. Er war ein Mann, dem außer der Erfüllung seiner Impulse und der Befriedigung seiner Wünsche und Triebe nichts etwas bedeutete. Er war vollkommen und absolut egozentrisch. Die Rechtfertigung dessen, was er tat, war kein Problem für sein Gewissen - sofern er so etwas überhaupt besaß. Sein Über-Ich spielte seine melancholischen Weisen in einem so leisen Pianissimo, dass sie für seine aggressiven tierischen Sinne und Besitzinstinkte praktisch unhörbar waren.

    Die Jahre vergingen, und Pedro Gordini verblasste aus den Erinnerungen aller, von einigen seiner liebsten und engsten Freunde abgesehen. Pedro Gordini ging in das Schattenregiment der Opfer ungelöster Verbrechen ein. Die große Uhr wurde zusammen mit den anderen Besitztümern des alten Mannes versteigert und kam in die Hände eines spanischen Privatsammlers.

    Weitere Jahre vergingen, und die Uhr wechselte ihren Besitzer. Diesmal gelangte sie in eine französische Sammlung. Die Verhältnisse des französischen Sammlers verschlechterten sich, wie es allen Menschen dann und wann ergeht, und die Uhr wurde erneut versteigert. Diesmal hatte sie es schon zu einer gewissen Berühmtheit gebracht, und so wurde sie von einem Agenten zweifelhaften Rufes erworben, der das lukrative Geschäft betrieb, Antiquitäten in die Vereinigten Staaten zu exportieren.

    Louis Maxaldo hatte ein großes, teures Anwesen in Beverley Hills. Louis Maxaldo gehörte nicht zur High Society von Beverley Hills. Dies war keineswegs so, weil die feine Gesellschaft unfreundlich, versnobt oder hochnäsig gewesen wäre. Louis gehörte nicht zu den Menschen, die in einer feinen Gesellschaft gern gesehen wurden. Maxaldo hatte einen Ruf, der stank wie die Drüsen eines Stinktiers. Man kannte Maxaldo von einem Ende des Landes bis zum andern, von Alaska bis Texas, von Neuengland bis Kalifornien. Man betrachtete Louis Maxaldo so ungefähr als das widerlichste Exemplar, das je über den stolzen Boden des Mutterlandes der Demokratie geschritten war.

    Louis hatte einen Stab von Rechtsanwälten. Niemand arbeitete gern für Louis, aber einige Männer haben eben ihren Preis. Louis bot mehr - verdammt viel mehr - als jeder andere Auftraggeber, und für das Geld, das er zahlte, waren manche Männer bereit, einige ihrer Prinzipien zu opfern.

    Louis hatte nicht nur Rechtsanwälte auf seiner Gehaltsliste, sondern auch Bankiers und Wirtschaftsbosse. Louis Maxaldo hatte sich ein Imperium aufgebaut. Dieses Imperium hatte seinen Anfang genommen, nachdem Louis in Europa in einige unangenehme Sachen verwickelt worden war und sich nach Amerika abgesetzt hatte. Jetzt umfasste das Netz dieses Verbrecherkönigs illegales Glücksspiel, Rauschgift, organisierte Erpressung und alles andere, was für ihn Gewinn abwarf, für den Rest der Menschheit aber schädlich war. Wenn es irgendwo ein krummes Geschäft gab und es groß genug war, war die Chance hundert zu eins, dass Maxaldo irgendwie seine Finger drin hatte. Es gab keinen krummen Kuchen, aus dem Maxaldo sich nicht die Rosinen herauspickte.

    Weil der große Boss von der anständigen Gesellschaft verachtet wurde, musste er sich selbst beweisen, dass er über der Gesellschaft stand. Er musste versuchen, seinen verdrehten, pervertierten kleinen Verstand davon zu überzeugen, dass er es war, der die Gesellschaft verachtete und nicht umgekehrt. Maxaldo musste beweisen, dass er es war, der über den anderen stand - und nicht umgekehrt. Wenn eines Menschen Verstand hinreichend verdreht ist, wenn eines Menschen Prinzipien genügend oft mit Gewalt zum Schweigen gebracht worden sind, dann kann er sich fast alles einreden... fast. Denn Maxaldo war immer noch nicht völlig zufrieden. Eine seiner Kompensationen war seine fanatische Sammelleidenschaft. Wenn ein wertvoller Kunstgegenstand verschwand, bestand eine gute Chance, dass er schließlich über einen oder zwei zwielichtige Händler seinen Weg in Maxaldos Privatsammlung fand. Zwielichtige Händler im Kunstgeschäft waren selten, aber es gab sie - leider - doch. Und Maxaldos lange Nase, die er zu oft in schmutzige Sachen gesteckt hatte, war sehr wohl in der Lage, sie herauszuriechen.

    In einer weniger taktvollen Gesellschaft gibt es den Spruch, dass es ein Stück verfaulten Fisch braucht, um ein anderes zu erkennen. Maxaldo war sicher dazu fähig, die wenigen unehrlichen Kunst- und Antiquitätenhändler aufzuspüren, wenn er auf sie traf. Es schien da etwas zu geben, was sie aus einem ansonsten ehrenhaften und ästhetischen Gewerbe heraushob. Der Agent, der die riesige unvollendete Uhr des längst verstorbenen Pedro Gordini gekauft hatte, gehörte zu den Leuten, von denen Walpole, ein englischer Premierminister des 18. Jahrhunderts, gesagt hätte: »Er hat seinen Preis.« Der Preis war hoch, aber er lag innerhalb der Reichweite von Louis Maxaldos Brieftasche.

    Louis hatte verschiedene abgebrühte Agenten an der Hand, die wie Marionetten tanzten, wenn er die magischen Schnüre des Geldes zog. Wenn Louis an den Schnüren zog, wurden Kontakte hergestellt. Die Uhr hätte eigentlich auf völlig legale Weise und durch völlig normale Kanäle erworben werden können. Aber Maxaldo war es derart gewohnt, auf illegale Weise an Dinge zu kommen, dass er die Gewohnheit jetzt unmöglich durchbrechen konnte. So durchlief die spanische Uhr eine seltsame Kette von undurchsichtigen Händlern und zweifelhaften Agenten der Unterwelt...

    Der Sammlertrieb und die fanatische Habsucht brannten wie eine sengende Flamme tief in Louis Maxaldos Seele, so dass er sich manchmal gar keine Gedanken darüber machte, was er jetzt eigentlich erwarb. Alles, was der Agent ihm gesagt hatte, war, dass eine Uhr und zwar, soweit der Agent wusste, eine einzigartige Uhr, zu ihm unterwegs war. Wenn sie einzigartig war, genügte das Louis Maxaldo schon. Er war ein großer, breitschultriger Mann in den frühen Sechzigern. Der größte Teil seines Haares war ausgefallen, aber seine dicken, stoppeligen Wangen waren mehr als ein Ausgleich für den Mangel an Dekoration und Haarwuchs auf dem oberen Teil seines Kopfes. Seine Augen funkelten so wild wie immer. Big Louis Maxaldo hatte sich die Jahre über nicht verändert. Er war derselbe gewissenlose Gangster geblieben, der er immer gewesen war.

    Das Telefon läutete. Es war an ein privates Netz angeschlossen.

    »Yeah. Hier ist Big Louis. Wer ist da? Was willst du?«

    »Hier Johnny Levine, Boss, Ihr Agent.«

    »Ja, Johnny, was gibt's?«

    »Die Schiffsladung aus Europa, die Sie erwarten, ist soeben eingetroffen.«

    »Schick sie her!«

    »Klar, Boss! Der übliche Lieferwagen?«

    »Der übliche Wagen.«

    Der Lieferwagen kam pünktlich an und wurde unter Big Louis' Adleraugen entladen. Die Uhr war in einer riesigen Kiste verpackt, und mehrere Stunden harte Arbeit waren notwendig, um die Verpackung zu entfernen. Sechs Männer waren nötig - und Maxaldos Männer waren große, harte Kerle -, um sie hereinzutragen.

    Big Max legte selbst mit Hand an, als sie das Ding aufstellten. Die Uhr war sechzehn Fuß hoch und entsprechend breit. Max' Räume hatten sehr hohe Decken; denn sein Landsitz in Beverley Hills glich mehr einem mittelalterlichen Schloss als einem modernen Haus. Big Max liebte eben alles im großen Stil. Er sah sich die Uhr mit offensichtlicher Zufriedenheit an.

    Sehr leise und wie aus weiter Ferne begann sich in Louis Maxaldos Gehirn die undeutliche, fast unhörbare Stimme des Gedächtnisses zu regen. Hatte er diese Uhr nicht schon irgendwo einmal gesehen? Aber das war unmöglich! Er musste sich das einbilden. Doch eine solche Uhr bildete man sich nicht ein. Es war nicht die Art von Uhr, die man leicht vergaß.

    Big Louis gehörte zu den Menschen, die sich an ihren Neuerwerbungen weiden. Das war bei ihm wiederum ein Ausgleich dafür, dass die Gesellschaft ihn nicht akzeptierte. Er stand noch vor der Uhr und sah sie sich an, als seine Männer schon zum Wagen zurückgegangen waren.

    »Du gehörst mir«, sagte er. Er trat an seine Neuerwerbung heran und schlug mit der flachen Hand gegen den hölzernen Kasten. »Du gehörst mir! Ist das klar? Du gehörst mir, und ich bin Big Louis Maxaldo!«

    »Tick-tock, tick-tock.« Die Uhr schien von ihrem neuen Besitzer überhaupt nicht beeindruckt zu sein. Maxaldo betrachtete sie von allen drei Seiten - die vierte schloss mit der Wand ab - und aus verschiedenen Winkeln. Er sog sie mit den Augen aus verschiedenen Positionen in sich ein.

    »Jawohl«, sagte er weiter. »Ich bin Big Louis Maxaldo, und ich kann alles kaufen und verkaufen, was ich will! Alles! Es gibt nichts, womit Big Louis nicht fertig wird! Nichts!« Er blickte empor. »Du bist groß, und du bist wertvoll, aber du bist nicht so groß oder so wertvoll wie Big Louis Maxaldo! Ich bin der einzige in diesem ganzen Staat - der einzige in den ganzen Vereinigten Staaten -, der eine Uhr wie dich hat. Das macht mich zu etwas. Aber du verstehst das ja sowieso nicht. Du bist bloß ein Ding aus Holz und Metall, Pendeln und Federn; du weißt nicht, wovon ich rede. Aber wenn du es wüsstest, wärest

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