Mutter hat mich verlassen: Sophienlust Bestseller 138 – Familienroman
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Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird.
Langsam senkte sich der Sarg mit den sterblichen Überresten Herta Feldmanns in die Grube, die man im hartgefrorenen Erdreich ausgehoben hatte. Max Feldmann erschauerte. Er fror, aber dieses Frieren hatte nichts mit der klirrenden Kälte, die auf dem Friedhof herrschte, zu tun. Seine Blicke glitten über die anderen Trauergäste und blieben schließlich an einem nahestehenden Grabstein haften. Goldene Buchstaben auf schwarzem Marmor: »Requiscat in pace.« Latein war eine Sprache, an der Max Feldmann seit früher Jugend mit besonderer Liebe hing, die auch seine Berufswahl bestimmt hatte. Die Worte geisterten in seinem Kopf herum. Hatte Herta nun ihren Frieden gefunden? War es überhaupt möglich, dass die Seele einer Mutter, die ein sechsjähriges Kind zurückgelassen hatte, Frieden fand? War sie nicht dazu verdammt, ruhelos herumzuirren? Allerlei Leute drückten die Hand des Witwers und murmelten Beileidsfloskeln. Dann ein derber Schlag auf Max' Schulter. »Kopf hoch, alter Knabe. Du darfst jetzt nicht verzweifeln.« Das war typisch für Dieter Bauer, dessen herzhafte und laute Stimme schlecht in die düstere Umgebung passte. Trotzdem war Max ihm dankbar. Dieter hatte die unsichtbare Mauer, die zwischen ihm und den übrigen Anwesenden bestanden hatte, durchbrochen. Hoffnungsvoll sah Max jetzt zu Birgit, Dieters Frau und Hertas bester Freundin, hinüber. Birgit gegenüber hatte Herta keine Geheimnisse gehabt. Vielleicht wusste sie, in welchem seelischen Zustand sich Herta befunden hatte?
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Sophienlust Bestseller
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Buchvorschau
Mutter hat mich verlassen - Elisabeth Swoboda
Sophienlust Bestseller
– 138 –
Mutter hat mich verlassen
Elisabeth Swoboda
Langsam senkte sich der Sarg mit den sterblichen Überresten Herta Feldmanns in die Grube, die man im hartgefrorenen Erdreich ausgehoben hatte. Max Feldmann erschauerte. Er fror, aber dieses Frieren hatte nichts mit der klirrenden Kälte, die auf dem Friedhof herrschte, zu tun. Seine Blicke glitten über die anderen Trauergäste und blieben schließlich an einem nahestehenden Grabstein haften. Goldene Buchstaben auf schwarzem Marmor: »Requiscat in pace.«
Latein war eine Sprache, an der Max Feldmann seit früher Jugend mit besonderer Liebe hing, die auch seine Berufswahl bestimmt hatte. Die Worte geisterten in seinem Kopf herum. Hatte Herta nun ihren Frieden gefunden? War es überhaupt möglich, dass die Seele einer Mutter, die ein sechsjähriges Kind zurückgelassen hatte, Frieden fand? War sie nicht dazu verdammt, ruhelos herumzuirren?
Allerlei Leute drückten die Hand des Witwers und murmelten Beileidsfloskeln. Dann ein derber Schlag auf Max’ Schulter. »Kopf hoch, alter Knabe. Du darfst jetzt nicht verzweifeln.«
Das war typisch für Dieter Bauer, dessen herzhafte und laute Stimme schlecht in die düstere Umgebung passte. Trotzdem war Max ihm dankbar. Dieter hatte die unsichtbare Mauer, die zwischen ihm und den übrigen Anwesenden bestanden hatte, durchbrochen. Hoffnungsvoll sah Max jetzt zu Birgit, Dieters Frau und Hertas bester Freundin, hinüber. Birgit gegenüber hatte Herta keine Geheimnisse gehabt. Vielleicht wusste sie, in welchem seelischen Zustand sich Herta befunden hatte? Doch Birgit Bauer wich seinem Blick aus. Sie senkte die Augen, biss sich auf die Lippen und trat einen Schritt zurück.
Also auch Birgit. Max seufzte. Birgit Bauer verurteilte ihn ebenso wie die übrigen Trauergäste. Seine Schwiegereltern hatten kein Wort mit ihm gewechselt, doch die Blicke, die sie ihm zuwarfen, sagten genug. Sie drückten gehässige Feindseligkeit aus.
Harte Erdbrocken fielen auf den Sarg. Die Totengräber schaufelten bereits das Grab zu. Noch immer konnte Max kaum fassen, dass Herta da unten lag. Herta, deren beinahe krankhafte Lebensgier ihm manchmal sehr auf die Nerven gegangen, war nun tot. Warum gerade Herta? Ausgerechnet sie, die stets eine überschäumende Lebendigkeit aufgewiesen hatte. In letzter Zeit, allerdings …
»Sie war sonderbar und launenhaft.«
Max blickte erschrocken auf. Hatte er soeben laut seine Gedanken ausgesprochen? Nein, die Mienen der anderen drückten noch die gleiche zurückhaltende Verschlossenheit aus wie zu Beginn der Zeremonie, als sie die in Max schlummernden Schuldgefühle aufs Neue geweckt hatten. Schuld? Wo lag sie? Bei wem?
In früheren Jahrhunderten hatte man Selbstmörder in aller Stille außerhalb des Friedhofs verscharrt. Heutzutage verhielt sich die Kirche toleranter. Der Pfarrer hatte vorhin von einer plötzlichen geistigen Verwirrung gesprochen, und Max klammerte sich trotz besseren Wissens an diese Worte des Priesters.
Eine plötzlich geistige Verwirrung – wenn es doch so gewesen wäre. Aber Hertas ganzes Wesen sprach gegen diese Annahme. Ihre Handlungen waren stets logisch und vernünftig gewesen. Nur ihr Tod bildete eine Ausnahme.
Seit Max seine Frau vor acht Tagen mit durchschossenem Kopf im Schlafzimmer gefunden hatte, zermarterte er sich das Gehirn nach ihren Beweggründen für den Freitod. Hatte sie gefühlt, dass er sich innerlich im Lauf der Jahre immer mehr von ihr entfernt hatte? Wenn ja, so hatte sie sich nichts davon anmerken lassen. Außerdem hatte er selbst seine Gefühle ständig unter Kontrolle gehalten, um ihr seine wachsende Abneigung, die manchmal sogar in Widerwillen gipfelte, nicht zu zeigen. Bis vor einer Woche hatte er angenommen, dass ihm das auch gelungen sei.
Herta war kein empfindsamer Mensch gewesen. Sie hatte ihn zwar mit Vorwürfen geplagt, aber das hatte sie seit Beginn ihrer Ehe getan, und damals hatte er sie noch bedingungslos geliebt. Erst nach und nach war ihm klar geworden, dass Herta und er sowohl im Charakter als auch in ihren Lebenserwartungen völlig verschieden waren. Katharina war zur Welt gekommen, und dem Kinde zuliebe hatte er sich bemüht, das Beste aus seiner Ehe zu machen. Er war soweit wie möglich auf Hertas Wünsche eingegangen, war bestrebt gewesen, seine Lebensweise der ihren anzupassen. Aber natürlich hatte er nicht immer sein eigentliches Wesen verleugnen können. Zwangsläufig war es deshalb zu Auseinandersetzungen gekommen.
Max Feldmann war Studienrat. Er unterrichtete am Maibacher Gymnasium die Fächer Deutsch und Latein. Er liebte seinen Beruf und seine Schüler und pflegte sich gewissenhaft auf seine Stunden vorzubereiten, was Herta stets achselzuckend zur Kenntnis genommen hatte. Kein Verständnis hatte sie jedoch dafür aufbringen können, dass Max einen großen Teil seiner Freizeit seinen Schülern widmete. Er übte mit ihnen Theateraufführungen ein und hatte für die Probleme der jungen Leute immer ein offenes Ohr. Herta hatte oft geklagt, dass ihm seine Schüler mehr am Herzen lägen als seine Familie. Noch mehr aber hatte es sie geärgert, wenn er sich am Abend bequem in einen Sessel gesetzt, ein Buch oder eine Zeitschrift zur Hand genommen und sich darin vertieft hatte. Herta wollte ausgehen, tanzen, unter Leute kommen und sich amüsieren. Seinen Hinweis, dass er die kleine Katharina am Abend nicht allein lassen wollte, hatte sie stets mit der Bemerkung abgetan, dass sich eine Menge seiner Schüler darum reißen würden, bei Katharina Babysitter zu spielen.
»Daheim bleiben und in der Stube hocken kann ich auch dann noch, wenn ich alt bin«, hatte Herta zu sagen gepflegt. »Jetzt bin ich jung und möchte etwas vom Leben haben.«
Meistens hatte Max nachgegeben, sein Buch aufseufzend weggelegt und einen Babysitter angerufen. Dann war er mit Herta ausgegangen. Oft genug war das für ihn ein Opfer gewesen, doch das hatte Herta nicht eingesehen. Sie hatte den Haushalt und das Kind versorgt. Beides waren Tätigkeiten, für die sie nicht allzu viel übrig gehabt hatte. Hatte sie nicht auch ein Recht auf Abwechslung und Zerstreuung?
Um des lieben Friedens willen hatte Max es ihr zugestanden. In seinem Jugendfreund Dieter Bauer und dessen Frau Birgit hatte Herta verwandte Seelen gefunden. Die beiden Ehepaare hatten sich eng aneinander angeschlossen. Birgit war kinderlos. Sie hatte die kleine Katharina bald liebgewonnen und sich daran gewöhnt, sie zu beaufsichtigen, wenn Herta ihren Nähkurs oder zum Friseur oder zur Kosmetikerin musste.
Es kränkte und verletzte Max, dass auch Birgit an seine Schuld seinerseits zu glauben schien. Sie wenigstens musste doch wissen, dass er seiner Frau niemals Grund zu einer derartigen Verzweiflungstat gegeben hatte. Hatte Birgit denn nicht bemerkt, dass er immer, auch gegen seine innere Überzeugung, auf Hertas Wünsche eingegangen war? Nein, seinetwegen hatte Herta nicht Selbstmord begangen. Die Schuldgefühle, die ihn plagten, waren rein privater Natur. Niemand außer ihm selbst konnte wissen, dass seine Liebe zu Herta längst erkaltet war. Sicher hatte auch Herta davon nichts bemerkt. Dazu war sie einerseits viel zu wenig sensibel und andererseits zu sehr von sich eingenommen gewesen.
Nur in der letzten Zeit und in den letzten Wochen vor ihrem Tod war Herta anders gewesen. In den Weihnachtsferien, die sie zu Hause verbracht hatten, war sie ihm seltsam ruhelos vorgekommen. Nichts hatten er und Katharina ihr recht machen können. Entweder war Herta ausgelassen und lustig gewesen – oder sie hatte in einem Winkel gehockt und apathisch vor sich hin gestarrt. Auf seine besorgten Fragen, ob sie sich nicht wohl fühle, hatte sie barsch geantwortet, dass er sie gefälligst in Ruhe lassen und sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern sollte.
Nach den Ferien war zu ihrem schwankenden Gemütszustand noch eine bis dahin nie gekannte Nervosität gekommen. Um sie aus diese für ihn unbegreiflichen Stimmungen herauszureißen, hatte Max einmal vorgeschlagen, Hertas Lieblingslokal zu besuchen. Doch zu seiner Verwunderung hatte sie abgelehnt. Sie hatte keine Lust gehabt, das Einfamilienhaus am Stadtrand von Maibach, das sie bewohnten, zu verlassen. Sogar beim Läuten des Telefons war sie ängstlich zusammengezuckt, hatte ihm aber keine Erklärung für dieses sonderbare Verhalten gegeben.
Katharina gegenüber war Herta in diesen Tagen von einer überströmenden Zärtlichkeit gewesen. Am Abend hatte sie am Bett des Kindes gesessen, bis es eingeschlafen war. Das hatte sie früher niemals getan.
Waren das alles Anzeichen einer beginnenden geistigen Verwirrung gewesen, die schließlich zu der unerklärlichen Tat geführt hatte? Max fand keine Antwort auf diese Frage. Seit einer Woche grübelte er darüber nach und kam zu keinem Ergebnis. Er stand vor einem Rätsel. Die Außenstehenden schienen ihn zu verurteilen – zwar nicht anklagend und lautstark, sondern fast unmerklich, indem sie sich von ihm zurückzogen und ihm nur leere, nichtssagende Phrasen zukommen ließen. Max konnte ihnen das nicht einmal verargen. War es nicht naheliegend, dass er, der Ehemann der Toten, etwas getan hatte, was sie zu der schrecklichen Tat getrieben hatte? Nur er allein wusste, dass es nicht so war.
Am ehesten brachten ihm noch seine Kollegen und Schüler Verständnis entgegen. Das waren die Leute, die ihn am besten kannten, die ihm nichts Böses zutrauten. Seine Tochter Katharina hatte das, was vorgefallen war, nicht begriffen. Sie glaubte, dass ihre Mutter krank sei und eines Tages wiederkommen würde. Dass es für Herta Feldmann keine Wiederkehr gab, ahnte sie nicht. Beim