Schicksalsnacht in Venedig
Von Chantelle Shaw
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Über dieses E-Book
"Mein Privatjet steht aufgetankt am Flughafen. Bitte seien Sie in fünf Minuten abreisebereit." Ungläubig starrt Jess den stolzen Italiener aus der schwerreichen Cassari-Dynastie an. Sie soll ihn nach Venedig begleiten, wo sein Bruder - ihr Mitbewohner - im Krankenhaus liegt? Sie hat doch in England zu tun! Aber Drago Cassari ist nicht nur umwerfend attraktiv, sondern auch unbeugsam: Kaum in der Lagunenstadt angekommen, bringt er Jess in seinen hochherrschaftlichen Palazzo am Canal Grande. Wo Jess in einer schicksalhaften Nacht erfährt, was Drago wirklich von ihr will …
Chantelle Shaw
Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs. Chantelle Shaw entdeckte die Liebesromane von Mills & Boon, die sie schon aus ihrer Jugend kannte, in den ersten Jahren als Mutter neu. Während ihrer unfreiwillig nachtaktiven Zeit, hatte sie häufig ein Baby im Arm und ein Buch in der anderen Hand. In ihrer Freizeit fing Sie an, eigene Geschichten zu schreiben. Mills & Boon lehnte ihre ersten Entwürfe ab, ermutigte sie aber weiter zu machen. Doch als Mutter von sechs Kindern, die auch noch halbtags arbeitete, blieb ihr kaum Zeit. Erst 20 Jahre später begann sie wieder ernsthaft zu schreiben, als sie versuchte über den Tod ihrer Mutter hinweg zu kommen. Sie konnte sich in die Welten in ihrem Kopf flüchten und so für einige Zeit ihre Trauer vergessen. Seit dieser Zeit mag Chantelle Shaw Liebesromane noch mehr als zuvor, denn kein anderes Genre verleiht seinen Lesern ein ähnliches Gefühl von Glück und Entspannung. Sie liebt es, starke, entschlossene und sexy Helden zu kreieren, die letztendlich das große Glück und die Liebe finden. Das Schreiben nimmt ihre meiste Zeit ein, aber wenn sie einen freien Kopf braucht, geht sie in ihren Garten oder spazieren. Manchmal wünschte sie sich nur, dass sie auch von der Hausarbeit einen freien Kopf bekommen würde.
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Schicksalsnacht in Venedig - Chantelle Shaw
Chantelle Shaw
Schicksalsnacht in Venedig
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
© 2013 by Chantelle Shaw
Originaltitel: „Captive in his Castle"
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2113 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Marianne Wienert
Fotos: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format in 02/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733700317
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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1. KAPITEL
„Wer zum Teufel ist Jess?"
Frustriert strich sich Drago Cassari das schwarze Haar aus der Stirn und betrachtete mit zunehmender Besorgnis die reglose Gestalt seines Cousins. Angelos Gesicht war aschfahl, und nur das kaum wahrnehmbare Heben und Senken des Bettlakens bewies, dass er am Leben war. Seit drei Tagen – seitdem man ihn aus dem zertrümmerten Auto gezogen hatte – lag er ohne Bewusstsein auf der Intensivstation des Krankenhauses in Mestre, einem Stadtteil Venedigs auf dem Festland. Zumindest musste er nicht länger künstlich beatmet werden, und vor einer halben Stunde hatte es ein erstes Anzeichen gegeben, dass Aussicht auf Besserung bestand. Er hatte etwas vor sich hin gemurmelt, einen Namen – Jess.
„Wisst ihr, wen er meint? Fragend sah Drago zu seiner Mutter und seiner Tante hinüber, die, in Tränen aufgelöst, auf der anderen Bettseite standen. „Ist sie eine seiner Bekannten in London?
Tante Dorotea – Angelos Mutter – schluchzte. „Ich weiß nicht, wer sie ist. In letzter Zeit habe ich kaum mit ihm gesprochen, weil sein Handy ständig abgestellt war. Als ich ein paar Tage vor dem …, ihre Stimme zitterte, „… vor dem Unfall endlich durchkam, hat er kaum etwas gesagt. Nur, dass er nicht mehr aufs College geht und bei einer Jess Harper wohnt.
„Vermutlich ist sie seine Geliebte." Die Nachricht, dass sein Cousin den Betriebswirtschaftskurs an einer Privatschule in London abgebrochen hatte, war für Drago keine große Überraschung. Mit sieben hatte der Junge den Vater verloren, und seine Mutter war viel zu nachsichtig mit ihm. Allem, was nach Arbeit aussah, ging Angelo geflissentlich aus dem Weg. Weit mehr überraschte ihn, dass er mit einer Frau zusammenlebte, denn was das schöne Geschlecht betraf, so war er von geradezu krankhafter Schüchternheit. Anscheinend hatte sich das geändert.
„Hat er dir gesagt, wo man ihn erreichen kann? Wir sollten mit dieser Jess Harper Verbindung aufnehmen, damit sie ihn besuchen kommt. Er wandte sich an den Neurologen, der ebenfalls am Bett des Patienten stand. „Glauben Sie, der Klang ihrer Stimme könnte dazu beitragen, dass mein Cousin das Bewusstsein wiedergewinnt?
„Möglich ist es, erwiderte der Arzt bedächtig. „Wenn er ihr nahesteht, könnte es durchaus sein, dass er reagiert.
„Ich bin nicht sicher, dass es eine gute Idee ist, die … die Person nach Venedig kommen zu lassen, widersprach Tante Dorotea. „Ich fürchte, sie hat einen schlechten Einfluss auf Angelo.
Drago runzelte die Stirn. „Wenn sich sein Zustand durch ihre Anwesenheit bessern könnte, muss sie so schnell wie möglich herkommen. Wie kommst du darauf, dass sie einen schlechten Einfluss auf ihn hat?"
Geduldig wartete er, als Tante Dorotea erneut in Tränen ausbrach. Die Ärmste war vor Sorge um ihren Sohn fast außer sich. Ihm selbst erging es kaum besser. Nach der Operation, mit der die Ärzte die Hirnblutung zum Stillstand gebracht hatten, konnte niemand sagen, wann und in welcher Verfassung Angelo aus dem Koma aufwachen würde. Sein Cousin war noch so jung, erst zweiundzwanzig, und im Gegensatz zu ihm selbst im gleichen Alter in vieler Hinsicht noch ein Kind.
Der Tod seines Vaters und seines Onkels – beide waren während eines Skiurlaubs in einem Lawinenunglück ums Leben gekommen – hatte Drago vor fünfzehn Jahren von einem Tag auf den anderen an die Spitze des Familienunternehmens und damit in die Welt des Big Business katapultiert. Mit zweiundzwanzig hatte er sich bereits im erbarmungslosen Konkurrenzkampf von Großunternehmen behaupten und gleichzeitig die Pflichten eines Familienoberhaupts übernehmen müssen, unter anderem die eines Ersatzvaters für Angelo.
Ihn jetzt in diesem Zustand zu wissen, schnitt ihm ins Herz. Das Warten und die Angst, der Gehirnschaden könnte irreparabel sein, waren die reinste Tortur. Als Mann der Tat war er gewohnt, jede Situation im Griff zu haben, aber in diesen letzten drei Tagen hatte er sich hilflos wie ein Kind gefühlt. Er wünschte, er könnte Tante Dorotea und seiner Mutter versprechen, dass alles gut werden würde, aber Zauberkräfte besaß er nicht. Was er besaß, war der Name einer Frau, die vielleicht helfen konnte.
Jetzt strich Luisa Cassari ihrer Schwägerin besänftigend über den Rücken. „Du solltest Drago erklären, weshalb du wegen dieser Engländerin Bedenken hast, Dorotea. Sag ihm, was Angelo getan hat."
Drago zog die Brauen hoch. „Was hat Angelo getan, Tante Dorotea?"
„Er … er hat ihr Geld gegeben, sehr viel Geld. Die gesamte Erbschaft, die ihm sein Vater hinterlassen hat. Sie unterdrückte einen Schluchzer. „Und das ist noch nicht alles – Jess Harper ist vorbestraft.
„Woher weißt du das?"
„Angelos Finanzberater und ehemaliger Vermögensverwalter Maurio Rochas hat mich angerufen. Er sagte, obwohl er damit das Bankgeheimnis verletzt, fühle er sich verpflichtet, mir mitzuteilen, dass Angelo den vollen Betrag seiner Erbschaft vom Konto abgehoben hat. Als ich ihn – ich meine Angelo – bei unserem letzten Telefongespräch gefragt habe, was er damit gemacht hat, ist er mir ausgewichen und war nicht gerade höflich. So hat er noch nie mit mir gesprochen, fügte sie in gekränktem Ton hinzu. „Schließlich gab er zu, dass er das Geld seiner Vermieterin, dieser Jess Harper, geliehen hat. Warum und für welchen Zeitraum, darüber hat er sich nicht ausgelassen.
Drago schwieg. Er wusste, dass der Großteil von Angelos Erbe in Aktien und Investments angelegt war, aber er kannte auch die beträchtliche Summe des Barvermögens, über das sein Cousin verfügte und welches er offenbar dieser Person ausgehändigt hatte. Kein Wunder, dass Tante Dorotea Bedenken hatte.
„Mir kam es eindeutig vor, dass er mir etwas verheimlicht, fuhr sie fort. „Deshalb rief ich Maurio noch einmal an. Er sagte, dass er in Angelos Interesse ein paar Nachforschungen angestellt und dabei herausgefunden hat, dass die Frau vor mehreren Jahren wegen Betrug verurteilt wurde.
Drago fluchte und erntete dafür einen vorwurfsvollen Blick seiner Mutter. Aber gab es nicht allen Grund, frustriert zu sein? Manchmal wünschte er fast, er wäre ohne Verwandtschaft. Er selbst hatte seinem Cousin vorgeschlagen, in London zur Schule zu gehen, weil er der Meinung war, etwas mehr Selbstständigkeit würde ihm guttun. Und das war nun das Ergebnis!
„Idiot!", murmelte er erbittert – leider nicht leise genug für Tante Doroteas feines Gehör.
„Wie kannst du nur so gefühllos sein? Noch dazu jetzt, wo sein Leben auf dem Spiel steht? Wer weiß, was für rührseliges Zeug diese Jess ihm vorgelogen hat, und weichherzig wie er ist, hat er ihr natürlich geglaubt. Er ist jung und, das gebe ich zu, ein bisschen naiv, aber kein Idiot. Hast du vergessen, wie du vor Jahren von dieser Russin reingelegt wurdest? Deinetwegen hätte Cassa di Cassari damals fast Bankrott gemacht."
Drago knirschte innerlich mit den Zähnen, als Tante Dorotea ihn an den beschämendsten Abschnitt seines Lebens erinnerte.
Nur ein Jahr älter als Angelo jetzt, war er dem Charme der schönen Natalia Yenko mit ihren exotischen Zügen und ihrer aufregenden Figur erlegen. Das Versprechen in ihren dunklen Mandelaugen hatte über Geschäftssinn und gesunden Menschenverstand gesiegt und ihn veranlasst, die Vorstandsmitglieder von Cassa di Cassari – die Kaufhauskette für Luxushaushaltswaren, die sein Urgroßvater als kleines Familiengeschäft gegründet hatte – zu überreden, einen Millionenbetrag in Natalias Unternehmen zu investieren. Wie sich herausstellte, war er einer Hochstaplerin auf den Leim gegangen, mit dem Ergebnis, dass man ihn um ein Haar seines Postens als Vorstandsvorsitzender enthoben hätte.
Durch harte Arbeit war es ihm gelungen, das Vertrauen des Vorstands zurückzugewinnen, und heute gehörte Cassa di Cassari zu den erfolgreichsten Großunternehmen Italiens, mit Exportmärkten rund um den Globus. Bei der letzten Jahreshauptversammlung hatte er voll Stolz angekündigt, dass Aktien von Cassa di Cassari demnächst an der Börse gehandelt würden und der zu erwartende Erlös auf mehrere Milliarden Pfund geschätzt wurde. Es war der krönende Moment seiner Karriere gewesen, auf den er jahrelang unermüdlich hingearbeitet hatte – wenn auch auf Kosten eines Privatlebens. Aber davon wussten weder der Vorstand noch seine Angehörigen.
Drago schob den Gedanken beiseite – dies war nicht der Moment, um über Vergangenes nachzugrübeln. Erneut konzentrierte er sich auf den Zustand seines Cousins, und seine Besorgnis wuchs. Tante Dorotea würde den Verlust ihres einzigen Sohns nicht verwinden, sie war schon jetzt am Ende ihrer Kräfte. Wenn auch nur die geringste Aussicht bestand, dass diese Engländerin zu Angelos Besserung beitragen konnte, musste er veranlassen, dass sie nach Venedig kam. Und natürlich war da auch noch die Sache mit der Erbschaft seines Cousins – die Frau schuldete ihnen ein paar Erklärungen.
„Wohin gehst du?", fragte seine Tante ängstlich, als er sich umwandte und dem Ausgang zustrebte.
„Nach London, um Jess Harper ausfindig zu machen."
Den schweren Werkzeugkasten am Schulterriemen, eine Tüte mit Lebensmitteln auf dem Arm, schloss Jess die Tür zu ihrem Apartment auf, dann bückte sie sich nach der Post auf der Fußmatte. Sie warf einen Blick auf die drei Kuverts und stellte fest, dass es sich um zwei Rechnungen und ein Schreiben von der Bank handelte. Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus; aber dann fiel ihr ein, dass sie ja aus den roten Zahlen heraus war, und sie atmete auf. Würde sie sich jemals daran gewöhnen, schuldenfrei zu sein?
Die Tür zu Angelos Zimmer stand offen. Jess krauste die Stirn, als sie sah, dass es immer noch leer war. Drei Tage war er nun schon verschwunden, hatte weder angerufen, noch auf ihre Anrufe reagiert. Bestand Grund zur Besorgnis? Oder hatte er lediglich, wie so viele ihrer Aushilfskräfte, ohne Bescheid zu geben den Arbeitgeber gewechselt? Irgendwie bezweifelte sie das.
Angelo war anders als die übrigen Hilfsarbeiter, und nicht nur in seinem Wesen. Trotz gegenteiliger Versicherung hatte er keine Ahnung vom Anstreichen, dafür sprach er fließend Englisch, wenn auch mit starkem Akzent, und besaß eindeutig eine gute Schulausbildung. Er sei auf der Durchreise und obdachlos, hatte er bei der Einstellung erklärt. Seine sanfte Art erinnerte Jess an Daniel, ihren Freund aus dem Kinderheim, und vielleicht war das der Grund, weshalb sie ihm spontan ihr Gästezimmer als vorübergehenden Wohnsitz angeboten hatte. Dafür war Angelo so aufrichtig dankbar gewesen, dass sie sich einfach nicht vorstellen konnte, er würde ohne ein Wort des Abschieds auf und davon gehen. Außerdem hatte er fast sein gesamtes Hab und Gut zurückgelassen, sogar die heiß geliebte Gitarre.
Sollte sie ihn als vermisst melden? Jess kaute an der Unterlippe – mit dem Arm des Gesetzes hatte sie in der Vergangenheit keine gute Erfahrung gemacht. Das lag zwar schon etliche Jahre zurück, doch das Misstrauen von damals war geblieben. Andererseits … Was, wenn Angelo etwas passiert war? Vielleicht lag er in irgendeinem Krankenhaus, und niemand war da, um ihm zu helfen. Allzu gut wusste sie, wie es ist, wenn man auf der ganzen Welt keine Seele kennt, die sich um einen kümmert.
Wenn er sich morgen nicht meldet, benachrichtige ich die Polizei, nahm sie sich vor. Sie ging in die Küche, stellte die Tüte mit den Esswaren auf die Arbeitsfläche und fischte das Tiefkühlgericht heraus. Ihr Magen knurrte, denn sie hatte weder gefrühstückt noch zu Mittag gegessen. Bei der Lieferung von Anstrichfarben hatte es eine Verwechslung gegeben, und nun waren sie mit der Arbeit in Verzug – ein weiterer Grund, weshalb Angelos plötzliches Verschwinden so ungelegen kam. Er mochte nicht der beste Anstreicher auf Erden sein, aber im