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Witch Boy - Stadt der Hexen: Witch Boy, #2
Witch Boy - Stadt der Hexen: Witch Boy, #2
Witch Boy - Stadt der Hexen: Witch Boy, #2
eBook713 Seiten9 Stunden

Witch Boy - Stadt der Hexen: Witch Boy, #2

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Über dieses E-Book

Mit knapper Not hat es der junge Hexer Seth Morgan geschafft, die magische Quelle seiner neuen Heimatstadt zu beschützen. Doch ein normaler Teenager zu sein ist ihm nicht vergönnt, denn kurz darauf sorgt die Zerstörung einer benachbarten High School dafür, dass fremde Schüler nach Blackwood Springs kommen. Ihre Ankunft wird von Träumen und schrecklichen Vorkommnissen begleitet, sodass Seth sich fragen muss, ob der Kampf um die Quelle wirklich vorbei ist. Fieberhaft sucht er nach Antworten, doch als er endlich herausfindet, was seine Gegner planen, versinkt Blackwood Springs bereits im Chaos und er und seine Freunde müssen um ihr Leben fürchten ...

Weiter geht es in "Witch Boy - Stadt der Wölfe".

Und auch außerhalb von Blackwood Springs existiert das Übernatürliche: Düster und bedrohlich kämpft es sich aus den Abgründen der Menschlichkeit empor und es sind nicht gerade strahlende Helden, die uns zu retten versuchen. Finde mehr heraus in "Stitchers", dem ersten Teil der Spin Off-Reihe "Girls and Shadows"!

Lesereihenfolge:

Witch Boy - Stadt der Geister
Witch Boy - Stadt der Hexen
Witch Boy - Stadt der Wölfe

Stitchers (Girls and Shadows 1)
Bloody Mary (Girls and Shadows 2)

SpracheDeutsch
HerausgeberRomana Grimm
Erscheinungsdatum11. Sept. 2023
ISBN9798223536604
Witch Boy - Stadt der Hexen: Witch Boy, #2

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    Buchvorschau

    Witch Boy - Stadt der Hexen - Romana Grimm

    Witch Boy

    Stadt der Hexen

    ––––––––

    von

    Romana Grimm

    ––––––––

    + o + o +

    Impressum

    Diese Geschichte ist frei erfunden. Jede eventuell bestehende Ähnlichkeit zu Ortschaften, Geschäften, lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.

    Urheberrecht bei Romana Grimm (2015)

    Coverdesign von Clarissa Yeo / www.yocladesigns.com

    Veröffentlicht von:

    R. Grunwald

    Goethestr. 44

    15366 Neuenhagen

    Dieses E-Book ist für Ihre persönliche Nutzung lizenziert. Das E-Book darf nicht an Dritte weitergegeben oder weiterverkauft werden. Wenn Sie das Buch an eine andere Person weitergeben wollen, kaufen Sie bitte eine zusätzliche Lizenz für jeden weiteren Leser.

    Wenn Sie dieses Buch lesen, es aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Ihre persönliche Nutzung gekauft wurde, kaufen Sie bitte Ihre eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit der Autorin respektieren und würdigen!

    Inhaltsangabe

    Mit knapper Not hat es der junge Hexer Seth Morgan geschafft, die magische Quelle seiner neuen Heimatstadt zu beschützen. Doch ein normaler Teenager zu sein ist ihm nicht vergönnt, denn kurz darauf sorgt die Zerstörung einer benachbarten High School dafür, dass fremde Schüler nach Blackwood Springs kommen. Ihre Ankunft wird von Träumen und schrecklichen Vorkommnissen begleitet, sodass Seth sich fragen muss, ob der Kampf um die Quelle wirklich vorbei ist. Fieberhaft sucht er nach Antworten, doch als er endlich herausfindet, was seine Gegner planen, versinkt Blackwood Springs bereits im Chaos und er und seine Freunde müssen um ihr Leben fürchten ...

    Danksagung

    Das Schreiben eines Buches verlangt nicht nur den Autoren Opfer ab, sondern auch seiner Familie und seinen Freunden.

    Deshalb bedanke ich mich an dieser Stelle mit all der Liebe, zu der mein tintenschwarzes Herz fähig ist, bei meinem Mann Fred Ink, meinen Freundinnen und Kolleginnen C. M. Singer und Piper Marou, sowie all den unglaublich tollen Lesern und Leserinnen, die mich im letzten Jahr unterstützt, ermutigt und mir die Treue gehalten haben.

    Es ist mein voller Ernst, wenn ich sage, dass ich es ohne euch wahrscheinlich nicht bis hierher geschafft hätte.

    Kapitel 1

    Wie jeder Teenager, der über die Stränge geschlagen hatte, rechnete Seth resigniert mit dem Schlimmsten. So, wie er seine Mutter kannte, konnte er sich auf monatelangen Stubenarrest einstellen, vom Verbot, seinen heißersehnten Führerschein zu machen, ganz zu schweigen. Und über Claires Reaktion wollte er lieber gar nicht erst nachdenken. Im Nachhinein konnte er sich absolut nicht erklären, warum er sie nicht um Hilfe gebeten hatte.

    Er seufzte niedergeschlagen. Es war kurz nach zehn Uhr am Morgen und noch immer irrte er ohne Handyempfang und mit einem tonnenschweren Rucksack auf dem Rücken im Wald herum. Sein sonst so verlässlicher Orientierungssinn hatte ihn wirklich vollkommen im Stich gelassen.

    Die Sonne schien nach den letzten kühlen Tagen erstaunlich kräftig auf den Wald herab, sodass der Tau rasch verdampfte und aus dem feuchten Unterholz eine schwer begehbare Nebellandschaft machte. Seth fluchte unablässig über sein langsames Vorankommen und den Schweiß unter seinem Kapuzenpullover.

    „Willst du mich nicht endlich hier rauslotsen?, fragte er. Seine Augenlider sanken immer wieder ungebeten herab. „Komm schon, Diane, ich verhungere gleich!

    „Führst du immer Selbstgespräche, wenn du alleine bist?"

    Seth schrie auf, wirbelte herum und stolperte über die große Wurzel, der er gerade noch aus dem Weg gegangen war.

    Vor ihm stieg Aaron Blackwood aus einer besonders dichten Nebelschwade und sah ihn schadenfroh an.

    Alter! Wo kommst du denn her?"

    Aarons spöttisches Grinsen wurde noch breiter. Sein dunkles Haar lockte sich in der feuchten Luft und er hatte sich seinen Pullover um die Hüfte gebunden, als litte er unter Hitzewallungen. „Das gleiche könnte ich dich auch fragen, Morgan. Kein Wunder, dass dich niemand erreichen kann. Du hast es echt geschafft, dich in Nordamerikas schlimmstem Funkloch zu verlaufen."

    Stöhnend sackte Seth zurück. „Na super. Sag bloß, die haben eine Suche losgetreten."

    „Tja, ich verstehe es auch nicht, aber dein Dad will dich unbedingt wiederhaben. Aaron stieg geschmeidig über den Wurzelberg am Fuß der Eiche, hinter der er hervorgekommen war, und setzte sich neben Seth auf den Boden. An seinen nackten Armen sammelten sich kleine Tropfen. „Er ist heute früh ein bisschen durchgedreht, als er dich nicht im Haus gefunden hat, deshalb bin ich mit ein paar Freunden losgezogen.

    Seths Schweißdrüsen nahmen diese Auskunft zum Anlass, noch einen Zahn zuzulegen.

    „Scheiße", seufzte er.

    „Ziemlich, aber trotzdem Glück im Unglück für dich, würde ich sagen", entgegnete Aaron unbekümmert.

    „Ich bin zu k.o., das musst du mir erklären", nuschelte Seth und starrte hinauf in die vom Nebel weichgezeichneten, in der Sonne mild leuchtenden Baumkronen.

    „Deine Eltern wissen nicht, was passiert ist. Du hast noch Zeit, dir eine gute Story zu überlegen."

    „Ich kann gerade nicht. Mein Hirn braucht eine Auszeit."

    Aaron schnaubte. „Du hast keine große Wahl, wenn du nicht bis zum St. Nimmerleinstag zu Hause festsitzen willst. Er lehnte sich ebenfalls auf seine Ellenbogen zurück. „Deine Mutter war stinksauer, die zieht das durch.

    „Ich bin wegen euch in den Wald gegangen. Und es war eine beschissene Nacht." Seth atmete tief ein und rieb sich mit einer Hand über die Augen. Archies rundes, ängstliches Gesicht würde er nie vergessen, da war er sicher. „Gott. Richtig beschissen."

    „Das dachte ich mir nach deinem Anruf gestern schon."

    Für ein paar lange Augenblicke schwiegen sie, lauschten nur den Vögeln, die unermüdlich zwitscherten. Es war erstaunlich beruhigend, und jetzt, mit dem anderen Jungen an seiner Seite, wich endlich die kränkliche Anspannung der letzten Nacht aus Seths Gliedern.

    „Was ist passiert?, fragte Aaron schließlich. „Du riechst seltsam.

    „Alter, unhöflich. Du duftest auch nicht gerade nach Rosen."

    „Das meine ich nicht. Aaron zögerte, als wüsste er nicht genau, was er sagen sollte. „Du riechst irgendwie wie Claire, nur intensiver. Ist alles ... okay?

    Seth fühlte ein unangenehmes Kribbeln an seinen Schläfen und nahm das zum Zeichen, so wenig wie möglich preiszugeben. Seit er in die Sache mit den Hexen und der Magie geschlittert war, hatte ihn sein Instinkt, oder was immer es war, nicht getäuscht. Er würde einen Teufel tun und sein Bauchgefühl jetzt ignorieren. „Ich glaube schon."

    „Was ist passiert?"

    „Ich habe euer Geisterproblem beseitigt. Seth zuckte mit den Schultern. „Das wolltet ihr doch.

    Aarons helle Augen weiteten sich leicht und er maß Seth von Kopf bis Fuß, als müsste er dessen schmuddelige Erscheinung mit seinen Worten in eine Verbindung bringen, die für ihn Sinn ergab.

    „Ist das wahr?, fragte er. „Wie?

    „Geht dich nichts an, Blackwood."

    „Warum nicht? Wenn du nur nett sein willst, lass es. Von Lügen haben wir nichts."

    Unwirsch hievte Seth sich wieder auf die Füße. „Sehe ich so aus, als wollte ich nett zu euch sein?"

    Aarons seltsam glänzende Augen verengten sich kalkulierend. „Nicht?"

    „Das habt ihr Säcke gar nicht verdient, sagte Seth verächtlich. „Und jetzt bring mich zurück, bevor ich noch eure Bäume fresse und dran krepiere. Nicht jeder kann sich sein Frühstück erlegen, weißt du?

    Augenrollend warf Aaron ihm einen Müsliriegel zu. „Na schön, aber schalte vorher dein Handy aus."

    „Wozu?"

    „Wenn du allen erzählst, du hättest dich verlaufen, kommt ein leerer Akku immer gut."

    Da musste Seth ihm Recht geben, auch, wenn es ihm nicht gefiel. Schweigend sah er dem Telefon beim Herunterfahren zu.

    Kaum war es in seiner Tasche verstaut, fragte Aaron ungeduldig: „Können wir los?"

    Nun war es an Seth, die Augen zu verdrehen. „Nach dir, Häuptling."

    Während Seth sein Frühstück hinunterschlang, gingen sie vorsichtig den Weg entlang, den Aaron offenbar genommen hatte, um Seth zu finden.

    Nach nur wenigen Minuten stießen sie auf eine kleine Gruppe Blackwoods, alle etwa in seinem Alter. Seth kannte nur Daniel mit Namen, aber immerhin hatte er die anderen drei schon einmal bei Gretchen gesehen. Wie erwartet bemerkten sie, dass er seltsam roch, und er konnte förmlich das Verlangen in ihrer Körpersprache erkennen, das Geheimnis zu ergründen.

    „Hey Seth, geht es dir gut?, fragte Daniel. „Wie fühlst du dich?

    „Geht so. Wahrscheinlich stinke ich wie ein Iltis", gab Seth zurück.

    Die zwei Jungen und das Mädchen an Daniels Seite verbissen sich ein Feixen, dann stellten sie sich kurz vor.

    „Ich bin Jessy, Daniel ist mein großer Bruder", sagte das Mädchen. Die Verwandschaft war nicht zu leugnen; sie hatte ebenso wie er dunkelblondes Haar und hübsche, graubraune Augen.

    „Lasst mich raten, die anderen sind Cousins?", fragte Seth sarkastisch. Jeder Blackwood war mindestens ein Cousin von allen anderen, da war er ziemlich sicher.

    Beide sahen aus, als amüsierten sie sich köstlich über Seths loses Mundwerk.

    „Sehr entfernte Cousins", sagte der eine.

    „Über fünf Ecken, fügte der andere hinzu. „Vielleicht auch sechs.

    „Ist das in eurem kleinen Kaff überhaupt möglich?"

    „Was für ein Komiker, meinte Jessy schnippisch. „Und um den wird so ein Terz gemacht?

    Aaron sah Seth finster an. „Leider. Und jetzt Abmarsch, Leute, wir werden heute Nachmittag am Set gebraucht."

    „Mein erster Tag, verriet Jessy. Der Stolz in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Ich habe mich in der Schule mit deiner Schwester gefetzt, und ehe ich wusste, was geht, hat mich einer von ihren Lakaien zum Casting geschleppt.

    Die Jungen bleckten die Zähne zu einem Haifischgrinsen. „Wir haben das Drehbuch gesehen, sie spielt eine Oberzicke."

    Jessy biss ihm in den Arm, woraufhin er ausholte und sie an der Schulter erwischte. Seth wollte empört eingreifen, doch Aaron legte ihm einen Arm um die Schultern und zwang ihn, an seiner Seite zu bleiben.

    „Da willst du nicht dazwischen gehen", sagte er gelassen.

    „Und was ist mit dir?"

    „Nicht mein Problem." Aarons Blick wanderte zu Daniel, doch der junge Mann zuckte nur mit den Schultern.

    „Sie verlässt mein Rudel sowieso bald, ich mische mich nicht mehr ein."

    „Wieso dein Rudel? Ich dachte, ihr gehört alle zusammen? Seth hieb seinen Ellenbogen in Aarons Seite und drehte sich zu Daniel um, sobald er frei war. „Wie ein Megarudel.

    Der wortlose Dialog zwischen den beiden ältesten Blackwoods ihrer Gruppe dauerte etliche Sekunden und bestand aus Augenbrauenakrobatik und diversen Grimassen.

    Schließlich sagte Daniel: „In gewisser Weise schon, aber im Alltag wäre ein Megarudel ... unpraktisch."

    Unpraktisch", wiederholte Seth.

    „Das ist eine lange Geschichte. Aaron sah Daniel vielsagend an. „Denk lieber darüber nach, was du deinen Eltern erzählen willst. Es ist nicht mehr weit.

    Sein Freund widersprach ihm nicht und Seth war zu müde zum Protestieren, und so war das Thema vom Tisch.

    Die Blackwoods versicherten Seth, dass der Weg zurück kaum mehr als eine Stunde in Anspruch nehmen würde, obwohl der Wald um sie herum stellenweise so tief und unberührt war, dass Seth sich seiner körperlichen Grenzen, seiner Menschlichkeit, überdeutlich bewusst wurde.

    „Ihr habt es hier echt schön", wagte er unter einer alten, enormen Eiche zu sagen.

    Fünf Paar Augen musterten ihn kurz, doch nur Daniels Lippen verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln.

    „Wir geben uns große Mühe, damit es so bleibt, erwiderte er. „Ich hoffe, du hast keinen Müll liegen lassen, wo immer du dich herumgetrieben hast.

    „Nee. Ich bin doch nicht lebensmüde."

    „Gut so."

    Der Wald lichtete sich ein wenig, das Moos auf dem Boden wurde weniger, und immer öfter kreuzten sie ausgetretene Pfade. Seth hörte entfernt einen kleinen Bach gurgeln und plötzlich bemerkte er etliche Landmarken, die er sich auf seinem ersten Ausflug in den Blackwood Forest gemerkt hatte. Ein paar Meter entfernt stand eine ungewöhnlich gewachsene Eiche mit eingedrehten Ästen und dort drüben schwang sich das blutrote Blätterdach einer Buche über den Weg wie ein archaischer Torbogen. Direkt neben ihm ruhte ein enormer Felsbrocken mit merkwürdig symmetrischen Einkerbungen im Boden, den er letzte Nacht passiert hatte.

    Obwohl die Stadt nahe war, flitterte und glitzerte es nun immer öfter in Seths Augenwinkeln, so als wollte Diane ihr morgendliches Schweigen wieder gutmachen. Seine Augen folgten kleinen Lichtbögen und hüpfenden Blitzen, und mehr als einmal verspannte er sich, wenn er direkt in einen Funkenschauer hineinlief.

    „Alles okay? Hast du Angst?", fragte Aaron, dem sein unregelmäßiger Atem natürlich nicht verborgen blieb. Die anderen sahen Seth mit offener Neugier an.

    Verdammtes Werwolfgehör, dachte Seth. Er sog angestrengt die schwere, süße Luft ein, ehe er antwortete: „Ein bisschen."

    Er verspannte sich noch mehr, als Aaron ihm locker auf die Schulter klopfte.

    Vor ihnen tat sich unvermittelt ein Spinnengewebe aus golden glimmendem Tüll auf. Noch bevor Aaron seine Hand fallen ließ, gingen sie hindurch, zerstörten das Wunderwerk und wurden in einem Schauer aus kleinen Funken gebadet. Die Haare in Seths Nacken und auf seinen Armen stellten sich sofort auf.

    Aaron an seiner Seite merkte es offensichtlich auch, denn er stieß einen seltsamen Laut aus.

    „Aaron!", rief Jessy.

    „Bei allen Wölfen", krächzte der. Er wandte Seth den Kopf zu, die Augen weit aufgerissen.

    „Oh-oh, das ist nicht gut", murmelte einer der Jungs.  

    Seth vernahm die besorgten Stimmen der anderen nur undeutlich. In seinen Ohren steckte plötzlich Watte und das Blut hämmerte ihm von innen gegen die Trommelfelle. Aarons graue Iriden wandelten sich vor seinen Augen in pures Silber, nur durchschossen von dunkelblauen Pupillen, die sich bei seinem Anblick weiteten, bis sie das Silber beinahe vollständig verschluckten. Es war bizarr, aber nicht so bizarr wie der Rest von Aarons Gesicht.

    Aarons sich unter der Haut bewegendem Gesicht.

    Das Wolfsgesicht, das er sich in den letzten Wochen wie eine schlecht gemachte Wachsmaske vorgestellt hatte, mit Wülsten und Borsten und fiesen, langen Zähnen aus weichem Plastik, die keinerlei Schaden anrichten konnten, existierte nicht. Die Wirklichkeit war viel subtiler und zugleich furchterregender, als irgendein Horrorfilm es ihm hätte verkaufen können.

    Dunkler, flaumiger Pelz bedeckte von einer Sekunde auf die andere Aarons Schläfen und Kieferknochen, verschmolz mit seinen Brauen und akkurat geschnittenen Koteletten. Wülste gab es keine, aber dafür länger werdende, spitze Eckzähne, die sich, obwohl sie in einem menschlichen Kiefer saßen, problemlos in weiche Kehlen graben konnten.

    „Scheiße", flüsterte einer der Jungs. „Heilige Scheiße! Das darf nicht passieren."

    Der andere trat einen Schritt zurück. „Kate reißt ihm die Eier ab."

    „Daniel! Was machen wir denn jetzt?"

    Seths Herzschlag beschleunigte sich, als er Jessys panische Stimme hörte, und neuer Schweiß bildete sich an seinen Schläfen und auf seiner Oberlippe. Dunkel, ganz dunkel, erinnerte er sich daran, was Aaron ihm über Angst erzählt hatte. Wie Wölfe auf den Geruch reagierten.

    „Tut was, verdammt noch mal", keuchte er. Mit aller Gewalt bemühte er sich, seinen fliegenden Atem unter Kontrolle zu bringen. Er hatte sich ganz bestimmt nicht in die Bresche geworfen, um anschließend von einem undankbaren Fellknäuel gefressen zu werden!

    Aaron neigte den Kopf, als hätte das Biest in ihm die Kontrolle übernommen und wäre neugierig. Er hob eine Hand, die Finger ebenfalls von Pelz bedeckt und mit schiefergrauen, langen Krallen bestückt. Er bewegte sich langsam, doch er bleckte die Zähne und das Fell wucherte immer weiter seine Arme hinauf.

    „Fass ihn nicht an, sagte Daniel beschwörend. Langsam ging er um sie herum, den Blick immer auf Aarons Gesicht gerichtet. „Und wenn er dich anfasst, rühr dich nicht.

    Kaum hatte er das gesagt, da berührte die ledrige Unterseite von Aarons Fingern schon Seths Arm. Etliche glitzernde Partikel stoben in die Luft und die Gänsehaut nahm schmerzhafte Ausmaße an. Auch an Aarons Unterarm stellte sich bei dem Kontakt jedes einzelne Haar auf.

    Für einen verrückten Moment musste Seth an ein schwarzes Kornfeld denken, auf dem die Ären sich im seichten Wind wiegten.

    Aaron grollte tief aus der Brust heraus. Unter der Haut seines Gesichtes arbeitete es stärker, schneller. Knochen verschoben sich und seine Ohren wurden spitz und pelzig. Das einzige, das sich nicht veränderte, waren seine durchdringenden Augen.

    Daniel hatte es hinter Aaron geschafft und winkte seinen Freunden, es ihm von der anderen Seite gleichzutun. Seth wagte nicht, den Blick von Aarons Wolfskopf abzuwenden. Ob er es gekonnt hätte, war ohnehin fraglich; dessen schwere, krallenbewehrte Pranke in der Nähe seiner wehrlosen Adern kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung.

    „Das machst du gut, murmelte Jessy hinter ihm. „Ruhig atmen. Nicht die Augen abwenden.

    Ihr Kumpel schwieg, aber Seth konnte seine zum Bersten angespannte Präsenz an seiner anderen Seite spüren.

    Aaron neigte den Kopf herab und roch konzentriert an Seths verschwitzten Haaren. Seine kalte, feuchte Nase streifte Seths Schläfen und die brennenden Augen verschwanden unter entspannt gesenkten Lidern.

    „Oh ja, Kate wird ihn sowas von durch die Mangel drehen", murmelte Jessy.

    „Auf drei", sagte Daniel leise, aber bestimmt.

    Es gab kein Signal, zumindest keines, das Seths überempfindliches Gehör vernommen hätte. In einem Augenblick klebte eine kalte Hundeschnauze an seinem Kopf, und im nächsten wurde er schon von Jessy gepackt und nach hinten gerissen. Durch den Schwung landeten sie hart auf dem Boden und rammten sich gegenseitig die Ellenbogen in die Seiten. Modernde Blätter wirbelten auf. Ihr Rascheln überdeckte ihre Schmerzenslaute, nicht jedoch die Geräusche des Handgemenges, das ein paar Meter von ihnen entfernt stattfand.

    Seth rappelte sich auf. Da Jessy ihn eisern festhielt, konnte er nur zusehen, wie Aaron den Jungs ein paar schmerzhafte Schläge verpasste und sich dann auf Daniel stürzte.

    Die zwei rauften für einige Momente miteinander, beide fellbedeckt, mit ausgefahrenen Krallen sowie gefährlich gefletschten Zähnen und sichtlich am Ende ihrer Geduld.

    Als das erste Blut spritzte, hatte Seth genug.

    „Hört auf!, befahl er mit schneidender Stimme. „Schluss mit der Freakshow!

    „Hey!" Jessy boxte Seth gegen den Oberarm und wurde postwendend von Aaron angeknurrt.

    „Blackwood, aus!"

    Aarons Freunde sahen Seth an, als hätte er eine Schraube locker.

    „Bist du lebensmüde? Werwölfen erteilt man keine Befehle", fauchte Jessy.

    „Ich schon, fauchte Seth zurück. Er sah, wie Aaron ausholte. „Blackwood! Zwing mich nicht, dir meinen Schuh ins Maul zu stopfen! Er zog sich den Turnschuh von seinem schmerzenden linken Fuß. „Du hast drei Sekunden!"

    „Das ist nicht dein Ernst, oder?", fragte Daniel.

    „Doch." Seth unterdrückte seine Furcht, verengte die Augen und schleuderte den Schuh ohne weitere Warnung.

    Aaron hatte wohl ebenfalls nicht damit gerechnet, dass er es wagen würde, denn der Schuh erwischte ihn mitten im Gesicht – wie der sprichwörtliche Klaps auf die Schnauze – und riss ihn aus seiner blutrünstigen Stimmung.

    Überrascht richtete er sich auf. Das dunkle Fell schmolz regelrecht dahin und seine Züge wurden wieder menschlich. Er zuckte kaum zusammen, als Daniel ihm fest auf den Hinterkopf schlug.

    „Ruf Kate an, befahl der. „Sie soll dich abholen kommen.

    Aaron wandte sich schweigend ab, holte sein Telefon aus der Tasche und ging voraus. Daniel warf Seth seinen Schuh vor die Füße.

    „Gut gemacht, sagte er. Doch obwohl es ein Lob war, klang es eher wie eine Anschuldigung. „Aber jetzt kommt, es ist schon spät.

    Mürrisch zwang sich Seth wieder in den schweißfeuchten Schuh und stopfte die Schnürsenkel achtlos unter die Lasche. Er hatte eine Million Fragen, aber die Blackwoods machten es mit ihren kühlen Mienen und abwehrend erhobenen Schultern klar, dass sie keine Lust hatten, sich ihm zu erklären.

    „Wozu auch?, murmelte er finster. „Es geht ja nur um Leben und Tod.

    „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du melodramatisch bist?, entgegnete Jessy schnippisch. „Wie deine Schwester.

    Seth verzog das Gesicht, während der Rest trocken hustete.

    Endlich betraten sie den breiten Wanderweg, der vom Parkplatz aus in den Wald führte. Hier war er noch deutlich ausgeschildert und es gab sogar eine Mülltonne, in die Seth sein Müsliriegelpapier warf.

    Ab da war es nur noch ein Katzensprung, bis der Weg breiter wurde und das Parkplatz-Geländer hinter den Bäumen auftauchte. Schon von weitem konnte Seth die Ansammlung von Menschen sehen, die auf sie wartete, allen voran den Sheriff und seinen Deputy. Neben den Polizisten stand sein Vater. Er hielt sein Handy in der Hand, ließ es jedoch sinken, als Aaron ihn erreichte.

    „Habt ihr ihn?, fragte Dave. „Geht es ihm gut?

    „Alles in Ordnung, Mr. Morgan. Er hatte sich nur verlaufen. Da hinten kommt er."

    Seth konnte sie kaum hören, so weit war Aaron vorangegangen, aber trotzdem fühlte er ein so intensives Gefühl der Erleichterung durch sich hindurchbrausen, dass ihm kurz schwindelig wurde und er über seine eigenen Füße stolperte.

    „Hey, langsam, sagte Daniel ruhig. „Gleich haben wir es geschafft. Kein Grund zu hetzen.

    Aber Seth war nicht ruhig. Mit einem Mal konnte es gar nicht schnell genug gehen – er kratzte seine letzten Reserven zusammen und sprintete den überraschten Blackwoods davon, direkt seinem Vater in die ausgebreiteten Arme.

    „Dad!", rief er, als er mit voller Wucht in ihn hineinlief.

    „Seth! Mein Gott, bist du okay?", fragte Dave aufgewühlt. Er vergrub das Gesicht in Seths wirrem Haar und drückte ihn so fest an seine Brust, dass ihm die Luft wegblieb.

    „Es tut mir leid, Dad. Seths Stimme war heiser und er fühlte eine peinliche Hitze in seinen Augen, aber er ließ nicht los. Wenn es nach ihm ginge, würde er für einen Monat nicht mehr loslassen, oder vielleicht sogar ein ganzes Jahr. „Es tut mir so leid.

    „Mir auch, Junge", entgegnete sein Vater. Er klang müde und schuldbewusst.

    „Ich nehme an, dass hier alles in Ordnung ist?, schnarrte der Scheriff. „Du hast keinen Müll im Wald liegen lassen oder irgendetwas beschädigt?

    Seth schüttelte stumm den Kopf.

    „Okay, junger Mann. Sag nächstes Mal früher Bescheid, wenn du da draußen campen willst, damit deine Eltern ruhig schlafen können."

    „Das wird er bestimmt, erwiderte Dave an Seths Stelle. „Danke für Ihre Hilfe, und natürlich die der Jungs.

    „Eh, schon in Ordnung. Solche Sachen passieren auf dem Land. Komm, Dev, die Krise ist überstanden. Zurück zur Patrouille. Und ihr anderen macht euch vom Acker, wenn ihr nicht wandern gehen wollt!"

    Seth hob ein wenig den Kopf und grüßte mit einem matten Winken die zwei Polizisten. Die paar Schaulustigen, die von seinem Verschwinden gehört hatten, lachten über den Befehl.

    „Lass uns auch fahren, meinte Dave. „Du siehst fürchterlich aus.

    „Okay, Dad."

    Erschöpft und viel zu früh löste sich Seth aus der Umarmung. Es war ihm fast nicht peinlich, sich mit dem Pulloverärmel über die nassen Augen und Wangen zu wischen, aber er wünschte sich trotzdem, dass Aaron und seine haarigen Kameraden ihn nicht so genau beobachten würden.

    Während Seth sich schon in den Beifahrersitz ihres Autos fallen ließ und seinen Rucksack vorsichtig auf seine Füße stellte, ging sein Vater hinüber und wechselte ein paar Worte mit den Blackwoods. Im Rückspiegel behielt Seth das im Auge; die Erinnerung an ihre scharfen Klauen und Zähne und das spritzende Blut war noch zu frisch.

    Zehn Minuten später war sein Rad sicher verstaut und Dave ließ den Wagen an. Ohne Eile fuhr er sie durch die überraschend belebte Stadt zurück. Auf seine Frage hin, ob er Hunger hätte, verneinte Seth abwesend. Der Appetit war ihm vergangen, denn das Glitzern und Glänzen in seinen Augenwinkeln war nicht etwa weniger geworden, wie er es erwartet hatte. Im Gegenteil, der ganze Boden – Straßen, Gehwege, sogar die Häuser! – glommen in einem unbeschreiblichen Goldton. Ganz Blackwood Springs strahlte vor Magie, als hätte jemand über Nacht hinter den Gemäuern versteckte Lampen angeknipst.

    Von den vielen Geistern fehlte jedoch jede Spur.

    Kapitel 2

    Seth stand der Mund offen, so verblüfft war er. Niemand sonst schien das zu sehen, und niemand anderer hatte eine so heftige Gänsehaut wie er. Die nackten Unterarme seines Vaters bewegten sich ganz entspannt, während er lenkte. Kein einziges Haar war aufgerichtet.

    Vor dem Haus angekommen wurde es noch bizarrer, und das, obwohl Seth das nach Aarons Verwandlung nicht mehr für möglich gehalten hatte.

    Das ganze Gebäude sah aus wie eine himmlische Erscheinung; wie ein Spezialeffekt aus Hollywood, den man in die reale Welt hineinprojiziert hatte. Die kleine, orangegoldene Fliese am Gartentor war jedoch das Prunkstück der Installation. Sie leuchtete derartig hell, dass Seth kurz den Blick abwenden musste. Es war ein tröstendes Licht, einladend und wärmend, aber es ließ zugleich sein Inneres bei dem Gedanken gefrieren, was das bedeutete.

    Was das für den Geist in seinem Haus bedeuten musste.

    „Oh nein, hauchte er. Alles Blut wich aus seinem Gesicht. Er konnte es in sein schwer und dumpf schlagendes Herz sacken fühlen. „Nein!

    „Seth?"

    Seth fiel fast aus seiner Tür heraus, so sehr beeilte er sich, ins Haus zu gelangen. Er stolperte über einen Tragegurt des Rucksacks und brach sich beinahe ein paar Fingernägel am Türschloss ab, aber dann war er drin und sah sich hektisch um.

    „Clyde?", rief er panisch in den stillen Flur. „Alter, bist du noch hier? Clyde!"

    Dave polterte nach ihm durch die Tür und packte ihn fest an den Schultern. „Junge, was ist denn los? Bist du sicher, dass alles okay ist?"

    Mit einem Mal konnte Seth seinen aufgestauten Frust und die unerträgliche Angst nicht mehr hinunterschlucken. Er biss die Zähne zusammen, obwohl schon die ersten, heißen Tränen über seine Wangen liefen.

    „Nichts ist okay", keuchte er. Panik kochte in ihm empor, vom Magen in die Brust und von dort in seine Speiseröhre. Ihm war fürchterlich übel und er kämpfte, um sein spärliches Frühstück nicht wieder von sich zu geben. „Es wird nie wieder okay sein!"

    Clyde!, rief er gedanklich. Es klang wie ein Kanonenschlag in seinem leeren Kopf. Bitte du nicht auch noch!

    Daves Miene wurde weich und traurig. Ganz vorsichtig packte er Seth an den Ellenbogen und zog ihn in eine neuerliche Umarmung.

    „Ich weiß, Kumpel, sagte er leise. „Ich weiß.

    Seth versank in Daves Flanellhemd, atmete den so bekannten, beruhigenden Geruch ein und wünschte sich, dass sein Vater wie früher alles wieder richten könnte. Er sperrte den Rest der Welt aus und ignorierte das Kitzeln der kleinen, goldenen Partikel auf seiner Haut und in seinen Wimpern.

    Schließlich ließ Dave ihn wieder los und stupste sein Kinn an.

    „Wieso gehst du nicht unter die Dusche? Ich mache dir in der Zeit ein Sandwich, und dann erzählst du mir, was passiert ist. Einverstanden?"

    „Da gibt es nichts zu erzählen", nuschelte Seth und wich seinem Blick aus.

    „Du hast nach Clyde gerufen. Daves Augenbraue hob sich vielsagend. „Darüber hatten wir doch gesprochen. Also sag bitte nicht, dass es nichts zu erzählen gibt, okay?

    Ein Kloß bildete sich in Seths Hals. „Ich geh nach oben", würgte er hervor.

    Kraftlos streifte er seine Turnschuhe von den Füßen und schleppte sich die Treppe hoch. Er konnte kaum noch sehen, so sehr blendete ihn das Licht in seinen Augen. Alles vor ihm verschwamm zu einem verlaufenen Ölgemälde, sodass er sich am Geländer festhielt und beinahe kopfüber durch die Tür seines Zimmers fiel.

    Seth blinzelte den Kegel aus Licht an, der zwischen Fenster und Bett im Raum stand.

    „Ich glaube, ich sehe immer noch Gespenster, flüsterte er mit rauer Stimme. „Du hast mich kaputt gemacht, Diane.

    Der Kegel löste sich aus seiner Erstarrung. Das Gewusel aus kleinen, glühenden Teilchen formte sich zu einem menschlichen Körper und bildete sogar dreidimensionale Details aus.

    „Wenn sie dich kaputt gemacht hat, hast du aber ein paar interessante Extras mitbekommen", sagte Clydes Stimme.

    Das Rauschen in Seths Kopf verstummte und sein Herzschlag setzte für eine Sekunde lang aus.

    „Scheiße, stieß er hervor. Er streckte seine Hand nach der Gestalt aus und sie erwiderte die Geste ohne zu zögern. Der Kontakt ihrer Finger war elektrisch. „Clyde?

    Der Geist kam näher und nun konnte Seth tatsächlich seine Gesichtszüge ausmachen. „Ja, ich bin’s. Hab mich festgekrallt, als du den Megakracher losgelassen hast."

    „Oh, Gott sei Dank!" Seth griff ohne nachzudenken nach dem Licht und stolperte prompt hindurch.

    Anstatt zu zerbersten, drehte Clydes strahlende Figur sich nur herum und grinste. „Nicht so stürmisch, sonst platzt der Lack ab."

    „Wie ist das möglich?, fragte Seth. Seine Augen kribbelten und juckten, doch er weigerte sich, sie zu reiben. „Ich dachte, ich hätte alle erwischt. Verdammte Scheiße, bin ich froh, dass du noch hier bist!

    Clyde zuckte mit den Schultern. „Die Versuchung war groß. Beinahe hätte es mich einfach mitgenommen. Aber es fühlte sich nicht wie für mich an. Ich wollte noch nicht gehen."

    Seth starrte ihn an wie das achte Weltwunder. Süße, süße Erleichterung floss von seiner Brust in seine Gliedmaßen und mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie müde er eigentlich war.

    Und wie klebrig er sich fühlte.

    „Ich geh mal eben duschen. Hau nicht ab!", befahl er.

    „Würde mir im Traum nicht einfallen, entgegnete Clyde und stemmte die Hände in seine Taille. „Ich will wissen, was passiert ist, und zwar alles. Der Käpt‘n hat gesprochen.

    Ein dusseliges, schiefes Grinsen breitete sich auf Seths Gesicht aus. „Aye, aye, Käpt‘n. Bis gleich."

    „Der Käpt’n wird warten müssen, riss ihn die hölzerne Stimme seines Vaters aus seinem Freudentaumel. „Zuerst bin ich dran.

    Seth drehte sich entsetzt um. Mit weit aufgerissenen Augen erschien Clyde neben Dave. Seine Konturen flatterten im Takt mit Seths rasendem Puls.

    „Sorry, Mann, ich habe ihn nicht kommen hören, sagte er. „So ein Mist.

    „Duschen, ordnete Dave an. „Dann essen, und danach erklärst du mir bitte, wieso du immer noch so tust, als hättest du deinen imaginären Freund im Haus. Er wischte sich mit der Hand über das zehn Jahre gealtert aussehende, abgehärmte Gesicht. „Clyde. Nicht zu fassen."

    „Dad, ich-"

    Doch Clyde schüttelte den Kopf und machte beschwichtigende Gesten, ganz genau wie beim ersten Mal vor ein paar Wochen.

    Seths Protest erstarb. „Ich bin gleich unten."

    „Gut. Dave musterte ihn eindringlich. „Pass im Bad auf dich auf, ich will nicht, dass du dir vor Müdigkeit was tust.

    „Ja, Dad."

    Sein Vater schloss leise die Tür hinter sich und Seth stand wie betäubt in seinem Zimmer. Clydes Hand auf seiner Schulter war hauchzart und warm und nur ein schwacher Trost im Angesicht dieser Katastrophe.

    Am liebsten hätte Seth seine Dusche bis ins Unendliche ausgedehnt, aber nach gerade einmal zehn Minuten wurde das Wasser kalt. Fluchend und zitternd rubbelte er sich ab, dann fluchte er noch etwas mehr, als er feststellte, dass er mit dem Wasser offenbar wirklich den Feenstaub aus seinen Augen gewaschen hatte.

    „Ich kann dich nicht mehr sehen, sagte er mit erneut aufsteigender Panik. „Bitte bleib in Kontakt, sonst dreh ich durch.

    Ein leiser Hauch strich über seinen Arm, dann erwischte ihn ein elektrischer Schlag am rechten Handgelenk.

    „Autsch! Wofür war das denn, Alter? Er bekam noch einen Schlag und stolperte vor Schreck auf sein Bett zu. Ihm fiel seine abgelegte Jeans ins Auge und erinnerte ihn an das ausgeschaltete Handy in der Tasche. „Oh Mann, danke. Ich schließe es gleich an, aber ich kann es erst nachher wieder einschalten. Fahrig stöpselte er sein Smartphone ein. „Drück die Daumen, dass er mich nicht einweisen lässt."

    An seinem Computer erwachte das Chatprogramm zum Leben.

    BlackGhostieYo: Wirst du ihm wirklich alles erzählen?

    „Nicht, wenn ich nicht muss, antwortete Seth leise. „Ich will ihn aber auch nicht anlügen.

    BlackGhostieYo: Alter, der glaubt nie, dass ich noch hier bin. Sei bloß vorsichtig.

    Gekränkt blickte Seth auf. „Hey, mein Dad ist cool. Er hält mich vielleicht für bescheuert, aber er tut mir nichts."

    BlackGhostieYo: Ich komme trotzdem mit. Man weiß ja nie.

    Dagegen hatte Seth nicht das Geringste einzuwenden. Er brummte zustimmend und schlich genauso langsam die Treppe hinunter, wie er sie hinaufgegangen war. Seine Muskeln waren wund und ausgelaugt, aber wenigstens fühlte er sich sonst nicht krank.

    Nach einem Abstecher in die Küche fand er seinen Vater im Wohnzimmer auf der Couch sitzend vor. Es standen zwei Flaschen alkoholfreies Bier auf dem Tisch, sowie zwei Teller mit köstlich aussehenden, vor Salat und Tomaten nur so strotzenden Sandwichs.

    „Roastbeef?", fragte Seth hoffnungsvoll.

    „Käse, Roastbeef war aus."

    Seth ließ sich auf das Sofa fallen und begann zu essen. Nach der langen Nacht und dem Gewaltmarsch am Morgen explodierten die unterschiedlichen Geschmäcker auf seiner Zunge und ließen ihn kurz die bevorstehende Inquisition vergessen.

    „Also, eröffnete sein Vater nach einigen Bissen die Fragerunde. Er hielt den Blick fest auf sein eigenes Sandwich gerichtet. „Was sollte das mit Clyde?

    „Dad ..."

    „Du bist hier reingestürmt wie ein Verrückter und hast nach ihm gerufen. Wochenlang nichts, und jetzt das. Ich verdiene eine ehrliche Antwort, also sag mir: Hast du was genommen? Oder ein paar über den Durst getrunken?"

    „Nein, Dad-"

    Dave legte sein Sandwich ab und wandte sich Seth zu. Sein Blick war forschend. „Du hast vor zwei Tagen einen Kumpel verloren. Es ist ganz normal, dass man Wege sucht, um damit zurechtzukommen. Zum Teufel, ich wäre froh, wenn du dich einfach abgeschossen hättest."

    „Ich habe aber nicht getrunken, beharrte Seth. Er starrte finster seine Bierflasche an. „Und auch keine Drogen genommen. Willst du meine Arme kontrollieren, für den Fall, dass ich mich ritze?

    „Seth!"

    „Ist doch wahr."

    „Tut mir leid, ich wollte dir nichts unterstellen. Aber wie kommst du ausgerechnet auf Clyde? Dein Freund hieß doch Archie, oder nicht?"

    Seth schloss die Augen und schluckte. „Ja."

    Betretenes Schweigen breitete sich aus.

    Dave räusperte sich und fuhr fort: „Wenn du uns etwas sagen möchtest, dann sag es einfach. Ich habe dir doch versprochen, dass ich für dich da bin. Du brauchst keine Spielchen spielen."

    Der eben erwachte Appetit starb einen jämmerlichen Tod. Seth fühlte sich elend vor Schuldgefühlen.

    „Tut mir leid, Dad", wisperte er. Unwillkürlich rollte er die Schultern ein und machte sich so klein wie möglich. Als sich dann auch noch Daves warmer, schwerer Arm um ihn legte, kniff er die Augen fest zusammen und betete, dass er nicht schon wieder anfing, zu heulen.

    „Du machst mir ehrlich gesagt ein bisschen Angst, wenn du so nach dem toten Jungen rufst, gab sein Vater zu. „Nicht, dass ich abergläubisch bin, aber ..., er zuckte mit den Schultern, „irgendwie halt doch. Da läuft es mir kalt den Rücken runter."

    „Tut mir leid", wiederholte Seth.

    Dave seufzte tief. „Ich habe deiner Mutter gleich gesagt, dass ein Haus mit einer solchen Vorgeschichte Probleme machen könnte."

    „Vorgeschichte? Clyde war krank, er wurde nicht ermordet oder so!" Seth warf den Rest seines Brotes hin und verschränkte die Arme vor der Brust. „Außerdem bin ich nicht verrückt. Das hier ist nicht das Hotel aus The Shining."

    „Das habe ich auch nicht gesagt."

    „Aber du denkst es."

    Dave druckste ein wenig herum. „Nun ja, du benimmst dich in letzter Zeit seltsam, und deine neuen Hobbys sind ein wenig ungewöhnlich, das musst du zugeben. Außerdem weißt du ziemlich viel über den Jungen. Über Clyde", verbesserte er, als Seth den Mund verzog.

    „Er war Claires Patient. Sie hat mir von ihm erzählt, als sie gehört hat, wo wir wohnen."

    „Und das ist alles?" Die Skepsis in Daves Stimme war nicht zu überhören.

    „Dad, ich habe keinen imaginären Freund, sagte Seth eindringlich. „Ich spinne nicht.

    Sie sahen sich an, Seth entschlossen, sich nicht in die Ecke drängen zu lassen, und sein Vater zu gleichen Teilen besorgt und gewillt, ihm zu glauben.

    „Ich spinne nicht", wiederholte Seth mit fester Stimme.

    „Hm."

    Sie nahmen beide einen Schluck aus ihren Bierflaschen. Dave entschied sich, das Thema zu wechseln.

    „Die Sache mit Archie ... bist du deshalb in den Wald gefahren?"

    Seth kaute auf seiner Unterlippe und überlegte, wie viel er erzählen sollte. Die blanke Wahrheit würde seinem Vater wie eine dreiste Lüge vorkommen, aber gar nichts sagen kam auch nicht in Frage. Er entschied sich für den Mittelweg und hoffte, dass er Claire damit nicht in Schwierigkeiten brachte.

    „Ja. Claire hat mir doch diese Bücher geliehen ..." Zögernd erzählte er, was er sich am Morgen halbherzig zurechtgelegt hatte. Er erklärte, wie ihn die Philosophie der weißen Magie beeindruckt hatte, und dass die dargestellten Rituale ihn auf die Idee gebracht hatten, für Archie an einem ruhigen Ort eine Art Abschiedsfeier zu veranstalten. Dass es sich gut angefühlt hatte, für eine Weile allein zu sein.

    „... blöderweise habe ich mich dabei in diesem Funkloch verirrt, sodass ich mein Handy nicht zum Navigieren benutzen konnte, endete er. „Und dann war der Akku leer. Gut, dass du die Blackwood-Affen losgeschickt hast, sonst wäre ich verhungert.

    Wärst du nicht, stichelte eine leise Stimme in seinen Gedanken. Und auch nicht verdurstet.

    „Du kannst sie wohl immer noch nicht besonders leiden", seufzte sein Vater.

    „Sie mich auch nicht. Schulterzuckend nahm Seth noch einen Zug aus seiner Flasche. „Aber ich bin trotzdem froh, dass sie mich gefunden haben.

    „Du schuldest ihnen was, brachte Dave es auf den Punkt. „Vergiss das nicht. Sei mal ein bisschen nett, ein paar von denen könnten bestimmt richtig gute Kumpel werden.

    Das bezweifelte er, doch er war zu müde zum Streiten.

    „Sag mir nur eins, dann lasse ich dich in Ruhe."

    Der ernste Tonfall ließ Seth unwillkürlich aufsehen.

    „Hat es geholfen? Konntest du dich von Archie verabschieden?"

    Das blasse, erst verzweifelte und am Ende entschlossene Gesicht des Jungen vor Seths geistigem Auge brachte ein merkwürdig wehmütiges, winziges Lächeln auf seine Lippen.

    „Ja, sagte er schlicht. „Das war es wert.

    „Okay. Dave räusperte sich. „Dann iss auf, wenn du magst, und geh schlafen.

    Das wollte Seth, mehr als vieles andere im Moment, aber zuerst musste er wissen, wie es um ihn stand.

    „Ist Mom sehr sauer?", fragte er kleinlaut.

    „Darauf kannst du wetten, aber darum kümmern wir uns später. Dave reichte ihm den Teller und die Flasche. „Geh hoch und erhol dich. Ich will dich erst heute Abend wieder sehen.

    Seth, der wusste, dass er glimpflich davon kam, nickte und nahm den Rest seines Mittagessens entgegen. „Bis später", murmelte er.

    Diesmal erschien ihm der Weg die Treppe hoch noch länger und steiler. Seine Waden protestierten und die Augen wollten nicht mehr offen bleiben. Es gab nur noch eine Sache, die er wirklich dringend zu erledigen hatte, und das war, bei Claire anzurufen und Bescheid zu sagen, dass jetzt alles gut war. Sie hob jedoch nicht ab, was er als Zeichen nahm, auch das Gespräch mit Clyde auf später zu verschieben und sich mit dem Gesicht zuerst ins Bett fallen zu lassen. Die Welt würde für ein paar Stunden lang schon ohne ihn zurechtkommen.

    Kapitel 3

    Ein elektrischer Schlag an seinem Zeh weckte ihn aus wirren Träumen. Schlaftrunken focht Seth einen Kampf mit seinen verklebten Wimpern aus. In seinem Zimmer trudelte golden schimmernder Schnee durch die Luft, und sein normalerweise sehr unauffälliger Mitbewohner stand blass, aber deutlich sichtbar am Fußende des Bettes und grinste ihn unverschämt an.

    „Aufwachen, Dornröschen. Dein Vater hat Indisch bestellt."

    „Was ist das denn? Warum kann ich dich sehen?", fragte Seth konfus.

    „Keine Ahnung, aber bei der Menge an Energieflocken wundert es mich nicht."

    Energieflocken?

    Seth testete das Wort in seinem Mund, dann schüttelte er den Kopf. „Ich will es nicht wissen."

    „Vielleicht doch. Clyde zischte wie ein verzerrtes Diaabbild an seine Seite. „Du hast das Zeug nämlich ausgeatmet. Wie eine Pusteblume, wenn sie ihre Dinger da abwirft und der Wind-

    „Okay, okay. Stöhnend massierte Seth seine Stirn. „Blume. Alles klar.

    „Das war eigentlich ganz cool, und abartigerweise ziemlich lecker. Clyde zuckte mit den Schultern, als Seth ihn angewidert aus kaum geöffneten Augen anstarrte. „Hey, verurteile mich nicht, okay? Das hat mir einen Trip in die Geister-Aufladestation erspart. Das tat auch Not, es sind ziemlich viele Besucher vor deinem Fenster rumgekrochen.

    „Schon wieder?" Seth gähnte herzhaft.

    „Du solltest dir ein Doggie-Spray besorgen. Das kann nicht mehr normal sein. An deiner Stelle würde ich mit Claire reden, sie ist inzwischen bestimmt zu Hause."

    „Ugh. Später. Zuerst hole ich mir meinen Hausarrest ab."

    Clyde verzog mitleidig das Gesicht. „Ja, bring es hinter dich, dann haben wir unsere Ruhe. Wenn dir jemand zu blöd kommt, kann ich ja die Mikrowelle in die Luft jagen oder so."

    Seth schaffte es, mitten im Strecken seines ganzen Körpers mit den Schultern zu zucken. „Tu dir keinen Zwang an."

    Wie sich nach einem kurzen Aufenthalt im Bad und einem in frostiger Stille vertilgten Abendessen herausstellte, war das nicht nötig. Seths Mutter war in der Tat stinksauer über seinen unerlaubten Nachtausflug, aber nicht etwa, weil sie Angst um ihn gehabt hatte, sondern weil sie befürchtete, sein Verhalten könnte auf Hailey und die Serie zurückfallen.

    „Es war mir so peinlich, heute Morgen den Sheriff anrufen zu müssen, sagte sie und spießte mit mehr Gewalt als nötig ihr letztes Stück Huhn auf. Im Gegensatz zu ihrer verkrampften Hand war ihr Gesicht beinahe komplett faltenfrei. Nicht einmal ihre Stirn war gerunzelt, was Seth in höchste Alarmbereitschaft versetzte. „Ich kam mir vor wie eine Verbrecherin. Wir hatten Glück, dass diese verdammten Blogger nichts davon mitbekommen haben. Die sind noch schlimmer als Reporter.

    Hailey pustete sich unbeeindruckt eine Haarsträhne aus der Stirn. „Selbst wenn, der Deputy meinte, dass das ziemlich oft vorkommt. Anscheinend gehen jedes Jahr Dutzende von Touristen beim Wandern verloren. Du bist also nicht der einzige Trottel da draußen."

    „Herzlichen Dank auch", murmelte Seth.  

    „Apropos Dank, wir könnten als Dankeschön ein Barbeque für die Jungs schmeißen, die nach dir gesucht haben, schlug sein Vater vor. „Das ist vielleicht die letzte Gelegenheit in diesem Jahr.

    Hailey merkte auf. „Oh, gute Idee!"

    Karens Mundwinkel sanken herab. „Muss das sein? Ihr hattet doch gerade erst eine Party."

    „Partys kann man nie genug haben, hielt sie dagegen. „Aber nur, wenn Nana einverstanden ist. Ich will sie nicht teilen, und die Kröte garantiert auch nicht.

    „Die Kröte kann froh sein, dass sie keinen Stubenarrest bekommt. Karen wischte ihren Teller mit einem Stück Naanbrot aus. „Aber ungeschoren kommst du nicht davon, Mister.

    Verwirrt sah Seth von ihr zu seinem Vater und wieder zurück.

    Dave legte sein Besteck ab. „Wir haben entschieden, dass du morgen zu Hause bleibst, wenn wir eure Oma vom Flughafen abholen."

    Seth wartete auf die Pointe.

    „Und du wirst das Abendessen für uns alle vorbereiten. Nana möchte gerne Tramezzini und Insalata Caprese essen. Einkaufen waren wir vorhin schon, du musst dich nur noch in die Küche stellen."

    „Und ... ?" Seth konnte kaum glauben, dass das schon alles sein sollte.

    „Und wenn du uns einen enormen Gefallen tun willst, gehst du demnächst auch noch zum Frisör." Dave versuchte, streng auszusehen. Es gelang ihm fast, aber Seth sah das Zucken in seiner Wange und unterdrückte einen erleichterten Seufzer.

    „Träum weiter, Dad."

    Seine Mutter presste ihre Lippen aufeinander.

    „Ich mache unterwegs ganz viele Fotos und schick sie dir, versprach Hailey. Ihr Ton wurde gönnerhaft. „Hast ja übermorgen Geburtstag, wir wollen mal nicht so sein.

    „Zimtzicke", sagte Seth ohne großen Ärger dahinter. Vor Erleichterung rutschte er an seiner Stuhllehne hinab.

    „Wohl eher Lieblingsschwester", erwiderte sie hochmütig und grinste breit.

    Nach dem Essen ging Seth wieder hinauf in sein Zimmer und versuchte erneut, Claire zu erreichen. Noch bevor es zum zweiten Mal geklingelt hatte, wusste er, dass sie nicht abheben würde.

    „Sie geht nicht ran, teilte er Clyde mit. „Aber dafür haben mir alle anderen das Postfach zugemüllt.

    Er kämpfte sich durch ein halbes Dutzend SMS und E-Mails aus New York und beinahe fünfzig Textnachrichten von Jos, Molly, Suzanne und Grabo, seiner Schwester und ihren Freundinnen und natürlich den Blackwoods. Das Anruferprotokoll war zudem voll mit unbekannten Nummern, welche Seth prompt löschte.

    Clyde amüsierte sich köstlich über seine Gereiztheit. „Immerhin haben sie ihre Aufgabe ernst genommen."

    „Indem sie mich beleidigen? Hier: Morgan, du orientierungslose Planschkuh, deine Alten suchen dich. Verzieh dich nach Hause, bevor mein Bruder dich holen kommen muss. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die von Ira ist. Oder auch nett: Hailey nervt mich. Wenn das ein Scherz sein soll, reiß ich dir einen Arm raus und verprügle dich damit!"

    Clyde keuchte vor unterdrücktem Gelächter. „Ich tippe auf Neal, der war schon immer scheiße. Warte, eine habe ich noch ..." Ein paar Zentimeter über dem Bildschirm des Telefons schnippte er mit den Fingern und die gewünschte Nachricht öffnete sich. „Die hier gefällt mir am besten: Du hast ihn mit Absicht zu dir gelockt. Noch so eine Aktion und ich reiße dir die Kehle raus."

    „Könnte von jedem sein", meinte Seth augenrollend.

    „Nö, von einer gewissen Kate. Da, siehst du?"

    Das ließ Seth aufhorchen, was wiederum Clyde neugierig machte.

    „Kennst du sie? Ist sie heiß?"

    „Flüchtig, aber heiß fand ich sie nicht." Seth sah ihr hartes, unfreundliches Gesicht und ihre für eine Frau sehr muskulösen Arme vor sich.

    „Warum macht sie dich so an? Ist sie etwa eifersüchtig? Wer hat dich heute Morgen gefunden?"

    „Aaron und ein paar seiner Freunde, aber von denen würde ich keinen geschenkt haben wollen."

    Clyde pfiff vielsagend. „Aaron also. Ist er mit ihr zusammen?"

    „So, wie sie ihn rumkommandiert, definitiv. Seth lächelte spöttisch. „Er tut mir fast leid.

    „Mir nicht. Das ist selbstgewähltes Elend."

    Das rang Seth ein Lachen ab und er löschte gnadenlos sämtliche Nachrichten der Blackwoods. Seine Freunde beruhigte er in einer Rundmail, für mehr hatte er keine Energie. Danach schaltete er sein Handy wieder ab.

    „Alles okay?, fragte Clyde. Er setzte sich im Schneidersitz neben Seth und sah ihn prüfend an. „So richtig, meine ich.

    „Nein, gab Seth zu. Er raufte mit beiden Händen sein Haar und seufzte. „Aber was soll’s. Archie geht es gut, er ist hinüber gegangen. Allein dafür hat es sich gelohnt.

    „Mmh, gut zu wissen. Was da mit der Stadt passiert ist, dieses Licht ... das war echt irre. Clyde sah hinaus, wo die Häuser immer noch leuchteten und durchsichtige Lichtschwaden in allerlei zarten Farben die Antennen auf den Dächern der Häuser und die Ästen der vielen Bäume umspannen. „Wie hast du das gemacht?

    „Das war gar nicht geplant. Eigentlich wollte ich nur diese verdammte Schattenspinne abwimmeln, aber ...", Seth stockte. Er deutete auf das Fenster und seine Augen und hob fragend die Augenbrauen.

    Clyde verstand sofort. Im Bruchteil einer Sekunde verschwand er vom Bett und tauchte am Fenster wieder auf.

    „Keine Geister, sagte er. „Aber da hängt jemand in einem fremden Auto vor dem Nachbarhaus herum. Keine Ahnung, ob der auf jemanden wartet oder lauschen will.

    „Der wartet auf niemanden, es sei denn, er will mit einer Neunzigjährigen um die Häuser ziehen. Verdammte Blackwoods. Warte, wie wäre es damit? Hat beim letzten Mal doch gut funktioniert ..."

    Genervt, aber mit ruhiger Hand legte Seth einen Kreis aus Salzkristallbrocken und entzündete an jedem Himmelsrichtungspunkt eine Kerze. Er und Clyde ließen sich anschließend im fertig gezogenen und verschlossenen Kreis im Schneidersitz nieder. Zwischen ihnen stand eine kleine Schale des Wassers, das Seth aus der Quelle mitgenommen hatte.

    „Es riecht so unglaublich gut, sagte Clyde leise. „Ich wünschte, ich könnte davon kosten.

    „Kannst es später gerne versuchen. Aber jetzt fass bitte meine Hände an, wenn du kannst, entgegnete Seth. „Ich hoffe, Diane hat ein bisschen Zeit und kann uns helfen. Er schauderte, als Clydes körperlose Fingerspitzen einen kleinen Funkenregen auf seiner Haut auslösten.

    Er durchlief das Ritual, die vier Himmelsrichtungen um Schutz zu bitten und wartete dann mit angehaltenem Atem darauf, dass die Göttin sie besuchen kam.

    Das erste Anzeichen für ihre Gegenwart war ein sanftes Streicheln an seiner Wange. Clyde schien ebenfalls etwas zu spüren, denn er riss die Augen auf und quetschte Seths Finger zusammen. Unter dem Druck floss ein heißer Strom goldenen Lichts aus dessen Fingerspitzen, über seine Knie und auf den dunklen, konturenlosen Boden.

    „Sie ist schon da, oder?"

    Seth sah sich in der endlosen, dunklen Umgebung um. „Ja, aber ich sehe sie nicht."

    Das braucht ihr heute auch nicht, sagte Dianes vibrierende, vielschichtige Stimme. Seths Anliegen ist wichtiger, und ich erfülle es euch gerne. Besonders, nachdem ihr mir so ein kostbares Opfer dargebracht habt.

    Zwei warme Hände legten sich über die ineinander verschränkten Finger der Jungen. Weißgoldenes Licht erblühte zwischen ihren zusammengepressten Handflächen und rann wie heißer Schweiß an ihren Handgelenken hinab.

    „Was hat sie vor?", fragte Clyde. Seine Finger zuckten nervös.

    Nicht ich, sondern Seth.

    „Okay, was hast du vor?"

    Dianes Wärme wanderte an ihren Unterarmen hinauf. Er möchte dich daran teilhaben lassen, was gestern Nacht im Wald geschah, anstatt es dir nur zu erzählen oder zu zeigen.

    „Das geht? Clyde sah trotz seiner Skepsis aus, als wäre Weihnachten vorverlegt worden. „Ist das sowas wie eine vulkanische Gedankenverschmelzung?

    Verschmelzung trifft es nicht ganz, aber ihr werdet euch dabei sehr, sehr nahe kommen. Ihre Worte hallten sanft in der Dunkelheit wieder. Sie wogen schwer; Seth fühlte geradezu ihre Bedeutung und hörte die Warnung, die in ihnen mitschwang. Viele fänden diese Art von Gedankenaustausch übertrieben und würden lieber ein paar Zeilen schreiben, als sich so zu entblößen.

    Seth wurde unwohl bei Clydes wie vom Donner gerührter Miene. „Vergiss es, das war eine blöde Idee. Ich schreibe es dir auf, wenn du willst, meinte er zerknirscht. „Ich dachte nur, das hier geht schneller und ist genauer.

    „Machst du Witze, Mann?", fragte Clyde. „Wir reden hier über eine Gedankenverschmelzung! Dianes Protest, dass es das nicht war, ignorierte er. „Wie cool ist das denn? Seine Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung.

    Seth starrte ihn ungläubig an. „Bist du sicher? Einhundert Prozent?"

    „Alter, ich bin seit zwei Jahren tot. Meine Geheimnisse habe ich schon längst mit ins Grab genommen. Und solltest du so saudämlich sein und was ausplaudern, frittiere ich einfach deinen Laptop, konterte Clyde mit der für ihn typischen Entschlossenheit. „Also, wie sieht’s aus?

    Mit einer so enthusiastischen Zustimmung hatte Seth nicht gerechnet, zumal er nach Dianes Mahnung erst richtig über seinen Plan nachdachte. Nicht nur Clyde würde viel von sich preisgeben, auch er würde sich darauf einlassen müssen.

    Der andere Junge lächelte schief. „Krieg jetzt bloß keine kalten Füße. Wir wohnen zusammen und ich bin definitiv derjenige

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