Dieters Pflegemutter: Sophienlust 231 – Familienroman
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Nein! Du irrst dich! Du – du wirst wieder gesund werden. Bestimmt.« Unüberhörbare Verzweiflung lag in der Stimme der jungen Frau. Sie konnte mit ihrer beschwörenden Bemerkung weder sich selbst täuschen, noch der Kranken, die abgezehrt und mit unnatürlich gelblicher Gesichtsfarbe in dem weißen unpersönlichen Krankenhausbett lag, etwas vormachen.
»Gib dir keine Mühe, Franziska«, sagte Anna Eder und unterstrich ihre Worte mit einer matten, aber nichtsdestoweniger ungeduldigen Handbewegung. »Ich weiß es, und ebenso weißt du es. Ich werde sterben – sehr bald schon.«
»Nein, Mutti! Sag so etwas nicht. Bitte, nicht!« flehte Franziska Eder. »Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Du bist doch noch nicht einmal siebzig. Du hast noch viele Jahre vor dir.«
»Ich bin beinahe siebzig«, korrigierte die Kranke, »und alt genug, um den Tatsachen ins Auge sehen zu können. Ich habe keine Gelbsucht, wie die Ärzte uns anfangs weismachen wollten, sondern Krebs im fortgeschrittenen Stadium.«
»Mutti!«
»Ich bitte dich, Franziska, tu nicht so, als ob dir das nicht seit Tagen bekannt wäre. Es hat doch keinen Sinn, sich gegenseitig zu belügen. Damit würdest du alles noch viel schwerer machen.«
Die junge Frau seufzte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Leider traf die Feststellung, die ihre Mutter vorgebracht hatte, zu. Vor ungefähr einer Woche hatte der Oberarzt sie beiseite genommen und sie behutsam auf das Unvermeidliche aufmerksam gemacht.
»Aber selbst wenn … wenn es zutreffen sollte«, sagte Franziska, »auch bei Krebs gibt es Heilungschancen.«
»Für mich nicht mehr«, seufzte die Kranke. »Sie mich doch an!«
Franziska befolgte diese Aufforderung, wandte ihren Blick jedoch schnell wieder ab. Eine
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Buchvorschau
Dieters Pflegemutter - Elisabeth Swoboda
Sophienlust –231–
Dieters Pflegemutter
Muss Franziska ein schlechtes Gewissen haben?
Elisabeth Swoboda
»Nein! Du irrst dich! Du – du wirst wieder gesund werden. Bestimmt.« Unüberhörbare Verzweiflung lag in der Stimme der jungen Frau. Sie konnte mit ihrer beschwörenden Bemerkung weder sich selbst täuschen, noch der Kranken, die abgezehrt und mit unnatürlich gelblicher Gesichtsfarbe in dem weißen unpersönlichen Krankenhausbett lag, etwas vormachen.
»Gib dir keine Mühe, Franziska«, sagte Anna Eder und unterstrich ihre Worte mit einer matten, aber nichtsdestoweniger ungeduldigen Handbewegung. »Ich weiß es, und ebenso weißt du es. Ich werde sterben – sehr bald schon.«
»Nein, Mutti! Sag so etwas nicht. Bitte, nicht!« flehte Franziska Eder. »Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Du bist doch noch nicht einmal siebzig. Du hast noch viele Jahre vor dir.«
»Ich bin beinahe siebzig«, korrigierte die Kranke, »und alt genug, um den Tatsachen ins Auge sehen zu können. Ich habe keine Gelbsucht, wie die Ärzte uns anfangs weismachen wollten, sondern Krebs im fortgeschrittenen Stadium.«
»Mutti!«
»Ich bitte dich, Franziska, tu nicht so, als ob dir das nicht seit Tagen bekannt wäre. Es hat doch keinen Sinn, sich gegenseitig zu belügen. Damit würdest du alles noch viel schwerer machen.«
Die junge Frau seufzte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Leider traf die Feststellung, die ihre Mutter vorgebracht hatte, zu. Vor ungefähr einer Woche hatte der Oberarzt sie beiseite genommen und sie behutsam auf das Unvermeidliche aufmerksam gemacht.
»Aber selbst wenn … wenn es zutreffen sollte«, sagte Franziska, »auch bei Krebs gibt es Heilungschancen.«
»Für mich nicht mehr«, seufzte die Kranke. »Sie mich doch an!«
Franziska befolgte diese Aufforderung, wandte ihren Blick jedoch schnell wieder ab. Eine schreckliche Veränderung war innerhalb der letzten Tage mit ihrer Mutter vorgegangen. Deren früher volles und rundliches Gesicht war abgemagert, die Haut lag faltig auf den Knochen. In Franziskas Erinnerung war ihre Mutter stets jugendlich und tatkräftig gewesen, obwohl sie gar nicht mehr so jung gewesen war, als sie selbst zur Welt gekommen war. Trotzdem war ihr ihre Mutter nie älter erschienen als die Mütter ihrer Freundinnen und Schulkameradinnen.
»Du warst doch nie krank«, sagte Franziska Eder aus dieser Erinnerung heraus.
»Nein. Deshalb darf ich auch nicht undankbar sein und mit dem Schicksal hadern. Ich habe mich mit meinem Los abgefunden. Ich hoffe nur, dass es schnell geht …«
»Mutti! Nein!«
»Möchtest du mich lieber monatelang unter Schmerzen dahinsiechen sehen?«
»Nein. Aber …«
»Sag nicht noch einmal, dass ich noch nicht einmal siebzig bin. Es ist vielleicht hart für dich, mit achtundzwanzig Jahren die Mutter zu verlieren, aber du bist immerhin erwachsen. Damals, als du auf die Welt kamst, habe ich mir Sorgen gemacht. Ich war über vierzig, und dein Vater fünf Jahre älter. Wir hatten beide nicht damit gerechnet, noch Kinder zu bekommen. Möglicherweise war das der Grund, dass wir Fehler bei eurer Erziehung gemacht haben. Vater war so stolz auf dich. Du warst sein Liebling. Als Lilian ein Jahr später geboren wurde, beachtete er sie kaum. Deshalb habe ich Lilian viel mehr verwöhnt als dich. Ich wollte sie entschädigen für die Gleichgültigkeit, mit der Vater sie behandelte. Nach Vaters Tod habe ich mich bemüht, keine von euch beiden zu bevorzugen, aber da war es wohl schon zu spät. Du warst eifersüchtig, und wahrscheinlich hattest du allen Grund dazu. Ja, ich habe viel zu viele Fehler gemacht«, seufzte Anna Eder.
»Rede nicht so, Mutti«, bat Franziska mit erstickter Stimme. Flüchtig ging ihr durch den Sinn, dass die Selbstvorwürfe der Kranken zum Teil ihre Berechtigung hatten. Sie selbst hatte als Kind sehr unter der Bevorzugung, die ihrer um ein Jahr jüngeren Schwester Lilian zuteil geworden warm, gelitten. Aber das war vorbei, und Lilian … Die arme Lilian war letzten Endes todunglücklich gewesen.
Anna schien die Gedanken, die ihre Tochter bewegten, zu erraten. »Jetzt dauert es nicht mehr lange, bis ich ebenfalls dort bin, wohin Lilian freiwillig gegangen ist«, flüsterte sie. »Mein armes, bedauernswertes Kind.« Die Schwerkranke richtete sich halb auf. Ein Ausdruck unerbittlicher Entschlossenheit trat auf ihr abgezehrtes Gesicht. »Ich habe diesen Mann nie gemocht«, äußerte sie finster. »Er hat Lilian ins Unglück getrieben.«
»O nein, das hat Arnold bestimmt nicht getan. Zumindest hat er es nicht beabsichtigt«, begann Franziska. Die Mutter fiel ihr jedoch ins Wort: »Widersprich mir nicht. Arnold war nicht der richtige Mann für Lilian. Sie hätte einen besseren verdient. Ich hätte niemals zulassen sollen, dass sie ihn heiratete. Ich war ja auch dagegen, aber sie hat nicht auf mich gehört.«
Schweigen senkte sich über den kleinen Raum, in dem sich außer dem Bett nur ein schmaler Schrank und eine Waschgelegenheit befanden. Die alte Frau hing ihren Erinnerungen nach, und Franziska wagte es nicht, sie zu stören oder ihr gar ein zweites Mal zu widersprechen, obwohl sie manches zu sagen gehabt hätte. Es lag ihr fern, ihren Schwager Arnold Steinbacher in Schutz zu nehmen, trotzdem hätte sie ihm gern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Es lag ihr auf der Zunge, ihre Mutter darauf aufmerksam zu machen, dass sie keinen Mann gut genug für ihre geliebte Lilian gehalten hätte, aber sie beherrschte sich.
Franziska besaß einen ausgeglichenen Charakter und ein einlenkendes Wesen. Daher war sie inmmer eine gehorsame Tochter gewesen. Und jetzt, da nur noch einige Tage, ja, vielleicht nur noch Stunden vor ihrer Mutter lagen … Bei dieser Überlegung traten Tränen in Franziskas Augen, die sie verstohlen wegwischte.
Anna Eder beachtete Franziska nicht. Sie war mittlerweile zu einem Entschluß gekommen. »Versprichst du mir etwas?«, bat sie ihre Tochter hastig.
»Alles, was du willst«, erwiderte Franziska.
»Es geht um Dieter«, fuhr die Kranke mit fieberhafter Aufregung fort. »Er ist noch so klein und hilflos, und wenn ich tot bin, hat er niemanden mehr außer dir.«
»Willst du, dass ich verspreche, für Dieter zu sorgen? Aber das ist selbstverständlich«, sagte Franziska beschwichtigend und unterließ es festzustellen, dass außer ihr sehr wohl noch ein Angehöriger ihres Neffen existierte.
Doch zum zweitenmal innerhalb weniger Minuten erriet Anna die Gedanken ihrer Tochter. »Arnold liegt nichts an seinem Sohn«, murmelte sie grollend. »Er hat ihn in all den Jahren konsequent vernachlässigt. Er glaubt, Geld, ein paar Geschenke und hie und da eine Ansichtskarte sind alles, was ein Kind von seinem Vater erwartet.«
»Arnold lebt so weit weg«, entschuldigte Franziska nun doch ihren Schwager. »Wenn er von Persien zurückkommt, wird er sich vielleicht mehr um Dieter kümmern.«
»Das wirst du doch nicht zulassen?«, rief Anna erregt.
»Aber Mutti! Gerade eben hast du dich beschwert, dass Arnold seinen Sohn vernachlässigt, und jetzt …«
Franziska unterbrach sich. Es war zwecklos, die Schwerkranke auf die Unlogik ihrer Denkungsweise aufmerksam zu machen. »Mach dir wegen Dieter keine Sorgen«, fuhr sie stattdessen fort. »Ich werde immer für ihn dasein.«
Wieder hörte die Kranke ihrer Tochter nicht zu. Es waren andere Überlegungen, die sie bewegten und sichtlich aufregten. »Vielleicht wirst du um Dieter kämpfen müssen«, flüsterte sie in fiebriger Hast. »Eines Tages wird Arnold wieder heiraten. Dann darfst du nicht zulassen, dass Dieter eine böse Stiefmutter bekommt. Das musst du mit allen Mitteln verhindern – hörst du?«
»Aber … aber wie stellst du dir das vor?«, stotterte Franziska. »Ich kann Arnold nicht verbieten, ein zweites Mal zu heiraten. Übrigens hat er nie angedeutet, dass er diese Absicht habe …«
»Arnolds Absichten sind mir völlig gleichgültig«, fiel Anna ihrer Tochter ins Wort. »Soll er heiraten, wen er will und so oft er will. Nur Dieter darf nicht darunter leiden. Du darfst den Jungen nicht einer Stiefmutter ausliefern. Versprich mir das!«
»Ja, ich verspreche es dir«, sagte Franziska ergeben. Doch die Furcht vor einer bösen Stiefmutter für Dieter schien sich im Kopf ihrer Mutter wie eine fixe Idee festgesetzt zu haben, denn sie gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden, sondern beschwor die Tochter wieder und wieder, Dieters Wohlergehen zu ihrem Lebensziel zu machen. Franziska ging auf alle Wünsche ihrer Mutter ein. Nur so gelang es ihr allmählich, die Sterbende zu beruhigen und ihr die Angst, dass Dieter einer ungewissen Zukunft entgegengehe, zu nehmen.
*
Bald darauf dämmerte Anna Eder, wie sie es erhofft hatte, eines Nachts schmerzlos in die andere Welt hinüber. Franziskas Trauer um die verstorbene Mutter war tief und aufrichtig, aber sie fand wenig Zeit, ihren Gefühlen nachzugeben. Ihr Neffe nahm sie voll und ganz in Anspruch und ließ ihr kaum Zeit zum Atem holen.
Schon während der Krankheit ihrer Mutter hatte Franziska ihre eigene kleine Wohnung aufgegeben und war in das Haus ihrer Eltern zurückgekehrt. Es lag am Stadtrand von Maibach in einem nicht allzu großen, aber schön angelegten Garten mit alten Bäumen. In den letzten Jahren hatte Franziska sich um ein eigenes Leben und Unabhängigkeit bemüht, aber damit war es nun vorbei. Jede Kleinigkeit in Haus und Garten, ja selbst die Atmosphäre erinnerte sie an ihre Kindheit – und an Lilian. An eine selbstbewusste und strahlende Lilian, die – so zumindest hatte Franziska es empfunden – vom Augenblick ihrer Geburt an stets und überall im Mittelpunkt gestanden hatte. Es war nicht ganz so gewesen, wie ihre Mutter es kurz vor ihrem Tod angedeutet hatte. Sie hatte nicht Lilian entschädigen wollen, sondern der Vater eher seine ältere Tochter, die, kaum ein Jahr alt, zurückgeschoben und