Das Geheimnis der Geisterlady: Gaslicht 43
Von Eve Tarbot
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Um Mitternacht geisterten zwölf dumpfe Glockenschläge durch das Spukschloß. Sie brachen sich an den dicken Steinwänden, verloren sich in den dämmrigen Gängen und den gruftähnlichen Zimmern, und ein rätselhaftes Leben erwachte. Das alte Gemäuer war mit einemmal voller Geräusche. Tappende Schritte hier. Ein geplagtes Seufzen dort. Ein Knistern und Knacken im Gebälk. Moorcock Castle wurde seinem Aussehen gerecht. Irgendwann fühlte sich Juliet von kalten Fingern berührt. Sie schreckte hoch, und ihr Herz schlug wie verrückt gegen die Rippen. Kein Wunder, wenn einem so etwas widerfährt! Bebend preßte sie die Decke gegen ihren Hals, während sie mit furchtgeweiteten Augen in die Finsternis starrte. War da nicht wieder dieses unheimliche Hecheln? Lord Jonathan Moorcock! schoß es Juliet durch den Kopf. Der Wolf!
Er sieht immer noch so gut aus wie vor fünf Jahren, als ich ihn geheiratet habe, dachte Juliet, während sie George zum Abschied die Hand reichte. Es war ein Abschied für immer.
Die Scheidung war ein glatter, rascher Schnitt gewesen, ohne Schmerzen. Zwei vernünftige Menschen hatten eingesehen, daß sie nicht mehr miteinander leben konnten und hatten das ihrer Ansicht nach einzig Richtige getan.
Da beide Teile keine Ansprüche stellten und vor der Eheschließung Gütertrennung vereinbart worden war, hatten die Anwälte so gut wie nichts zu tun. Es kam zu keinen Wutausbrüchen, keinen wüsten Beschimpfungen, es flossen keine Tränen.
Eine unhaltbar gewordene Verbindung ging zu Ende, und beide Seiten waren sichtlich erleichtert darüber. Heute wußte Juliet, daß es ein Fehler gewesen war, George Franklyn zu heiraten.
Vor fünf Jahren hatte sie anders darüber gedacht. Freunde hatten
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Buchvorschau
Das Geheimnis der Geisterlady - Eve Tarbot
Gaslicht
– 43 –
Das Geheimnis der Geisterlady
Wer ist stärker als die Macht des Bösen?
Eve Tarbot
Um Mitternacht geisterten zwölf dumpfe Glockenschläge durch das Spukschloß. Sie brachen sich an den dicken Steinwänden, verloren sich in den dämmrigen Gängen und den gruftähnlichen Zimmern, und ein rätselhaftes Leben erwachte. Das alte Gemäuer war mit einemmal voller Geräusche. Tappende Schritte hier. Ein geplagtes Seufzen dort. Ein Knistern und Knacken im Gebälk. Moorcock Castle wurde seinem Aussehen gerecht. Irgendwann fühlte sich Juliet von kalten Fingern berührt. Sie schreckte hoch, und ihr Herz schlug wie verrückt gegen die Rippen. Kein Wunder, wenn einem so etwas widerfährt! Bebend preßte sie die Decke gegen ihren Hals, während sie mit furchtgeweiteten Augen in die Finsternis starrte. War da nicht wieder dieses unheimliche Hecheln? Lord Jonathan Moorcock! schoß es Juliet durch den Kopf. Der Wolf!
Er sieht immer noch so gut aus wie vor fünf Jahren, als ich ihn geheiratet habe, dachte Juliet, während sie George zum Abschied die Hand reichte. Es war ein Abschied für immer.
Die Scheidung war ein glatter, rascher Schnitt gewesen, ohne Schmerzen. Zwei vernünftige Menschen hatten eingesehen, daß sie nicht mehr miteinander leben konnten und hatten das ihrer Ansicht nach einzig Richtige getan.
Da beide Teile keine Ansprüche stellten und vor der Eheschließung Gütertrennung vereinbart worden war, hatten die Anwälte so gut wie nichts zu tun. Es kam zu keinen Wutausbrüchen, keinen wüsten Beschimpfungen, es flossen keine Tränen.
Eine unhaltbar gewordene Verbindung ging zu Ende, und beide Seiten waren sichtlich erleichtert darüber. Heute wußte Juliet, daß es ein Fehler gewesen war, George Franklyn zu heiraten.
Vor fünf Jahren hatte sie anders darüber gedacht. Freunde hatten ihr von dieser Verbindung abgeraten. Sie hatten gewußt, daß das nicht gutgehen würde. Vielleicht hatte es ihnen Juliet beweisen wollen. Vielleicht hatte sie George aus Trotz geheiratet.
Der Grund war heute nicht mehr so wichtig. Sie hätte es nicht tun sollen, und nun war sie um eine Erfahrung reicher. Jeder Mensch muß in seinem Leben Lehrgeld bezahlen.
Juliet hatte die Rechnung soeben vor dem Scheidungsrichter beglichen und war froh, wieder frei zu sein. Sie gab George nicht allein die Schuld daran, daß die Ehe nicht gehalten hatte.
Fairerweise mußte sie sich eingestehen, daß auch sie mit dazu beigetragen hatte. Wie auch immer, es war vorbei, gehörte bereits der Vergangenheit an.
Sie standen auf der Straße. Autos fuhren an ihnen vorbei. Menschen gingen ihres Weges, ohne von ihnen Notiz zu nehmen. Juliets schmale Hand lag in der seinen, die groß, gepflegt und kräftig war.
Er hatte sie in den fünf Jahren nie beschützt, wenn sie Schutz gebraucht hatte. Sie war immer auf sich selbst gestellt gewesen. Als würde sie allein leben.
Der Wind zerzauste sein dichtes braunes Haar. Juliet sagte sich, daß sie sich nicht so sehr von seiner Schönheit hätte blenden lassen dürfen. Sie hätte einen Blick hinter die Fassade werfen müssen, aber dazu hatten sie sich beide nicht die Zeit genommen.
Sie hatten nicht geprüft, ob sie zueinander paßten, waren einfach in das kalte Wasser gesprungen. Wird schon gutgehen, hatten sie gedacht. Aber es war schiefgegangen.
»Mach’s gut«, sagte George und lächelte.
»Du auch«, erwiderte sie.
Er drückte ihre Hand. »Bleiben wir Freunde?«
»Warum nicht?«
»Solltest du einmal Hilfe brauchen oder deprimiert sein – du kannst mich jederzeit anrufen.«
Sie nickte. »Ist gut.«
»Was wirst du jetzt machen?«
»Interessiert es dich wirklich?«
»Würde ich sonst fragen?«
»Ich werde London für eine Weile verlassen. Ich habe genug von der Hektik dieser Stadt. Ich möchte irgendwo, wo es still und friedlich ist, abschalten und ausspannen.«
»Ich wünsch’ dir, daß es dir gelingt, Juliet.«
»Danke. Würdest du jetzt bitte meine Hand loslassen?« Sie lachte leise. »Sonst denken die Leute noch, wir wären ein Liebespaar, und das wäre doch wirklich grotesk.«
Er zog seine Hand zurück. »Tut mir leid, daß es mit uns nicht geklappt hat, Juliet.«
»Beim nächstenmal werden wir beide etwas vorsichtiger sein, nicht wahr?«
»Wirst du’s noch einmal versuchen?«
Sie zuckte die Schultern. »Das weiß ich noch nicht. Mir ist nur klar, daß ich für’s Alleinsein nicht geschaffen bin.«
Er wies auf seinen Wagen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite in der Sonne stand. »Kann ich dich ein Stück mitnehmen?«
»Laß nur, ich nehme ein Taxi.«
»Tja, also dann…«
Sie lächelte amüsiert. »Warum gehst du nicht endlich? Ich sehe doch, daß du’s möchtest.«
»Ich bin ein bißchen durcheinander«, gestand er. »Es ist schließlich meine erste Scheidung.« Er beugte sich vor, um sie zu küssen. Sie drehte den Kopf ein wenig, und seine Lippen berührten ihre Wange.
Sie empfand gar nichts dabei, und sie sagte sich, daß sie von der Krankheit, die »George Franklyn« hieß, geheilt war.
Er überquerte die Straße mit federnden Schritten. Ein Traummann, mochte man meinen. Juliet hatte die Erfahrung gemacht, daß er das nicht war. Jedenfalls nicht für sie.
Er stieg in seinen großen amerikanischen Wagen und fuhr los. Flüchtig winkte er ihr noch zu, daß sie zurückwinkte, sah er schon nicht mehr. Als der Wagen um die Ecke bog und Juliets Blicken entschwand, atmete sie erleichert auf.
Dieses Kapitel ihres Lebens war zu Ende. Ein neues konnte beginnen.
*
Sie winkte einem Taxi und ließ sich nach Hause bringen. Kensington Road 435 war ihre Adresse. Sie hatte da vor drei Wochen ein Sechszimmerapartement gemietet. Möbliert, und mit Blick auf den Hyde Park.
Eine hübsche Wohnung, die ihr auf Anhieb gefallen hatte. Sie hatte nur ein paar persönliche Dinge aufgestellt und sich sofort zu Hause gefühlt. Während Juliet im Fond des Taxis saß, dachte sie an George, der seine wiedergewonnene Freiheit bestimmt mit Freunden gehörig feiern würde.
Natürlich würden auch die entsprechenden Mädchen da sein, aber das regte Juliet nicht mehr auf. Jetzt durfte er sich ja auf diese Weise amüsieren. Bis vor einer Stunde hätte er das nicht gedurft. Er hatte es aber doch getan. So war George Franklyn nun einmal. Er konnte sich nicht ändern, und Juliet war es nicht gelungen, ihn so zu akzeptieren. Der Hyde Park kam in Sicht. Das Taxi verlangsamte seine Fahrt und blieb schließlich stehen.
Juliet bezahlte den Fahrpreis und stieg aus. In ihrer Wohnung angekommen, ließ sie sich sofort ein Bad ein. Sie hatte irgendwie das Gefühl, sich reinwaschen zu müssen.
Das Badewasser verströmte köstlichen Lavendelduft. Nackt trat Juliet vor den großen ovalen Kristallspiegel, um sich darin zu betrachten. Sie war bildhübsch und trug das sandfarbene Haar schulterlang. Ihr schlanker, biegsamer Körper wies nicht den geringsten Makel auf.
Vorsichtig prüfte sie, ob das Wasser nicht zu heiß war. Dann versank sie zwischen hohen weißen Schaumgebirgen, schloß die Augen und versuchte an gar nichts zu denken.
Es gelang ihr auch, und beinahe wäre sie eingeschlafen. Das Läuten des Telefons verhinderte es. Juliet stand auf, spülte den Schaum mit der Handbrause von ihrer Haut, schlüpfte in einen weichen weißen Bademantel und begab sich ins Wohnzimmer.
Der Anrufer war Alan Raft, ihr väterlicher Freund und Berater. »Na, Kleines, ist es überstanden?«
»Ja, Alan.«
»War’s schlimm?«
»Überhaupt nicht.«
»Ich wollte ja mitkommen, aber du hast darauf bestanden, allein hinzugehen.«
»Ich habe dich wirklich nicht gebraucht, Alan. Es war alles ganz leicht.«
»Oh, das hört aber niemand gern, daß er nicht gebraucht wird«, sagte Alan Raft schmollend. »Brauchst du mich jetzt auch nicht?«
»Es gibt keinen Katzenjammer, wenn du darauf anspielst.«
»Darf ich trotzdem auf einen Drink vorbeikommen?«
Sie lachte. »Wie könnte ich dir das abschlagen!« In ihrem Nacken setzte sich ein seltsames Gefühl fest. Unbehagen krabbelte wie mit kalten Spinnenbeinen über ihren Rücken.
Juliet hatte mit einemmal das Gefühl, nicht allein im Raum zu sein. Unsinnig war das, denn niemand hatte einen Schlüssel zu ihrem Appartement. Unangenehm berührt drehte sich Juliet um.
Niemand war da. Wen hatte sie zu sehen erwartet? Das lästige Gefühl verstärkte sich aber auf eine unerklärliche Weise. Angst kroch plötzlich ohne ersichtlichen Grund in Juliets Herz.
»Ich bin in zwanzig Minuten bei dir«, sagte Alan Raft.
Juliet antwortete nicht.
Juliets Blick suchte die Bedrohung, die sie so deutlich spürte. Was war in ihre Wohnung eingedrungen? Ihre Augen blieben an einem alten Foto hängen, das gerahmt an der Wand hing und ein düsteres Schloß zeigte.
Dicke, verwitterte graue Mauern, ein trotziger Turm, finstere Fenster. Das war Moorcock Castle. Juliets Schwester Shirley O’Hara, eine Malerin, hatte ihr dieses Foto geschickt, als sie Moorcock Castle