Traumkarussell: Mysterythriller
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Buchvorschau
Traumkarussell - Alfred J. Schindler
Traumkarussell
Traumkarussell
Mysterythriller
von
Alfred J. Schindler
VORWORT
Träume kommen und gehen, wie es ihnen beliebt. Sie sind geheimnisvoll und unergründlich. So könnte man es wohl nennen. Jedoch im Grunde genommen sind sie ja völlig harmlos...
Genau dieser Ansicht war auch ich, bevor mir folgendes passierte - mir, Peter Sommer: In einer Nacht - einer Nacht wie jeder anderen - beginnt für mich das Furchtbare, das Schreckliche. Geheimnisvoll, nicht fassbar, unergründlich und...
...unaufhaltsam.
Es ist der Beginn eines Traumes, der nicht mehr enden will. Eine an den Nerven zerrende, unerträgliche Situation.
Ja, und was das Schlimmste daran ist: ich bin dagegen völlig machtlos! Ich bin diesem Traum absolut ausgeliefert - auf Gedeih und Verderb.
01. NACHT - Samstag / Sonntag
Er war plötzlich da. Dieser seltsame, aber schöne Traum. Ich träumte, dass ich plötzlich wieder jung war. Ich lag auf einer jungen, sinnlichen Frau namens Anna und beglückte sie mit Wonne. Sie kam mir sehr vertraut vor: So, als ob ich sie schon lange kennen würde. Sie nannte mich Fritz. Einfach Fritz.
Dann wachte ich auf.
xxx
„Guten Morgen, Luise!" Freundlich lächle ich sie an.
„Einen schönen guten Morgen, Peter!" Ihre Augen wirken sehr frisch.
Wir haben einen herrlichen Sonntag im August und die Welt ist für uns in bester Ordnung. Nichts belastet oder bedrückt uns: Die Wohnung, hier am Rand von Ingolstadt, ist mittlerweile abbezahlt, Luise verdient als Schmuckverkäuferin in der Galeria Kaufhof im Stadtzentrum ganz passabel, und mein Job als Masseur ist gesichert. Ja, und was das Wichtigste ist: Wir sind gesund. Unser Leben ist im Gleichgewicht.
Noch.
„Luise, reiche mir doch mal bitte die Kaffeekanne herüber!"
Sie tut es mit einer weit ausholenden Bewegung und sagt: „Du hast letzte Nacht im Schlaf so merkwürdig gestöhnt!"
„Ich? Gestöhnt?" Ich setze mein unschuldigstes Gesicht auf.
„Ja, aber hundertprozentig! Ich dachte schon, du würdest wieder einmal über mich herfallen wollen!" Sie lacht etwas gekünstelt, und ich fühle mich indirekt angesprochen.
„Was für ein Unsinn. Ich bin ja froh, wenn ich noch alleine gerade stehen kann!", versuche ich zu scherzen.
„Hattest du Schmerzen?"
„Welche Schmerzen denn?"
„Ich weiß nicht."
„Aber nein."
„Hast du schlecht geträumt?"
„Nein."
Immer wieder will sie frühmorgens von mir wissen, was ich in der letzten Nacht geträumt habe, aber ich verspüre keinerlei Lust, ihr meine unterbewussten Phantastereien zu erzählen. Ich finde, das geht nur mich etwas an.
Ja! Das wäre ja noch schöner!
Schon längere Zeit befasst sie sich mit dem Thema Traumdeutung. Sie besitzt sicherlich zehn oder mehr Bücher darüber. Natürlich bräuchte sie jetzt ein Versuchskaninchen, eine Person, deren Träume sie analysieren könnte.
Aber nicht mit mir - bitteschön!
Ich kann da fürchterlich stur sein!
„Wieso willst du mir nicht sagen, was du Seltsames geträumt hast?" Sie gibt nicht auf.
„Weil ich Kopfschmerzen habe."
„Du willst also mit anderen Worten deine Ruhe haben, ja?" Sie zieht theatralisch ihre Augenbrauen hoch.
„Richtig, Luise." Ich lehne mich entspannt zurück. Nach dem Motto: Jetzt habe ich endlich meine Ruhe.
Mir ist klar, dass sie mir meine Ausrede nicht abnimmt, aber es ist mir egal. Ich köpfe mein hart gekochtes Ei und schneide eine frische Semmel auf.
Wie neugierig sie doch ist!
Geradezu penetrant!
Aber so ist sie nun mal.
Meine gute Luise.
Ich denke unwillkürlich - bedingt durch ihre ewige Fragerei - wieder an meinen ungewöhnlichen Traum zurück: Wie zärtlich es doch war, dieses junge Mädchen! Wie anschmiegsam und zugleich auch so überaus wild! Wie hingebungsvoll sie mich umarmt und geküsst hatte!
Voller Verlangen...
Voller Hingabe.
Je länger ich über diesen seltsamen Traum nachdenke, desto intensiver wird er. Wie kurz er aber zugleich auch war, dieser wunderbare Traum!
Jedoch so ungeheuer stark!
So komprimiert und intensiv!
Als ob er wirklich geschehen wäre.
Jedenfalls empfand ich dieses nächtliche Erlebnis so - oder so ähnlich. Es war einer dieser Träume, die man als absolut echt, der Wahrheit entsprechend, einstufen kann. Man wundert sich im Nachhinein doch sehr, dass man so etwas Ungewöhnliches überhaupt geträumt hat.
Ich kann mich leider nicht an ihr Gesicht erinnern. Wie schade. Aber eines blieb in meinem Gehirn hängen: Sie sagte, exakt als der Traum endete: „Ich muss mich kurz um Susanna kümmern, Fritz!"
„Peter!" Forschend betrachtet sie mein Gesicht.
„Ja, Luise?"
„Was überlegst du denn andauernd?"
„Ich? Nichts!"
„Du bist doch in Gedanken schon wieder ganz woanders!"
„Ich habe mir soeben ausgemalt, wie wir unseren Herbsturlaub gestalten werden!" Wie schnell mir die Notlügen über die Lippen kommen!
Ihr Gesicht blüht auf: „Was hast du denn für Vorstellungen?"
Paff. Jetzt sitze ich fest. Was soll ich ihr so schnell erzählen? So fix bin ich mit meinen Erklärungen ja nun auch wieder nicht. Aber wer A sagt, muss auch B sagen:
„Nun, ich dachte an Italien. Genauer gesagt, an Sizilien. Was hältst du davon?"
Meine Gedanken schweifen ab, hinab ins sonnige, unbekümmerte Italien. Ja, das wäre jetzt wohl das Ideale. Eine kleine Urlaubsreise nach Süditalien. Sonne, Meer, gutes Essen und abends eine kühle Flasche Rotwein.
„Sag mal, was ist denn mit dir los? Wir waren doch erst letztes Jahr auf Sizilien!" Entrüstet blickt sie mich an.
„Waren wir?"
„Du bist ja total daneben, Peter. Es ist schon ein Kreuz mit dir!" Sie wirkt etwas verstört. Und empört. Aber das muss ich ihr wohl zugestehen.
Sie steht vom Frühstückstisch auf. Sie trägt wie immer ihren weiten, geblümten Morgenmantel, dessen langer Gürtel meist halb auf dem Boden dahinschleift. Gelegentlich stolpert sie auch darüber, aber ich sage schon gar nichts mehr. Sie beginnt langsam, den Tisch abzuräumen.
„Lass mir die Semmeln hier!", töne ich ihr hinterher.
Mein morgendlicher Appetit ist enorm. Ob etwa dieser seltsame Traum daran schuld ist? Dieses heiße Liebesspiel? Ja, bestimmt ist es so. Solch ein intensives Zusammensein kostet viele Kalorien!
„Bitte heißt das, du alter Lümmel!", keift Luise zurück. Ihre Stimme ist erhoben. Sie klingt etwas theatralisch, was ich gar nicht mag.
Gemächlich stehe ich auf und widme mich meiner geliebten Sonntagmorgenzeitung, dem Donaukurier. Ich habe die Zeitung erst kürzlich abonniert, weil es meiner Meinung nach nichts Praktischeres gibt. Ich könnte zwar auch im Fernsehapparat Teletex lesen, aber eine Zeitung finde ich wesentlich persönlicher, übersichtlicher und zugleich etwas nostalgisch. Denke ich zumindest.
Schon nach einer halben Minute fällt mir auf, dass ich mich weder auf den politischen, noch auf den Sportteil, geschweige auf das Lokale konzentrieren kann.
Was ist nur los mit mir?
Warum bin ich denn so zerstreut?
Ein Gedanke schießt mir plötzlich durch den Kopf: Wie kann es überhaupt möglich sein, dass gerade ich einen solchen Traum habe? Ich denke doch normalerweise nie an junge Mädchen! Wie kann es möglich sein, dass ich Derartiges träume?
Nein, aber auch! Was sind diese Träume doch für unberechenbare Gesellen! Sie machen mit unseren menschlichen Gehirnen und unserer empfindlichen Psyche, was immer sie wollen. Ich kenne ja Leute, die überhaupt nicht träumen. Einsteils könnte man sie bewundern, aber anderseits können sie einem - wenn ich z. B. an meinen letzten Traum zurückdenke - fast leidtun. Sie wissen gar nicht, was ihnen alles entgeht!
Luise und ich sind ja der allgemeinen Ansicht, dass sich das menschliche Unterbewusstsein im Traum mit den Dingen beschäftigt, die man im täglichen Leben nicht so richtig verarbeitet hat, also am direkten Tag zuvor. Es kann aber auch passieren, dass sich dieses so genannte Unterbewusstsein mit Ereignissen beschäftigt, die schon lange Zeit zurückliegen. Darauf baue ich natürlich. Wenn ich jedoch jetzt meinen Traum der letzten Nacht betrachte, muss ich mir eingestehen, dass dieser nicht das Geringste mit meinem Bewusstsein zu tun hatte.
Oder mit meiner weit zurückliegenden Vergangenheit! Geschweige denn, mit dem Tag zuvor! Auch nicht mit irgendeinem anderen Tag!
„Peter?"
„Ja, Luise?"
„Eine letzte Frage."
„Die wäre?" Fast ungeduldig blicke ich sie an. Gelegentlich geht sie mir mit ihrer penetranten Fragerei ganz gewaltig auf den Senkel.
„Hast du letzte Nacht von einer anderen Frau geträumt?"
xxx
Als Luise und ich nachmittags auf der stark besuchten Badewiese an unserem geliebten Auwaldsee, der sich wohlbehütet zwischen wunderschönen Mischwäldern am östlichen Rand von Ingolstadt befindet, auf unseren bunten Luftmatratzen liegen, habe ich dieses nächtliche Traumerlebnis hintergründig verdrängt. Wahrscheinlich deswegen, weil ich hier draußen sehr abgelenkt bin. Wie ein kurzes, intensives Erlebnis verschwindet die Erinnerung irgendwo in der hintersten Ecke meines Gehirns. Dort liegt sie nun in Schublade X und scheint erledigt.
Es scheint...
Luise kommt im Laufe des sonnigen Nachmittags freundlicherweise nicht auf die glorreiche Idee, mich erneut nach diesem Traum zu fragen.
Mich zu löchern!
Was sollte ich dazu auch sagen?
Ich hätte dafür keinerlei plausible Erklärung.
Es ist sehr heiß heute, und die Stunden am Badesee werden recht angenehm. Als wir abends zu Hause in unserem kühltemperierten Wohnzimmer zusammen fernsehen, versuche ich, nicht mehr an diese junge Frau und ihre heißen Umarmungen zu denken, denn der Traum kommt gedanklich immer wieder zurück.
Wieso sollte ich auch?
Es gibt dazu keinerlei Anlass!
Im Nachhinein wundere ich mich aber trotzdem, dass mich dieser ungewöhnliche, kurze Traum so sehr beansprucht.
War er wirklich so kurz?
Ja, die Handlung an sich war es.
Aber sehr intensiv!
Und auch so wahnsinnig echt!
Täuschend echt.
Wie gesagt.
Eigentlich hatte ich gar nicht bewusst oder gezielt darüber nachgedacht! Nein! Diese Erinnerung, die verschwunden schien, hatte sich im Laufe des Spätnachmittags dann, wie gesagt, doch immer und immer wieder bemerkbar gemacht: Sie hatte sich klammheimlich in meine Gedanken geschlichen. Zuerst ganz zaghaft, aber dann immer intensiver.
Sie, die Erinnerung.
Und sie, diese junge Frau.
Je öfter ich versucht hatte, über irgendetwas anderes nachzudenken, desto öfter mischte sich diese junge Frau in meine realen Gedanken. Was für eine aufdringliche Person!
Was will sie denn von mir?
Etwas später findet im ehelichen Schlafzimmer die allgemeine, ungemein ausführliche Konversation statt, wie sie zwischen einem alten Ehepaar eben so üblich ist:
„Gute Nacht, Luise!"
„Schlaf gut, Peter."
Ich liege hellwach in meinem Bett und kann einfach nicht einschlafen. Beim besten Willen nicht! Etwas Unerklärliches verhindert, dass ich endlich abschalten kann. Ist es meine Erwartungshaltung, die mich so nervös macht? Ja, so wird es wohl sein. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem ich sehr, sehr müde werde.
Bevor ich endlich wegdämmere, geistert noch so Einiges durch meinen angestrengten Kopf: Der morgige Arbeitstag, unser Audi, der endlich in den Kundendienst muss, und noch einige weitere Kleinigkeiten, die zu erledigen sind. Übergangslos döse ich langsam, sehr langsam hinüber...
... in das Reich der Träume.
02. NACHT - Sonntag / Montag
„Hallo! Wo warst du denn so lange?"
Wie empört sie mich ansieht!
Sie will von mir wissen, wo ich so lange war!
„Meinst du etwa mich?"
„Aber ja, mein Schatz."
Gegenfragen sind immer die besten Fragen, sage ich mir: „Wo hast du denn dieses schwarze Neglige her, Anna?"
„Ich habe es mir gekauft!"
„Wovon denn?"
„Von dem überschüssigen Haushaltsgeld!"
„Ah ja."
„Du musst aufstehen, Fritz!"
„Ist es schon sieben Uhr?"
„Halb sieben!"
„Dann könnten wir ja noch ein wenig..." Ihre Augen glitzern verführerisch und sehr verlangend.
Sie dreht sich langsam zu mir herüber und ich sehe ihre dunklen, steifen Warzen durch das schwarz schimmernde Neglige, das ihr ein bisschen zu groß ist. Mit meinem jugendlichen Elan nehme ich sie, meine kleine Anna.
Plötzlich:
„Fritz, Susanna schreit!"
„Ja, ich höre sie klar und deutlich!" Meine Verärgerung ist deutlich erkennbar.
„Siehst du nach ihr?", fragt sie zaghaft.
„Wieso ich?"
„Nun ja, ich dachte ja nur."
„Mach du das Mal, Anna!"
Sie macht sich aus meinen Armen frei und springt wie ein munteres Rehlein aus dem deutlich hörbar quietschenden Doppelbett. Ein Blick auf meine Uhr: Es ist kurz vor sieben. Zeit, aufzustehen.
Anna erscheint, Susanna auf dem Arm, im Schlafzimmer. Die Kleine reibt sich verschlafen ihre Augen. Und sie gähnt dabei. Genauso drollig, wie es eben alle kleine Kinder tun.
„Papa!" Wie sie strahlt! Einfach göttlich!
Diese wunderschönen, blauen Augen! Sie hat dieselben Augen wie ihre Mutter. Ein durchdringendes Blau.
„Komm her, mein kleiner Schatz!"
Anna reicht sie mir herunter und ich küsse sie auf ihr noch sichtlich müdes Gesichtchen.
„Ich mache jetzt das Frühstück, Fritz. Hast du an den VW Käfer gedacht, den du heute in Nürnberg holen musst?"
„Oh! Stimmt ja! Ich muss mich beeilen!"
Gerade, als ich mit beiden Beinen in meine Hose fahre, werde ich wach.
xxx
Ich blicke um mich und fühle mich desorientiert. Ein kurzer Blick auf meine teuere Armbanduhr sagt mir: Es ist kurz vor 07.00 Uhr. Zeit, aufzustehen. Wo bin ich denn hier? Ach ja! In unserem ehelichen Schlafzimmer! Aber natürlich! Dort liegt Luise und schläft noch tief und fest. Ich lasse sie selbstverständlich schlafen. Sie muss ja erst um halb acht aus den Federn, weil ihre Arbeit in der Galeria Horten erst um neun Uhr beginnt.
Was war das denn?
War das nicht wieder...
In meinem Kopf dreht sich alles: Sehe ich die Sache falsch, oder träumte ich gerade wieder von dieser Frau? Wie hieß sie noch? Anna! Aber sicher. Da war doch auch noch dieses etwa vierjährige Mädchen Susanna! Richtig! Ich hatte sie in den Armen gehalten und geküsst! Warum hatte ich sie denn geküsst? Ja, wieso denn? Jetzt weiß ich es wieder:
Ich war ihr Vater!
Im Traum natürlich!
Versteht sich!
Diese Anna nannte mich Fritz!
Fritz.
Ein witziger Name.
Nein, danke.
Peter gefällt mir besser.
Wie jung diese Anna und ich in diesem seltsamen, so überaus realistischen Traum doch waren! Ich schätze sie auf zwanzig und ich - Fritz - war etwa fünfundzwanzig Jahre alt.
Ich - Fritz!
Eine seltsame Erkenntnis.
Ja, ich war im Traum dieser Mann namens Fritz.
Es war nicht so, dass ich den Traum so empfand, als ob ich ein Außenstehender wäre. Nein: Ich, Peter Sommer, der Träumer, war dieser junge Mann.
Ich war er.
Wie gesagt.
Wie kann ein Traum so ungemein echt sein?
So absolut realistisch?
Es ist mir ein Rätsel.
Er war wie ein Film vor meinen Augen abgelaufen.
Dieser tolle Traum.
Wie ein Farbfilm.
War er wirklich in Farbe?
Ja, eindeutig.
Ich sitze immer noch in meinem Bett, und kann es noch gar nicht kapieren. Einen solch faszinierenden Traum hatte ich in meinem langen Leben noch nie gehabt.
Nein.
Ich kann mich nicht erinnern.
Urplötzlich - ich will gerade aufstehen, in meine bereitstehenden Pantoffeln springen und zur Toilette gehen - wird mir bewusst, dass dieser Traum gewissermaßen die Fortsetzung des Traumes von letzter Nacht war. Kann es möglich sein, dass man denselben Traum - also, mit den gleichen Personen und der fast identischen Handlung - hintereinander zweimal erlebt? Das würde mich jetzt aber schon wirklich sehr interessieren! Noch nie träumte ich zwei Nächte hintereinander fast dasselbe!
Nun gut.
Es dürfte ja kein Problem darstellen.
Wieso auch?
Aber irgendwie war es ungewöhnlich.
Äußerst ungewöhnlich!
Und so aufregend!
Insbesondere der Sex mit Anna war phantastisch.
Was bin ich doch für ein altes Schwein.
Ich werde vorsichtshalber Luise fragen, ob auch sie ein solches Phänomen kennt. Sie weiß ja fast alles über Träume, wie gesagt, und dies kommt mir nun doch sehr gelegen.
„Peter?"
„Luise! Bist du wach geworden?"
„Ja, wenn ich es nicht wäre, könnte ich nicht mit dir reden!", lacht sie amüsiert.
Wie recht sie doch hat! Meine Luise. Eine sonnige Seele vor dem Herrn. Genau das schätze ich so sehr an ihr: Ihre positive Ausstrahlung. Wie jung sie noch wirkt, wenn sie in ihrem gestreiften Oberteil neben mir im Bette sitzt!
Wie eine Primaballerina!
Oder so ähnlich.
„Du, hör mal: Kann man zwei Nächte hintereinander dasselbe träumen?" (Jetzt bin ich aber gespannt!)
„Davon habe ich noch nie gehört." Entgeistert blickt sie mich von der Seite an.
„Aber es kann prinzipiell doch möglich sein, oder?" Lauernd, aber äußerst vorsichtig kommt meine Frage.
„Das kann ich so nicht beurteilen."
„Mach dich doch mal schlau darüber."
„Du hattest heute wieder denselben Traum wie letzte Nacht, Peter?"
„Ja."
Wieso lüge ich sie an?
Es war nicht derselbe Traum!
Die Handlung war nicht dieselbe!
Nur der Sex war wieder vorhanden.
Genau.
Aber es spielten dieselben Personen mit!
Abgesehen von Susanna.
Anna, Susanna und ich - nein, Fritz natürlich.
Ja! Es war die Fortsetzung des letzten, nein, des ersten Traumes von letzter Nacht!
Aber sicher!
„Was hast du denn geträumt?"
Diese Frage musste ja kommen! Ich hätte es wissen müssen! Sicherlich wird sie jetzt so lange keine Ruhe geben, bis ich ihr den gesamten Traum erzählt habe.
Nun gut.
Wie sie meint.
„Ich träumte, dass ich beim Zahnarzt war und mir ein Stockzahn gerissen wurde!"
„Ein Stockzahn?"
„Ja."
„War das der Traum von dieser Nacht oder von letzter?"
„Von dieser."
„Das gleiche hast du auch letzte Nacht geträumt?"
„Ja."
„Dann hast du also letzte Nacht nicht von einer anderen Frau geträumt?"
„Aber nein."
Ich werde selbstredend nicht rot, abgebrüht, wie ich nun mal bin. Versteht sich.
„Auch letzte Nacht wurde dir ein Stockzahn gerissen?"
„Ja."
„Derselbe Zahn?"
„Das kann ich nicht beurteilen."
„Derselbe kann es nicht gewesen sein, Peter. Man kann sich ja schließlich nicht den gleichen Zahn zweimal reißen lassen, oder?"
„Das stimmt, Luise. Du hast wie immer recht."
„Ich habe nicht immer recht!"
„Doch, meistens."
„Aber es wäre doch wichtig zu wissen, ob es der gleiche Zahn, oder aber ein anderer war!" Wie entrüstet sie mich ansieht!
„Du sagtest doch soeben selbst, dass man einen Zahn nicht zweimal ziehen kann!"
„Im Traum vielleicht schon. Also: war es nun der gleiche Zahn, oder nicht?"
„Luise, ich weiß es leider nicht mehr."
„Du müsstest das aber schon wissen, bei dieser unglaublichen Traumintensität!"
„Du gehst mir langsam auf die Nerven!"
Mein Gott!
Wie penetrant sie wieder nachbohrt!
Alles will sie haargenau wissen.
Jede noch so unwichtige Kleinigkeit.
Unwillkürlich fasse ich in meinen Mund und fahre mit dem Zeigefinger über eine Stelle seitlich im Unterkiefer, an der schon lange einer meiner Stockzähne fehlt.
„Ich glaube, es war dieser Zahn hier, Luise!"
Sie ist wegen meiner Andeutung nicht eingeschnappt. Sie kommt mit ihrem Gesicht sehr nahe zu mir her und glotzt in meinen weit aufgerissenen Mund. Was für ein Bockmist! Hätte ich nur nicht diese dumme Geschichte vom Zahnarzt erfunden! Aber ich wollte ja lediglich auf sie Rücksicht nehmen - auf sie, meine Ehefrau! Wer weiß, wie sie reagiert hätte, wenn ich ihr erzählt hätte, dass ich hintereinander zwei Nächte lang auf ein- und derselben Frau gelegen hatte!
Splitternackt!
Und voller Wohllust!
Ein Ehestreit, ja, ein Krach größeren Ausmaßes, wäre vorprogrammiert gewesen!
Nein - dann lieber eine gepflegte Ausrede.
So leid es mir auch tut.
Aber was tut man nicht alles des Friedens Willen?
„Peter, ich werde heute, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, in meinen Büchern genau nachlesen, ob bekannt ist, dass es jemanden gibt, der zwei Nächte hintereinander dasselbe geträumt hat."
„Danke. Du tust mir damit einen großen Gefallen." Ich atme innerlich etwas auf.
„Wieso? Hat dich diese Sache so beunruhigt?" Besorgt blickt sie mich an. Ist sie meine Krankenschwester, oder was?
„Nun, normal ist es ja nicht gerade, oder?"
„Ja, da muss ich dir zustimmen, Peter."
Gerade will ich ins Bad gehen, als sie mir nachruft: „War es auch derselbe Zahnarzt?"
„Es war eine Ärztin."
„Dieselbe?"
„Ja."
„War sie noch jung?"
„Nein, sie war schon etwas älter."
Mein Gott!
Hätte ich nur nichts gesagt!
Jetzt wühlt sie bestimmt in ihren Schmökern und sucht nach einer Person, der derselbe Zahn zweimal gerissen wurde! Also, im Traum, versteht sich. Aber soll sie nur suchen. Schließlich ist es ja ihr Hobby!
Als ich etwas später in unserer Physiotherapeutischen Praxis ankomme, in der ich schon seit dreißig Jahren arbeite, bin ich gedanklich schon wieder bei diesem Wahnsinnstraum: Kannte ich in meiner Jugend eine gewisse Anna? Hatte sie ein Mädchen namens Susanna?
Nein.
Nein.
Und nochmals nein.
Sowohl eine Anna, als auch eine kleine Susanna sind mir gänzlich unbekannt.
Habe davon nie gehört.
Ich bin mir absolut sicher!
Bin ich mir auch wirklich sicher?
Den halben Tag lang beschäftigt mich dieser unglaubliche Traum. Er war so einfach konzipiert, aber er hatte sich, ohne, dass ich es wollte, in mein Unterbewusstsein eingraviert. Wie mit einem dieser gräulichen Stifte auf den Schiefertafeln in den Schulen vor vierzig Jahren.
Wie gesagt.
Jawohl!
Eingraviert!
Und manifestiert.
Zu einer sehr freundlichen Patientin, die schon lange zu uns zur Behandlung kommt, und mit der ich mich duze, sage ich versehentlich zweimal Anna, anstatt Ludmilla. Beim zweiten Mal fragt sie mich, hellhörig geworden, ob meine Frau denn Anna hieße, aber ich beschwichtige sie und erkläre ihr, dass der Vorname meiner Ehefrau Luise sei.
„Hast du Schlingel etwa eine Freundin?", lacht sie, auf der Liege sitzend.
Ihre etwas zu dick geratenen Beine baumeln lustig hin und her. Sie wirkt äußerst amüsiert. Ich sehe ihr an, wie neugierig sie auf meine Antwort ist.
Was will sie denn von mir hören? Ein sexuelles Geständnis? Oder was? Das hätte sie wohl gerne! Aber darauf kann sie lange warten! Denn wo nichts ist, da gibt es auch nichts zu berichten! Schließlich war es nicht die Realität!
Nur ein läppischer Traum!
Dass ich nicht lache!
Mir wird trotzdem plötzlich sehr heiß, obwohl es dafür keinerlei Grund gibt. Tief in meinem Innersten spüre ich, dass ich meine „Traumpartnerin" Anna gewissermaßen als Seitensprung betrachte. Genau! Dieser Gedanke ist zwar geradezu lächerlich, ja, absurd, aber meine tiefsten Empfindungen sagen mir, als diese Patientin so vor mir sitzt, dass ich Anna unbewusst als lebende Person betrachte. Als eine Frau, die in meinem Leben eine gewisse Rolle spielt.
Nicht nur als Traum!
Schließlich war sie so ungeheuer lebendig!
Und so ungemein sexy!
Ich darf gar nicht daran denken!
Ich konnte ihre warme Haut deutlich fühlen!
Ihren festen, jungen Körper.
Den Duft ihrer langen Haare!
Sind meine Gedankengänge normal?
Das muss ich mich aber jetzt schon fragen!
Meine innere Stimme versucht, mich zu beruhigen: Aber, aber. Nur keine Aufregung, Peter. Immer