Kurzgeschichten
Von Detlef Teichert
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Über dieses E-Book
Kinder spielen an einem Ort, an dem sie es nicht sollten.
Ein Prinz verliebt sich in ein einfaches Mädchen.
Ein Mann betritt ein Restaurant, welches ein Geheimnis verbirgt.
Ein anderer Mann recherchiert in einem Mordfall.
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Buchvorschau
Kurzgeschichten - Detlef Teichert
Inhalt und Autor
KURZGESCHICHTEN
Detlef Teichert
Die Geschichten in diesem Buch bewegen sich zwischen Realität, Surrealität, Märchen und Wahnsinn.
Detlef Teichert wurde 1955 in Dortmund/Deutschland geboren. Er hatte zahlreiche Wohnsitze und unternahm Reisen bis ans Ende der Welt.
Ausbildungen und Jobs als (Computer)-Grafiker, Heilpraktiker, Kunsttherapeut und Cranio-Sacral-Therapeut waren begleitet von verschiedenen kreativen Tätigkeiten (Schreiben, Malen, Video-Filmen).
Zurzeit lebt er in Basel/Schweiz.
DER VOGEL
1
Mein Kopf!
Dies ist mein erster Gedanke an diesem Morgen. Ich drehe mich unruhig von der einen zur anderen Seite und richte mich etwas auf, während ich mir mit einer Hand an die Stirn fasse.
Mein Kopf!
Er fühlt sich an, als hätte ich gestern Abend zuviel getrunken. Mein erster Versuch, mich an diesen bewussten Abend zu erinnern, scheitert kläglich. Ich kann mich nicht entsinnen, getrunken zu haben und weiß auch gar nicht, wann und mit wem dies geschehen sein sollte. Aber es bleibt dieses `Blackout`. Ich kann mich nicht einmal mehr an meine Träume erinnern, die ich in dieser Nacht gehabt habe – oder auch nicht?
Es ist durchaus möglich, dass man eine Nacht traumlos verbringt, oder die Träume nach dem Aufwachen bereits vergessen hat. Ich rufe mir meinen eigenen Namen ins Gedächtnis zurück, was mir jedoch völlig belanglos vorkommt.
Die Schwere in meinem Kopf lässt allmählich nach und ich habe den Eindruck, in die Realität zurückzukehren.
Ich schaue zum zweiten Mal auf die Uhr. Der erste Blick erfolgte beinahe unbewusst, während mir die vorhergehenden Gedanken durch den Kopf gegangen waren. Es gibt viele solche Automatismen.
Aber warum mein zweiter Blick? Nun, weil der erste und der zweite eine nicht vorhandene Übereinstimmung ergeben, welche hier gerade im Unterschied liegen sollte. Jedoch existiert kein solcher Unterschied, oder anders ausgedrückt: der elektrische Wecker ist stehen geblieben. Das bedeutet:
Stromausfall!
Diese logischen Schlussfolgerungen direkt nach dem Erwachen erfüllen mich regelrecht mit Stolz.
Der Wecker zeigt kurz nach NEUN.
Also ist es mindestens später, oder aber er ist bereits gestern Abend um diese Zeit stehen geblieben.
Da ich momentan absolut nicht mehr weiß, wann und wie ich überhaupt in mein Bett gekommen bin, lässt sich diese Frage nicht zufriedenstellend beantworten – außer durch einen Blick auf meine Armbanduhr, aber diese befindet sich etwa zwei Meter entfernt von mir.
Entschieden zu weit!
Irgendetwas stimmt hier nicht! Es weckt meine Aufmerksamkeit und lenkt mich von jedem anderen Thema ab.
Was ist es?
Nichts!
Genau damit habe ich mir die Antwort schon gegeben. Es ist nämlich nichts. Und das ist nicht normal!
Es herrscht völlige Stille – und dies zu dieser Zeit an diesem Tag.
Welche Zeit und welcher Tag?
Die Neugier treibt mich aus dem Bett und ich gehe rüber zum Tisch, um einen Blick auf meine Armbanduhr zu wagen. Es ist eine mit Batterie und Digitalanzeige.
Aha! Acht Uhr.
Hieraus lässt sich schließen, dass der Wecker bereits gestern Abend stehen geblieben sein muss.
Das Datum zeigt einen Tag im Sommer an und die Helligkeit draußen scheint dies zu bestätigen. Dies bringt mich jedoch auch nicht weiter, obwohl ich mich allmählich mit etwas Mühe an das gestrige Datum erinnern kann.
Mir ist zwar klar, das ich recht teilnahmslos von einem in den anderen Tag hineinlebe, dennoch verwirrt mich ein derartiger Mangel an Erinnerungsvermögen.
Dies alles ändert aber nichts an der eigenartig herrschenden Stille. Ich lauere förmlich auf ein Geräusch, vernehme jedoch keines.
Es müssten doch zumindest Vögel zwitschern.
Inzwischen bin ich ans offene Fenster getreten.
Es ist der gleiche trostlose Anblick wie sonst auch – einige dieser modernen Betonwohnblöcke, in welchen man in völliger Isolation lebt, obwohl man eng zusammengepfercht ist. Zur Linken und zur Rechten türmen sich zwanzig Stock Beton auf und direkt gegenüber bietet sich das gleiche Bild.
In dem durch diese Blöcke gebildeten Kessel liegen ein paar Rasenflächen und ein Spielplatz ohne Kinder.
Nichts wirkt so trostlos wie ein Spielplatz ohne Kinder!
Sind Kinder nicht der Inbegriff des Lebens – des beginnenden Lebens? Und dann dieser tote Ort dort unten.
Selbst ein Friedhof wirkt lebendiger oder doch zumindest zweckmäßiger.
Ich sehe ein Schild auf dem Rasen. Zwar kann ich von hier oben im 16. Stock das Aufgedruckte nicht erkennen, aber ich weiß dennoch, was darauf steht:
BETRETEN DER RASENFLÄCHE VERBOTEN!
In Anbetracht der fehlenden Kinder muss ich spontan lachen. Es ist ein kurzes und etwas gequältes Lachen.
Der Spielplatz als Kinderkäfig ohne Gitterstäbe!
Ein solches Verbot wirkt doch irgendwie lächerlich, wenn die potentiellen Übertreter desselben weit und breit nicht zu sehen sind.
Ich erkenne lediglich eine rote Schaufel im Sandkasten.
Vermutlich bedingt durch das Anschauen zu vieler Horrorfilme geht mir der Gedanke durch den Kopf, dass die Kinder sich dort unten selbst begraben haben.
Welch abartige Phantasie!
Ich schüttle mich kurz.
Aus meine Gedanken gerissen nehme ich erneut die eigentümliche Stille wahr.
Vielleicht ist es Sonntag und all die Bewohner liegen noch schlafend im Bett. Schließlich ist es noch relativ früh am Morgen.
Ich gehe zum Kalender, um eine Bestätigung für meine Vermutung zu erhalten. Es ist tatsächlich Sonntag und mir fällt ein Stein vom Herzen, obwohl ich nicht einmal sagen kann, warum?
Aber was ist mit den Vögeln? Die kennen doch keinen Sonntag. Dieser „heilige" Tag dürfte sie eigentlich nicht vom Singen abhalten.
Ich gehe erneut zum Fenster hinüber und werfe einen Blick in den Himmel. Bedauerlicherweise wird ein Teil davon vom Beton verschluckt. Der Himmel scheint von der Monotonie der grauen Fassaden angesteckt worden zu sein, abgesehen von dem Wohnblock zur Rechten, welcher in hellem Grün erstrahlt. Der Himmel wirkt unnatürlich zeitlos. Es ist nicht ein Wölkchen zu erblicken – nur ein monotones Blau, welches eine Spur vom Grau der Fassaden besitzt.
Die noch niedrig stehende Sonne schickt ihre Strahlen durch die Spalten der Wohnblöcke, welche lange Schatten werfen. Mit meinen Augen fixiere ich den Rand des Schattens, der genau über dem Spielplatz liegt und versuche mich auf dessen Bewegung zu konzentrieren, was mir auch gelingt.
Oder täuschen mich meine Sinne?
Der Spielplatz wird regelrecht vom Schatten freigeschaufelt. Diese Bewegung ist die einzige, welche Leben vortäuscht. Nicht einmal ein leiser Windhauch bläst durch die Büsche am Rande des Kiesweges.
Habe ich gestern irgendetwas erlebt, was meine Stimmung trübt?
Ich kann mich an nichts erinnern und habe auch nicht das Gefühl, etwas Schlimmes erlebt zu haben. Außerdem mache ich hier objektive Beobachtungen, welche nichts mit einer möglicherweise schlechten psychischen Verfassung zu tun haben können. So kommt mir wieder das Fehlen der Vögel in den Sinn.
Wäre ich ein Vogel, so würde ich mir auch bestimmt einen anderen Platz aussuchen, um Melodien zu trällern.
Ich bin erstaunt darüber, wie sehr etwas auffallen kann, wenn es nicht mehr vorhanden ist.
Kann man hier überhaupt Vögel hören, wenn reges Leben herrscht, wenn die spielenden Kinder lärmen, wenn die zum Teil gereizten Erwachsenen sich selbst oder die Kinder anbrüllen?
Selbst normales Reden hallt hier wie in einer Gebirgsschlucht wider. Allerdings ist dies weiß Gott nicht mein erster Sonntag in diesem Haus. Bisher sind mir all diese Dinge niemals aufgefallen. Ich bin aber sonntags auch noch nie so früh aufgestanden.
Ja! So muss es sein!
Ich schlafe sonst bedeutend länger.
Aber warum heute nicht?
Ich drehe mich im Kreis.
Vielleicht habe ich gestern Abend zu schwer gegessen?
Auch Vögel müssen einmal schlafen.
Aber jetzt zu dieser Zeit?
Ich glaube mir meine Begründungen zwar selber nicht, aber sie beruhigen mich ein bisschen.
Wo stecken eigentlich die natürlichen Feinde der Vögel? – die Katzen!
Jedes Mal, wenn ich bisher aus dem Fenster geschaut habe, habe ich zumindest eine schleichende Katze irgendwo im Hof erblickt – meist eine relativ große Getigerte, welche sich mit Vorliebe in der Nähe der Abfalltonnen aufgehalten hat.
Aber so sehr ich mir auch den Hals verrenke, so sehe ich nicht eine Katze in irgendeinem Winkel des Hofes.
Mir kommt ein absurder Gedanke:
Träume ich vielleicht?
Kann man so realistisch träumen, im Traum so real seinen eigenen Körper spüren, wie es jetzt der Fall ist?
Ich erinnere mich an sehr realistische Träume, die Jahre zurückliegen:
Ich erwache in meinem eigenen Bett, schaue mich im Zimmer um und spüre einen Stock in meiner rechten Hand. Mein Glied? Auf jeden Fall schlage ich mir mit diesem auf die Oberschenkel und spüre deutlich den physischen Schmerz. Ich glaube, wach zu sein, doch erst nach dem erneuten Erwachen merke ich, dass es nur ein Traum gewesen ist, oder träume ich immer noch?
In einem anderen Traum glaube ich, einen inhaltlich ähnlichen Traum als Traum zu erkennen. Ich reiße meine im Traum geöffneten Augen auf und finde mit erheblicher Anstrengung in den Wachzustand zurück. Ich merke jedoch, dass ich immer noch nicht wirklich wach bin und versuche erneut, diesem Zustand zu entkommen. Ich kämpfe mich durch mehrere Traumstationen, bis ich wieder in der Wirklichkeit angekommen bin.
Während mir noch diese Gedanken durch den Kopf gehen, versuche ich, genau nach diesem Prinzip vorzugehen, doch alle Bemühungen sind vergeblich. Meine Augen sind geöffnet und sie bleiben geöffnet. Auch abwechselndes Öffnen und Schließen beschert mir keine andere Realität. Es bleibt die eigenartige Wirklichkeit, welche ich hier am Fenster stehend wahrnehme.
Mir kommt in den Sinn, mich selbst zu ohrfeigen, um eventuell so wach zu werden, doch ich tue es nicht, denn erstens habe ich eine Hemmschwelle, mir selbst Schmerz zuzufügen, und zweitens muss es keineswegs so sein, dass ich vom erlittenen Schmerz aufwache. Im Falle der Stockhiebe auf meine Schenkel ist dies auch nicht geschehen.
Mir gehen Gedanken von Schizophrenie oder anderen Geisteskrankheiten durch den Kopf, doch ich schiebe sie beiseite und beschließe, mich erst einmal mit der Situation abzufinden, welche ich zur Zeit vor mir habe.
Was ist denn überhaupt so unnatürlich an diesem Morgen?
Es sind nun mal im Augenblick keine Tiere unterwegs, die Leute schlafen noch und das kein Wind weht, ist in keinster Weise ungewöhnlich.
Ich wende mich vom Fenster ab, schreite durch das Zimmer und schalte das Radio ein. Auch dies ist eine dieser automatischen Handlungen, die ich jeden Morgen ausführe. Auffallen tut mir dieser Vorgang nur, weil nichts geschieht, denn nicht ein Ton kommt aus dem Lautsprecher.
Kein Wunder! Es gibt schließlich keinen Strom.
In diesem Zusammenhang ärgert mich im Moment nur, dass ich keinen Kaffee kochen kann.
Wahrscheinlich gibt es irgendwelche Probleme im E-Werk. Und wenn, dann komischerweise schon seit gestern Abend um NEUN.
Was solls?
Mir fällt ein, dass ich mir