ENGELSCHAUER
Von Petra Jaenicke
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Über dieses E-Book
Elisas Liebster ist ein sensibler Macho, der sich für einen Frauenversteher hält. Als sich ein Streit mit ihm zuspitzt, flüchtet Elisa nach Italien, denn Kirchen, Kunst und jede Art von Pasta wirken auf sie wie Entspannungspillen. Doch ausgerechnet als sie sich mit einer ausreichend beruhigenden Dosis von allem versorgen will, erscheinen die Engel, die sich, einfach mal so, in ihr Leben einmischen. Sie konfrontieren Elisa unausweichlich und anhaltend mit der irrwitzigen Realität ihrer Existenz, erscheinen auf spektakuläre Weise oder schweben anmutig vorbei. Obwohl die Geschehnisse sich beharrlich einer spirituellen Dogmatik verweigern, werden sie für Elisa zu Sinnbildern ihrer Sehnsucht nach Liebe und Glaube, und sie erweisen sich überdies als hilfreich bei der Lösung ihrer ganz profanen Beziehungsprobleme. Den Kopf voller Träume, Ideen und Fragen scheinen die Engel sie direkt an die Pforten des Himmels zu führen.
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Buchvorschau
ENGELSCHAUER - Petra Jaenicke
Unterwegs
Gerade noch „Ich weiß nicht, was ich will und schon gar nicht wohin denkend, spüre ich schon Energieschwünge, die mir ein „Du weißt es sehr wohl!
um die Ohren hauen.
Einfach alles Irrsinn. Deshalb beschließe ich, das Ganze möglichst locker und vor allem positiv zu sehen. Eine bessere Lösung sehe ich vorerst nicht. Wer würde mir schon glauben, wie der abendliche Spaziergang am Ende meines ersten Reisetages endete?
Müde und in Gedanken durch die Altstadt von Parma schlendernd, die Straßen und Häuser um mich nicht wirklich wahrnehmend, höre ich, scheinbar aus den Wolken kommend, jemanden „Elisa, Elisa!" rufen. Reglos stehe ich da, schaue mich um, warte mit klopfendem Herzen. Mich kennt hier niemand!
Plötzlich kommt etwas wie ein Blitzlicht in mein Sein. Ich schließe geblendet die Augen, öffne sie beim nächsten Atemzug und stelle erstaunt fest, die Stadt vor mir zerfällt in Stücke. Wie Teile eines zerbrochenen Spiegels umschweben sie mich, und aus den Wolken regnet etwas hell Strahlendes direkt auf mich herab. Ich starre nach oben, halte die Luft an und kann gerade noch „geile Performance" denken. Ein Engel, das ist mir merkwürdigerweise völlig klar, und mit dieser Feststellung fühle ich mich von den Ereignissen auch schon total überrumpelt. Schlagartig meiner ganzen Souveränität beraubt stehe ich da, staunend, erstarrt, völlig verschreckt. Instinktiv möchte ich nur noch schnell weg von hier! Alle Widerstandskraft mobilisierend, versuche ich davonzulaufen. Die in mir verborgene Sehnsucht nach Wundern bleibt dabei zwar auf der Strecke, aber es könnte ja noch schlimmer kommen, denn wer weiß schon genau, welche Auswirkungen solche Mysterien auf ungläubige Menschen haben. Am liebsten würde ich mich verhalten wie ein Boxer, der in Deckung geht: erst abtauchen und dann Rückzug antreten! Trotz des übermächtigen Fluchtgefühls bin ich unfähig, auch nur den kleinsten Schritt zu tun. Allein meine Gedanken rasen, ich selbst bin starr einer unsichtbaren Anziehungskraft ausgeliefert.
Mittlerweile strampeln meine Füße gefühlt einen Meter über dem Pflaster. Ein dichter Vorhang aus durchscheinenden Trümmern der Stadt und ein glänzender Lichtregen umgeben mich. Ich schwebe darin wie ein Goldfisch in einer glitzernden Seifenblase. Direkt über mir, ganz nah, ein mich neugierig anblickendes Augenpaar. Unsere Blicke treffen sich, mir bleibt die Luft weg und das rasende Herz stehen, gleichzeitig zerplatzt die mich umgebende Blase. Auch der lichte Schleier ist verschwunden und gibt den Blick frei auf eine geflügelte Lichtgestalt, an einem Ort weit hinter unserem Kosmos. Der Engel und ich sind Dort und Hier, pendelnd gemeinsam schwebend zwischen den Weltenräumen. Liebe und Nähe umgeben uns, Gefühle, die mich trotz dieses überirdischen Augenblicks leider auch argwöhnisch werden lassen. Ein typischer Effekt, wenn mir jemand zu nahe kommt. Und gerade ist meine Haut extrem dünn. Emotional gesehen fühle ich mich schon seit Wochen wie eine bibbernde Nacktmaus. Der nächste Augenaufschlag des Engels weht diese störende Befindlichkeit zum Glück einfach weg, schenkt mir Sicherheit und Leichtigkeit. Ich komme langsam an, er dagegen scheint bereits allmählich zu verblassen.
„Yes, you can! Vergiss das nie, Elisa!", haucht das leuchtende Wesen, äußerst sanft, schon halb vergehend, noch in meine Richtung. Dann dreht plötzlich jemand den Ton ab und knipst das Licht aus. Augenblicklich ist der ganze Spuk vorbei und ich stehe wieder mit beiden Füßen auf der Erde.
Wie erleichtert ich bin, dabei irgendwie sehr glücklich und gleichzeitig doch kolossal verstört! Mich vorsichtig umschauend entdecke ich keinen Schimmer mehr von etwas Außergewöhnlichem. Als nächstes begutachte ich verunsichert meinen Zustand. Bewege vorsichtig die Beine, betrachte genau, von allen Seiten, meine Hände und Arme, sehe auf die Uhr und checke den Nachrichteneingang auf meinem Smartphone. Alles scheint normal. Weder ist etwas erkennbar verändert, noch fühle ich mich erleuchtet! War das ein Wunder, ein Traum oder die Folge meiner eigenen Verrücktheit? Engel, gibt’s die überhaupt? Wieso kannte er meinen Namen? Und was soll dieses bescheuerte „Yes, you can" bedeuten? Die letzten Minuten waren mehr als grotesk. Restlos überfordert lehne ich mich an die nächste Hauswand und atme tief durch.
Was bleibt sind Fragen über Fragen, und ich könnte sicherlich viele Hypothesen dazu aufstellen, nur, ich bin und bleibe absolut ratlos. Auch jetzt noch, Stunden nach dieser Begegnung fühle ich mich wie aus einem wirren Traum erwacht, dabei habe ich noch kein Auge zugetan. Die Nacht ist bisher ein einziger Horrortrip. Was für eine Achterbahn! Ganz klar, meine Nerven liegen blank. Ich ermahne mich: „Reiß dich zusammen! Kann doch alles nicht so schlimm sein. Einfach still liegen bleiben … dem eigenen Atemrhythmus lauschen … die Konzentration nach innen richten … hinein spüren … tief ein- und ausatmen." Alles sinnlos! Der Versuch, das Geschehene zu negieren, wenigstens für ein paar Stunden Schlaf, misslingt mir vollkommen. Ich, am Rand der Welt, ein Engel hat mir quasi seine Hand entgegen getreckt. Egal welche Gründe er dafür hatte, meine Nerven sind eindeutig überstrapaziert.
Schon wieder hochgeschreckt, mittlerweile auf der Bettkante sitzend, schreibe ich zu meiner Beruhigung „Don`t panic auf ein Blatt Papier, das ich an der Wand gegenüber, direkt in meinem Blickfeld aufhänge, damit ich es bei Bedarf sofort sehen kann. Und genau wie Arthur Dent in „Per Anhalter durch die Galaxis
schreibe ich „Don´t panic" auch noch dick und fett vorn auf meinen Italien-Reiseführer.
5. April, Parma, Altstadt
Nach der gestrigen Begebenheit und der durchwachten Nacht bin ich wie in Trance. Mich selbst motivierend mit einem: „Los, die Stadt inspizieren!" schleppe ich mich und meinen müden Körper, gehorsam und diszipliniert, in Richtung centro storico. Schließlich gönne ich mir diese Reise, weil ich dringend zu mir kommen muss und Abstand von meinem Liebsten brauche. Kein Totalversagen, nein, nur kleinliche Streitereien, Ärgernisse und zunehmende Langeweile. Ein ganzer Sack voll Anzeichen eines schleichenden Beziehungs-Burnouts, der wohl eine Pause notwendig macht. Mein Liebster und ich haben uns irgendwie aus den Augen verloren, unsere Gefühle füreinander sind auf Tauchstation gegangen, sie treiben unter einer trüben Oberfläche langsam auseinander und es fällt mir immer schwerer, noch an unsere Liebe zu glauben. Dazu ich, gefangen gehalten von zu vielen Verpflichtungen, Stress und Zeitnot.
Die Gedanken an zu Hause stülpen sich mir wie eine Käseglocke über den Kopf. Zum Glück holt mich schon bald ein sensationell guter Duft aus meinem Wolkenkuckucksheim. Ich stehe vor einer typisch italienischen Trattoria. Dem Wohlgeruch folgend, setzte ich mich und bestelle in einem Zustand der Entrückung. Der prosciutto di Parma ist köstlich, hauchdünn und morbide schmelzend auf der Zunge, der erste Schluck Franchiacorta weckt meine Lebensgeister und die frische Pasta con asparagi e funghi wirkt auf meine Seele wie Baldrian. Alles wird gut.
Erheblich entstresster streife ich bald weiter durch die Straßen der Altstadt. Erst Richtung San Giovanni und dann zurück zum Fluss. Dort angekommen bleibe ich auf der Brücke stehen, Schlammgeruch steigt zu mir hoch. Ich mag die Schäbigkeit und den Geruch dieser alten Viertel, denn sie zeugen von Durchhaltevermögen und der