Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Dunkle Rose: Mysterythriller
Dunkle Rose: Mysterythriller
Dunkle Rose: Mysterythriller
eBook378 Seiten4 Stunden

Dunkle Rose: Mysterythriller

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Eine Dame namens Paula bewirbt sich in einer Grundschule in Freystadt als Lehrerin. Die Kinder lieben sie sehr. Paula versteht es auch, sich in das Vertrauen des Direktors zu schleichen. Er ist der Vorstand der ansässigen Tennisclubs. In diesem Club verkehren all seine früheren Studienkollegen und Kolleginnen.

Dann geschieht es: Eines der Mitglieder stirbt völlig überraschend. Man findet einen Zettel bei seiner Leiche, der sich auf eine schlimme Tat des Verstorbenen in früheren Jahren bezieht. Ein weiteres Mitglied stirbt ohne erkennbaren Grund. Und wieder kann man sich nicht erklären, wieso er so schnell und unerwartet gestorben ist. Auch bei ihm findet man einen Zettel, der sich auf eine schlimme Tat des Verstorbenen in früheren Jahren bezieht. Das Sterben in besagtem Tennisclub setzt sich fort. Die Hinweise auf den Zetteln werden deutlicher. Und irgendwann kommt die "Dunkle Rose" ins Spiel. Wer oder was verbiegt sich hinter der allseits beliebten Paula, und...

... was hat sie mit all den Vorfällen zu tun?
SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum15. Dez. 2016
ISBN9783730981863
Dunkle Rose: Mysterythriller

Mehr von Alfred J. Schindler lesen

Ähnlich wie Dunkle Rose

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Dunkle Rose

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Dunkle Rose - Alfred J. Schindler

    Alfred J. Schindler

    Dunkle Rose

    Mysterythriller

    von

    Alfred J. Schindler

    VORWORT

    Als ich mein Büro betrete, sehe ich sie lediglich von hinten. Sie sitzt an meinem Schreibtisch, auf dem schwarzen Besuchersessel, und dreht sich nicht um. Hat sie mich nicht gehört? Ihre Haltung ist aufrecht, und auf ihrem Schoß liegt eine dieser allseits be­kannten, hellbraunen Damenhandtaschen, an der sie sich festhält. Jedoch ist dies ein winziger Irrtum meinerseits: Diese Frau braucht sich nirgends fest­zuhalten. Sie hat es nicht nötig. Noch bevor ich mit ihr spreche, ist mir klar:

    Diese Dame weiß, was sie will.

    xxx

    Ich gehe um sie herum und setze mich. Und ich be­grüße sie herzlich. Genau so, wie man eine Dame be­grüßt, die sich in einer Schule als Lehrerin bewirbt. Ihr Händedruck ist fest. Ein gutes Zeichen. Ich setze mich gegenüber in meinen alten, abgewetzten Sessel und beginne unser Gespräch mit einem verbindlichen Lächeln...

    „Sie möchten also in unserer Schule unterrichten?"

    Sie blickt mich an. Erst jetzt sehe ich ihre Augen: Was für ein Wahnsinn! Was hat diese Frau für un­glaubliche Augen! Sie passen gar nicht so sehr zu ihrem restlichen Äußeren. Sie hat leichtes Überge­wicht, gelinde ausgedrückt. Aber ich will ihr nicht zu nahe treten. Es geht mich nicht das Geringste an, mit welchen Hobbys sie ihre Freizeit verbringt. Schließ­lich kann jeder essen, was er will. Und außerdem könnte es ja die Schilddrüse sein. Diese Frau ist überdurchschnittlich. Das spüre ich sofort.

    „Ich freue mich sehr, Herr Direktor Rossmann, Sie persönlich kennen zu lernen. Mein Name ist Paula Hubschmidt."

    „Entschuldigen Sie, liebe Frau Hubschmidt, dass ich Sie habe warten lassen. Aber unser Hausmeister, Herr Huber, hatte ich mich noch aufgehalten."

    „Kein Problem. Ich habe etwas Zeit mitgebracht."

    „Sie waren also die letzten Jahre in einer Stuttgarter Grundschule beschäftigt, ja?"

    „Das ist richtig, Herr Direktor Rossmann."

    „Und wie kommt es, dass Sie sich verändern möch­ten?"

    „Ich habe genug von der Großstadt."

    „Sie möchten sich also in unserem Städtchen nieder­lassen?"

    „Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn Sie mich in Ihr Kollegium aufnehmen würden."

    „Sie haben sich ja schon vor einigen Wochen bei uns schriftlich beworben!"

    „Ja. Das ist richtig."

    „Sie können also im neuen Schuljahr beginnen?"

    „Sicher."

    „Es sind nur noch zwei Wochen bis zum Beginn."

    „Ich habe mich natürlich schon um eine Unterkunft umgesehen. Eine gewisse Familie Gründl in der Holz­straße bietet ein kleines Häuschen zum sofortigen Kauf an. Ich würde es nehmen, wenn Sie mir zusagen würden."

    „Sie würden es kaufen?"

    „Ja, mir gefällt dieses kleine, saubere Städtchen Freystadt! Es ist so übersichtlich und sympathisch."

    „Ja, Freystadt ist wirklich ein Ort, an dem man es aushalten kann. Wir haben hier alles, was man benö­tigt: Schöne Wälder, einen herrlichen See, ein saube­res Schwimmbad und noch einige andere Dinge mehr."

    Sie hört mir interessiert zu.

    Und ich fahre fort: „Ich habe zwar Ihre Bewerbungs­unterlagen kurz durchgesehen, aber verzeihen Sie, wenn ich einige Daten nicht im Kopf habe. Sind Sie verheiratet?"

    „Nein."

    „Und Sie könnten die Klassen 1 bis 4 in Vollzeit unterrichten?"

    „Ja, sicher."

    „In allen nötigen Unterrichtsfächern?"

    „Selbstverständlich. Außer in Religion."

    „Dafür haben wir unseren Herrn Pfarrer Schwarz."

    Paula Hubschmidt und ich regeln im Laufe des folgen­den Gesprächs die weiteren Formalitäten. Wir machen die Sache jetzt und heute perfekt. Als Direktor habe ich Handlungsvollmacht. Paula Hubschmidt bekommt ihren Vertrag, und ich frage sie abschließend, ob ich sie bei ihrem Umzug unterstützen soll:

    „Frau Hubschmidt, einer meiner Freunde besitzt eine Möbelspedition. Er könnte ihren Umzug von Stuttgart nach Freystadt problemlos übernehmen. Ein Anruf genügt, und er ist bereit. Was halten Sie davon?"

    „Das habe ich schon alles in die Wege geleitet, Herr Rossmann. Aber trotzdem besten Dank für Ihr Ange­bot!"

    Sieh an, sieh an! Sie hat es also schon in die Wege geleitet. War sie sich denn so sicher, dass sie die Stelle bekommen würde? Wie konnte sie wissen, dass ich sie einstellen würde? Meine innere Stimme spricht zu mir:

    Meinen Glückwunsch, alter Freund! Sie hat dich also überzeugt. Nun können wir nur hoffen, dass sie auch das hält, was sie verspricht!"

    Als ich nachmittags nach Hause komme, erzähle ich Carola, mei­ner Frau, sofort die brandaktuelle Neuigkeit:

    „Du hättest sie sehen sollen, Carola! Ihre Referenzen sind her­vorragend! Ja, und diese Augen! Diese Frau ist für unsere Schu­le wie geschaffen!"

    „Wie alt ist sie denn? Fünfundzwanzig, mit Wespen­taille und Atombusen?"

    Carolas Blick drückt Eifersucht aus. Und ein wenig Unsicherheit. Aber das hat sie wirklich nicht nötig. Und natürlich weiß sie es auch.

    „Sie ist vierundvierzig. Und sie hat zwei Zentner."

    „Nein!"

    „Doch! Ich denke, dass wir mit ihr einen guten Fang gemacht haben."

    „Sicherlich."

    „Soll ich sie dir vorstellen?"

    „Ja, natürlich. Lade sie zu uns ein, Robert. Ich möch­te sie gerne kennen lernen."

    „Aber erst, wenn sie hier bei uns wohnt."

    „Wie - bei uns wohnt?" Sie schaut mich entsetzt an.

    „In Freystadt in ihrem Haus! Dass du auch alles wort­wörtlich nimmst!"

    Die Sommerferien sind vorüber.

    Ein neues Schuljahr beginnt.

    xxx

    Schon am ersten Schultag stelle ich erfreut fest, dass Paula Hubschmidt von den anderen Lehrern sehr herzlich aufgenommen wird. Sofort fällt mir auf, dass die Männer von ihren außergewöhnlichen Augen ange­tan sind. Es fallen diesbezüglich einige unauffällige Bemerkungen. Paula (ich nenne sie insgeheim bei ihrem Vornamen) stellt sich bei den Schülern der Klassen Eins, Zwei, Drei und Vier vor. Ich stehe ne­ben ihr, als sie den Kindern erklärt, wie sie sich den Unterricht mit ihnen vorstellt. Und sofort fällt mir auf, dass auch die Kinder von ihr fasziniert sind. Noch nie hatte ich eine Klasse erlebt, in der es so überaus diszipliniert zuging, wie in dieser. Die Kin­der hängen an ihren Lippen. Sie schwätzen nicht, und sie sind konzentriert.

    Was hat diese Frau, was andere nicht haben?

    Paula ist die geborene Lehrerin. Sie nimmt sich für jedes einzelne Kind Zeit. Paula engagiert sich sehr. Sie soll so unterrichten, wie sie es bevorzugt. Ja, sie hat mich überzeugt.

    Als Paula Hubschmidt am Abend zu uns nach Hause kommt, ist Carola komischerweise nervös. So kenne ich sie gar nicht!

    „Was ist denn los mit dir, Carola?"

    „Was soll denn sein?"

    „Du wirkst so nervös auf mich!"

    „Das machen nur die Augen der schönen Paula.", stän­kert sie.

    „Ich bitte dich. Das habe ich doch nur so dahinge­sagt!"

    „Wenn ein Ehemann von den Augen einer anderen Frau schwärmt, wird es immer gefährlich!"

    „Du Witzbold." Ich klopfe ihr auf den Hintern.

    „Lass das!"

    „Ist ja gut."

    „Es hat geklingelt!"

    „Machst du auf?"

    „Ja."

    Ich sehe, wie Ines die Treppen hinunterrennt. Sie ist schneller als ihre Mutter. Da sie weiß, wer heute zu uns kommt, öffnet sie die Haustüre. Sie reißt sie auf und ich höre sie sagen:

    „Sie sind sicherlich Frau Hubschmidt, nicht wahr?"

    Ich bitte Paula herein. Sie überreicht mir eine wun­derschön eingewickelte Flasche mit den Worten: „Täglich ein kleiner Schluck, Herr Rossmann, in Eh­ren."

    Carola steht da, einen Topflappen in der Hand, und sie ist, wie es scheint, völlig erstarrt. Was hat sie denn? Hatte sie mir nicht geglaubt, dass Frau Hub­schmidt tatsächlich so ungemein voluminös ist?

    „Darf ich vorstellen? Meine Frau Carola. Das ist Frau Hubschmidt. Paula Hubschmidt." Unser Gast über­reicht Carola einen wunderschönen Strauß roter Ro­sen.

    „Ich freue mich, Frau Hubschmidt. Danke für die Blu­men! Bitte, kommen Sie herein."

    Frau Hubschmidt geht hinter Carola ins Wohnzimmer. Ines und ich trotten hinterher. Es folgen der Begrü­ßungstrunk und die üblichen Komplimente. Und schließlich serviert Carola den dampfenden Rinder­braten auf dem großen Esstisch. Ich kredenze für die Damen und für mich roten Burgunder, und Ines kriegt, wie es sich gehört, kühle Limonade.

    Unsere Konversation ist gut. Sie ist so, wie sie es sein sollte: Unverfänglich, zuvorkommend und sym­pathisch. Der Abend nimmt seinen Verlauf. Ich mer­ke, wie fasziniert Carola von dieser Frau ist. Carola und Paula unterhalten sich blendend. Das anfängliche Eis von Carolas Seite ist längst gebrochen.

    Ines zieht sich um einundzwanzig Uhr in ihr Zimmer zurück. Sie muss schließlich morgen Früh wieder ins Gymnasium.

    Plötzlich klingelt das Telefon: „Wer ruft denn noch so spät an, Robert?"

    „Keine Ahnung. Ich gehe ran, Carola."

    Ich erfahre von Sylvia König, der Ehefrau einer mei­ner Freunde, dass ihr Ehemann Johann, an seinem Schreibtisch tot zusammengebrochen ist.

    Johann König ist tot.

    Er war einer meiner besten Freunde. Und er war erst vierundvierzig Jahre alt. Genauso alt wie ich.

    Ich muss mich erst einmal setzen. Gut, dass neben dem Telefon ein kleiner Schemel steht! Das kann doch nicht wahr sein! Johann war solch ein lebens­lustiger, und auch positiver Mensch! Außerdem war er kerngesund! Er rauchte und er trank nicht. Erst vor ein paar Tagen hatten wir uns im Tennisverein getroffen, der gleich hinter unserem Badesee liegt. Es ging ihm blendend, wie es schien, und er riss, wie üblich, ein paar dreckige Witze.

    Sylvia berichtet mir im Laufe des Gesprächs von ih­rem furchtbaren Fund. Sie hatte Johann im Haus ge­sucht. Sie wollten zusammen zu Abend essen. Sie rief nach ihm, aber er war im Erdgeschoss des Hauses unauffindbar. Als sie nach oben in sein Arbeitszim­mer kam, sah sie, dass er mit dem Kopf auf dem Schreibtisch lag. Seine Arme hingen seitlich herun­ter. Er war schon tot, als sie ihn fand. Sie hob seinen Kopf etwas an und sah seine weit aufgerissenen, vor Entsetzen erstarrten Augen. Sie fragte sich, ob er vor seinem Tod etwas Grauenhaftes gesehen hatte. Ja, und auf seinem Schreibtisch lag ein kleiner, un­scheinbarer Zettel. Auf meine Frage hin, was auf die­sem Zettel denn stand, sagt sie:

    „Du hättest es nicht zulassen dürfen!"

    „Was hat er damit gemeint, Sylvia?"

    „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich damit gemeint hat, Robert."

    „Bist du dir sicher, Sylvia, dass dieser Zettel von ihm geschrieben wurde?"

    „Ich denke, schon. Denn es war niemand in unserem Haus, außer uns Beiden. Außerdem kenne ich seine Schrift."

    „Was kann er damit wohl gemeint haben?", wiederhole ich mich. Ich bin sehr aufgeregt.

    „Das werden wir wohl nie erfahren, Robert." Sie spricht nun langsam. Sehr langsam.

    „Vielleicht dachte er in der Stunde seines Todes an etwas Schlimmes. An etwas, das seinen entsetzten Blick erklärt!"

    „Ja, das könnte auch möglich sein."

    „Wie konnte er wissen, dass er sterben musste?"

    „Frage mich etwas Leichteres, Robert."

    „Wenn er gewusst hätte, welche Konsequenz dieser Zettel für ihn haben würde, hätte er ihn sicherlich nicht geschrieben! Oder ahnte er schon, dass er ster­ben würde, als oder bevor er ihn schrieb? Ich sehe diesen Zettel gewissermaßen als Abschiedsbrief, Syl­via. Und natürlich als Anschuldigung gegen einen Unbekannten."

    „Irgendetwas stimmt hier nicht. Das ist mir auch klar."

    „Denkst du, dass er einen Herzinfarkt hatte?"

    „Ich bin kein Arzt. Aber er wird sicherlich obduziert werden. Dann wissen wir, woran er gestorben ist."

    „Vielleicht war es ein Gehirnschlag, Sylvia?"

    „Es könnte sein."

    „Oder er hat sich umgebracht. Entschuldige meine Pietätlosigkeit, aber es wäre doch sehr nahelie­gend."

    „Das glaube ich nicht, Robert. Er hatte keinen Grund dazu."

    „Kann ich dich morgen mit Carola besuchen?"

    „Ja. Natürlich."

    „Es tut mir wahnsinnig leid für dich."

    „Danke." Ihre Stimme ist leise.

    Sylvia wirkt auf mich irgendwie apathisch. Hat sie Beruhigungstabletten geschluckt, oder ist sie ange­trunken? Ich könnte es verstehen. Wir beenden unser trauriges Gespräch, und ich gehe ins Wohnzimmer zurück.

    „Was ist denn passiert, Robert?"

    „Etwas Schreckliches, Carola."

    Ich berichte den Damen von dem schlimmen Vorfall. Carola ist vollkommen perplex, und Paula sitzt wie angenagelt in ihrem Sessel. Ich wende mich an unse­ren Gast und sage, einen Cognacschwenker in der Hand haltend:

    „Er war ein mehr als guter Freund. Sie verstehen. Er und ich waren damals in derselben Schulklasse, hier in Freystadt. Auch im Gymnasium waren wir zusam­men. Er war immer zu einem Streich aufgelegt, und wir trafen uns oft in unserem Tennisclub."

    „Wie furchtbar, Herr Rossmann. Er wurde an seinem Schreibtisch gefunden?"

    „Ja, seine Frau behauptete es zumindest. Er war übrigens der Spediteur, von dem ich Ihnen erzählt hatte, als Sie kürzlich in meinem Büro waren."

    „Ah ja. Wie traurig."

    „Ja, für seine Frau wird es nicht einfach werden."

    „Hat die Familie König Kinder?"

    „Nein, Frau Hubschmidt."

    Carola sagt: „Er war doch ein gesunder Mensch. Ich frage mich ernsthaft, wieso er so urplötzlich gestor­ben ist?"

    „Vielleicht war er doch krank? Aber man kann ja in einen Menschen nicht hineinschauen.", antwortet Pau­la.

    „Sie meinen, dass er vielleicht Krebs hatte?", frage ich unseren Gast.

    „Ich kannte ihn ja nicht. Aber natürlich gibt es sol­cherlei Fälle. Der Arzt bestätigt einem Patienten, dass er unheilbar krank ist, und dieser verliert die Nerven und bringt sich um, weil er sein bevorstehen­des Martyrium umgehen will."

    „Psychisch krank war er bestimmt nicht. Das hätte ich gemerkt. Und finanziell stehen die Königs blen­dend da. Wir werden morgen Sylvia besuchen, Carola. Ich möchte diesen Zettel sehen."

    „Da wirst du wahrscheinlich Pech haben. Den wird die Polizei mit Bestimmtheit beschlagnahmt haben." Sie schaut etwas zweideutig. Zweifelt sie etwa Sylvias Erzählungen an? Hat sie Sylvia in Verdacht?

    „Ich werde jetzt aufbrechen, Herr Rossmann."

    „Sie möchten uns schon verlassen, Frau Hub­schmidt?"

    „Ja. Es wird allerhöchste Zeit!"

    Paula bedankt sich bei Carola für die hervorragende Bewirtung und den ausgezeichneten Braten. Sie hatte sich aber beim gemeinsamen Essen sehr zurückgehal­ten. Ich helfe ihr in ihre schöne Jacke, und Paula steigt, nachdem wir sie hinausgebracht haben, in ihren schwarzen VW Käfer. Ich begleite sie noch hin­aus. Der Wagen ist sehr gepflegt, wie ich sehe.

    Am nächsten Tag ist Johann Königs Tod Stadt­gespräch Nr. 1. Ich trage selbstverständlich eine schwarze Krawatte. Carola kommt um elf Uhr vormit­tags mit ihrem roten VW Polo zur Schule und holt mich ab. Wir fahren zusammen zu Sylvia, die am Rand des Ortes lebt. Wir müssen vier oder fünf Mal klin­geln, bis sie uns endlich öffnet. Ich erschrecke, als ich sie sehe: ihr Gesicht ist eingefallen, ihre Augen sind rot und entzündet, und sie bewegt sich sehr seltsam. Sie schlürft wie eine alte, gebrochene Frau vor uns durchs Haus, und sie führt uns nicht ins Wohnzimmer, sondern direkt in Johanns Arbeitszim­mer. Wir nehmen an einem kleinen Beistelltischchen Platz und sie vergisst, uns ein Getränk anzubieten. Mein Blick wandert zu Johanns Schreibtisch, an dem er gestorben ist, und auf dem der Abschiedszettel lag.

    Dieser Zettel!

    Er macht mich nervös, und ich weiß nicht, wieso.

    Was wollte er denn damit sagen?

    Du hättest es nicht zulassen dürfen!

    Wen hatte er damit gemeint? Und was hatte er damit gemeint? Warum nannte er keinen Namen, keinen näheren Hinweis? Hatte er keine Zeit mehr, um Ge­naueres zu schreiben? Hatte ihn der Tod urplötzlich überrascht? Ich kannte meinen Freund in- und auswendig! Mit ihm führte ich vor langer, langer Zeit die ersten jun­gen Damen des Ortes zum Tanz aus! Er war ein Frau­entyp! Hatte er mit diesem ominösen Satz doch Syl­via gemeint? Hatte er etwa eine verheiratete, heimli­che Geliebte? Die Frau eines Freundes? War er ihm dahinter gekommen? Hätte dessen Frau ihn davor zurückhalten sollen? Oder hatte er etwas noch Schlimmeres angestellt? Steuerbetrug? Ich weiß es nicht. Er wollte wohl nicht, dass man sein Geheimnis entdeckt! Aber warum hatte er dann überhaupt diesen Hinweis geschrieben?

    Johann, Johann, was ist mit dir geschehen?

    Sylvia spricht Carola an: „Johanns Anblick war schrecklich. Seine Augen hingen fast aus den Höhlen, und sein Gesicht war blau angelaufen. Nein, violett. Ich werde diesen Anblick nie vergessen."

    „Ist er etwa erstickt?"

    „Es sah fast so aus."

    „Wo ist er denn jetzt?"

    „Er wurde letzte Nacht von einem Krankenwagen ab­geholt. Er liegt wohl im Nürnberger Stadtkranken­haus in der Pathologie."

    „Ja, das ist anzunehmen, Sylvia. Du hast keinen Ver­dacht, der auf einen Suizid hinzielt?"

    „Nein, Robert."

    „Ich kann es immer noch nicht verstehen. War er vielleicht doch krank und sagte es niemand?"

    „Nicht, dass ich wüsste."

    „Annemarie ist doch eure Hausärztin, oder?"

    „Ja."

    „Sie wird sicherlich von der Polizei vernommen."

    „Bestimmt."

    „Und finanziell geht es euch auch gut?"

    „Ja. Sehr gut."

    Carola und ich sehen überdeutlich, wie fertig Sylvia ist. Sie macht auf mich tatsächlich den Eindruck, als ob sie unter Medikamenten stehen würde. Unter star­ken Medikamenten!

    „Sylvia, du musst jetzt stark sein. Wenn du uns brauchst, rufe uns an. Wir kommen sofort. Du kannst zu jeder Zeit auf uns zählen."

    „Danke, Carola. Ich danke euch."

    Wir verabschieden uns von ihr. Und als Carola sie abends auf ihrem Handy anruft, weil sie sich um sie Sorgen macht, teilt diese ihr mit, dass sie sich in der geschlossenen Psychiatrie des Nürnberger Stadtkran­kenhauses befindet. Als Patientin, versteht sich.

    „So schnell ist eine Familie ausgelöscht, Carola. Er liegt in der unteren Etage des Krankenhauses in ei­nem Schubfach, und sie dämmert in der Psychiatrie vor sich hin."

    „Ja, ich kann es immer noch nicht glauben."

    „Frau Hubschmidt vermutete, als sie bei uns war, dass er vielleicht todkrank war."

    „Wer weiß das schon, Robert?"

    „Wir werden es erfahren."

    Das Leben in unserem Städtchen geht weiter. Der Freystädter Anzeiger berichtet vom plötzlichen und völlig unerwarteten Tod des allseits bekannten Spe­diteurs. Man geht mit der Todesursache des Unter­nehmers sehr vorsichtig um, denn man kennt sie noch nicht. Die Behörden schließen ein Gewaltverbrechen aus. In Richtung Suizid wird auch nichts erwähnt. Man spricht lediglich vom überraschenden Ableben des beliebten Bürgers, und man erwähnt am Rande etwas vom entsetzten Gesichtsausdruck des Verstor­benen. Auch fehlt in dem Bericht natürlich nicht, dass sich Johanns Ehefrau nun in psychiatrischer Be­handlung befindet. Die Presse ist hart und unerbitt­lich. Andererseits sollen die Leute schon wissen, was geschehen ist! Niemand kann sich auf das Ereignis einen Reim machen. Es wird natürlich viel geredet, aber wissen tut Keiner etwas. Man macht in dem Zei­tungsartikel eine unauffällige Andeutung hinsichtlich eines Abschiedsbriefes.

    Meine Sportkameraden im Tennisclub lassen ihren verblichenen Freund hochleben. Sie trinken auf ihn, als ich abends mit ihnen zusammensitze, und ich fin­de das gar nicht angebracht.

    Ja, ich finde es abscheulich!

    Johann Königs Beerdigung findet in aller Stille statt. Unendlich traurig finden wir es, dass Sylvia nicht in der Lage ist, zur Bestattung ihres Ehemannes zu kommen. Aber die Ärzte haben es ihr sicherlich strikt untersagt. Nur die engsten Freunde und Verwandten kommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Natür­lich sind auch Carola und ich mit auf unserem Fried­hof, in dem er bestattet wird. Pfarrer Schwarz zeigt seine Fähigkeiten als Rhetoriker. Er ist berühmt für seine Grabreden!

    Johann König liegt nun in seinem Familiengrab. Er starb höchstwahrscheinlich an einem Schock. Dies wurde bei der Obduktion offiziell als Todesursache festgestellt. Für uns ist es unerklärlich, wie er an einem Schock hatte sterben können. Aber hinter vor­gehaltener Hand wird gemunkelt, dass sein Herz ge­platzt war. Hatte er einen Hinterwandinfarkt? Sylvia, die man immer und immer wieder gefragt hatte, was an dem besagten Abend vorgefallen war, bestätigte nach wie vor, dass sie in der Küche war, als er starb. Ja, und niemand kann sich erklären, was er mit sei­ner letzten, schriftlichen Mitteilung hatte sagen wol­len. Er hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen.

    Und ich rätsele immer noch...

    Das neue Schuljahr ist gut angelaufen. Paula Hub­schmidt hat von den Kindern einen Spitznamen be­kommen:

    Tante Paula.

    Natürlich entgeht es den Lehrern nicht, dass sie von den Kindern hinter vorgehaltener Hand so genannt wird. Und sicherlich weiß sie es am allerbesten. Je­doch wenn einer denkt, dass sie, die Kinder, dies spöttisch meinen, der irrt sich ganz gewaltig. Man liebt sie, diese etwas korpulente Lehrerin. Auch ihre Kollegen und Kolleginnen stehen voll hinter ihr. Im­mer, wenn ich sie treffe, hat sie ein freundliches Wort auf den Lippen:

    „Hallo, Herr Direktor! Wie geht es Frau König? Wis­sen Sie etwas über ihren Gesundheitszustand?"

    „Nun, meine Liebe. Carola hat sie in der Psychiatrie besucht. Es scheint, als ob sie völlig weggetreten wäre."

    „Eine Psychose?"

    „Da bin ich überfragt, Frau Hubschmidt. In diesem Bereich kenne ich mich nicht aus."

    „Wahrscheinlich leidet sie unter einem Trauma: Unter dem Anblick ihres toten Ehemannes."

    „Ja, das kann schon sein."

    „Sie haben sie nicht gesehen?"

    „Nein. Carola war bei ihr. Alleine."

    „Und sie ist völlig hinüber?"

    „Wer? Carola?"

    „Nein, natürlich Frau König!"

    „Wie es momentan aussieht: Ja."

    „Die Ärmste. Die Psyche eines Menschen ist uner­gründlich."

    „Ein wahres Wort, Frau Hubschmidt. Gelassen ausge­sprochen."

    „Der Spruch gefällt mir, Herr Direktor!" Sie lacht.

    „Ich kenne Sylvia seit mehr als zwanzig Jahren. Ge­rade sie war immer eine Frau, die nichts hatte um­werfen können. Eine stabile Persönlichkeit mit einem guten Charakter."

    „Hoffen wir, dass es ihr bald besser geht!"

    „Ja, da stimme ich Ihnen zu."

    Ich schaue sie an und bin wiederum von ihren un­glaublichen Augen fasziniert. Das sind keine norma­len Augen! Wie soll ich sie bezeichnen? Es gelingt mir nicht. Ich spüre, dass sie es merkt. Natürlich weiß sie, welch phantastischen Augen sie hat. Ich möchte behaupten, dass jeder, ja, jeder Mensch, der ihr begegnet, von diesen Augen magisch angezogen wird. Sie sind wie perlende, unergründliche Kristalle, sie sprühen vor Kraft, und ihr Ausdruck ist enorm.

    Meine innere Stimme spricht zu mir:

    Augen hin, Augen her. Du hast schließlich noch mehr zu tun, als ihre Augen zu bewundern. Robert, was wäre, wenn sie anstatt zwei Zentnern, nur einen Zent­ner wiegen würde? Reiß dich bloß am Riemen, alter Knabe! Was ist es, was dich an ihr so fasziniert?"

    Drei Tage vergehen...

    Ich lade Paula mittags nach der Schule noch zu einer Tasse Kaffee ein. Wir vereinbaren einen Treffpunkt: Marktplatz, Eisdiele Caruso. Ich möchte mich mit ihr über ein paar Dinge unterhalten, die unsere Schule betreffen. Es interessiert mich, was sie von meinen Ideen hinsichtlich eines neuen Stundenplanes hält. Ich rufe Carola an und sage ihr, dass ich erst etwas später zum Essen nach Hause kommen werde. Meinen silbernen Mercedes werde ich am Parkplatz der Schu­le stehen lassen, denn es sind nur fünf Minuten bis zum Stadtkern.

    Gerade ist Schulschluss. Es ist zwölf Uhr fünfund­vierzig. Die Kinder verlassen lachend und schreiend das Schulgelände. Ich ziehe den Vorhang zur Seite, und blicke von meinem Zimmer im ersten Stock nach­denklich über die bunte Kinderschar. Die Temperatu­ren sind enorm. Wir haben zweiunddreißig Grad im Schatten. Sicherlich wird unser kleines Schwimmbad heute wieder mit Kindern randvoll sein, überlege ich. Aber die Jugendlichen bevorzugen ja unseren schö­nen, altbewährten Dorfweiher. Er hatte schon uns gedient, damals vor dreißig Jah­ren...

    Und plötzlich fällt mir wieder Johann ein. Verdammt, was war mit ihm passiert? Keiner weiß es. Man hatte festgestellt, dass es kein Selbstmord war. Selbst­redend auch kein Mord. Mir persönlich ist sein Tod völlig schleierhaft. Hatte er wirklich einen Herzin­farkt? Warum hatte er diese, vor Entsetzen, erstarr­ten Augen?

    Ich sehe, wie Paula zu ihrem Wagen geht, auf­schließt, die Fenster etwas öffnet, und ihre Jacke auf den Beifahrersitz legt. Sie bewegt sich ungemein leicht und locker, finde ich. Fast wie eine Ballerina. Sie schließt den Wagen, dreht sich langsam um und blickt zu mir empor. Aber sie kann mich natürlich nicht sehen, da ich nicht direkt am Fenster stehe. Ich nehme es zumindest an. Sie wartet offensichtlich auf mich. Wir hatten zwar etwas anderes

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1