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Die Drachenfliegeralm: Mysterythriller
Die Drachenfliegeralm: Mysterythriller
Die Drachenfliegeralm: Mysterythriller
eBook377 Seiten4 Stunden

Die Drachenfliegeralm: Mysterythriller

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Über dieses E-Book

Ein Ehepaar fährt mit seiner Tochter ins Wettersteingebirge. Sie entdecken hoch oben in den Bergen eine verwaiste Alm, in die sie sich sofort verlieben. Kurzerhand erwerben sie die Alm und restaurieren sie in monatelanger Arbeit.

Bevor es zur Eröffnung kommt, erscheint ein uralter Mann namens Bergsepp. Er bestellt sich ein dunkles Bier und erzählt dem Wirtsehepaar, dass 7 Jahre zuvor eine Verkehrsmaschine mit 77 Kindern und Besatzung am direkt gegenüberliegenden Felsmassiv zerschellt war. Flugzeugteile und verbrannte Leichenteile seien ins Tal gestürzt, erzählt er wehmütig. Und der Geruch sei unerträglich gewesen. Das Ehepaar bereut in diesem Moment, die Alm gekauft und renoviert zu haben. Ihnen wird klar, wieso die Alm verwaist war.

Doch erst jetzt beginnt das Furchtbare, das Schreckliche...
SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum15. Dez. 2016
ISBN9783730981825
Die Drachenfliegeralm: Mysterythriller

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    Buchvorschau

    Die Drachenfliegeralm - Alfred J. Schindler

    Die Drachenfliegeralm

    Die Drachenfliegeralm 

    Mysterythriller

    von

    Alfred J. Schindler

    Die Drachenfliegeralm

    VORWORT

    Wir sind in guter Ausflugslaune. Über Garmisch-Partenkirchen fahren wir, von München kommend, Richtung Österreich. Es ist ein herrlicher Tag - sonnig und heiß - und das Wettersteingebirge liegt direkt vor unseren Augen. Wir erreichen Unterdorf und fahren die Gebirgsstrasse hoch Richtung Hochplatte. Ein kleines Schild weist auf diese winzige Ortschaft hin. Zwölf Kilometer geht es die Serpentine hinauf, und wir erreichen endlich besagtes Dörfchen. Thea deutet auf ein kleines, verwittertes Schildchen am Straßenrand, auf dem lediglich das Wort...

    ... Drachenfliegeralm

    steht.

    „Peter, Schau dir diese alte, verwitterte Drachen-fliegeralm an!", jauchzt sie begeistert.

    Ich biege ab.

    Ich parke unseren Van auf dem Gipfel des Bergs Hochspitze und wundere mich, dass wir die einzigen Leute weit und breit sind. Ein leichter Wind, der von Westen über den Berg zieht, macht die Temperatur etwas erträglicher.

    Der südliche Rand der winzigen Ortschaft Hochplatte liegt keine hundert Meter von unserem Punkt, vielleicht zehn bis fünfzehn Meter tiefer liegend, entfernt. Sicherlich leben hier oben in luftiger Höhe nur absolute Frischluftfanatiker, überlege ich. Von unserem Platz kann man die paar Häuser gut überblicken, die abgerissen wirken. Es sind höchstens fünfzehn, zwanzig verwitterte Häuschen, die dort, geschützt an dem steilen Hang, kleben. Direkt gegenüber steht die Felswand, von der offensichtlich in früheren Zeiten mutige Drachenflieger gesprungen waren. Kein Mensch ist auf der schmalen Straße zu sehen. Aber dass hier niemand ist, liegt sicherlich an der großen Hitze.

    Wir steigen aus und laufen langsam Richtung Drachenfliegeralm. Sie sieht heruntergekommen aus, diese ehemals sicherlich wunderschöne Alm. Das sehen wir schon von auf den ersten Blick. Und auf dem schiefen Schildchen, das über dem ehemaligen Eingang zur Terrasse hängt, steht kaum lesbar:

    Geschlossen.

    „Was heißt hier geschlossen, Peter?, fragt Thea, und sie fährt fort: „Wissen die Leute denn nicht, was für eine Goldgrube diese kleine Station sein könnte?

    „Ja, Thea, das ist mir auch nicht ganz verständlich. Schau dir da vorne das Plateau an. Von dort sprangen wohl die Drachenflieger in die Tiefe."

    Wir gehen gemächlich um die Alm herum. Das gesamte Anwesen ist verwildert. Bizarre Gebüsche prägen das Bild. Sicherlich ist die Alm schon Jahre geschlossen, wie es scheint. Die Wände des Steinbaus sind vollkommen herunter, und das Schindeldach ist von den Windböen und starken Stürmen, die hier oben sicherlich herrschen, zum Großteil abgetragen. Der kleine Kamin ragt jämmerlich aus dem Dach. Kaputte Schindeln liegen um das Anwesen herum, und hier und dort sieht man defekte Stühle mit zwei oder drei Beinen, sowie eine umgestürzte Holzbank. Ja, und natürlich ist alles voller Schmutz.

    „Ich möchte hier nicht aufräumen."

    „Ja, Thea, das wäre sicherlich eine Arbeit ohne Ende."

    „Ich verstehe nicht, dass man solch ein wunderbares Anwesen dermaßen herunterkommen lässt."

    „Ja, es ist eine Schande. Die Strasse ist soweit in Ordnung, zumindest bis zur Alm, und von dem göttlichen Ausblick von hier oben möchte ich gar nicht sprechen."

    Wir befinden uns nun auf besagtem Plateau. Auf dem obersten Punkt der Hochspitze. Besser gesagt, der...

    ... Hochspitzwand.

    Diese steinerne Platte, die auf den ersten Blick absolut waagrecht erscheint, zieht sich etwa dreißig Meter an der Alm entlang. Sie ist gut zehn Meter breit. Ein aus dicken Eisenstäben gefertigter Zaun, der in den Stein eingelassen ist, verhindert ein versehentliches Abstürzen von Kindern oder Leuten, die sich zu nahe heranwagen. Und sie, diese Platte, endet im...

    ... Nichts.

    Ja, so könnte man es wohl benennen. Die Anlaufstelle für die Segler, die hier früher sprangen, ist ebenfalls in den Boden eingearbeitet. Sie ist etwa drei Meter breit, und der Rand links und rechts erhebt sich ungefähr zwanzig Zentimeter von der restlichen Platte. Als wir an den Rand des Plateaus herantreten, besser gesagt, an die schützenden Eisenstäbe, sehen wir, dass es senkrecht abwärts geht. Fast ohne Ende. Eine Gänsehaut jagt über meinen Rücken. Das riesige Massiv, das sich unter uns befindet, endet in einem fast unsichtbaren, schwarzen Tal.

    In einem großen, finsteren Loch.

    Unser Blick wandert wieder nach oben. Der Ausblick ist wirklich atemberaubend. Unter uns befinden sich weitere Berge, die aber niedriger sind.

    „Wahnsinn, Peter. Wir sind direkt über den Wolken."

    „... über den Wolken, Thea."

    „Und diese Felswand dort links ist ja geradezu unglaublich! Sie ist genauso senkrecht, wie diese Wand hier, auf der wir stehen, und sicherlich einen Kilometer breit."

    „Ja, und eineinhalbtausend Meter tief."

    „Mindestens, Peter. Sie steht genau im rechten Winkel zu dieser Wand."

    Wir gehen vorsichtshalber ein paar Meter vom Rand des Plateaus zurück und setzen uns auf einen heißen Stein:

    „Peter, was hältst du von meiner Idee..."

    Und genau hier, auf diesem alten, heißen Stein, entwickelt sich unsere gemeinsame Zukunft...

    xxx

    Seit diesem besagten Tag - es war der 07.07.2003 - ist inzwischen exakt ein Jahr vergangen. Wir kauften die Drachenfliegeralm zu einem verdächtig günstigen Preis. Aber wir waren natürlich froh darüber, dieses ehemalige Prunkstück so günstig gekriegt zu haben. Man beglückwünschte uns in der Gemeindeverwaltung in Unterdorf, und so stand einer kompletten Renovierung nichts mehr im Wege. Über die Vorbesitzer wurde lediglich erwähnt, dass sie irgendwann - bei Nacht und Nebel - die Alm verlassen hatten. Irgendwer erwähnte am Rande, dass der Name des Ehepaares Schneider war. Anneliese und Max Schneider. Nun gut. Wir fragten auch nicht weiter nach den Gründen ihres Verschwindens, denn es interessierte uns nicht.

    Das Meiste machten Thea und ich selbst. Natürlich half uns auch Bettina, Theas Tochter aus erster Ehe, dabei, wenn sie Zeit hatte. Zwei professionelle Handwerker erledigten das Schwierigste: Die groben, schweren Arbeiten, die ich nicht ausführen konnte. Unsere finanziellen Rücklagen schwanden dahin...

    „Thea, morgen ist die Eröffnungsfeier.", sage ich, und lege meinen Arm, um ihre schmale Schulter. Sie klatscht vor Freude in die Hände. Sie kann sich wie ein kleines Kind freuen, und genau das gefällt mir so sehr an ihr.

    „Die Prospekte sind alle draußen, Paps."

    „Danke, Bettina. Wann hast du sie denn eueren Reisebüro-Broschüren beigelegt?"

    „Schon Ende letzter Woche. Frau Huber hatte nichts dagegen. Ich bin ja gespannt, wie die Resonanz sein wird."

    „Ja, jetzt können wir nur hoffen, dass auch genügend Drachenflieger kommen werden."

    „Ich denke, dass wir das Hauptgeschäft mit den Gästen machen, die nur auf einen Sprung vorbeikommen - Leute, die den Ausblick genießen wollen., antwortet Bettina. Sie fährt fort: „Versteift euch also nicht zu sehr auf die Drachenflieger.

    „Es ist doch letztendlich völlig egal, Bettina, wer das Geld bringt. Hauptsache, es kommt jemand."

    „Ja, Mutti."

    „Sind die Zimmer fertig?"

    „Ja, Peter., lacht Thea. „Genau, wie ich. Sie atmet tief durch. Man sieht ihr die Strapazen der letzten Monate an.

    „Es war eine Menge Arbeit.", bestätige ich stirnrunzelnd.

    Unsere Drachenfliegeralm sieht aus, wie aus dem Ei gepellt. Das Dach ist komplett erneuert. Die alten Dachschindeln mussten stabilen Ziegeln weichen. Das gesamte Gebäude, inklusive dem kleinen, separat stehenden Nebengebäude, (man könnte es auch als Hütte bezeichnen) in dem unter anderem die Drachen der zukünftigen Gäste deponiert werden sollen, ist außen neu verputzt und heruntergeweißt. Auch die Türen sind neu. In diesem kleinen Häuschen haben wir vorerst unsere Getränkevorräte untergestellt.

    „Wenn das Häuschen mit den Drachen gefüllt ist, Thea, dann bringen wir die Getränke eben ins große Haus. Wir werden dafür schon noch einen geeigneten Platz finden."

    „Ja, ja. Das machen wir."

    Aber am schönsten ist der Aufenthalts- bzw. Gäste- und Speiseraum geworden: Michael, ein Jäger, der seit längerer Zeit zu unseren Freunden gehört, verkaufte uns ein Dutzend Hirschgeweihe, die im Gästeraum ihren Platz fanden. Die Einrichtung ist aus stabilem Eichenholz. Die Atmosphäre ist einzigartig, könnte man wohl sagen.

    An der neu geteerten Zufahrt zu unserer Alm, an der etwa zwanzig Autoparkplätze errichtet wurden, steht ein brandneues, auffallendes Schild mit der Aufschrift:

    DRACHENFLIEGERALM

    Inh.: Familie Mooshammer.

    Sogar die Anlaufstelle für die Flieger haben wir neu betoniert. Nun ist der Boden völlig glatt, aber nicht rutschig. Er ist grob gekörnt. Die Sicherungstüre, die drei Meter breit ist und einen Schiebemechanismus besitzt, schützt vor unfreiwilligen Abstürzen. Sie wird nur geöffnet, wenn jemand springt. Die zuständigen Ämter gaben für die komplette Anlage ihren Segen, und jetzt fehlen zu unserem vollkommenen Glück nur noch...

    ... die Gäste.

    Wir Drei sitzen vor der Alm auf einer äußerst stabilen und witterungsfesten Holzbank. Es ist bestialisch heiß und der Ausblick ist phänomenal. Wir sind aufgeregt, denn wir wissen nicht, wie sich unsere „Neuinstandsetzung in Österreich, Deutschland und der Schweiz herumsprechen wird. Werden wir alleine hier sitzen, und uns die Köpfe zerbrechen, wie wir die Unkosten decken können? Nein. Daran glaube ich nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass überall bekannt wird, dass die Drachenfliegeralm am 07.07.2004 neu eröffnet wird. Ich sage mir: „Wenn man von einer Sache nicht überzeugt ist, sollte man sie erst gar nicht anpacken. Aber wir waren von Anfang an davon überzeugt, und sind es heute noch.

    Plötzlich sagt Bettina, ihre Mutter am Arm zupfend: „Ich glaube, wir kriegen unseren ersten Gast."

    „Tatsächlich. Er kommt direkt auf uns zu.", flüstert Thea.

    „Warum flüstert du denn?", frage ich sie.

    „Weil ich so aufgeregt bin."

    Wie gesagt: Ein alter, gebückt gehender Mann kommt die kleine Anfahrt hoch. Er stützt sich beim Gehen auf einen dicken, gedrechselten Spazierstock, der einen silbernen Knauf hat. Als er die Terrasse erreicht, betrachtet er zuerst uns, und dann die Alm. Dann wandert sein Blick über die phantastische Aussicht. Er nickt uns kurz zu, und läuft langsam zu der Absprungschanze der Drachenflieger. Er betritt sie und geht bis zum äußersten Rand des Felsens. An der Sicherungstüre hält er sich fest.

    Und er starrt nach links.

    Direkt auf die riesige, senkrechte Wand, die in der Sonne wie geschliffen aussieht. Er bewegt sich nicht, und man könnte fast annehmen, dass er irgendetwas sucht...

    „Was hat er denn vor?", fragt Bettina ängstlich.

    Hat sie etwa Angst, dass er die Türe öffnet und sich fallen lässt? Hinunter in diese wahnsinnige, tödliche Tiefe?

    „Nichts. Er schaut nur.", beruhige ich sie.

    Nach etwa einer Minute dreht er sich um und kommt direkt zu uns. Er brummt: „Habt ihr ein Bier für mich?" Er setzt sich mit zu uns auf die Holzbank und stützt seine dürren Arme auf den schweren Holztisch. Er schaut uns der Reihe nach an, und er wirkt etwas müde.

    „Welches wollen Sie denn? Ein Helles, ein Weizen oder ein Pils?", fragt ihn Thea höflich, wie es sich für eine gute Wirtin gehört.

    „Ein Dunkles."

    Thea schaut mich an: „Haben wir auch dunkles Bier?"

    „Ja, Thea. Bleib sitzen. Ich hole es ihm."

    „Aber bitte eiskalt, ja?" Das Gesicht des Mannes ist ungeheuer faltig. Seine Haut sieht aus wie gegerbtes Leder. Er hat langes, wirres Haar und er trägt einen weißen Vollbart. Seine Kleidung ist typisch für diese Gegend: Windjacke, Lederhose und Bergstiefel. Er wirkt auf mich trotz seines hohen Alters sehr gesund.

    Wer ist der Alte? Wieso hatten wir ihn im Laufe des letzten Jahres noch nicht gesehen? Er muss hier oben leben, denn er kam ohne Fahrzeug. Wahrscheinlich, so überlege ich, gehört ihm eines dieser Häuschen direkt unter uns. Ein alter Bewohner des Gebirgsdörfchens Hochplatte...

    Als ich zurückkomme und ihm das Bier bringe, unterhält er sich gerade mit Thea. Sie fragt ihn:

    „Wir kennen uns ja noch gar nicht. Wohnen sie hier oben in Hochplatte?"

    „Ja, das letzte Häuschen auf der rechten Seite ist meines."

    „Waren Sie denn immer in Ihrem Häuschen?", bohrt sie neugierig.

    „Wie - immer?" Er trinkt einen kräftigen Schluck, leckt sich den Schaum von den Lippen, und wie es aussieht, schmeckt es ihm ganz hervorragend.

    „Ah!", ist sein genussvoller Kommentar.

    „Nun, wir haben Sie hier noch nie gesehen."

    Er grinst: „Also, ich bin der Bergsepp. Alle Leute, die mich kennen, nennen mich so. Ich bin fast das ganze Jahr in den Bergen unterwegs." Er nimmt seinen Trachtenhut ab und legt ihn vor sich auf den Tisch.

    „In deinem Alter?", wirft Bettina ungläubig ein.

    „Wieso? Sehe ich so alt aus?"

    „Nein. Natürlich nicht. Aber du bist ja bestimmt schon über Fünfzig."

    „Ja, mein Kind. Das bin ich wohl." Er lächelt sie an. Offenbar mag er sie, weil sie zu ihm so offen ist.

    Ich setze mich zu ihm und trinke einen Schluck von meinem Bier: „Du bist also der Bergsepp. Und wir sind die Familie Mooshammer. Thea, Bettina und ich. Peter ist mein Name. Wir freuen uns, dich kennen gelernt zu haben. Morgen ist die Eröffnung - nein, die Wiedereröffnung - der Drachenfliegeralm. Da du gewissermaßen unser erster, inoffizieller Gast bist, geht das Bier natürlich auf unsere Kosten."

    Er starrt mich plötzlich an und knurrt:

    „Du sagtest morgen?

    Ist nicht morgen der 07.07.?"

    „Ja, wieso?"

    Er antwortet nicht. Aber er schaut etwas seltsam.

    Bettina sagt zu ihm: „Ist der 07.07. etwa ein besonderer Tag?"

    „Ja, am 07.07.1997 kam meine geliebte Anna dort drüben (er deutet mit dem Zeigefinger auf die riesige Felswand linker Hand, zu der er vorhin so intensiv hinübergeschaut hatte) zu Tode."

    „Und wie geschah das? Ist sie von dem Fels gestürzt?", frage ich ihn.

    Traurig blickt er mich an: „Nein, sie wurde zerquetscht. Zermalmt."

    „Wie kam das denn?", fragt Bettina ihn bestürzt.

    „Ein Flugzeug radierte sie aus. Restlos. Ja, restlos."

    Bettina fragt ihn betroffen: „Ein Sportflugzeug?"

    „Nein, es war eine Verkehrsmaschine. Eine Boing 727. Zwei Piloten, zwei Stewardessen, eine Lehrerin und...

    ... 77 Kinder...

    saßen in dem Flugzeug."

    Absolute Stille. Ich denke, mich trifft der Schlag. Das kann doch nicht sein. Ist der Alte verrückt? Ja, genau so sieht er auch aus. Er sollte keinen Alkohol trinken. Aber natürlich fällt es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen: Dieser schlimme Absturz, damals im Jahr 1997, hier im Norden von Österreich. Aber natürlich wussten wir davon. Was wir aber nicht wussten, ist die Tatsache, dass der Absturz...

    ... genau hier war.

    Direkt vor unserer Alm.

    Niemand, keine Menschenseele, hatte uns davon erzählt. Weder der Bürgermeister, noch die Beamten, die Brauerei, noch irgendein Anwohner...

    ... niemand.

    Wir sitzen da und schweigen, denn dazu gibt es wohl nichts zu sagen. Wir sind zutiefst erschüttert, und mein Mund ist vollkommen ausgetrocknet. Erst jetzt, in dieser furchtbaren Minute, wird uns klar, wieso diese wunderschöne Alm sieben Jahre lang leer stand. Kein Mensch wollte hier, an diesem Platz, weiterhin sein. Niemand wollte von dieser Rampe aus...

    ... Drachenfliegen.

    Bettinas und Theas Blicke sprechen Bände. Sie sind von der Aussage des Greises zutiefst betroffen. Dort drüben, keine dreihundert Meter von uns entfernt, soll wirklich ein Flugzeug in die Wand geknallt sein? Eine richtige Verkehrsmaschine? Das ist ja grauenhaft! Alleine der Gedanke daran macht mich völlig konfus.

    Der Alte blickt wieder hinüber, zu besagter Wand, und sagt: „Ich war der einzige Augenzeuge."

    „Du warst...", keucht Thea. Ihr Gesicht ist feuerrot.

    „Ja, ich stand an diesem Tag - es war genau 17.17 Uhr - hier auf Ihrem Plateau und winkte Anna zu. Sie stand dort drüben und winkte zurück. Und dann hörte ich plötzlich dieses furchtbare Geräusch."

    „Erzähle weiter.", dränge ich ihn.

    Er trinkt wieder einen Schluck und fährt dann fort: „Das Motorengeräusch kam von der rechten Seite. Von Westen. Ich schaute hinüber und sah, dass sich eine brennende Verkehrsmaschine mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit näherte. Sie raste dort drüben über die Bergspitzen, und ich dachte schon, dass sie an einem der Gipfel hängen bleiben würde. Dann sah ich wieder zu Anna und erkannte, dass sie völlig paralysiert war. Sie stand dort oben auf dem Plateau und wirkte vollkommen versteinert. Ihre Arme waren weit geöffnet, und es sah so aus, als ob sie die auf sie zurasende Maschine empfangen wollte. Ich schrie ihr zu, dass sie doch davonrennen sollte, aber sie hörte mich natürlich nicht.

    Dann brach das Inferno über Hochplatte herein.

    Ich hielt mir die Ohren zu, weil dieses pfeifende, giftige Geräusch unerträglich laut wurde. Die Maschine raste auf uns zu, keine zweihundert Meter an meinen Augen vorbei...

    ... und knallte direkt an die Wand."

    Er stockt. Und er fängt an, zu weinen. Thea setzt sich nahe zu ihm und legt ihren Arm um seine magere Schulter.

    „Entschuldigt. Aber jedes Mal, wenn ich an diesen Platz komme, sehe ich die brennende Maschine direkt vor meinen Augen. Dazu diese furchtbaren Geräusche, und dann dieser ohrenbetäubende Knall. Ich sage euch: Es war unbeschreiblich."

    „Das glauben wir dir., sage ich zu ihm tröstend. „Es tut uns sehr leid für dich.

    „Das Grauenhafteste war der Aufprall. Diese unglaubliche Explosion. Es klang wie ein Urknall, und es hatte den Anschein, als ob der Fels die komplette Maschine auffressen würde. Sie in sich aufnehmen, sie inhalieren würde. Es schien, als ob die Maschine von dem Fels komplett verschluckt würde. Tausende von Steinsplittern und Metallteile flogen umher, die mich aber merkwürdiger Weise nicht trafen, und dann war da noch..."

    „Was?"

    „Dieser ätzende Geruch.

    Es roch nach verbranntem Fleisch."

    „Das ist ja grauenhaft.", jammert Thea.

    Er starrt mich an und ächzt: „Ich bildete mir ein, Schreie gehört zu haben."

    „Schreie? Das kann doch nicht sein.", antworte ich.

    „Ich hörte sie aber. Durchdringende, grausame Schreie.

    Kinderschreie."

    Er atmet tief durch. Dann holt er mühsam seinen Schnupftabak heraus. Mir fällt sofort diese herrliche, handgearbeitete Dose auf. Und er schnupft. Intensiv. Dieser alte Mann.

    Bettina erwacht aus ihrem ersten Schock: „Du hörtest Kinderschreie?"

    „Ja. Sie brüllten wie am Spieß. Sie übertönten fast die krachenden und berstenden Geräusche der defekten Motoren."

    „Das ist ja fürchterlich.", wispert Thea. Ihr Blick ist weit entrückt.

    Und über meinen Rücken jagt eine Gänsehaut.

    Mit Tränen in den Augen blickt Thea zu mir auf und sagt leise: „Was sollen wir jetzt tun, Peter?"

    Eine gute Frage.

    Bergsepp (es dürfte sein Spitzname sein) hat sich scheinbar wieder etwas beruhigt. Thea bringt ihm unaufgefordert sein zweites Bier. Eiskalt, versteht sich.

    „Entschuldigt, aber hattet ihr denn von dieser Katastrophe nichts gewusst?"

    „Wir wussten es natürlich aus der Presse, aber wir ahnten bis heute nicht, dass sich diese Sache genau hier abgespielt hatte.", antworte ich mit einem Kratzen in der Stimme.

    „Ihr macht euch keinen Begriff, wie es nach dem Aufprall unten im Tal aussah."

    „Wir können es uns vorstellen.", antwortet Thea.

    Er betrachtet sie intensiv: „Liebe Thea, das glaube ich nicht."

    Er trinkt sein Bier aus, bedankt sich und verlässt uns. Als er unter unserer Alm verschwunden ist, sagt Bettina: „Mein Gott. Was für ein Wahnsinn."

    „Ja, er ist ein gebrochener Mann.", meint Thea nachdenklich.

    „Wenn man dieses vor uns liegende Massiv betrachtet, kann man fast nicht glauben, was hier passiert ist. Es wirkt so ruhig und gelassen auf mich, als ob es sagen möchte, dass die Geschichte des Alten nur erfunden ist."

    „Schön wäre es, Paps. Aber ich befürchte, dass er die Wahrheit sagte. Solch eine furchtbare Sache kann man sich nicht so einfach aus den Fingern saugen."

    „Ja, Bettina. Ich gebe dir voll und ganz recht. Wir müssen jetzt das Beste daraus machen."

    Thea hat sich wieder etwas gefangen: „Ich denke, dass die Menschen nach dieser langen Zeit nicht mehr daran denken."

    „Hoffen wir es, Thea. Mich ärgert nur, dass es uns niemand erzählt hat. Ich meine damit Bernhard Berghammer, unseren Bürgermeister, seine Mitarbeiter, oder sonstige Leute von dieser Gegend. Andererseits können wir niemandem einen Vorwurf machen. Schließlich hätten wir uns vorher genau erkundigen müssen, wieso die vorherigen Besitzer die Alm damals so schnell verlassen hatten."

    „Wer kommt denn auf so etwas Grauenhaftes, Peter? Außerdem glaube ich, dass sie alle voraussetzten, dass wir von dem Unglück wussten."

    „Ja, es war unsere eigene Schuld. Aber wenn ich es mir recht überlege, kommt es mir fast so vor, als ob man uns bewusst ins offene Messer laufen ließ."

    Bettina schließt ab: „Sei es, wie es wolle. Wir werden die Flinte nicht ins Korn werfen. Und wir können für unsere Unwissenheit und Dummheit auch niemanden verantwortlich machen.

    Nur uns selbst."

    xxx

    Der 07.07. ist angebrochen. Das Wetter spielt glücklicherweise mit. Es weht ein leichter Wind, (ich brauche es nicht zu betonen, denn hier oben weht das ganze Jahr über ein, mehr oder weniger, leichter, bis starker Wind) und wir erwarten mit Spannung die ersten Gäste. Die Temperatur ist heute wieder sehr hoch. Es ist schon zehn Uhr am Vormittag und es tut sich nichts.

    „Meine Chefin lässt sich entschuldigen, Paps. Sie muss schließlich im Reisebüro bleiben, wenn ich schon für heute Urlaub habe."

    „Klar. Einer muss ja schließlich die Stellung halten."

    Doch dann geht es plötzlich los: Ein paar Autos kommen die schmale Strasse hochgefahren. Da die winzige Ortschaft Hochplatte gewissermaßen eine Endstation ist - die Strasse führt also nur bis zu Bergsepps Haus weiter und endet dann - wissen wir, dass es sich um Touristen handeln muss. Jedoch wir irren uns: Wir spähen neugierig Richtung Parkplätze und sehen zu unserem Erstaunen, dass der erste Wagen, der einparkt, der des Bürgermeisters ist. Es folgen drei weitere Fahrzeuge. Und am Ende der Kette sehe ich Manfreds Auto. Er ist inzwischen mein bester Freund.

    Berghammer steigt, zusammen mit zwei Damen, aus seinem dicken Audi aus und winkt uns fröhlich zu. Bei seinen Beifahrerinnen handelt es sich übrigens um seine Frau Annabella und ihre gemeinsame Tochter Daniela. Bernhard schwenkt gut gelaunt seinen Tirolerhut hin und her. Eine Traube von zehn Leuten nähert sich unserer Alm. Thea, Bettina und ich stehen voller Erwartung auf der kleinen Terrasse, die mit hübschen Blumenkästen umgeben ist. Die Leute erreichen uns, und wir begrüßen unsere ersten Gäste. Großes Hände schütteln. Unsere Gäste freuen sich offensichtlich, dass die Drachenfliegeralm endlich wieder in Betrieb ist. Natürlich wechsele ich schnell mit Manfred ein paar kurze Worte, bevor ich mich den Anderen zuwende.

    Unsere Gäste bekommen - ich würde sagen, traditionsgemäß - zur Begrüßung ein Schnäpschen (einen Enzian), und sie begutachten alles mit großer Neugier. Wir hören Komplimente von allen Seiten: Hinsichtlich der Alm an sich, der sauberen Anlage ringsum und natürlich auch wegen der gepflegten und blitzsauberen Inneneinrichtung. Auch Bettinas wunderschöne und hochmoderne Küche wird - natürlich von den Damen - sehr bewundert.

    „Schön haben Sie es hier, Frau Mooshammer.", sagt die Bürgermeisterfrau.

    „Die Alm sieht wie neu aus, Bettina.", lobt ihr Gemahl.

    „Der Ausblick kommt mir jetzt noch prächtiger vor, als je zuvor.", lispelt Daniela. Ich sage es nicht gerne, aber sie ist ein ausnehmend hässliches Mädchen. Ihr Vater kann nur beten, dass sie irgendwann einen Mann findet.

    „Sie haben ganze Arbeit geleistet, Herr Mooshammer." Bestätigt Bernhard mit leichtem Schulterklopfen.

    „Die Drachenflieger werden sich freuen.", meint Daniela. Ihre Zahnspange, die in der Sonne glänzt, behindert sie etwas beim Sprechen. Die Ärmste.

    „Ja, besonders auch darüber, dass sie übernachten können.", erklärt Annabelle.

    Nach einigen Minuten setzen sich die Leute. Es sind, abgesehen, von Bernhards Familie, seine Mitarbeiter, Beamte vom Gewerbeaufsichtsamt und Angestellte von der Gemeindeverwaltung anwesend. Nachdem jeder unserer Gäste sein Getränk nach Wunsch bekommen hat, und alle auf der Terrasse sitzen, ergreift der Bürgermeister das Wort. Er steht auf und bittet mit einer knappen Geste um Ruhe:

    Liebe Familie Mooshammer. Es ist uns allen eine große Freude, mit Ihnen hier sein zu dürfen. Wie es nicht anders zu erwarten war, haben Sie ganze Arbeit geleistet. Die Drachenfliegeralm steht hier, an diesem wunderbaren Fleckchen Erde im Wettersteingebirge, in all seiner Pracht. Natürlich hatten wir Ihre Arbeit in den letzten Monaten mit größtem Interesse beobachtet. Ich hoffe, Sie fühlten sich von uns nicht gestört (er lacht) - aber ich muss ehrlich zugeben, dass das Ergebnis meine Erwartungen bei Weitem übertroffen hat. Natürlich werden wir - soweit es in

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